Leitsatz (amtlich)
1. Eine nach Beendigung der Instanz eingelegte Beschwerde gegen die Versagung der Prozeßkostenhilfe ist zulässig, wenn das Gericht über den Antrag erst so spät entschieden hat, daß dem Antragsteller die Einlegung der Beschwerde vor Abschluß der Instanz nicht möglich war.
2. Die Beschwerde ist in diesem Falle aber unbegründet, wenn die Klage in der Hauptsache von der Vorinstanz rechtskräftig abgewiesen worden ist.
Normenkette
FGO § 142; ZPO §§ 114, 127 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt - HZA -) nahm den Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) durch Bescheid vom 1. September 1982 auf Zahlung von 1 719,90 DM Branntweinaufschlag in Anspruch. Auf den Einspruch des Antragstellers wurde die Branntweinaufschlagschuld auf 876,20 DM herabgesetzt.
Mit seiner Klage beantragte der Antragsteller, den Steuerbescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung aufzuheben. Er stellte mit der Klageschrift vom 15. Januar 1983 ferner den Antrag, ihm Prozeßkostenhilfe zu gewähren und ihm seinen Prozeßbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt, beizuordnen. Das FG wies durch sein am 8. Dezember 1983 verkündetes Urteil die Klage als unbegründet ab. Zur Begründung führte es aus, daß nach der Überzeugung des Senats der Antragsteller den steuerbegründenden Tatbestand (Herstellung von Branntwein) verwirklicht habe. Den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung eines Bevollmächtigten lehnte das FG durch den im Anschluß an sein Urteil ebenfalls am 8. Dezember 1983 verkündeten Beschluß ab. Der ablehnende Beschluß verweist hinsichtlich der Erfolgsaussichten der vom Antragsteller erhobenen Klage auf das abweisende Urteil des Senats vom selben Tage.
Mit seiner am 6. Juni 1984 eingegangenen Beschwerde gegen die Versagung der Prozeßkostenhilfe macht der Antragsteller geltend, die Entscheidung über die Prozeßkostenhilfe werde pervertiert, wenn sie zum Nachverfahren der Klage gemacht werde. Der mittellose Kläger werde dadurch entgegen der Entscheidung des Gesetzgebers gehindert, seine Rechte durch einen Verfahrensbevollmächtigten wahrnehmen zu lassen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
a) Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 127 Abs. 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet gegen ablehnende Entscheidungen über die Prozeßkostenhilfe die Beschwerde statt, "es sei denn, daß das Berufungsgericht die Entscheidung getroffen hat". Dieser Regelung wird entnommen, daß die Beschwerde in einer Prozeßkostenhilfesache nicht an diejenige Instanz gerichtet werden kann, an die die zugehörige Hauptsache nicht kommen kann (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 42. Aufl., § 127 Anm. 7 B b), mit weiteren Nachweisen). Eine Beschwerde ist also auch nicht gegen die Ablehnung der Prozeßkostenhilfe durch das FG zulässig, wenn die zugehörige Hauptsache nicht an den Bundesfinanzhof (BFH) gelangen kann (BFH-Beschluß vom 14. Mai 1982 VIII B 1/82, BFHE 136, 53, BStBl II 1982, 600).
Im Falle des Antragstellers kann aber die Hauptsache an den BFH gelangen. Zwar konnte er gegen das abweisende Urteil des FG nicht unmittelbar Streitwertrevision beim BFH einlegen, da der Wert des Streitgegenstandes offensichtlich weniger als 10 000 DM beträgt (Art. 1 Nr. 5 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFH-EntlG -). Die Hauptsache könnte jedoch dadurch an den BFH als Revisionsgericht gelangen, daß die Revision vom FG oder auf die Beschwerde hin vom BFH aus einem der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Gründe zugelassen wird oder der Antragsteller ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwerts eine zulassungsfreie Verfahrensrevision nach § 116 FGO einlegen könnte. Das reicht für die Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Verweigerung der Prozeßkostenhilfe aus (BFH-Beschluß vom 22. Juni 1983 I B 24/83, BFHE 138, 520, BStBl II 1983, 644). Ob der Antragsteller tatsächlich Nichtzulassungsbeschwerde einlegt oder Verfahrensmängel i. S. des § 116 FGO rügt, ist unerheblich, da die Zulässigkeit der Beschwerde nicht von dem späteren prozessualen Verhalten im Hauptsacheverfahren abhängig gemacht werden kann. Die Beschwerde wäre nur dann unzulässig, wenn gegen die Entscheidung zur Hauptsache von vornherein ein Rechtsmittel zum BFH nicht statthaft wäre (vgl. BFHE 136, 53, BStBl II 1982, 600 für den Fall der Entscheidung des FG über die Aussetzung der Vollziehung durch unanfechtbaren Beschluß nach Art. 1 Nr. 3 BFH-EntlG).
b) Der Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Prozeßkostenhilfe steht auch nicht entgegen, daß sie erst am 6. Juni 1984, und damit nach Beendigung der Instanz, die mit der Verkündung des Urteils des FG am 8. Dezember 1983 eingetreten war (vgl. Beschluß des Oberverwaltungsgerichts - OVG - Lüneburg vom 29. November 1967 VI OVG B 73/62, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1968, 565, m. w. N.), eingelegt worden ist.
Die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe erfolgt für jeden Rechtszug besonders (§§ 142 FGO, 119 ZPO) und wirkt grundsätzlich nur für die Zukunft (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a. a. O., § 122 Anm. 1 B). Deshalb kann auf einen nach Beendigung der Instanz eingereichten Antrag Prozeßkostenhilfe in der Regel nicht mehr bewilligt werden. Für eine erst nach Beendigung der Instanz oder Abschluß des Rechtsstreits eingelegte Beschwerde gegen den die Prozeßkostenhilfe versagenden Beschluß folgt daraus, daß diese grundsätzlich nicht mehr zulässig ist (Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs - VGH - München vom 14. Februar 1980 Nr. 12.C 748/79, NJW 1980, 2093; OVG Lüneburg in NJW 1968, 565; Beschluß des Oberlandesgerichts - OLG - Düsseldorf 4. FamS vom 14. August 1978 4 WF 18/78, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht - FamRZ - 1978, 915; Beschluß des OLG Frankfurt 20.ZS vom 5. Oktober 1979 20 W 617/79, OLGZ 80, 77; Beschluß des OLG Karlsruhe vom 14. Oktober 1981 16 WF 132/81, Anwaltsblatt - AnwBl - 1982, 77).
Von diesem Grundsatz bestehen aber Ausnahmen. Es ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, daß die Prozeßkostenhilfe rückwirkend und sogar noch nach Abschluß des Verfahrens bewilligt werden kann, wenn der Bewilligungsantrag mit den erforderlichen Unterlagen während des Verfahrens gestellt, aber nicht verbeschieden worden ist. Denn das Gericht darf nicht durch Säumigkeit den Antragsteller um die Prozeßkostenhilfe bringen können (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a. a. O., § 122 Anm. 1 B, m. w. N.). Der Bundesgerichtshof (BGH) läßt in einem solchen Falle die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe nach Abschluß des Verfahrens mit Rückwirkung ab dem Zeitpunkt der Antragstellung zu (Beschluß vom 30. September 1981 IV b ZR 694/80, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK - Finanzgerichtsordnung, § 142 Rechtsspruch 24). Für die Zulässigkeit der nach Beendigung der Instanz eingelegten Beschwerde gegen die Versagung der Prozeßkostenhilfe ergibt sich daraus, daß diese aus Billigkeitsgründen dann zulässig bleibt, wenn der Antragsteller die Prozeßkostenhilfe rechtzeitig beantragt, das Gericht über den Antrag aber erst so spät entschieden hat, daß dem Antragsteller die Einlegung der Beschwerde vor Abschluß der Instanz nicht möglich oder zumutbar war (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a. a. O., § 127 Anm. 7 B a); Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 2. Aufl., § 127 Anm. B IV c); Thomas-Putzo, ZPO, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 12. Aufl., § 127 Anm. 3; Beschluß des OLG Hamm vom 14. Januar 1969 4 W 3/69, NJW 1969, 1355, und VGH München, NJW 1980, 2093; OVG Lüneburg, NJW 1968, 565; OLG Düsseldorf, FamRZ 1978, 915; OLG Karlsruhe, AnwBl 1982, 77). Diese Ausnahmesituation ist im Streitfall gegeben.
Der Antragsteller hat bereits mit seiner Klageschrift vom 15. Januar 1983 den Antrag auf Prozeßkostenhilfe gestellt. Seine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 117 Abs. 2 bis 4 ZPO) stammt vom 19. Januar 1983. Er konnte somit davon ausgehen, daß das FG rechtzeitig vor Abschluß der Instanz und nicht erst nach Verkündung des Urteils in der Hauptsache über seinen Antrag entscheiden werde. Nachdem das FG seinen Beschluß über die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe erst am Tage der Entscheidung über die Hauptsache erlassen und diesen zeitlich sogar nach der Verkündung des Urteils vom 8. Dezember 1983 verkündet hatte, verblieb dem Antragsteller keine Möglichkeit, noch vor dem Abschluß der Instanz Beschwerde gegen den die Prozeßkostenhilfe versagenden Beschluß einzulegen. Da der Antragsteller seinerseits alles den Umständen nach Gebotene und Zumutbare unternommen hatte, um die Nachprüfung seines Antrags auf Prozeßkostenhilfe vor der Sachentscheidung zu erwirken, und er es nicht zu vertreten hat, daß die Nachprüfung des ablehnenden Beschlusses erst nach Abschluß der Instanz erfolgen kann, muß seine Beschwerde als zulässig angesehen werden. Denn der Antragsteller darf nicht allein aufgrund der Verzögerung der Entscheidung durch das FG über den von ihm gestellten Antrag um den ihm gesetzlich garantierten Rechtsschutz (§ 127 Abs. 2 ZPO) gebracht werden.
2. Die Beschwerde ist aber nicht begründet.
Die Gewährung von Prozeßkostenhilfe setzt nach § 142 FGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO voraus, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Das FG hat durch sein Urteil vom 8. Dezember 1983 die gegen den Steuerbescheid über Branntweinaufschlag in der Fassung der Einspruchsentscheidung gerichtete Klage des Antragstellers als unbegründet abgewiesen. Der Antragsteller hat nicht vorgetragen, daß er gegen dieses Urteil Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt habe oder einlegen wolle. Anhaltspunkte für die Einlegung derartiger Rechtsbehelfe liegen nicht vor. Es ist deshalb davon auszugehen, daß zwischen den Beteiligten des Klageverfahrens die Rechtmäßigkeit des gegen den Antragsteller ergangenen Steuerbescheides rechtskräftig feststeht (§ 110 FGO). Der Senat ist deshalb auch im Beschwerdeverfahren daran gehindert festzustellen, daß die Anfechtungsklage gegen den Steuerbescheid, für die der Antragsteller Prozeßkostenhilfe begehrt, Aussicht auf Erfolg hat. Er kann somit die Prozeßkostenhilfe nicht mehr rückwirkend bewilligen (vgl. Wieczorek, a. a. O., § 127 Anm. C, am Ende; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a. a. O., § 122 Anm. 1 B; Beschluß des OLG Stuttgart vom 26. Juli 1933 2 W 616/33, Höchstrichterliche Rechtsprechung - HRR - 1934 Nr. 1231).
In Rechtsprechung und Schrifttum wird zwar die Auffassung vertreten, daß im Falle ungerechtfertigter Verzögerung der Entscheidung eine Bewilligung auch nach rechtskräftiger Abweisung der Klage möglich sei, weil für die Beurteilung der Erfolgsaussicht der Zeitpunkt maßgeblich sei, in dem spätestens hätte entschieden werden müssen (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a. a. O., § 127 Anm. 8, m. w. N.). Der Antragsteller hat aber keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, nach denen die Erfolgsaussicht der Klage in einem früheren Stadium des Verfahrens anders zu beurteilen gewesen wäre als im Zeitpunkt der Entscheidung durch das FG. Solche Umstände sind auch nicht ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 74814 |
BStBl II 1984, 838 |
BFHE 1985, 494 |