Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht, Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Wurden in einer Umsatzsteuersonderprüfung lediglich die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Umsatzsteuerbegünstigungen und einzelne begünstigte Umsätze stichprobenweise geprüft, liegt eine neue Tatsache vor, wenn bei einer späteren ordentlichen Betriebsprüfung der Betriebsprüfer Mängel des Buchnachweises feststellt, die nur nach Prüfung einer großen Anzahl von Umsätzen aufgedeckt werden können.
Es liegt im Ermessen des FA, den Umfang einer Umsatzsteuersonderprüfung oder einer Betriebsprüfung zu bestimmen.
Normenkette
AO § 162 Abs. 9-10, § 222 Abs. 1 Nr. 1; UStDB § 15
Tatbestand
Zu entscheiden ist, ob vom Betriebsprüfer festgestellte Tatsachen neu im Sinne des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO sind.
Der Revisionskläger (Stpfl. verkaufte in den Jahren 1955 bis 1958 von einer im Hof seines Grundstücks gelegenen Tankstelle aus Benzin und Autoöl. Am 16. August 1957 fand bei ihm eine auf die Umsatzsteuerbegünstigungsvorschriften beschränkte Prüfung (Umsatzsteuersonderprüfung) statt. Nach dem Prüfungsbericht hatte der Prüfer den Buchnachweis anhand von Stichproben überprüft und festgestellt, daß sich die nachzuweisenden Voraussetzungen des § 14 UStDB leicht und eindeutig nachprüfbar aus der Buchführung ersehen ließen. Auf Anregung des Prüfers stellte der Stpfl. einen Antrag auf Genehmigung eines erleichterten Buchnachweises (Befreiung vom Nämlichkeitsnachweis). Das FA genehmigte diesen Antrag unter der Auflage, daß u. a. die Abnehmer und der Tag der Lieferung an die Abnehmer eindeutig und leicht nachprüfbar aus der Buchführung zu ersehen sein müßten. In einer ordentlichen Betriebsprüfung im Jahre 1960 stellte der Betriebsprüfer fest, daß der Stpfl. nur einen untergeordneten Teil der Benzin- und ölumsätze, für die er antragsgemäß Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Ziff. 4 UStG in Verbindung mit § 29 Abs. 2 Nr. 5 a UStDB 1951 erhalten hatte, buchmäßig nachweisen könne und insbesondere über die Barverkäufe keine brauchbaren Unterlagen besitze. Das FA sah diese Feststellungen des Betriebsprüfers als neu im Sinne des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO an und versteuerte in Berichtigungsveranlagungen die Umsätze aus den Benzin- und ölverkäufen entsprechend dem Vorschlag des Betriebsprüfers nach dem sogenannten "Tankstellenerlass" des Reichsministers der Finanzen vom 14. Oktober 1938 S 4138 - 427 III (Umsatzsteuer- Kartei S 4138 d Karte 9).
Im Rechtsbehelfsverfahren bestreitet der Stpfl. lediglich das Vorliegen einer neuen Tatsache, weil eine Umsatzsteuersonderprüfung vorgenommen worden sei, die zu keiner Beanstandung hinsichtlich der in Anspruch genommenen Umsatzsteuerbegünstigung geführt habe. Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Mit der Rechtsbeschwerde rügt der Stpfl. unzureichende Sachaufklärung und unrichtige Rechtsanwendung durch das FG.
Entscheidungsgründe
Die nach Einführung der FGO - 1. Januar 1966 - als Revision zu behandelnde Rb. ist unbegründet.
Die Rüge einer unzureichenden Sachaufklärung kann nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen. ...
Auch kann der Senat der vom Stpfl. zur Begründung seiner Revision vorgetragenen Ansicht nicht folgen, die Berichtigungen verstießen gegen Treu und Glauben, weil ein Spezialprüfer den Tatbestand im Jahre 1957 ermittelt, die Richtigkeit der steuerlichen Beurteilung festgestellt, dies in Form eines Hinweises auf Stellung eines Erleichterungsantrags bekräftigt und dann noch seine richtige oder falsche Kenntnis der Veranlagungsbehörde vermittelt habe. Zwar enthält das erst nach Eingang der Revisionsbegründung erlassene Urteil des BFH VI 117/65 vom 23. September 1966 (BFH 87, 73, BStBl III 1967, 23) Ausführungen, die der vom Stpfl. vertretenen Ansicht entsprechen. Der VI. Senat meint, die Finanzverwaltung müsse das Wissen des Prüfers über die Form und den Zustand der Buchführung als Wissen der zur Entscheidung berufenen Beamten des FA gegen sich gelten lassen, wenn ein Betriebsprüfer die Buchführung als ordnungsmäßig bezeichne, ohne mit Zustimmung des FA die zugrunde liegenden Tatsachen im Prüfungsbericht im einzelnen darzustellen. Zur Begründung führt der VI. Senat folgendes aus: Die entscheidenden Beamten des FA überließen es gewöhnlich dem Prüfer, die Ordnungsmäßigkeit einer Buchführung zu beurteilen, soweit es um den technischen Teil gehe. Die Prüfungsberichte enthielten im allgemeinen nur knappe Bemerkungen des Prüfers, ohne daß die Buchführung eingehend beschrieben werde. übertrügen die maßgebenden Beamten des FA auf diese Weise den Prüfern die Feststellung der Ordnungsmäßigkeit der Aufzeichnungen, so könne diese Verlagerung der Zuständigkeit auf die Prüfer nicht zu Lasten des Stpfl. gehen. Das FA dürfe sich dann nicht darauf berufen, daß es den Zustand der Buchführung nicht gekannt habe, weil der Prüfungsbericht darüber keine genauen Angaben enthalte. Nach den Grundsätzen eines loyalen Verwaltungsverfahrens und des Vertrauensschutzes für die Bürger sei es geboten, in solchen Fällen das Wissen des Prüfers als Wissen der zur Entscheidung berufenen Beamten des FA zu betrachten.
Die im BFH-Urteil VI 117/65 (a. a. O.) entwickelten Rechtsgrundsätze lassen sich auf den vorliegenden Fall nicht übertragen. Weder die tatsächlichen Feststellungen des FG noch der Inhalt der Akten bieten einen Anhalt dafür, daß dem Prüfer nach der Umsatzsteuersonderprüfung im Jahre 1957 die vom Betriebsprüfer im Jahre 1960 festgestellten Mängel des Buchnachweises bekannt waren. Im Streitfall ergibt sich aus dem Bericht über die Umsatzsteuersonderprüfung, daß der Prüfer nur stichprobenweise geprüft und bei dieser stichprobenweisen Prüfung Mängel des Buchnachweises nicht entdeckt hatte. In Tz ... seines Berichts über die Umsatzsteuersonderprüfung stellt der Prüfer ausdrücklich fest, daß die nachzuweisenden Voraussetzungen des § 14 UStDB eindeutig und leicht nachprüfbar aus der Buchführung zu ersehen seien. Es scheidet also im vorliegenden Falle im Gegensatz zum BFH-Urteil VI 117/65 (a. a. O.) die Möglichkeit aus, daß der Betriebsprüfer, wie in einer ordentlichen Betriebsprüfung üblich, die Buchführung des Steuerpflichtigen eingehend geprüft, etwaige Mängel erkannt und diese Mängel im Betriebsprüfungsbericht dem FA nicht dargestellt hat. Es fehlt damit an einem Wissen des Prüfers, das wie im BFH-Urteil VI 117/65 (a. a. O.) als Wissen des zur Entscheidung berufenen Beamten des FA betrachtet werden könnte.
Ob Treu und Glauben eine Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO ausschließen würden, wenn der Umsatzsteuerprüfer im Jahre 1957 die bei der Betriebsprüfung im Jahre 1960 festgestellten Mängel hätte erkennen müssen, braucht im vorliegenden Falle nicht entschieden zu werden. Der Umsatzsteuerprüfer beschränke sich auf eine stichprobenweise überprüfung der Umsätze. Gegen diese Beschränkung bestehen keine Bedenken. Das FA kann nach pflichtgemäßem Ermessen den Umfang einer Betriebsprüfung bestimmen (§§ 3, 6, 10 der Betriebsprüfungsordnung - Steuer - vom 23. Dezember 1965, veröffentlicht im BStBl I 1966, 46; die in der Betriebsprüfungsordnung - Steuer - niedergelegten Rechtsgrundsätze galten auch in den Jahren 1957 und 1960). Die gleiche Befugnis steht dem Betriebsprüfer im Rahmen der Betriebsprüfungsanordnung zu. Der durch eine ordentliche Betriebsprüfung im Jahre 1960 festgestellte schwerwiegende Mangel, daß die Nachweise der Lieferungen im Großhandel nur für einen untergeordneten Teil der Umsätze durch Rechnungen und Aufzeichnungen erbracht werden konnten (Tz. ... des Betriebsprüfungsberichts) ließ sich nur nach Prüfung sämtlicher oder zumindest eines großen Teils der Umsätze treffen.
Fundstellen
Haufe-Index 412613 |
BStBl III 1967, 736 |
BFHE 1967, 231 |
BFHE 89, 231 |