Aufgrund der vorstehend angestellten Überlegungen können Arbeitgeber einer Haftung auf die Entschädigung nur entgehen, wenn sie sich mit Erfolg darauf berufen können, der Kläger habe sich nicht ernsthaft beworben, sondern sei nur auf die Entschädigung aus. Gelingt dem Arbeitgeber dieser Beweis, war der Bewerber nämlich gar kein "Bewerber" i. S. d. europäischen und deutschen Rechts. Dies setzt aber voraus, dass vom Arbeitgeber ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen des Bewerbers, das auf die Erzielung von Gewinn ausgerichtet ist, bewiesen wird. Diesen Beweis zu führen ist – wie bereits mehrfach angedeutet – nicht einfach. Denn wie so häufig gilt es, aus äußeren Handlungen (Abgabe einer Bewerbung, deren äußere Form und ihr Inhalt, sonstiges Verhalten des Bewerbers usw.) auf eine innere Tatsache, nicht die Stelle, sondern eine Entschädigung erlangen zu wollen, zu schließen.
Viele Möglichkeiten, den Beweis für den Verdacht zu führen, gibt es nicht. Im Einzelnen:
Liste professioneller Scheinbewerber
In der Anfangszeit des AGG führte eine Rechtsanwaltskanzlei eine sogenannte "AGG-Hopper-Kartei". Diese wurde aus Gründen des Datenschutzes verboten und wurde vom Netz genommen. Legal stehen also derartige Datensammlungen nicht zur Verfügung.
Kenntnis von weiteren AGG-Verfahren des Bewerbers
Selbst wenn es dem Arbeitgeber gelingt, in Erfahrung zu bringen, dass der Bewerber eine Vielzahl ähnlicher Gerichtsverfahren geführt hat, hilft diese Information allein nicht weiter. Denn dass jemand aufgrund erfolgloser Bewerbungen bereits eine bestimmte Zahl von Verfahren geführt hat, lässt für sich genommen keinen Schluss darauf zu, dass er an einer Beschäftigung nicht interessiert sei.
Gleichwohl kann es wiederum ein Indiz unter mehreren sein, wenn man – möglicherweise aus anderen veröffentlichten Urteilen – den eigenen Bewerber als Kläger in vielen anderen Verfahren identifizieren kann.
Gleichwohl gilt natürlich: Wer als Baggerfahrerin oder Arzthelfer eine adäquate Beschäftigung sucht und bei diskriminierendem Verhalten des potenziellen Arbeitgebers eine Entschädigung verlangt, muss kein professioneller Scheinbewerber sein. Macht diese Person dann eine Vielzahl von Entschädigungsklagen anhängig, hat dies mit rechtsmissbräuchlichen Verhalten möglicherweise nichts zu tun, sondern mit einer großen Zahl von Diskriminierungen. Dann sind aber auch mannigfache Entschädigungszahlungen exakt das, was der europäische und der nationale Gesetzgeber erreichen wollten. Zu Recht werden solche Umstände allein daher von der Rechtsprechung nicht als Merkmal für die fehlende Ernsthaftigkeit der Bewerbung angesehen. Aus denselben Gründen ist es auch kein Indiz für die fehlende Ernsthaftigkeit, wenn die Person eine große Anzahl von Bewerbungen schreibt. Es ist selbstverständlich, dass dies auch Ausdruck eines legitimen Wunsches nach Beschäftigung oder beruflicher Veränderung sein kann. Im Zweifel erwartet genau dies auch die Bundesagentur für Arbeit. Das BAG erblickt selbst in dem Umstand, dass solche Stellen präferiert werden, die diskriminierend ausgeschrieben wurden, kein für sich genommen ausreichendes Indiz.
Mit der gleichen Argumentation hilft im Übrigen meist auch eine Strafanzeige wegen Betrugs nicht weiter.
Bewerber ist objektiv nicht geeignet
Selbst wenn der Bewerber für die Stelle – bei Wegdenken der diskriminierenden Stellenanzeige – objektiv nicht geeignet ist, schließt dies einen Entschädigungsanspruch nicht aus. Zwar hatte das BAG hierin zunächst ein die Entschädigung ausschließendes Merkmal erkannt, weil ein objektiv ungeeigneter Bewerber nicht in einer vergleichbaren Situation gegenüber zum Vorstellungsgespräch eingeladener Bewerber sei. Später hat das BAG allerdings seine Rechtsprechung geändert und zu Recht darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Begrenzung der Entschädigung auf 3 Monatseinkommen gerade für den Fall der objektiven Ungeeignetheit des Bewerbers gilt. Wird also die objektive Eignung als ein Tatbestandsmerkmal bei der Prüfung des Entschädigungsanspruchs angesehen, würde der Anspruch in vielen Fällen leerlaufen, was europarechtlich nicht gewollt ist. Die Problematik liegt dabei allerdings in der Frage, was "objektiv nicht geeignet" bedeutet. Anforderungsprofile in Stellenanzeigen benennen häufig Qualifikationen, deren Vorhandensein sich der Arbeitgeber für den Idealfall zwar wünscht, die aber keinesfalls zwingende Voraussetzung einer erfolgreichen Bewerbung sind. Sucht eine chirurgische Arztpraxis allerdings eine "Ärztin", wird ein abgelehnter Metzgergeselle kaum mit Erfolg eine Entschädigung wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts einklagen können. Diese Argumentation akzeptiert das BAG allerdings tatsächlich nur bei Nichtvorliegen einer formalen Qualifikation für den ausgeschriebenen Beruf, wie etwa bei einer Approbation. Damit wird sich diese Arztpraxis gegenüber einem männlichen approbierten Mediziner nicht darauf berufen können, er sei geringer qualifiziert a...