Leitsatz (amtlich)
1. Die Staatskasse ist als Gläubigerin einer Kostenforderung befugt, gegen einen Streitwertbeschluß des FG nach § 146 Abs. 1 Satz 2 FGO Beschwerde einzulegen.
2. Wird die Aussetzung oder das Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf schwebende Musterprozesse begehrt, so ist der Streitwert in der Regel auf 5 % des streitigen Steuerbetrags festzusetzen.
Normenkette
AO § 244; FGO §§ 74, 128 Abs. 1, § 140 Abs. 3, § 146 Abs. 3; ZPO § 251
Tatbestand
Durch die drei angefochtenen Beschlüsse (Gz 53/69, Gz 166/69 und Gz 167/69) vom 27. April 1970 hat das FG des Saarlandes gemäß § 146 Abs. 1 Satz 2 FGO die Streitwerte für drei Verfahren wegen Aussetzung der Einspruchsentscheidung unter Hinweis auf § 14 Abs. 1 GKG mit jeweils 3 000 DM (Streitwert bei nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten) festgesetzt, weil es das finanzielle Interesse am Hinausschieben der Einspruchsentscheidungen für weit geringer als das Interesse an der Hauptsacheentscheidung oder an der Aussetzung der Vollziehung und für kaum höher als das Interesse an einer nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit hielt.
Gegen diese Beschlüsse richten sich die vom Vertreter der Staatskasse (Beschwerdeführer) eingelegten Beschwerden, mit denen begehrt wird, die Streitwerte in Höhe von jeweils 10 % der Streitwerte der Hauptsacheverfahren festzusetzen. Nach Meinung des Beschwerdeführers, der sich dabei auf das Urteil des BFH III 135/58 U vom 3. April 1959 (BFH 69, 132, BStBl III 1959, 311) und das Schrifttum stützt, ist das Interesse an der Aussetzung einer Rechtsbehelfsentscheidung finanzieller Art und ähnelt dem Interesse an der Aussetzung der Vollziehung.
Der Beschwerdegegner (Steuerpflichtiger) beantragt, die Beschwerden zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerden, denen das FG nicht abgeholfen hat, werden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden (§ 73 Abs. 1 Satz 1 FGO). Sie sind zulässig und teilweise begründet.
I. Die Staatskasse hat ein eigenes Beschwerderecht und ist im Verfahren ordnungsgemäß vertreten.
§ 146 Abs. 3 FGO regelt zwar, daß ein Streitwertbeschluß des FG mit der Beschwerde angefochten werden kann. Er enthält jedoch keine Aussage darüber, wer befugt ist, diese Beschwerde einzulegen. Zur Beantwortung dieser Frage muß auf § 128 Abs. 1 FGO als allgemeine Vorschrift des Beschwerdeverfahrens zurückgegriffen werden. Danach steht gegen Entscheidungen des FG, die nicht Urteile oder Vorbescheide sind, die Beschwerde den Beteiligten oder den sonst von der Entscheidung Betroffenen zu. Betroffener ist, in dessen Rechtskreis der angefochtene richterliche Akt im Sinne des § 128 Abs. 1 FGO eingreift, Ein solcher Eingriff erfolgte bei der Staatskasse durch die nach § 146 Abs. 1 Satz 2 FGO vom FG vorgenommene Streitwertfestsetzung. Denn diese ist für die Bemessung der Gerichtsgebühren, deren Gläubigerin die Staatskasse des Landes ist (vgl. BFH-Beschluß VII B 13/68 vom 20. Januar 1970, BFH 97, 516, BStBl II 1970, 221), verbindlich.
Die Staatskasse ist im Beschwerdeverfahren ordnungsgemäß vertreten. Die Beschwerde hat der durch Erlaß des Ministers für Finanzen und Forsten des Saarlandes vom 25. August 1967 - III - B/I - Tgb. Nr. 164/67 - FG 2018 A zum Vertreter der Staatskasse für das FG des Saarlandes bestellte Beamte eingelegt. Nunmehr erfolgt die Vertretung durch den Bezirksrevisor beim Landgericht (LG) Saarbrücken, der durch Verfügung des Ministers der Justiz des Saarlandes vom 17. August 1970 - B 5111 - A 3.9 zum neuen Vertreter der Staatskasse für das FG des Saarlandes bestellt worden ist.
II. Die Beschwerden führen zur Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse und zur anderweiten Festsetzung der Streitwerte.
Der Streitwert ist unter Berücksichtigung der Sachanträge der Beteiligten nach freiem Ermessen zu bestimmen (§ 140 Abs. 3 FGO). Seine Höhe richtet sich nach dem finanziellen Interesse des Rechtsmittelführers. Wird um die Höhe der Steuer gestritten, so läßt sich aus den Sachanträgen das finanzielle Interesse in Höhe der Differenz zwischen festgesetztem und begehrtem Steuerbetrag zuverlässig errechnen. Im Verfahren über die Aussetzung der Entscheidung (§§ 244 AO, 74 FGO) oder die Anordnung des Ruhens des Verfahrens (§ 155 FGO in Verbindung mit § 251 ZPO) geht es dagegen nur darum, wann über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Steueranspruchs entschieden werden soll. Das Interesse an einer derartigen Entscheidung unterscheidet sich wesentlich von einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren, in dem es um das Bestehen oder Nichtbestehen des Steueranspruchs selbst geht. Nach dem Beschluß des BGH III ZR 4/56 vom 29. November 1956 (BGHZ 22, 283) ist daher der Streitwert für ein Verfahren wegen eines Aussetzungsantrags (§ 148 ZPO) nicht gleich dem Streitwert des Hauptsacheverfahrens; vielmehr ist das Interesse der Parteien an der Entscheidung über die Aussetzung gemäß § 3 ZPO zu schätzen.
Das wirtschaftliche Interesse am Hinausschieben einer Rechtsbehelfsentscheidung ähnelt auch nicht dem Interesse an der Aussetzung der Vollziehung. Der gegenteiligen Auffassung im BFH-Urteil III 135/58 U (a. a. O.), welche weitaus überwiegend vom Schrifttum (vgl. v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Anm. 46 zu § 140 FGO; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Anm. 32 zu § 140 FGO; Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, § 140 Anm. 57; Klempt-Meyer, Das Kostenrecht des Steuerprozesses, S. 148, und Speich, Kosten und Gebühren im Steuerprozeß, S. 110; anderer Ansicht Becker-Riewald-Koch, Kommentar zur Reichsabgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Anm. 6 Abs. 4 zu § 140 FGO) geteilt wird, kann sich der erkennende Senat nicht anschließen. Denn im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung ist regelmäßig darüber zu entscheiden, ob der Steuerpflichtige in Abweichung von § 242 Abs. 1 AO oder § 69 Abs. 1 FGO nach Einlegung eines Rechtsbehelfs von der alsbaldigen Befolgung des Leistungsgebots vorläufig befreit werden kann (BFH-Beschluß VII B 29/66 vom 6. Februar 1967, BFH 87, 410, BStBl III 1967, 121). Das Hinausschieben der Rechtsbehelfsentscheidungen wurde im Streitfall im Hinblick auf ein Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht und auf schwebende Musterprozesse bei FG begehrt. In einem derartigen Fall versetzen die Aussetzung oder das Ruhen des Verfahrens den Steuerpflichtigen in die Lage, die Entscheidung über seinen eigenen Rechtsbehelf bis zum Vorliegen einer einschlägigen höchstrichterlichen Entscheidung offenzuhalten. Das finanzielle Interesse an diesem Offenhalten der Entscheidung ist für die Streitwertfestsetzung zugrunde zu legen. Es besteht vor allem in der Ersparnis von Aufwendungen, in einer Entlastung vom Prozeßkostenrisiko und in dem Vorteil, gegebenenfalls materiellrechtlich von dem für den Steuerpflichtigen günstigen Ausgang des Musterprozesses zu profitieren. Den Wert dieser finanziellen Vorteile hält der Senat nicht für so gering, daß es gerechtfertigt erschiene, den Streitwert wie bei nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten nach § 14 GKG lediglich mit 3 000 DM zu bestimmen. Er kann allerdings im Einzelfall auch nicht zuverlässig berechnet werden. Der Senat schätzt daher den Streitwert nach freiem Ermessen unter Berücksichtigung der genannten Umstände auf 5 % des Steuerbetrags, um den im Verfahren, dessen Aussetzung oder Ruhen beantragt ist, gestritten wird.
Fundstellen
Haufe-Index 69189 |
BStBl II 1971, 154 |
BFHE 1971, 23 |