Leitsatz (amtlich)
1. Die Rechtsprechung des Senats über die Berücksichtigung von Kfz-Aufwendungen bei schwer geh- und stehbehinderten Körperbehinderten ist auch in Fällen anzuwenden, in denen diese Kosten nicht bei dem Körperbehinderten, sondern bei einem Steuerpflichtigen entstanden sind, auf den der steuerfreie Pauschbetrag für Körperbehinderte nach § 26 Abs. 5 Satz 2 LStDV übertragen worden ist.
2. Zur Bemessung der als außergewöhnliche Belastung anzuerkennenden Kfz-Aufwendungen in diesen Fällen.
Normenkette
EStG § 33; LStDV § 26 Abs. 5 S. 2
Tatbestand
Ein 1944 geborener Sohn des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) ist infolge progressiver Muskeldystrophie dauernd erwerbsunfähig und pflegebedürftig und infolge seiner Krankheit gehunfähig. Der Sohn war im Streitjahr 1969 nacheinander Eigentümer von zwei PKW, die ihm der Kläger geschenkt hatte. Mit ihnen sind mindestens die im Urteil des FG im einzelnen aufgeführten Fahrten von mehr als 12 000 km gemacht worden. Gefahren wurden die PKW teils vom 1948 geborenen Bruder des Eigentümers, teils vom Eigentümer selbst. Auch der Kläger besitzt einen Führerschein. An den bezeichneten Fahrten haben außer dem gehunfähigen Sohn des Klägers und dessen Bruder als Fahrer noch der Kläger oder seine Frau oder beide Ehegatten teilgenommen. Der Kläger beantragt, Kfz-Aufwendungen aus diesem Anlaß in Höhe von 2 980 DM als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen.
Das FG lehnte die Anerkennung von Kfz-Aufwendungen in dieser Höhe als zwangsläufigen Mehraufwand infolge der schweren Körperbehinderung des Sohnes ab. Es führte aus, nach Gemeinsamen Ländererlassen, die vom BFH im Urteil vom 23. Februar 1968 VI R 292/67 (BFHE 91, 523, BStBl II 1968, 415) als vertretbare Schätzung anerkannt worden seien, könne bei geh- und stehbehinderten Personen, die durch diesen Körperschaden zu mindestens 70 v. H. erwerbsbeschränkt seien, wegen der dadurch entstehenden Mehrkosten für Kfz-Benutzung zu Privatfahrten ein Pauschbetrag von 750 DM jährlich als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden. Die vom Kläger geltend gemachten Kfz-Aufwendungen könnten nicht in voller Höhe anerkannt werden. Wolle ein Steuerpflichtiger höhere Aufwendungen berücksichtigt haben als den Pauschbetrag von 750 DM, so müsse er die Mehrfahrten und die Mehrkosten, die ihm durch die Gehbehinderung des körperbehinderten Kindes gegenüber der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Verhältnisse entstanden seien, ausreichend dartun. Als außergewöhnliche Belastung kämen dabei nur die durch den Körperschaden bedingten Mehraufwendungen für Privatfahrten in Betracht. Soweit der BFH im Urteil vom 28. Januar 1966 VI 66/65 (BFHE 85, 224, BStBl III 1966, 291) die Auffassung vertreten haben sollte, daß bei Oberschenkelamputierten und ähnlich Körperbehinderten grundsätzlich fast alle PKW-Aufwendungen, soweit sie nicht Werbungskosten seien, als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden müßten, könnte ihm das FG nicht folgen. Für den Streitfall gehe das FG davon aus, daß nur solche PKW-Aufwendungen durch § 25 LStDV begünstigt seien, die außergewöhnlich seien, d. h. die Steuerpflichtigen gleicher Verhältnisse, aber ohne ein körperbehindertes Kind, nicht erwachsen wären. Dabei erscheine es dem Gericht nicht außergewöhnlich, daß dem Kläger überhaupt PKW-Aufwendungen entstanden seien. Auch die überwiegende Mehrzahl anderer Steuerpflichtiger, die verheiratet sei, 22 000 DM Gehalt bezogen und zwei Kinder hätten, dürfte Ausgaben für einen PKW bzw. andere Fahrtkosten haben. Diese seien allerdings wohl geringer als beim Kläger mit dem gehunfähigen Kind. Es könne ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß der Kläger zahlreiche Fahrten nicht unternommen hätte, wenn sein Sohn keine Körperbehinderung gehabt hätte. Andererseits sei eine jährliche Fahrstrecke von 12 000 bis 15 000 km auch für reine Privatfahrten von Gesunden noch nicht außergewöhnlich hoch, so daß die durch die Körperbehinderung bedingten Mehrfahrten keinen besonders hohen Prozentsatz der Fahrtstrecken ausgemacht haben könnten. Das FG halte es unter diesen Umständen nicht für ausreichend glaubhaft gemacht, daß die durch die Körperbehinderung bedingten Mehrfahrten einen höheren Aufwand als 750 DM, die auch ohne Nachweis anzuerkennen seien, verursacht hätten.
Mit der Revision beantragt der Kläger die Anerkennung eines weiteren Betrages für außergewöhnliche Belastung, dessen Höhe er dem Senat überlasse. Er weist erneut darauf hin, mit den beiden PKW seien im Streitjahr Fahrten von erheblich mehr als 12 000 km unternommen worden, an denen der gehunfähige Sohn teilgenommen habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH seit dem Urteil vom 23. November 1961 IV 344/58 U (BFHE 74, 321, BStBl III 1962, 123) können bei schwer Körperbehinderten, die in ihrer Geh- und Stehfähigkeit erheblich beschränkt sind, Kfz-Aufwendungen für Privatfahrten neben den Pauschbeträgen nach § 33 a Abs. 6 EStG 1969 (§ 26 LStDV 1968) als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden. Das FG hat diese Rechtsprechung auch auf den Streitfall angewandt, obwohl Kfz-Kosten nicht bei dem gehunfähigen Sohn des Klägers, sondern beim Kläger entstanden sind. In einem solchen Fall kann nach § 26 Abs. 5 Satz 2 LStDV 1968 der steuerfreie Pauschbetrag, der den nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder einem Kind des Arbeitnehmers, für das er einen Kinderfreibetrag erhält, zusteht, insoweit auf den Arbeitnehmer übertragen werden, als der Ehegatte oder das Kind den Pauschbetrag nicht in Anspruch nimmt. Bei sinngemäßer Anwendung dieser Regelung erscheint es angezeigt, auch Kfz-Kosten, die in Zusammenhang mit der erheblichen Geh- und Stehbehinderung des körperbehinderten Dritten entstanden sind, bei dem Arbeitnehmer als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
2. Zur Höhe der als außergewöhnliche Belastung anzuerkennenden Kfz-Aufwendungen schwer Geh- und Stehbehinderter liegt eine umfangreiche Rechtsprechung des BFH vor. Im Urteil VI R 292/67 hat der Senat die später in Abschn. 40 Abs. 6 LStR übernommene Regelung der Verwaltung, nach der bei Körperbehinderten, die in ihrer Erwerbsfähigkeit um mindestens 70 v. H. gemindert sind und bei denen darüber hinaus eine Geh- und Stehbehinderung vorliegt, ein nachgewiesener oder glaubhaft gemachter Aufwand für Privatfahrten in Höhe von 750 DM - entsprechend einer Fahrstrecke von 3 000 km - jährlich als außergewöhnliche Belastung anerkannt werde, als sinnvolle typisierende Regelung bezeichnet, die als Schätzung in § 217 AO eine ausreichende Rechtsgrundlage findet. Bei niedrigerer Minderung der Erwerbsfähigkeit kann ein Betrag in dieser Höhe nicht ohne zusätzliche Nachweise berücksichtigt werden (Urteile des BFH vom 23. Februar 1968 VI R 260/67, BFHE 91, 535, BStBl II 1968, 408, und vom 16. Februar 1970 VI R 325/67 und VI R 317/67, BFHE 98, 353 und 251, BStBl II 1970, 380 und 452). Andererseits können bei einer höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit als 70 v. H. auch höhere Beträge als 750 DM in angemessenem Umfang als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden (BFH-Urteile VI 66/65, VI R 325/67). Dabei hat der Senat, insbesondere in den Urteilen VI 325/67 und VI R 317/67 betont. daß, je größer die durch die Geh- und Stehbehinderung hervorgerufene Erwerbsminderung sei, um so höher nach der Lebenserfahrung auch die dadurch bedingten zwangsläufigen Aufwendungen für PKW-Fahrten sein müßten. Die durch die schwere Geh- und Stehbehinderung zwangsläufig angefallenen Aufwendungen sind dabei in der Regel in angemessener Weise glaubhaft zu machen. Bei Steuerpflichtigen, die so gehbehindert sind, daß sie sich außerhalb des Hauses nur mit Hilfe eines Kfz bewegen können, sind grundsätzlich alle Kfz-Kosten, soweit sie nicht Werbungskosten sind, als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen, also nicht nur die unvermeidbaren Kosten zur Erledigung privater Angelegenheiten, sondern in angemessenem Rahmen auch die Kosten für Erholungs-, Freizeit- und Besuchsfahrten. Die auch bei großzügiger Beurteilung hiernach nicht berücksichtigungsfähigen Privatfahrten sind griffweise zu schätzen (Urteile des Senats VI 66/65, VI R 325/67 und VI R 317/67).
3. An diesen von der Rechtsprechung des BFH entwikkelten Grundsätzen zur Anerkennung von Kfz-Aufwendungen bei schwer Geh- und Stehbehinderten als außergewöhnliche Belastungen hält der Senat nach nochmaliger Prüfung fest. Sie gelten auch in Fällen, in denen nicht der Körperbehinderte derjenige ist, bei dem die Aufwendungen anfallen, sondern eine der Ziffer 1 bezeichneten Personen. Dabei muß aber der Besonderheit dieser Fälle in angemesser Weise Rechnung getragen werden. Insbesondere dann, wenn der Körperbehinderte das Kfz nicht selbst fährt, sondern hierfür auf andere Personen angewiesen ist, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß alle Kfz-Aufwendungen mit der Geh- und Stehbehinderung des Körperbehinderten zusammenhängen. Es kann vielmehr nicht ausgeschlossen werden, daß mit dem Kfz in größerem Umfang auch andere Fahrten durchgeführt werden. Es muß daher darauf geachtet werden, daß nur solche Fahrten berücksichtigt werden, an denen der Körperbehinderte selbst teilgenommen hat. Die Teilnahme anderer weiterer Personen ist dann unschädlich. In solchen Fällen wird es daher in der Regel geboten sein, auch dort, wo die Gehund Stehbehinderung so groß ist, daß der Körperbehinderte sich nicht ohne das Kfz fortbewegen kann, von den gesamten Kfz-Kosten einen größeren Abschlag für nicht als außergewöhnliche Belastung anzuerkennende Privatfahrten zu machen als dies insbesondere den Ausführungen des Urteils VI 66/65 zu entnehmen ist. An der Forderung, daß auch hier eine großzügige Behandlung angezeigt ist, ändert sich auch in diesen besonders schweren Fällen nichts.
Die Entscheidung des FG entspricht nicht diesen Grundsätzen. Seine Würdigung entspricht nach Auffassung des Senats insoweit nicht der Lebenserfahrung, als sie - abweichend von den Urteilen VI 66/65, VI R 325/67 und VI R 317/67 - dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht das ihm zuzuerkennende Gewicht beimißt. Wenn schon bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 v. H. ein Betrag von 750 DM als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden kann, erscheint es nicht sachgerecht, den gleichen Betrag - bei erheblich höheren vom FG festgestellten Aufwendungen - auch im Streitfall anzuerkennen, in dem es sich um einen zu 100 v. H. erwerbsgeminderten, pflegebedürftigen Körperbehinderten handelt, der völlig gehunfähig ist. In einem solchen Fall widerspricht es der vom Senat mehrfach hervorgehobenen gebotenen großzügigen Beurteilung, Erwägungen hinsichtlich der Haltung des Kfz durch den Steuerpflichtigen des Streitfalls auch für den Fall, daß kein so schwer körperbehinderter Sohn vorhanden sei, ein zu großes Gewicht beizumessen. Es steht auch nach der Auffassung des Senats mit der Lebenserfahrung nicht in Einklang, wenn das FG von bei Gesunden nicht ungewöhnlichen Privatfahrten von 12 000 bis 15 000 km auch bei dem im Streitjahr 64 Jahre alten Kläger ausgeht. Seiner Versicherung, bei dem Halten des PKW, den der Sohn geschenkt bekommen habe, habe das Interesse des Sohnes im Vordergrund gestanden, kommt nach der Lebenserfahrung im Streitfall das größere Gewicht zu.
5. Die Sache war an das FG zurückzuverweisen, das den als außergewöhnliche Belastung anzuerkennenden Betrag nach den vorstehenden Grundsätzen zu bemessen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 71537 |
BStBl II 1975, 825 |
BFHE 1976, 378 |