Leitsatz (amtlich)
Die Bezüge eines nebenberuflich tätigen Lehrbeauftragten an der Fachhochschule Rheinland-Pfalz sind in der Regel den Einkünften aus selbständiger Arbeit zuzurechnen.
Normenkette
EStG 1977 § 34 Abs. 4, § 18 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war bis zum 31. Juli 1979 als Regierungsdirektor in einem Ministerium des Landes Rheinland-Pfalz tätig. Ab 1. August 1979 wurde er an die Universität X abgeordnet, wo er seither eine Lehrtätigkeit ausübt.
Der Kläger war außerdem seit 1972 Lehrbeauftragter der Fachhochschule des Landes Rheinland-Pfalz. Im Streitjahr 1979 unterrichtete er dort in dem Lehrfach ....., und zwar wöchentlich vier Stunden im Sommersemester und acht Stunden im Wintersemester.
Bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr beantragte der Kläger für seine Einkünfte aus dem Lehrauftrag an der Fachhochschule die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Diesem Antrag gab der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nur teilweise statt. Während er die Voraussetzungen der Vergünstigung für die im Sommersemester 1979 geleistete Lehrtätigkeit (vier Wochenstunden) als gegeben ansah, vertrat er für die gleiche Tätigkeit im Wintersemester 1979/80 die Auffassung, im Hinblick auf die in diesem Zeitabschnitt geleistete Zahl von acht Wochenstunden müsse der Kläger insoweit als nichtselbständig angesehen werden. Für Nebeneinkünfte aus nichtselbständiger Arbeit könne aber die Tarifermäßigung des § 34 Abs. 4 EStG nicht gewährt werden.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Das FG führte zur Begründung aus, die für die Gewährung der Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG vorausgesetzte Selbständigkeit der wissenschaftlichen Nebentätigkeit habe während des ganzen Jahres vorgelegen. Eine Lehrkraft sei nur dann nichtselbständig tätig, wenn sie in den Schulbetrieb fest eingegliedert sei. Die Eingliederung hänge in erster Linie von den Bindungen ab, die sich aus dem der Lehrtätigkeit zugrundeliegenden Rechtsverhältnis ergäben. Auf den Umfang der Lehrtätigkeit - insbesondere auf die Zahl der wöchentlich erteilten Unterrichtsstunden - komme es nur an, wenn aus dem Inhalt des der Lehrtätigkeit zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses nicht hinreichend sicher beurteilt werden könne, ob eine selbständige oder nichtselbständige Lehrtätigkeit vorliege. Der Kläger sei nach der in dem Gesetz über die Fachhochschulen von Rheinland-Pfalz vom 21. Juli 1978 - FachHSchG - (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Rheinland-Pfalz - GVBl RP - S. 543) geregelten Stellung der Lehrbeauftragten und nach dem Inhalt seines Lehrauftrags nicht fest in den Betrieb der Fachhochschule eingegliedert gewesen.
Mit der - vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassenen - Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es treffe nicht zu, daß der Wochenstundenzahl für die Abgrenzung keine besondere Bedeutung zukomme. Nach der in Abschn. 54 Abs. 3 Satz 5 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) enthaltenen Regelung komme eine Zuordnung der Lehrvergütungen zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit nicht in Betracht, wenn die nebenberufliche Lehrtätigkeit mehr als sechs Unterrichtsstunden in der Woche umfasse und deshalb eine feste Eingliederung in den Hochschulbetrieb anzunehmen sei. Für die Beurteilung der festen Eingliederung komme es auf die Wochenstundenzahl in dem jeweiligen Semester an. Hiernach sei es möglich, daß eine bisher als selbständig zu beurteilende Tätigkeit zur unselbständigen Tätigkeit werde, wenn infolge der Erteilung von mehr als sechs Wochenstunden Unterricht eine feste Eingliederung angenommen werden müsse.
Das FA beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat zu Recht angenommen, daß die Vergütungen für die Lehrtätigkeit des Klägers an der Fachhochschule Rheinland-Pfalz Nebeneinkünfte aus selbständig ausgeübter wissenschaftlicher Tätigkeit darstellen, für die dem Kläger der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 4 EStG zu gewähren ist.
1. Nach § 34 Abs. 4 EStG sind Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit auf Antrag tarifbegünstigt zu besteuern, wenn sie von Steuerpflichtigen mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder aus einer selbständigen Berufstätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG erzielt werden. Voraussetzung für die Gewährung der Tarifvergünstigung ist u. a., daß die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit oder aus der Berufstätigkeit seine übrigen Einkünfte überwiegen (§ 34 Abs. 4 Nr. 1 EStG), und daß die Nebeneinkünfte aus der wissenschaftlichen Tätigkeit nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören (§ 34 Abs. 4 Nr. 2 EStG).
2. Die Bezüge des Klägers aus seiner Nebentätigkeit an der Fachhochschule Rheinland-Pfalz sind in vollem Umfang den Einkünften aus selbständiger Arbeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG) zuzurechnen.
a) Der Umstand, daß der Kläger hauptberuflich in nichtselbständiger Arbeit tätig war und diese Tätigkeit während des für die Entscheidung der Streitfrage maßgebenden Zeitraumes in einer Lehrtätigkeit an einer Universität bestand, hat auf die steuerrechtliche Einordnung der Nebeneinkünfte keinen Einfluß.
Übt ein Arbeitnehmer eine Nebentätigkeit aus, so ist die Frage, zu welcher Einkunftsart die Einkünfte hieraus zu rechnen sind, grundsätzlich unabhängig von der Art der Haupteinkünfte zu beurteilen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Dezember 1975 IV R 162/72, BFHE 117, 547, BStBl II 1976, 291 ).
Eine Ausnahme von dieser getrennten Betrachtungsweise ist nur für den Fall zu machen, daß die Einkünfte aus der Nebentätigkeit ebenfalls vom Arbeitgeber der Haupttätigkeit stammen und beide Tätigkeiten unmittelbar zusammenhängen (BFHE 117, 547, BStBl II 1976, 291 ). Ein solcher Zusammenhang liegt nach der Rechtsprechung des BFH z. B. vor, wenn ein Lehrer neben seinem Pflichtunterricht auch noch freiwillig zusätzliche Unterrichtsstunden an derselben Schule oder einer anderen benachbarten Schule gleicher Art erteilt (BFHE 117, 547, BStBl II 1976, 291 ).
Ein solcher unmittelbarer Zusammenhang ist im Streitfall nicht gegeben. Die Haupttätigkeit des Klägers, die er nach seiner Abordnung an die Universität X seit dem 1. August 1979 ausübte, war zwar ebenfalls Lehrtätigkeit. Die beiden Hochschulen, an denen der Kläger während des Streitjahrs tätig war, unterscheiden sich jedoch sowohl hinsichtlich ihrer Organisation als auch hinsichtlich ihrer Aufgaben, Studienziele und ihres Lehrangebots in wesentlichen Punkten. Sie unterstehen außerdem auch nicht derselben Aufsichtsbehörde, da sie zu verschiedenen Bundesländern gehören.
b) Die somit entscheidende Frage, ob die Nebeneinkünfte einer selbständigen oder einer nichtselbständigen Tätigkeit zuzurechnen sind, ist nach dem Gesamtbild unter Abwägung aller Umstände zu beurteilen (vgl. BFH-Urteil vom 4. Dezember 1975 IV R 180/72, BFHE 117, 550, BStBl II 1976, 292 ). Die Ermittlung des Gesamtbilds bedeutet, daß die gesamte rechtliche, wirtschaftliche und soziale Stellung des Beschäftigten gegenüber seinem Auftraggeber in ihren einzelnen Komponenten gewürdigt und daß die für und gegen ein Arbeitsverhältnis sprechenden Merkmale gegeneinander abgewogen werden (vgl. BFH-Urteil vom 10. Mai 1984 IV R 34/80, BFHE 141, 400, BStBl II 1984, 654 ). Für die Beurteilung ist vor allem das Rechtsverhältnis von Bedeutung, aufgrund dessen die Tätigkeit geleistet wird (BFH-Urteil vom 7. Februar 1980 IV R 37/76, BFHE 130, 39, BStBl II 1980, 321 ).
Eine aufgrund eines Arbeitsverhältnisses ausgeübte nichtselbständige Tätigkeit ist anzunehmen, "wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist" (§ 1 Abs. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV -). Fehlt ein solches Abhängigkeitsverhältnis, so liegt eine selbständige Tätigkeit vor.
Nebenberuflich tätige Lehrkräfte wurden in der Rechtsprechung des BFH bisher in der Regel als selbständig Tätige angesehen (Urteile vom 24. April 1959 VI 29/59 S, BFHE 68, 504, BStBl III 1959, 193 , und vom 17. Juli 1958 IV 101/56 U, BFHE 67, 223, BStBl III 1958, 360 ). Etwas anderes wurde lediglich dann angenommen, wenn die der Lehrtätigkeit zugrundeliegenden Vertragsbestimmungen als Arbeitsvertrag zu werten waren (BFH-Urteile vom 28. April 1972 VI R 71/69, BFHE 105, 477, BStBl II 1972, 617 , und in BFHE 117, 550, BStBl II 1976, 292 ).
c) Im Streitfall sprechen die Umstände, unter denen der Kläger seine Lehrtätigkeit ausübte, für eine selbständige Tätigkeit.
Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FachHSchG nehmen Lehrbeauftragte die ihnen übertragenen Lehraufgaben "selbständig" wahr. Darin kommt zum Ausdruck, daß der Lehrbeauftragte in der inhaltlichen Gestaltung seines Unterrichts (Auswahl des Lehrstoffs und Form der Darstellung) weitgehend frei ist. Wenn auch der Gegenstand des Unterrichts durch den Lehrauftrag bestimmt ist und der Lehrbeauftragte hinsichtlich der Zeit und des Orts seiner Lehrtätigkeit durch die Studienpläne der Fachhochschule (§ 13 Abs. 1 FachHSchG) gebunden ist, so läßt sich hieraus dennoch kein Abhängigkeitsverhältnis im Sinn einer nichtselbständigen Tätigkeit ableiten.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den übrigen für die Erteilung und Durchführung des Lehrauftrags maßgebenden Umständen. Die dem Kläger erteilten Lehraufträge entsprachen dem Muster, das den Richtlinien des Kultusministeriums "über die Beschäftigung von Lehrbeauftragten an der Fachhochschule des Landes Rheinland-Pfalz" vom 24. Oktober 1972 (Amtsblatt des Kultusministeriums von Rheinland-Pfalz 1972, 507) als Anlage beigefügt ist. Die Richtlinien, auf die auch in den dem Kläger erteilten Lehraufträgen Bezug genommen wurde, beschränken sich auf Bestimmungen über die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen für die Erteilung des Lehrauftrags, die Vergütung, den Ersatz von Auslagen sowie die Kündigung des Beschäftigungsauftrags. Sie enthalten keine Merkmale, die in entscheidender Weise auf einen Arbeitsvertrag hindeuten, wie z. B. die Bezugnahme auf einen Tarifvertrag (vgl. Urteile in BFHE 105, 477, BStBl II 1972, 617 , und in BFHE 117, 550, BStBl II 1976, 292 ). Die Lehraufträge können, soweit sie nicht ohnehin befristet sind, jederzeit zum Ende eines Semesters aus wichtigem Grund widerrufen werden (§ 6 der Richtlinien); damit wird der Hochschule die Möglichkeit eröffnet, die Stundenzahl von Semester zu Semester zu verändern. Aufgrund dieser Regelung besteht für die Lehrbeauftragten kein Kündigungsschutz und auch kein Anspruch auf Erteilung eines neuen Lehrauftrags nach Abschluß des Semesters. Die Vergütung erfolgt nach der Zahl der übernommenen Wochenstunden (§ 3 Abs. 2 der Richtlinien); Anspruch auf bezahlten Urlaub und auf Weihnachtsgeld besteht hiernach nicht. - Neben diesen - für die Selbständigkeit der Tätigkeit sprechenden - Umständen enthalten die Richtlinien allerdings auch ein Element, das eher für eine nichtselbständige Tätigkeit typisch ist: Nach § 3 Abs. 4 der Richtlinien wird die Vergütung im Falle der Unterbrechung der Lehrtätigkeit durch Erkrankung bis zur Dauer von sechs Wochen weitergezahlt. Diese sonst wohl nur bei Arbeitsverhältnissen anzutreffende Regelung hat indessen im Verhältnis zu den übrigen Merkmalen für die Beurteilung der Lehrbeauftragten-Tätigkeit kein allzu großes Gewicht. Das Gesamtbild wird hierdurch nicht wesentlich beeinflußt.
Der Zahl der von einem Lehrbeauftragten erteilten Wochenunterrichtsstunden kann bei der Entscheidung, ob eine selbständige oder nichtselbständige Tätigkeit anzunehmen ist, keine allein entscheidende Bedeutung beigemessen werden (vgl. BFHE 117, 550, BStBl II 1976, 292 ). Kommt man schon aufgrund der Prüfung des Inhalts des Lehrauftragsverhältnisses zu dem Ergebnis, daß eine selbständige Arbeit vorliegt, so kann dieses Ergebnis nicht durch die mehr oder weniger große Zahl der erteilten Unterrichts-Wochenstunden in Frage gestellt werden. Insbesondere kann eine nach dem Ergebnis der Prüfung eindeutig als selbständig anzusehende Lehrtätigkeit nicht dadurch insgesamt zu einer unselbständigen Tätigkeit werden, daß der Unterricht vorübergehend eine bestimmte Wochenstundenzahl überschreitet, ohne daß sich an dem sonstigen Status des Lehrbeauftragten gegenüber der Fachhochschule etwas ändert (vgl. Urteile in BFHE 67, 223, BStBl III 1958, 360 , und in BFHE 68, 504, BStBl III 1959, 193 ). Deshalb berechtigt auch der Umfang der vom Kläger im Wintersemester 1979/80 ausgeübten Lehrtätigkeit (acht Wochenstunden) für sich allein nicht zur Annahme einer unselbständigen Tätigkeit.
Diese Entscheidung weicht nicht von den in den Steuerrichtlinien enthaltenen Verwaltungsvorschriften ab. Nach Abschn. 151 Abs. 3 der Einkommensteuer-Richtlinien (sowie nach Abschn. 54 Abs. 3 LStR) kann zwar ein geringer Umfang der Lehrtätigkeit (nämlich durchschnittlich nicht mehr als sechs Wochenstunden) ein Anhaltspunkt dafür sein, daß eine feste Eingliederung in den Schul- oder Lehrgangsbetrieb nicht vorliegt und damit eine selbständige Tätigkeit gegeben ist. Dies bedeutet indessen auch nach den Richtlinien nicht, daß das Überschreiten der Sechsstundengrenze zwingend zur Annahme einer nichtselbständigen Tätigkeit führt (so auch rechtskräftiges Urteil des Hessischen FG vom 21. März 1983 II 59/80, Entscheidungen der Finanzgerichte 1984, 175, sowie Urteil des FG Baden-Württemberg vom 25. November 1981 VII 114.115/79 [nicht veröffentlicht]).
Fundstellen
Haufe-Index 426041 |
BStBl II 1985, 51 |
BFHE 1985, 268 |