Leitsatz (amtlich)
Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 des 2. VermBG i. d. F. vom 1. Juli 1965 (BGBl I S. 585) kann die vom Arbeitgeber zu entrichtende Einkommensteuer um 30 % der von ihm erbrachten vermögenswirksamen Leistungen ermäßigt werden, also nicht nur um 30 % des Betrages, der bei den Arbeitnehmern steuerfrei bleibt.
Normenkette
2. VermBG (1965) § 12 Abs. 1, § 14 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Steuerberater und hat im Jahr 1966 seiner einzigen Angestellten eine vermögenswirksame Leistung nach dem 2. VermBG vom 1. Juli 1965 (BGBl I, 585) in Höhe von 600 DM gewährt. In seiner Einkommensteuererklärung für 1966 beantragte er, seine Einkommensteuer nach § 14 dieses Gesetzes um 30 v. H. des Betrages von 600 DM zu mindern.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) ist der Ansicht, bei richtiger Auslegung des § 14 2. VermBG könne die Steuer nur um 30 % des Betrages gemindert werden, der bei jedem Arbeitnehmer steuerfrei bleibe, d. h. also hier um 30 % von 312 DM. Das FA verfuhr bei der Veranlagung entsprechend.
Einspruch und Klage des Klägers blieben ohne Erfolg. Das FG führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, nach § 14 Abs. 1 2. VermBG in der für den Veranlagungszeitraum 1966 geltenden Fassung ermäßige sich für Steuerpflichtige, die ihren Arbeitnehmern vermögenswirksame Leistungen nach diesem Gesetz erbringen, die Einkommensteuer um 30 v. H. der Summe der vermögenswirksamen Leistungen, höchstens aber um insgesamt 800 DM. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift habe der Kläger also Anspruch auf eine Ermäßigung der Einkommensteuer um 30 % von 600 DM. Eine Vorschrift könne aber dann entgegen ihrem Wortlaut ausgelegt werden, wenn Zweck und wirtschaftliche Bedeutung des Gesetzes erkennbar eine an sich vom klaren Wortlaut abweichende Auslegung verlangten (Urteil des BFH vom 13. Juni 1952 I 42/51 U, BFHE 56, 510, BStBl III 1952, 199) bzw. wenn zuverlässige Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß der Gesetzeswortlaut den wirklichen Willen des Gesetzgebers nicht zum Ausdruck bringe (BFH-Urteil vom 6. Dezember 1961 VI 319/60 U, BFHE 74, 328, BStBl III 1962, 126). Diese Voraussetzungen sehe der Senat im Streitfall als gegeben an. Zweck des Gesetzes sei die Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch vermögenswirksame Leistungen der Arbeitgeber. Der Gesetzgeber habe aber die Vermögensbildung der Arbeitnehmer nur beschränkt gefördert. Vermögenswirksame Leistungen des Arbeitgebers blieben nur bis zum Betrag von 312 DM im Kalenderjahr steuerfrei. Auch der Steuervorteil beim Arbeitgeber sei nach § 14 2. VermBG a. F. auf höchstens 800 DM beschränkt. Wenn der Gesetzgeber den Gesetzeszweck selbst schon so offenkundig eingeschränkt habe, könne er für die Auslegung der Vorschrift allein nicht maßgebend sein. Es müsse auch der Gedanke der Gleichbehandlung der Arbeitnehmer herangezogen werden. Durch die Auslegung des § 14 2. VermBG durch den Kläger würden Arbeitnehmer in Unternehmen mit wenigen Angestellten und Arbeitern begünstigt. Denn in kleinen Unternehmen könnten die vom Arbeitgeber von seiner Steuerschuld absetzbaren 30 % der zusätzlich zum Arbeitslohn gewährten vermögenswirksamen Leistungen auch dann noch innerhalb des Höchstbetrages von 800 DM liegen, wenn die vermögenswirksamen Leistungen die bei den Arbeitnehmern steuerfreien Beträge überstiegen. Das könne z. B. bei der Zahlung von je 670 DM (2 680 DM) an vier Angestellte eines Betriebes der Fall sein. Dagegen wären bereits Arbeitnehmer in Betrieben mit neun bzw. sechs Kollegen schlechtergestellt, weil der Arbeitgeber die höchstzulässige Steuerermäßigung von 800 DM (30 % aus rd. 2 700 DM vermögenswirksame Leistungen) schon dann in Anspruch nehmen könne, wenn er jedem seiner Arbeitnehmer nur 312 bzw. 468 DM vermögenswirksame Leistungen gewähre. Er wäre also zum Nachteil der Arbeitnehmer nicht wie Unternehmer kleinerer Betriebe durch Steuervorteile veranlaßt, seinen Arbeitnehmern höhere vermögenswirksame Leistungen zu erbringen. Auf Grund dieser Erwägungen, die sich allein aus dem Gesetz ableiten ließen, könne der § 14 Abs. 1 2. VermBG im Interesse der Gleichbehandlung der Arbeitnehmer nur so ausgelegt werden, daß sich die Einkommensteuer beim Arbeitgeber um nicht mehr als 30 % der beim Arbeitnehmer steuerbegünstigten vermögenswirksamen Leistungen ermäßige, wobei es gleichgültig sei, ob sich die Steuerbegünstigung beim Arbeitnehmer auswirke oder nicht. Es sei dem Kläger zuzugeben, daß der § 14 2. VermBG bei dieser Auslegung Folgen habe, die aus der Sicht des Arbeitgebers unverständlich erscheinen könnten, z. B. daß die Einkommensteuerermäßigung beim Arbeitgeber nicht allein von der Höhe der vermögenswirksamen Leistung abhänge, sondern auch von der Zahl seiner Arbeitnehmer und deren Familienstand. Diese Folgen, die aber auch durch die Neufassung des § 14 2. VermBG nicht beseitigt worden seien, müßten jedoch hingenommen werden, damit der Zweck des Gesetzes, die Vermögensbildung der Arbeitnehmer unter gleichen Voraussetzungen zu fördern, erreicht werde.
Gegen dieses Urteil legte der Kläger die wegen grundsätzlicher Bedeutung vom FG zugelassene Revision ein, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Er meint, für die Auslegung des Gesetzes gegen den Wortlaut bestehe kein Anlaß.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Neufestsetzung der Einkommensteuer.
§ 14 Abs. 1 Satz 1 2. VermBG in der für den streitigen Veranlagungszeitraum 1966 maßgeblichen Fassung vom 1. Juli 1965 lautet:
"Für Steuerpflichtige, die ihren Arbeitnehmern vermögenswirksame Leistungen gewähren, ermäßigt sich die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer für den Veranlagungszeitraum, in dem die Leistungen gewährt worden sind, um 30 vom Hundert der Summe der vermögenswirksamen Leistungen, höchstens aber um 800 Deutsche Mark."
Diese Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Änderung des Zweiten Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer vom 3. September 1969 (BGBl I 1969, 1563, BStBl I 1969, 569) geändert. Abs. 1 Satz 1 des § 14 blieb zwar unverändert bis auf die Ersetzung der Worte "gewähren" und "gewährt" durch die Worte "erbringen" und "erbracht" und die Erhöhung des abzugsfähigen Höchstbetrages von 800 auf 3 000 DM. Jedoch wurde mit § 14 Abs. 2 Satz 2 eine Beschränkung eingefügt. Diese Vorschrift lautet:
"Soweit die vermögenswirksamen Leistungen für den einzelnen Arbeitnehmer den in § 12 Abs. 1 genannten Betrag übersteigen, sind sie bei Anwendung des Absatzes 1 nicht zu berücksichtigen."
In § 12 Abs. 1 des Gesetzes vom 3. September 1969 ist gesagt, daß vermögenswirksame Leistungen bis zum Betrage von 312 DM jährlich nicht als steuerpflichtige Einnahmen gelten.
Nach dieser neuen Gesetzesfassung kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Ansicht des FA und des FG für Steuerfälle unter der Geltung dieser Neufassung richtig ist. Nach der alten Fassung dagegen ist, wie auch das FG angenommen hat, dem Wortlaut nach die Auffassung des Klägers die richtige. Nach der alten Gesetzesfassung hat der Steuerpflichtige Anspruch auf einen Abzug von 30 % der "vermögenswirksamen Leistungen". Das Gesetz definiert in § 2 die vermögenswirksamen Leistungen als solche, die der Arbeitgeber für die Arbeitnehmer zu bestimmten, in § 2 aufgezählten Zwecken erbringt. Wenn auch diese Leistungen beim Arbeitnehmer nur bis zu einem Betrag von 312 DM steuerfrei bleiben, ist dem darüber hinausgehenden Betrag nicht der Charakter der vermögenswirksamen Leistung genommen. Auch sie dienen den bestimmten, die Vermögensbildung der Arbeitnehmer fördernden Zwecken.
Eine Auslegung der Vorschrift gegen ihren Wortlaut ist hier unzulässig. Ist eine Gesetzesbestimmung im Wortlaut klar, so bedarf es keiner Auslegung. Entgegen einem solchen klaren Wortlaut kann nach der Rechtsprechung des BFH ein Gesetz nur ausgelegt werden in Ausnahmefällen, deren Voraussetzungen diese Rechtsprechung enger gezogen hat, als sie das FG dargestellt hat. Bereits in dem vom FG zitierten BFH-Urteil VI 319/60 U wurde verlangt, daß "zuverlässige Anhaltspunkte" dafür vorliegen müssen, daß der Gesetzeswortlaut den wirklichen Willen des Gesetzgebers nicht zum Ausdruck bringt, und es wurde hinzugefügt, das sei besonders der Fall, wenn die Auslegung nach dem Wortlaut zu einem offenbar unrichtigen Ergebnis führen würde. In dem Urteil vom 30. April 1952 IV 10/52 U (BFHE 56, 420, BStBl III 1952, 164) ist gefordert, daß die wörtliche Auslegung zu einem jeder wirtschaftlichen Vernunft widersprechenden Ergebnis führen würde. Auch im Urteil vom 22. Juli 1960 VI 33/59 U (BFHE 71, 406, BStBl III 1960, 401) heißt es, daß der Wortlaut nur beiseite gesetzt werden kann, wenn die wörtliche Auslegung zu einem dem Sinn und Zweck der Vorschrift ganz offenbar widersprechenden Ergebnis führen würde. Nach dem Urteil vom 21. Februar 1964 IV 26/62 S (BFHE 78, 490, BStBl III 1964, 188) ist ein Abweichen vom Wortlaut geboten, wenn die Auslegung nach dem Wortlaut offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers widerspricht, erkennbar zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt und allgemein anerkannte Auslegungsgrundsätze eine befriedigende Lösung ermöglichen. Im Urteil vom 11. Dezember 1964 III 193/60 S (BFHE 81, 222, BStBl III 1965, 82) ist ausgesprochen, daß insbesondere zum Nachteil des Steuerpflichtigen eine Auslegung gegen den Wortlaut nur möglich ist, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem so unverständlichen Ergebnis führen würde, daß ein verständiger Steuerpflichtiger das Gesetz nicht so hätte auffassen können.
Auch wenn man der verhältnismäßig weitgehenden Formulierung folgt, daß das Ergebnis offenbar dem Sinn des Gesetzes widersprechen muß, um zu einer Auslegung gegen den Wortlaut zu kommen, ist hier eine solche Auslegung nicht gerechtfertigt. Denn das Ergebnis, das aus einer wortgetreuen Auslegung folgt, ist nicht offenbar sinnwidrig.
Das Vermögensbildungsgesetz in seiner ursprünglichen Fassung vom 12. Juli 1961 (BGBl I, 909) sah keinerlei steuerliche Vorteile für den Arbeit geber vor. Nur die Arbeitnehmer wurden insoweit begünstigt, als zwar die vermögenswirksame Leistung des Arbeitgebers zum steuerpflichtigen Lohn gehörte, aber bis zum Betrag von 312 DM nur einer pauschalen Besteuerung mit 8 % unterlag. Durch das Zweite Vermögensbildungsgesetz wurde darüber hinaus bestimmt, daß vermögenswirksame Leistungen bis zum Betrag von 312 DM steuerfrei blieben. Gleichzeitig wurde aber auch für die Arbeitgeber ein Anreiz geschaffen, die Vermögensbildung der Arbeitnehmer zu fördern, indem sie die von ihnen gewährten vermögenswirksamen Leistungen bis zu einem Höchstbetrag von der Steuer absetzen konnten. Wie stark dieser Anreiz ausgestaltet werden sollte, war eine politische Frage, die ebenso dahin entschieden werden konnte, daß der Arbeitgeber bis zu dem ohnehin knapp bemessenen Höchstsatz von 800 DM 30 % aller von ihm erbrachten vermögenswirksamen Leistungen sollte absetzen können, als auch dahin, daß er nicht mehr sollte absetzen können als die begünstigten Arbeitnehmer. Keiner dieser Wege führte zu einem sinnwidrigen Ergebnis. Eine Koppelung im letzteren Sinne war nicht geboten. Denn die Begünstigungen waren völlig verschieden ausgestaltet: Bei den Arbeitnehmern bedeutete die vermögenswirksame Leistung einen Zufluß, der steuerfrei bleiben sollte; beim Arbeitgeber bedeutete er eine Betriebsausgabe, die abgesetzt werden konnte, aber zusätzlich mit einer Prämie in Form einer Steuerminderung bedacht wurde. Es ist durchaus sinnvoll anzunehmen, daß eine solche Prämie um so höher sein sollte, je mehr der Arbeitgeber ohne rechtliche Verpflichtung seinem Arbeitnehmer oder seinen Arbeitnehmern zuwendete, und zwar in einer Form, die diesen die Bildung von Vermögen nicht nur ermöglichte, sondern sie dazu auch verpflichtete, wollten sie in den Genuß dieses Betrages kommen. Auch dadurch wurde der Zweck des Gesetzes erreicht, nämlich "die Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch vereinbarte vermögenswirksame Leistungen der Arbeitgeber" zu fördern. Es kann nicht als dem Sinne des Gesetzes zuwiderlaufend angesehen werden, daß hierbei der Arbeitgeber einen größeren Steuervorteil als der Arbeitnehmer erzielte. Denn der Zweck des Gesetzes war nicht in erster Linie, beiden (dann evtl. in Relation zueinander zu setzende) Steuervorteile zu gewähren, sondern die Vermögensbildung der Arbeitnehmer zu fördern. Die steuerlichen Begünstigungen sollten dabei bei den Arbeitnehmern ein besonderer, zusätzlicher Vorteil, bei den Arbeitgebern ein ausreichender Anreiz zur Verwirklichung des Gesetzeszweckes sein.
Die Einkommensteuer 1966 war daher um weitere 86 DM auf 48 930 DM zu ermäßigen.
Fundstellen
Haufe-Index 71133 |
BStBl II 1975, 12 |
BFHE 1975, 357 |