Leitsatz (amtlich)
Die Abfindung für die Stillegung einer Mühle nach Maßgabe des Mühlenstrukturgesetzes vom 22. Dezember 1971 (BGBl I, 2098) gehört zum Gewerbeertrag und unterliegt der Gewerbesteuer, sofern nicht mit der Stillegung eine Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs einhergeht.
Normenkette
GewStG § 7
Tatbestand
Streitig ist, ob eine Abfindung nach Maßgabe des Mühlenstrukturgesetzes vom 22. Dezember 1971 für die freiwillige Stillegung einer Mühle als Gewerbeertrag (§ 7 des Gewerbesteuergesetzes - GewStG -) zu erfassen ist.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) - eine OHG - betrieb bis August 1972 eine Getreidemühle mit Mehlhandel. In geringem Umfang lieferte die Klägerin außerdem in einem eigenen Kleinkraftwerk erzeugten elektrischen Strom. Der Mühlenbetrieb wurde am 15. August 1972 bei der Gemeinde abgemeldet und stillgelegt. Auf Antrag der Klägerin bewilligte die Mühlenstelle für die freiwillige Stillegung eine Abfindung nach Maßgabe des Gesetzes über abschließende Maßnahmen zur Schaffung einer leistungsfähigen Struktur des Mühlengewerbes (Mühlenstrukturgesetz) vom 22. Dezember 1971 (BGBl I, 2098) im Jahre 1972 eine Abfindung in Höhe von 114 782 DM. Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Abfindung hatte die Klägerin im Jahre 1972 erfüllt.
In der Bilanz zum 31. Dezember 1972 wurde die bewilligte Abfindung mit dem Nominalbetrag von 114 782 DM aktiviert; die sich aus diesem Betrag ergebende Mehrwertsteuer wurde in Höhe von 11 374,89 DM passiviert. Mit dem Abfindungsbetrag von 103 407 DM ergab sich nach Bildung einer Gewerbesteuerrückstellung von 10 300 DM ein Gewinn von 71 262 DM.
Ausweislich der Bilanz wurden die dem nunmehr stillgelegten Mühlenbetrieb dienenden Wirtschaftsgüter, insbesondere das Mühlengebäude und das Kleinkraftwerk, im Betriebsvermögen der Klägerin belassen. Veräußert wurden lediglich die am 1. Januar 1972 vorhandenen Maschinen (Buchwert 1. Januar 1972: 4 215 DM). Der Veräußerungsgewinn betrug 1 950,06 DM. Entnommen wurde auch das Kraftfahrzeug VW-Variant mit einem Entnahmegewinn von 441 DM. Das Mühlengebäude wurde nach der Stillegung (als Möbelauslieferungslager) verpachtet. Nach der Stillegung des Mühlenbetriebs lieferte die Klägerin den im eigenen Kleinkraftwerk erzeugten elektrischen Strom in vollem Umfang an ein Überlandwerk. Die Erlöse aus der Stromerzeugung betrugen im Jahre 1972 13 277 DM und im Jahre 1973 15 450 DM.
Im Gewerbesteuermeßbescheid 1972 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1972 auf 3 384 DM fest.
Gegen den Bescheid hat die Klägerin ohne Vorverfahren gemäß § 45 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Klage erhoben mit dem Antrag, den Gewerbesteuermeßbetrag 1972 auf 234 DM herabzusetzen. Zur Klagebegründung hat sie vorgetragen: Obwohl im Streitfall weder eine Betriebsveräußerung im ganzen noch eine Teilbetriebsveräußerung bzw. -aufgabe vorliege (die dem stillgelegten Mühlenbetrieb dienenden Wirtschaftsgüter seien im wesentlichen nach wie vor in ihrem Betriebsvermögen), dürfe die bewilligte Abfindung nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags angesetzt werden. Es handle sich dabei weder um laufenden Gewinn noch um einen durch werbende Tätigkeit in einem Gewerbebetrieb erzielten Ertrag. Unerheblich sei, daß die Kleinstromanlage nach wie vor genutzt werde, denn diese sei wegen der geringen Leistung und der geringen Erlöse als unbedeutend zu bezeichnen. Ihre Auffassung werde auch durch das rechtskräftige Urteil des Finanzgerichts (FG) Münster vom 3. Mai 1968 VI 1630/66 G (Entscheidungen der Finanzgerichte 1968 S. 587 - EFG 1968, 587 -) gestützt.
Das FG hat der Klage stattgegeben. Es hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Bei der Ermittlung des Gewerbeertrags (§ 7 GewStG) seien Gewinne, die zwar einkommensteuerrechtlich zu erfassen, aber mit dem Wesen der Gewerbesteuer als Objektsteuer nicht zu vereinbaren seien, auszuscheiden (Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 1. Dezember 1937 VI 688/37, RStBl 1938, 356; Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. Mai 1962 I 78/61 S, BFHE 75, 467, BStBl III 1962, 438, und vom 13. November 1963 GrS 1/63 S, BFHE 78, 315, BStBl III 1964, 124). Im Streitfall seien zwar weder die Voraussetzungen für eine Betriebsveräußerung/-aufgabe im ganzen oder für eine Teilbetriebsveräußerung/-aufgabe gegeben noch seien die Grundsätze über den sogenannten ruhenden Gewerbebetrieb anwendbar. Gleichwohl sei die Abfindung bei der Ermittlung des Gewerbeertrags auszuscheiden. Aus dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer folge, daß nur der aus einem installierten (d. h. mit Grundstücken, Maschinen usw. ausgerüsteten) Betrieb erwirtschaftete laufende Gewinn unter Berücksichtigung der sich aus den §§ 8 und 9 GewStG ergebenden Korrekturen der Gewerbeertragsteuer unterliege. Deshalb seien Gewinne, die mit der Entstehung und dem Verschwinden des Betriebs im Zusammenhang stünden, nicht Gegenstand der Gewerbeertragsteuer, auch wenn man die Veräußerung als letzten betrieblichen Vorgang ansehe. Diese Auffassung werde durch die Vorschrift des § 8 GewStG, die offenbar von einem installierten, wirtschaftenden Betrieb ausgehe, gestützt; sie werde anscheinend auch vom RFH in seinem Urteil VI 688/37 vertreten, ebenso von Müthling, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, 2. Aufl., 1965, S. 7 a zu § 7 Abs. 2.
Wenn auch im vorliegenden Fall noch nach Stillegung des Mühlenbetriebs ein gewerbesteuerrechtliches Objekt vorhanden gewesen sei, so hätte doch die Stillegungsprämie nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der werbenden Tätigkeit des Betriebs der Klägerin gestanden, sondern mit der Stillegung des wesentlichsten Teils der Unternehmung. Die Stillegungsprämie sei somit nicht durch die werbende Tätigkeit des Unternehmens erwirtschaftet worden und damit für die Zwecke der Gewerbeertragsermittlung außer Betracht zu lassen. Soweit sich das FA für seine Rechtsauffassung auf das Urteil des BFH vom 20. Dezember 1963 VI 336/62 U, BFHE 79, 42, BStBl III 1964, 248, berufe, sei einzuräumen, daß dieses Urteil der hier getroffenen Entscheidung entgegenstehe. Das FG vermöge sich jedoch der in vorgenanntem Urteil vertretenen Rechtsansicht nicht anzuschließen. Wegen des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer sei nur der in einem installierten Betrieb durch die werbende Tätigkeit des Betriebs erwirtschaftete Ertrag einer Rechnungsperiode der Gewerbeertragsteuer zu unterwerfen; das gelte aber nicht für Erträge, die viele Rechnungsperioden beträfen und die nicht durch die werbende Tätigkeit im installierten Betrieb erwirtschaftet, sondern durch die Vernichtung bzw. teilweise Vernichtung des bis dahin installierten Betriebs realisiert worden seien.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 7 GewStG).
Der Gewerbebetrieb der Klägerin habe unstreitig aus einer Mühle und einem Kleinkraftwerk bestanden und sei als einheitlicher Gewerbebetrieb zu behandeln gewesen. Hinzu komme, daß es sich um einen Gewerbebetrieb kraft Rechtsform handle, da er von einer OHG betrieben worden sei (§ 2 Abs. 2 GewStG). In einem Teilbereich des Gewerbebetriebs der OHG sei die bisherige Tätigkeit eingestellt worden, d. h. der einheitliche Gewerbebetrieb habe eine Änderung erfahren. Die wesentliche Grundlage des Mühlenbetriebs, das Mühlengebäude, werde weiter gewerblich als Möbelauslieferungslager genutzt. Der Gewinn aus dieser Verwendung des Mühlengebäudes sei Teil des Gewerbeertrags i. S. des § 7 GewStG. Der Fall liege nicht anders, als wenn in einem Betrieb ein Teil der Produktion eingestellt werde, so daß das Betriebsgebäude einem anderen gewerblichen Verwendungszweck zugeführt werde. Bei diesen Vorgängen handle es sich um werbende Tätigkeit eines Unternehmens. Hierzu gehörten auch Zahlungen, die ein Dritter für die Einstellung der Teilproduktion leiste. - Wenn der Gesetzgeber für die Gewerbesteuerrechtliche Behandlung der Abfindungen nach Maßgabe des Mühlenstrukturgesetzes eine Sonderregelung hätte treffen wollen, so hätte dies - wie für die einkommensteuerrechtliche Behandlung (vgl. Oberfinanzdirektion - OFD - München/Nürnberg, ESt-Kartei Karte 1 zu § 16 des Einkommensteuergesetzes - EStG - Nr. 3 zu b) - ausdrücklich im Gesetz geschehen müssen. Dies sei nicht der Fall.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Das FA hatte gegen das ihm am 28. Oktober 1975 zugestellte finanzgerichtliche Urteil zunächst Revision mit Revisionsschriftsatz vom 12. November 1975 eingelegt, der von dem nicht zum Richteramt befähigten Vorsteher des FA unterzeichnet war. Mit Vollmacht vom 24. November 1975 bevollmächtigte der Vorsteher des FA einen Beamten der Außenstelle X, der die Befähigung zum Richteramt besaß, im Hinblick auf Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFH-EntlastG) das FA im Revisionsverfahren zu vertreten, und nahm die von ihm mit Schriftsatz vom 12. November 1975 eingelegte Revision mit Schriftsatz vom 25. November 1975 zurück. Der Beamte der Außenstelle legte daraufhin am 26. November 1975 Revision mit Revisionsbegründung ein.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, wegen der mit Schriftsatz vom 25. November 1975 zurückgenommenen Revision des FA-Vorstehers sei auch die vorher (am 24. November 1975) dem Beamten der Außenstelle X erteilte Vollmacht für das Revisionsverfahren als gegenstandslos anzusehen. Im übrigen sei die Revision nicht begründet. Das BFH-Urteil VI 336/62 U, auf das sich das FA stütze, sei wegen andersgelagerten Sachverhalts nicht einschlägig. Der vorliegende Fall sei vielmehr entsprechend dem Urteil des RFH vom 14. September 1938 VI 572/38 und 574/38 (RStBl 1939, 87) i. S. ihrer Auffassung zu entscheiden.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
1. Die am 26. November 1975 eingelegte Revision des FA ist zulässig. Sie ist innerhalb der Revisionsfrist und unter Wahrung der Voraussetzungen des Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlastG eingelegt worden. Der Klägerin kann nicht darin gefolgt werden, daß die mit Schriftsatz vom 25. November 1975 erfolgte Rücknahme der mit Schreiben vom 12. November 1975 eingelegten Revision auch die am 26. November 1975 aufgrund der Vollmacht vom 24. November 1975 eingelegte Revision umfasse (§ 125 Abs. 2 FGO; vgl. hierzu Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 125 Anm. 9). Denn die Vollmacht ist gerade im Hinblick auf die Notwendigkeit einer erneuten Revisionseinlegung, die den Voraussetzungen des Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlastG entsprach, erteilt worden.
2. Das FG-Urteil ist aufzuheben; denn die Entscheidung, daß die Abfindung für die Mühlenstillegung nicht dem Gewerbeertrag hinzuzurechnen sei, wird von den tatsächlichen Feststellungen des FG nicht getragen.
Gegenstand der Gewerbesteuer als einer auf den tätigen Betrieb bezogenen Sachsteuer ist nur der durch den laufenden Betrieb anfallende Gewinn (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH GrS 1/63 S). Bei der Ermittlung des Gewerbeertrags, die gemäß § 7 GewStG von dem nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes oder des Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnden Gewinn aus Gewerbebetrieb auszugehen hat, können sich demzufolge von der Einkommensteuer abweichende Beurteilungen ergeben.
Dies gilt nach der Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 17. Dezember 1975 I R 29/74, BFHE 117, 483, BStBl II 1976, 224, mit Nachweisen aus der BFH- und RFH-Rechtsprechung) grundsätzlich für den Fall, daß der Betrieb oder Teilbetrieb durch Veräußerung bzw. Aufgabe sein Ende findet. Gewinne aus diesen Vorgängen werden beim Gewerbeertrag nicht erfaßt. Zum Veräußerungspreis zählen auch Entschädigungen i. S. von § 24 Nr. 1 EStG, die im Rahmen einer Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs gezahlt werden, da es sich dann nicht um laufenden Ertrag eines lebenden Betriebs, sondern um eine mit dessen Beendigung zusammenhängende Leistung handelt.
Demgegenüber werden Entschädigungen i. S. von § 24 Nr. 1 EStG dem Gewerbeertrag dann zugerechnet, wenn sie in unmittelbarer Sachbezogenheit zu einem lebenden Betrieb stehen. Als Gewerbeertrag kommen nach der Rechtsprechung des BFH nicht nur Einkünfte aus einer werbenden Tätigkeit in Betracht, sondern auch Entschädigungen für Eingriffe in das Betriebsvermögen (z. B. Entschädigungen für die teilweise Stillegung, teilweise Übertragung eines unselbständigen Betriebsteils: Vgl. BFH-Urteil vom 18. September 1962 I 206/61 U, BFHE 75, 547, BStBl III 1962, 468).
Darüber hinaus ist auch in den Fällen, in denen ein Betrieb/Teilbetrieb eingestellt und nach und nach abgewickelt (liquidiert) wird, der volle Ertrag des Unternehmens einschließlich der Abwicklungsgewinne der Gewerbesteuer zu unterwerfen (BFH-Urteil VI 336/62 U).
Das Mühlenstrukturgesetz enthält keine besondere Regelung über die einkommensteuerrechtliche Behandlung der Stillegungsabfindungen. Für die Finanzverwaltung ist im Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen vom 11. April 1972 - F/IV B 2-S 2242-3/72 (Der Betrieb 1972 S. 752) angeordnet, daß bei Aufgabe des Betriebs oder eines Teilbetriebs der Abfindungsbetrag zum Veräußerungserlös i. S. des § 16 EStG gehöre und ein sich aus dem Abfindungsbetrag ergebender Veräußerungsgewinn nach § 34 Abs. 1 i. V. m. § 34 Abs. 2 EStG tariflich begünstigt sei. Bei der Prüfung der Voraussetzungen, ob eine Aufgabehandlung bzw. ein Teilbetrieb i. S. des § 16 EStG vorliege, sei kein strenger Maßstab anzulegen.
An den dargelegten Grundsätzen der Rechtsprechung hält der Senat fest. Er vermag nicht der Auffassung des FG zu folgen, daß die Stillegungsabfindung, obgleich sie nicht im Rahmen einer Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs im ganzen bzw. eines Teilbetriebs angefallen sei, nicht dem Gewerbeertrag der Klägerin hinzugerechnet werden dürfe, weil sie nicht durch eine werbende Tätigkeit verdient, sondern aufgrund der Stillegung des wesentlichsten Teils des bis dahin vorhandenen Wirtschaftsorganismus bewilligt worden sei.
3. Der Senat entscheidet in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
Die Klage wird abgewiesen. Aus der Feststellung des FG, daß die Stillegungsabfindung nicht im Rahmen einer Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs im ganzen bzw. eines Teilbetriebs angefallen ist, folgt, daß die Abfindung als Ertrag eines (weiter-)laufenden Gewerbebetriebs der Klägerin beurteilt werden muß. Eine andere gewerbesteuerrechtliche Beurteilung der Abfindung ist aufgrund des festgestellten Sachverhalts nicht möglich.
Fundstellen
Haufe-Index 73123 |
BStBl II 1979, 444 |
BFHE 1979, 410 |