Leitsatz
Einem bedürftigen Berufungsbeklagten ist gemäß § 119 Abs. 1 S. 2 ZPO Prozesskostenhilfe zu bewilligen, ohne dass die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder eine mögliche Mutwilligkeit zu prüfen sind. Trotz dieser Regelung kann die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagt werden, wenn eine Verteidigung gegen das Rechtsmittel noch nicht notwendig ist. Dies gilt beispielsweise für den Fall einer offensichtlich unzulässigen Berufung und auch dann, wenn der Berufungskläger sein Rechtsmittel noch nicht begründet hat. Einige OLG haben in der Vergangenheit die Auffassung vertreten, dem Berufungsbeklagten sei trotz Vorliegens einer Berufungsbegründung Prozesskostenhilfe zu versagen, wenn das Berufungsgericht eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO bereits angekündigt habe bzw. die Möglichkeit eines solchen Vorgehens noch bestehe.
Sachverhalt
Die Parteien waren geschiedene Eheleute. Gegen das Scheidungsverbundurteil hat der anwaltlich vertretene Antragsgegner rechtzeitig Berufung eingelegt und Anträge sowie Begründung einem weiteren Schriftsatz vorbehalten. Nach Zustellung der Berufungsschrift an den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin hatte sich dieser mit dem am 3.8.2006 beim OLG eingegangenen Schriftsatz bestellt, Zurückweisung der Berufung beantragt sowie um Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Antragstellerin nachgesucht. Am 18.6.2006 hatte die Antragstellerin das ausgefüllte Formular über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht und am 31.8.2006 einen Bescheid über die Bewilligung von Leistungen nach SGB II nachgereicht.
In der Zwischenzeit hatte der Antragsgegner seine Berufung mit am 14.8.2006 eingegangenem Schriftsatz begründet. Die Berufungsbegründung wurde der Antragstellerin gemäß Verfügung vom 17.8.2006 mit begründetem Beschluss vom gleichen Tage, mit welchem auf eine beabsichtigte Verfahrensweise nach § 522 Abs. 2 ZPO hingewiesen wurde, am 22.8.2006 zugestellt. Zugleich stellte ihr das Berufungsgericht anheim, seine Entscheidung bzw. die Stellungnahme des Antragsgegners abzuwarten. Letztere ist der Antragstellerin zusammen mit dem die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisenden Beschluss sowie unter Versagung der für das Verfahren zweiter Instanz beantragten Prozesskostenhilfe am 19.9.2006 zugestellt worden.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgte die Antragstellerin ihren Prozesskostenhilfeantrag weiter.
Das Rechtsmittel war zulässig und auch in der Sache selbst erfolgreich.
Entscheidung
Der BGH hielt die Verfahrensweise des OLG für nicht zulässig.
Dem Berufungsbeklagten könne nach Eingang der Rechtsmittelbegründung Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen die Berufung nicht mit der Begründung versagt werden, eine Entscheidung über die Zurückweisung der Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO stehe noch aus.
Der Berufungsbeklagte habe ein legitimes Interesse daran, bereits in einem frühen Verfahrensstadium auf eine Zurückweisung der Berufung hinzuwirken. Dies gelte auch dann, wenn das Gericht bereits einen Hinweis nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO erteilt habe, weil hierin lediglich eine vorläufige Rechtsauffassung zum Ausdruck komme.
Die Beauftragung eines Rechtsanwalts könne dem Berufungsbeklagten unter prozesskostenhilferechtlichen Aspekten nicht versagt werden, zumal es sich bei den insoweit entstehenden Anwaltsgebühren um notwendige Kosten der Rechtsverteidigung handele, die gemäß § 91 Abs. 1 ZPO zu erstatten seien.
Hinweis
Auch nach Inkrafttreten des FamFG ist diese Entscheidung des BGH für Ehe- und Familienstreitsachen von praktischer Bedeutung. Zwar enthält § 117 Abs. 2 FamFG keinen ausdrücklichen Verweis auf § 522 Abs. 2 ZPO, das Beschwerdegericht kann jedoch gemäß §§ 68 Abs. 3 S. 2, 117 Abs. 3 FamFG über ein aussichtsloses Rechtsmittel nach vorherigem Hinweis ebenfalls ohne mündliche Verhandlung entscheiden, was im Ergebnis einer Beschlusszurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO entspricht.
Link zur Entscheidung
BGH, Beschluss vom 28.04.2010, XII ZB 180/06