Leitsatz (amtlich)
Eine Beschränkung der Erbenhaftung wegen übergegangener Steuerschulden des Erblassers durch die Einreden der Dürftigkeit oder der Unzulänglichkeit des Nachlasses ist weder im Steuerfestsetzungsverfahren noch gegen das Leistungsgebot geltend zu machen, sondern allein im Zwangsvollstreckungsverfahren.
Normenkette
AO 1977 §§ 45, 254, 265; BGB § 1990; ZPO § 780
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) sind die gesetzlichen Erben ihres gestorbenen Ehemannes und Vaters. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) hatte sie durch Leistungsgebote wegen der erheblichen Steuerschulden des Erblassers in Anspruch genommen. Die dagegen erhobenen Beschwerden blieben erfolglos. Mit ihrer Klage wenden sich die Antragsteller gegen die Leistungsgebote; diese müßten nach Errichtung eines Inventars des Nachlasses - wegen der beschränkten Erbenhaltung gemäß §§ 1990 ff. BGB (Einreden der Dürftigkeit und der Unzulänglichkeit des Nachlasses) aufgehoben werden.
Die Antragsteller haben für ihre Prozeßführung im Klageverfahren Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozeßbevollmächtigten gemäß §§ 114 ff. der Zivilprozeßordnung (ZPO) i. d. F des Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe vom 13. Juni 1980 (BGBl I 1980, 677) begehrt. Das Finanzgericht (FG) hat diesen Antrag zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Mit ihrer Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Begehren weiter.
Die Beschwerde ist unbegründet. Das EG hat die Prozeßkostenhilfe für das Klagebegehren der Antragsteller zu Recht versagt. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 142 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 114 ZPO).
Mit dem Tode des Ehemanns und Vaters der Antragsteller (Erblasser) sind kraft Gesetzes (§ 1922 BGB, § 45 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) u. a. dessen Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf die Antragsteller als Erben übergegangen. Diese schulden damit die auf sie im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übergegangenen Steuerschulden des Erblassers und müssen für diese Schulden einstehen. Das FA hat die Antragsteller deshalb zu Recht mit den erlassenen Leistungsgeboten in Anspruch genommen.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Eigenhaftung der Antragsteller ihrem Umfang nach durch § 45 Abs. 2 AO 1977 bestimmt wird. Die Vorschrift berührt und ändert den öffentlich-rechtlichen Charakter der übergegangenen Steuerschulden nicht. Diese waren entstanden, sobald durch den Erblasser die Tatbestände verwirklicht waren, an die das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (vgl. § 38 AO 1977). Die Rechtsfolgen der konkreten Tatbestandsverwirklichung treten ein unabhängig von den wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen des Steuerschuldners und gelten - im Falle der Gesamtrechtsnachfolge durch Erbfolge - grundsätzlich unabhängig von dem Wert des Nachlasses und den Vermögensverhältnissen der Erben. Die Finanzbehörde hat die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben (Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung; vgl. §§ 85, 155 ff. AO 1977). Ausnahmen von diesen Grundprinzipien sieht zwar - von besonderen Regelungen (z. B. Kleinbeträgen, Abrundung) abgesehen - § 156 Abs. 2 AO 1977 für die Fälle vor, in denen feststeht, daß die Einziehung der Steuern keinen Erfolg haben wird. Diese Vorschrift kann dem Begehren der Antragsteller aber nicht zum Erfolg verhelfen: Die Steuern des Erblassers sind festgesetzt; das Erlassen von Leistungsgeboten gegen dessen Erben wird durch sie nicht ausgeschlossen.
Die Verweisung in § 45 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Haftung des Erben für Nachlaßverbindlichkeiten verbietet - entgegen der Auffassung der Antragsteller - in den Fällen nicht den Erlaß von Leistungsgeboten, in denen die Einrede der Dürftigkeit oder der Unzulänglichkeit des Nachlasses geltend gemacht wird. Die sinngemäße Anwendung ("... nach den Vorschriften ...") dieser Vorschriften gibt den Antragstellern zwar grundsätzlich die Möglichkeit, die nach bürgerlichem Recht vorgesehenen Haftungsbeschränkungen auch in bezug auf die Steuerschulden des Erblassers geltend zu machen (§ 45 Abs. 2 Satz 1 AO 1977). Das kann aber nicht im Steuerfestsetzungsverfahren geschehen (Entscheidung des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. September 1960 IV 43/60, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1961 S. 106). Die (schon ergangenen) Steuerbescheide enthalten keine Entscheidung darüber, ob oder ggf. in welchem Umfange die Erben ausschließlich aus dem Nachlaß zu leisten verpflichtet sind. Deshalb ist die Haftungsbeschränkung im Vollstreckungsverfahren geltend zu machen. Das folgt auch aus der bürgerlich-rechtlichen Regelung. Die Dürftigkeits- und/oder die Unzulänglichkeitseinrede führen bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen zu einer Beschränkung der Erbenhaftung auf die Gegenstände des dürftigen (unzulänglichen) Nachlasses, d. h. die Erben können die Zahlung der Steuerschulden insoweit verweigern, als der Nachlaß zur Begleichung der übergegangenen Schulden des Erblassers nicht ausreicht. Die bürgerlich-rechtliche Regelung in § 1990 Abs. 1 Satz 2 BGB legt für diese Fälle eine Verpflichtung des Erben fest, "den Nachlaß zum Zwecke der Befriedigung des Gläubigers im Wege der Zwangsvollstreckung herauszugeben" (sog. Vollstreckungspreisgabe). Danach lösen die Einreden der Dürftigkeit und der Unzulänglichkeit des Nachlasses erst im Zwangsvollstreckungsverfahren ihre für die Haftung der Erben (insbesondere bezüglich des Umfangs der Haftung und der Gläubigerbefriedigung) bedeutsame Rechtsfolgen aus. Es ist nicht Sache der Veranlagungsstelle eines FA, die mit der erbrechtlichen Haftungsbeschränkung zusammenhängenden Fragen (z. B. Beschränkung dem Grunde und der Höhe nach; Nachlaßwert; Herausgabe) zu prüfen. Diese Aufgaben kommen vielmehr ausschließlich - wie auch der Wortlaut des § 1990 Abs. 1 Satz 2 BGB ergibt - der Vollstreckungsabteilung zu. Das schließt es für das Besteuerungsverfahren aus, diese Einreden schon während des Steuerfestsetzungsverfahrens und beim Erlaß eines Leistungsgebots zu berücksichtigen. Die Gesamtrechtsnachfolger durch Erbfolge können deshalb die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungen - wie auch das FG angenommen hat - erst im Zwangsvollstreckungsverfahren geltend machen. Eine entsprechende Beschränkung des Leistungsgebots würde wegen der notwendigen und z. T. langwierigen Ermittlungen des Nachlasses und dessen Werts den Erlaß eines Leistungsgebots in der Mehrzahl der Fälle erheblich verzögern und die Vollstreckungspreisgabe beeinträchtigen (im Ergebnis ebenso Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 10. Aufl., § 45 AO 1977 Tz. 12; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 45 AO 1977 Anm. 31). Im übrigen weist das FG zutreffend darauf hin, daß der Vorbehalt einer Haftungsbeschränkung im Steuerbescheid oder in einem Leistungsgebot weder erforderlich noch nach dem Gesetz vorgesehen ist (vgl. § 265 AO 1977).
Die Antragsteller verkennen im übrigen, daß das Leistungsgebot kein Verwaltungsakt des Vollstreckungsverfahrens ist, sondern lediglich eine Voraussetzung der Vollstreckung (§ 254 AO 1977 ). Grundlage der Vollstreckung ist nicht, wie das FG zutreffend ausführt, das Leistungsgebot als solches, sondern der Verwaltungsakt, der die Leistungspflicht - nach dem gesetzlichen Übergang der öffentlich-rechtlichen Steuerschulden - begründet hat (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 254 AO 1977, Bemerkung 1 b und d).
Eine entsprechende Anwendung des § 780 ZPO kann wegen der besonderen Verhältnisse im Besteuerungsverfahren (die Finanzbehörde erläßt Leistungsgebot, schafft selbst Voraussetzung der Vollstreckung; ist zugleich Vollstreckungsbehörde) nicht in Betracht kommen (ebenso Tipke/Kruse, a. a. O. ).
Fundstellen
Haufe-Index 413669 |
BStBl II 1981, 729 |