Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsteuer
Leitsatz (amtlich)
Stichtag für die Befreiung von der Grundsteuer und Dauer der Voraussetzungen für die Steuerbefreiung.
Steuerbefreiung von Grundbesitz, der von einem mildtätigen Verein unmittelbar für gemeinnützige Zwecke benutzt wird.
Unmittelbare Benutzung von Grundbesitz für gemeinnützige oder mildtätige Zwecke; Voraussetzungen für die Steuerbefreiung von Grundbesitz, auf dem ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb unterhalten wird.
Voraussetzungen für die Steuerbefreiung von Bewahrungsanstalten.
Normenkette
GrStG § 4/3/b, § 4 Ziff. 8; GrStDV §§ 1-2, 6a, 16
Tatbestand
Streitig ist, ob das dem Beschwerdeführer (Bf.) gehörige Grundstück M. ....straße 35, 35 a in S. nach § 4 Ziff. 3 Buchst. b des Grundsteuergesetzes (GrStG) in der Fassung des Gesetzes zur änderung des Grundsteuergesetzes vom 10. August 1951 mit Wirkung vom 1. April 1951 von der Grundsteuer zu befreien ist.
Das zuständige Körperschaftsteuer-Finanzamt hat entschieden, daß der Bf., der Verein für die Evangelischen Frauenstifte in N., auf Grund seiner satzungsmäßigen Zielsetzung und der tatsächlichen Geschäftsführung als mildtätige Körperschaft und seine Einrichtungen als notwendige Hilfsbetriebe anerkannt werden können. Trotzdem ist der Antrag des Bf. auf Grundsteuerbefreiung des streitigen Grundstücks, das als Frauenstift der Unterbringung von alleinstehenden Personen weiblichen Geschlechts dient, abgelehnt worden. Einspruch und Berufung hatten keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung.
I. - Die Veranlagung der Grundsteuermeßbeträge (§§ 13 bis 15 GrStG) lehnt sich eng an die Feststellung der Einheitswerte an. Feststellungszeitpunkt für die Einheitsbewertung und Veranlagungszeitpunkt für die Grundsteuermeßbeträge ist grundsätzlich (abgesehen von den besonderen Fortschreibungen und Nachfeststellungen auf den Währungsstichtag) der Beginn eines Kalenderjahres (Abs. 2 der §§ 21 bis 23 des Bewertungsgesetzes - BewG -). Auch für die Anwendung der Befreiungsvorschriften ist der 1. Januar der maßgebende Stichtag (vgl. § 1 Satz 2 der Grundsteuerdurchführungsverordnung - GrStDV -). Im Streitfall ist beantragt worden, das Frauenstift ab 1. April 1951 von der Grundsteuer zu befreien. Es kommt somit zunächst für die Grundsteuer des Rechnungsjahres 1951 darauf an, ob am Stichtag vom 1. Januar 1951 die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung erfüllt waren. Die Befreiung für die weiteren Rechnungsjahre 1952, 1953 usw. hängt davon ab, ob die Befreiungsvoraussetzungen jeweils zu Beginn der Kalenderjahre 1952, 1953 usw. vorgelegen haben bzw. vorliegen werden. Das Finanzamt hat seine Entscheidung nicht auf einen bestimmten Stichtag abgestellt, während das Finanzgericht seiner Entscheidung eine übersicht der Stiftsinsassen vom 1. Januar 1954 zugrunde gelegt hat. Schon wegen dieser Mängel können die Entscheidungen der Vorinstanzen nicht aufrechterhalten werden.
Nach § 2 GrStDV sind außerdem die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nur dann als erfüllt anzusehen, wenn anzunehmen ist, daß die Befreiungsvoraussetzungen wenigstens auf die Dauer von zwölf Monaten vorliegen werden. Dabei ist der Zeitraum, für den die Voraussetzungen unmittelbar vor dem Stichtag vorgelegen haben, mit zu berücksichtigen. Die Befreiung einer Bewahrungsanstalt von der Grundsteuer (Abschn. V unten) nach § 4 Ziff. 8 GrStG hängt davon ab, ob sie in dem dem Stichtag vorausgehenden Kalenderjahr die Voraussetzungen für die Befreiung erfüllt hat (ß 16 Abs. 1 Ziff. 1 GrStDV).
II. - Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß die Befreiung von der Grundsteuer nach § 4 Ziff. 3 Buchst. b GrStG von zwei Voraussetzungen abhängt:
Der Grundbesitz muß einer inländischen Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse gehören, die nach der Satzung, Stiftung oder sonstigen Verfassung und nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken dient, und
der Grundbesitz muß von dem Eigentümer unmittelbar für gemeinnützige oder mildtätige Zwecke benutzt werden.
Im Streitfall wird auf Grund der Entscheidung des Körperschaftsteuer-Finanzamts davon ausgegangen werden können, daß der Bf. in subjektiver Beziehung (Ziff. 1 oben) die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung erfüllt. Die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung würden auch dann vorliegen, wenn festgestellt werden müßte, daß der Bf. nicht nur mildtätigen, sondern auch gemeinnützigen Zwecken dient. Entsprechendes gilt in objektiver Beziehung (Ziff. 2 oben); die Befreiung könnte sowohl gegen Benutzung für gemeinnützige Zwecke (Abschn. III unten) als auch wegen Benutzung für mildtätige Zwecke (Abschn. IV unten) in Betracht kommen.
Nach § 6a GrStDV gelten für die Begriffe gemeinnützige und mildtätige Zwecke im Sinne des GrStG die §§ 17 und 18 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) und die Gemeinnützigkeits-Verordnung vom 16. Dezember 1941 in der Fassung der Anlage 1 der Verordnung zur änderung der Ersten Verordnung zur Durchführung des Körperschaftsteuergesetzes vom 16. Oktober 1948. An die Stelle der Gemeinnützigkeits-Verordnung vom 16. Dezember 1941 ist die Gemeinnützigkeits-Verordnung vom 24. Dezember 1953 (Bundesgesetzblatt - BGBl - I S. 1592) getreten. Diese Verordnung ist kraft ausdrücklicher Vorschrift (ß 21) von ihrem Inkrafttreten an auch auf Tatbestände anzuwenden, die vorher verwirklicht worden sind, es sei denn, daß das bisherige Recht zu einem für den Steuerpflichtigen günstigeren Ergebnis führt.
III. - Gemeinnützig sind solche Zwecke, durch deren Erfüllung ausschließlich und unmittelbar die Allgemeinheit gefördert wird (ß 17 Abs. 1 StAnpG). Nach der Auffassung der Vorinstanz kann im Streitfall von Gemeinnützigkeit keine Rede sein, weil der Grundbesitz nur den jeweiligen Insassen diene (ß 17 Abs. 4 StAnpG). Dieser Auffassung tritt der Senat nicht bei. Der Bf. hat mit Recht gerügt, daß die Vorinstanz die genannte Vorschrift unrichtig auslegt. Die Stiftsinsassen selbst brauchen nicht die "Allgemeinheit" darzustellen; ihre Auswahl darf nur nicht aus einem Personenkreis getroffen werden, der nicht als "Allgemeinheit" angesehen werden kann. Selbst wenn der Bf. (seine Satzung enthält eine Beschränkung in diesem Sinne nicht) tatsächlich nur Angehörige der Evangelischen Kirche in Deutschland aufnimmt, liegt darin keine Einschränkung der Allgemeinheit; denn bei den großen Religionsgesellschaften fehlt es auch bei einer Abgrenzung nach dem Religionsbekenntnis an dem Merkmal, daß die Zahl der in Betracht kommenden Personen dauernd nur klein sein kann (ß 17 Abs. 4 StAnpG).
Wie sich aus den Akten ergibt, ist der beschwerdeführende Verein dem Landesverband der Inneren Mission in N. angeschlossen und gehört damit in den Kreis der Verbände der freien Wohlfahrtspflege. Die Einrichtung und Unterhaltung eines Frauenstifts stellt einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb im Sinne des § 6 Abs. 2 der Gemeinnützigkeits-Verordnung (GemV) dar. Bei den Einrichtungen der Wohlfahrtspflege sind die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs insbesondere bei solchen Einrichtungen gegeben, die in besonderem Maße bedürftigen oder minderbemittelten Personen dienen (ß 8 Abs. 1 GemV). Eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege dient in besonderem Maße bedürftigen oder minderbemittelten Personen, wenn diesen mindestens zwei Drittel ihrer Leistungen zugute kommen (ß 8 Abs. 3 Satz 1 GemV).
Als bedürftig sind nach § 3 GemV anzusehen:
Personen, die infolge ihrer körperlichen oder geistigen Beschaffenheit nicht nur vorübergehend auf die Hilfe anderer angewiesen sind (vgl. § 3 Ziff. 1 GemV). Bei diesen Personen kommt es für die Anerkennung der Bedürftigkeit nicht auf die wirtschaftliche Lage an. Aus der vom Bf. nach dem Stand vom 1. Januar 1954 eingereichten übersicht ist zu ersehen, daß ein Teil der Stiftsinsassinnen wegen sehr hohen Alters oder wegen Krankheit hilfsbedürftig ist.
Personen, deren Einkünfte nicht höher sind, als das Zweifache des Richtsatzes der allgemeinen öffentlichen Fürsorge einschließlich der Mietbeihilfe, es sei denn, daß ihnen nach den Umständen zugemutet werden kann, ihr Vermögen zum Lebensunterhalt zu verwenden, und dieses Vermögen ausreicht, um ihre Lebenshaltung nachhaltig zu bessern. Bedürftig sind ferner Personen, deren Einkommen oder Vermögen zwar die in Satz 1 genannten Grenzen übersteigt, deren wirtschaftliche Lage aber aus besonderen Gründen zu einer Notlage geworden ist. Bei der Prüfung der wirtschaftlichen Bedürftigkeit und etwaiger Unterhaltsbezüge und -ansprüche zu berücksichtigen (ß 3 Ziff. 2 GemV). Vgl. hierzu die maßgebenden Erlasse der Finanzministerien der Länder Baden-Württemberg, Bayern usw. im Bundessteuerblatt 1954 II S. 50 ff., 60 ff.
Minderbemittelt sind nach § 8 Abs. 3 GemV Personen, bei denen die in Ziff. 2 oben bezeichneten Voraussetzungen vorliegen, mit der Maßgabe, daß an die Stelle des zweifachen Betrags der dreifache Betrag des Richtsatzes einschließlich der Mietbeihilfe tritt.
IV. - Mildtätig sind solche Zwecke, die ausschließlich und unmittelbar darauf gerichtet sind, bedürftige Personen zu unterstützen (ß 18 Abs. 1 StAnpG). Wie oben unter III schon hervorgehoben, können Personen infolge ihrer körperlichen oder geistigen Beschaffenheit oder wegen ihrer wirtschaftlichen Lage bedürftig sein (ß 18 Abs. 2 StAnpG und § 3 GemV). Zwecke, die darauf gerichtet sind, minderbemittelte Personen zu unterstützen, fallen nicht unter die Mildtätigkeit. Eine Steuerbefreiung wegen Benutzung für mildtätige Zwecke dürfte daher nicht in Betracht kommen, wenn nicht bereits Benutzung für gemeinnützige Zwecke anerkannt werden kann.
V. - Der Bf. stützt schließlich seinen Befreiungsantrag auf § 4 Ziff. 8 GrStG. Nach dieser Vorschrift ist Grundbesitz, der für die Zwecke einer Bewahrungsanstalt benutzt wird, von der Grundsteuer befreit. Voraussetzung der Befreiung ist, daß die Anstalt in dem Kalenderjahr, das dem Stichtag vorangeht, in besonderem Maße der minderbemittelten Bevölkerung gedient hat (ß 16 Abs. 1 Ziff. 1 GrStDV). Da auch in einem solchen Fall der Begriff "minderbemittelt" nach den allgemeinen Grundsätzen (ß 8 Abs. 3 GemV) zu beurteilen ist und nicht auf einen Vergleich mit den Pflegesätzen der Kreis- oder Gemeindekrankenanstalten (ß 10 Abs. 2 GemV) abgestellt werden kann, wird bei dem Bf., wenn schon eine Befreiung nach § 4 Ziff. 3 Buchst. b GrStG nicht gewährt werden kann (vgl. oben unter III.), eine solche nach § 4 Ziff. 8 GrStG kaum in Betracht kommen können.
VI. - Da die Vorinstanzen die Rechtslage verkannt haben und der Sachverhalt auch nicht ausreichend geklärt ist, unterliegen die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung der Aufhebung. Die Sache geht an das Finanzamt zurück, das darauf bestehen muß, daß der Bf. für die maßgebenden Stichtage die erforderlichen Angaben macht.
Fundstellen
Haufe-Index 408350 |
BStBl III 1956, 22 |
BFHE 1956, 57 |
BFHE 62, 57 |