Leitsatz (amtlich)
1. Eine zulassungsfreie Revision kann nicht mit einer in die Form einer Verfahrensrüge gekleideten Sachrüge erreicht werden.
2. Eine Verfahrensrüge i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO liegt nicht vor, wenn der Revisionskläger geltend macht, das FG habe über den ausdrücklichen "Antrag", bei der Würdigung des Sachverhalts eine bestimmte Rechtsauffassung oder Verwaltungsübung zu berücksichtigen, nicht entschieden.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Geschäftsinhaberin, legte gegen das in der Einkommensteuersache 1967 bis 1969 ergangene, die Bewertungsfreiheit geringwertiger Wirtschaftsgüter (§ 6 Abs. 2 EStG) wegen nichtordnungsmäßiger Buchführung ablehnende Urteil des FG Revision ein mit dem Antrag, die Vorentscheidung aufzuheben. Die Revision, deren Streitwert die Summe von 10 000 DM (vgl. Art. 1 Nr. 3 BFH-EntlastG vom 8. Juli 1975, BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932) nicht übersteigt, sei nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO zulassungsfrei. Das FG habe nicht über den geltend gemachten zusätzlichen selbständigen Antragsgrund entschieden, daß nach Verwaltungsübung auch bei nicht ordnungsmäßiger Buchführung bei nicht erheblichen Anschaffungen die Bewertungsfreiheit gewährt werde.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Nach Art. 1 Nr. 5 BFH-EntlastG findet die Revision ohne Zulassung nur statt, wenn der Wert des Streitgegenstandes 10 000 DM übersteigt. Im Streitfall beträgt der Streitwert (wie in der Vorinstanz) höchstens 5 230 DM. Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 115 Abs. 3 FGO) ist nicht erhoben.
Einer Zulassung zur Einlegung der Revision bedarf es allerdings nicht, wenn wesentliche Mängel des Verfahrens i. S. des § 116 FGO gerügt werden. Die Klägerin behauptet zu Unrecht, eine solche Rüge erhoben zu haben. Sie macht geltend, daß die Vorentscheidung i. S. der Vorschrift des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO insoweit nicht mit Gründen versehen sei, als das FG ihren "Antrag" übergangen habe, bei der Entscheidung zu berücksichtigen, daß nach Verwaltungsübung auch bei nichtordnungsmäßiger Buchführung bei nicht erheblichen Anschaffungen die Bewertungsfreiheit für geringwertige Wirtschaftsgüter gewährt werde. Damit ist jedoch die Rüge eines Verfahrensmangels nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht schlüssig begründet und somit unzulässig. Denn die Klägerin rügt weder, daß eine Begründung (§ 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO) überhaupt fehle, noch daß das FG einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen habe (vgl. Urteil des BFH vom 11. Juni 1969 I R 27/68, BFHE 95, 529, BStBl II 1969, 492), d. h. daß das Urteil hinsichtlich eines wesentlichen Streitpunktes nicht mit Gründen versehen sei (vgl. BFH-Urteil vom 3. März 1970 VII R 43/68, BFHE 98, 525, BStBl II 1970, 494). Die von der Klägerin erhobene Rüge betrifft weder einen selbständigen Anspruch noch ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel und damit nicht einen wesentlichen Streitpunkt i. S. der angeführten Rechtsprechung.
Die Begriffe des selbständigen Anspruchs und des selbständigen Angriffs- oder Verteidigungsmittels entsprechen denen des Zivilprozeßrechts. Danach muß es sich um einen selbständigen Klagegrund oder um solche Angriffs- oder Verteidigungsmittel handeln, die den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bilden (vgl. Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 34. Aufl., Anm. 2 zu § 146; Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 11. Aufl., § 64 Abs. 1 Nr. 3, S. 324). Daher ist eine Rüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO schlüssig begründet, wenn mit ihr geltend gemacht wird, daß die Vorinstanz einen bestimmten Sachverhaltskomplex überhaupt nicht berücksichtigt oder daß sie nur zum Grund des Steueranspruchs, nicht auch zur Höhe Stellung genommen habe, obgleich auch die Höhe streitig war, oder daß das FG einen Antrag, einen niedrigeren Steuersatz anzuwenden, übergangen habe usw. Die schlüssige Rüge eines Verfahrensmangels nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO liegt indessen nicht vor, wenn es sich nur um ein einzelnes Tatbestandselement einer Rechtsnorm handelt (vgl. Rosenberg-Schwab, a. a. O.), und vor allem dann nicht, wenn geltend gemacht wird, die Vorinstanz habe den "Antrag", bei der rechtlichen Würdigung des den Gegenstand der Entscheidung bildenden Sachverhalts einen bestimmten rechtlichen Gesichtspunkt zu beachten, übergangen. In diesem Falle handelt es sich in Wahrheit nicht um eine Verfahrensrüge, sondern um die Rüge unrichtiger Anwendung sachlichen Rechts.
Eine solche Rüge der Verletzung sachlichen Rechts, die in der Form einer Verfahrensrüge vorgetragen ist, liegt im Streitfall vor. Die Rüge betrifft die Anwendung der Vorschrift des § 6 Abs. 2 EStG auf die Anschaffung geringwertiger Wirtschaftsgüter von nicht erheblichem Umfang. Die Klägerin hat nicht gerügt, daß das FG zur Bewertungsfreiheit geringwertiger Wirtschaftsgüter nicht Stellung genommen habe, sondern nur, daß dies unvollständig geschehen sei. Eine lückenhafte Begründung aber fällt nicht unter die Vorschrift des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO (so zutreffend Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, Kommentar, Anm. 6 zu § 116 FGO; vgl. Baumbach-Lauterbach, a. a. O., Anm. 8 zu § 551 der Zivilprozeßordnung; Rosenberg-Schwab, a. a. O., § 144 Abs. VII Nr. 6 S. 792, mit weiteren Nachweisen).
Da es sich somit nicht um eine zulassungsfreie Revision handelt, kommt der Frage entscheidende Bedeutung zu, ob die Streitwertgrenze überschritten ist. Da dies, wie eingangs bemerkt, nicht der Fall ist, muß die Revision als unzulässig verworfen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 72057 |
BStBl II 1977, 351 |
BFHE 1977, 298 |