Leitsatz (amtlich)
Die Berufsausbildung i. S. des § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a Doppelbuchstabe bb EStG 1961 (und folgende) kann auch noch andauern, wenn das Kind zwar schon eine Ausbildung erhalten hat, die es an sich zur Ausübung eines Berufes befähigte, es aber einen gehobeneren oder auch andersartigen Beruf anstrebt. Die hierfür erforderliche weitere Ausbildung kann durch Ableistung des Wehrdienstes unterbrochen werden.
Normenkette
EStG 1961 § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a bb
Tatbestand
Die Revisionskläger (Steuerpflichtigen) sind zusammenveranlagte Eheleute. Sie beantragten im Streitjahr 1961 die Gewährung eines Freibetrages für einen damals über 18 Jahre alten Sohn, mit der Behauptung, die Voraussetzungen des § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a bb EStG 1961 lägen vor. Das FA folgte dem im Steuerbescheid und in der Einspruchsentscheidung nicht.
Die Steuerpflichtigen legten Berufung ein. Zur Begründung trugen sie vor, die kaufmännische Ausbildung ihres Sohnes sei durch die Einberufung zur Bundeswehr am 1. April 1961 unterbrochen worden. Nach dem Besuch der Volksschule und der Unterstufe des Gymnasiums habe ihr Sohn zunächst eine technisch-kaufmännische Ausbildung in einem Eisenwerk erhalten sollen. Da er dort aber den körperlichen Anforderungen nicht gewachsen gewesen sei, habe er von April 1958 bis März 1961 eine Verkaufslehre durchgemacht, die sich auch auf büromäßige Ausbildung erstreckt habe. Der Sohn habe zur Erlangung der Hochschulreife noch ein Abendgymnasium besuchen wollen. Da Voraussetzung hierfür aber ein Mindestalter von 20 Jahren gewesen sei, habe er auf eigenen Wunsch zunächst ab April 1961 den Wehrdienst abgeleistet. Nach dessen Beendigung am 30. Juni 1962 habe er dann 1 1/2 Jahre als Bauhilfsarbeiter gearbeitet; er besuche nunmehr seit April 1964 das Abendgymnasium. Vormittags arbeite er in der väterlichen Steuerbevollmächtigtenpraxis, da er später gleichfalls einen steuerberatenden oder ähnlichen Beruf ergreifen wolle.
Die Berufung blieb ohne Erfolg.
Das FG führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, die Berufsausbildung des Sohnes sei durch die Ableistung des Wehrdienstes nicht unterbrochen worden, weil der Sohn seine Ausbildung bereits beendet gehabt habe. Er habe vor der Einberufung zum Wehrdienst eine dreijährige Verkaufslehre abgeschlossen und die Handelskammerprüfung absolviert gehabt. Damit sei die Ausbildung in der üblichen Weise beendet worden. Wie der Steuerpflichtige selbst bei der mündlichen Verhandlung eingeräumt habe, hätte sein Sohn ohne weiteres bei einem Kaufhaus eine Stelle als ausgebildeter Verkäufer antreten können. Eine Unterbrechung der Ausbildung ergebe sich auch nicht daraus, daß der Sohn geplant habe, sich nach Beendigung der kaufmännischen Lehre "büromäßig", d. h. insbesondere in Buchhaltung, fortzubilden, selbst wenn die Steuerpflichtigen darin eine Berufsausbildung im Sinne des § 32 EStG sähen. Die kaufmännische Lehre habe nach ihrem eigenen Vorbringen schon in erheblichem Maße eine büromäßige Ausbildung, also auch die Unterweisung in der Buchhaltungstätigkeit, enthalten. Deshalb sei anzunehmen, daß die Grundkenntnisse dieser Tätigkeit schon durch die Lehre vermittelt worden seien. Der Sohn der Steuerpflichtigen habe mithin diese Grundkenntnisse nur vertiefen und erweitern wollen, nachdem die eigentliche Ausbildung abgeschlossen gewesen sei. Es habe sich daher nur um die Fortbildung, nicht aber um einen Teil einer einheitlichen, noch unbeendeten Ausbildung gehandelt. Auch die von dem Sohn der Steuerpflichtigen im Erörterungstermin angegebene Ausbildungsfolge: kaufmännische Lehre - Abendgymnasium - Hochschulstudium mit dem Ziel, Steuerberater zu werden, könne nicht als einheitliche Berufsausbildung angesehen werden. Ein geschlossener Ausbildungsvorgang sei bei dieser Folge nicht gegeben. Die Absolvierung einer Verkäuferlehre sei nicht typischer oder gar notwendiger Teil einer einheitlichen Ausbildung zum Beruf des Steuerberaters. Es sei vielmehr anzunehmen, daß mit Abschluß der Lehre eine erste Ausbildung beendet und später eine neue Berufsausbildung mit neuem Berufsziel begonnen worden sei. Die Steuerpflichtigen könnten sich nicht auf das Urteil des BFH VI 231/61 U vom 11. Mai 1962 (BFH 75, 199, BStBl III 1962, 340) stützen. Damals sei mit Ausnahme einer ganz kurzfristigen Unterbrechung, die zudem wegen eines festen Semesteranfangstermins unumgänglich gewesen sei, eine einheitliche Entwicklung in der Berufsausbildung erkennbar gewesen, an der es hier jedoch fehle. Daß auch die Steuerpflichtigen selbst die Einberufung zum Wehrdienst damals nicht als Unterbrechung der Ausbildung empfunden hätten, gehe schon daraus hervor, daß sie selbst sehr darum bemüht gewesen seien, vorzeitig die Einberufung zum Wehrdienst zu erreichen.
Mit ihrer Revision gegen dieses Urteil rügen die Steuerpflichtigen Verletzung des materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an die Vorinstanz.
Nach § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a bb EStG 1961 in Verbindung mit § 52 Abs. 4 EStG 1961 erhält ein Steuerpflichtiger einen Kinderfreibetrag für über 18 Jahre, aber noch nicht 25 Jahre alte Kinder, wenn die Berufsausbildung durch die Einberufung zum Wehrdienst unterbrochen worden ist und der Steuerpflichtige vor der Einberufung die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung im wesentlichen getragen hat. Die Vorschrift verlangt also, daß die Berufsausbildung noch nicht beendet ist und durch den Wehrdienst unterbrochen wird.
Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteile VI 231/61 U; VI 72/63 U vom 10. Januar 1964, BFH 79, 10, BStBl III 1964, 237; VI R 230/67 vom 11. Juli 1969, BFH 96, 306) befindet sich noch in der Berufsausbildung, wer sein Berufsziel nicht erreicht hat, sich aber noch ernstlich darauf vorbereitet. Dabei kommt es nicht auf die Unterscheidung zwischen Ausbildungskosten und Fortbildungskosten an, so daß z. B. die Ausbildung eines Gesellen zum Meister noch unter die Berufsausbildung im Sinne des § 32 EStG fällt (Urteil VI 118/61 U vom 13. Oktober 1961, BFH 74, 124, BStBl III 1962, 48; vgl. auch das Urteil VI R 230/67; diese Auffassung wurde auch in dem Urteil VI R 207/66 vom 2. August 1968, BFH 93, 301, BStBl II 1968, 777, nicht aufgegeben; es wurde lediglich ausgeführt, daß aus der früheren Entscheidung nicht geschlossen werden dürfe, daß eine eindeutig abgeschlossene Berufsausbildung - Lehre, Fachschule, Volontärzeit - aus steuerlichen Gründen beliebig ausgedehnt werden könne). Auch die Unterbrechung der Berufsausbildung durch eine entgeltliche Tätigkeit, die für die Ausbildung nicht erforderlich ist, bedingt nicht immer den Wegfall der Vergünstigung; es kommt vielmehr auf die zu würdigenden Umstände des Einzelfalles an, ob die Ausbildung durch die Tätigkeit nur als unterbrochen oder als aufgegeben anzusehen ist. Wird bei an sich bestehender Absicht weiterer Ausbildung eine Tätigkeit nur zur Überbrückung der Zeit bis zur Einberufung zum Wehrdienst ausgeübt, so dauert die Berufsausbildung an (Urteil VI 231/61 U).
Mit diesen Grundsätzen steht die angefochtene Entscheidung nicht in Einklang. Soweit nämlich das FG entscheidendes Gewicht darauf legte, daß der Sohn der Steuerpflichtigen bereits eine Ausbildung erhalten hatte, aufgrund deren er einen Beruf hätte ausüben können, so daß er sich also nach Ansicht des FG nicht mehr ausbildete, sondern fortbildete, übersah es, daß eine zeitlich kontinuierlich durchgeführte Ausbildung auch dann Berufsausbildung im Sinne des § 32 EStG ist, wenn sie sich in mehreren Stufen vollzieht, von denen an sich jede einzelne zur Ausübung eines Berufes schon befähigt, wenn aber das endgültige Berufsziel noch nicht erreicht ist, ja, daß sogar der Wechsel von einer Berufsausbildung - mag sie abgeschlossen sein oder nicht - zu einer anderen noch unter § 32 EStG fällt, wenn sich die Ausbildung - von kleinen Unterbrechungen abgesehen - nur kontinuierlich vollzieht, d. h. wenn sich ein Abschnitt an den anderen anschließt bzw. ohne die Wehrdienstverpflichtung angeschlossen hätte.
Davon sind indessen Fälle zu unterscheiden, in denen es an dieser Kontinuität fehlt, der Auszubildende es also zunächst bei einer Ausbildung bewenden läßt bzw. ohne die Wehrdienstverpflichtung hätte bewenden lassen und er sich erst später zur weiteren oder andersartigen Ausbildung entschließt, oder wenn er eine weitere Ausbildung erst für eine ungewisse Zukunft in Aussicht genommen hat. In diesen Fällen hätte der Steuerpflichtige - einmal abgesehen von der Frage der Unterbrechung durch den Wehrdienst - den Kinderfreibetrag für die Zeit der Unterbrechung nicht, später aber wieder erhalten. In solchen Fällen kann aber, wenn die Ableistung des Wehrdienstes in diesen Zeitraum der ohnehin eingetretenen Unterbrechung fällt, schon rein logisch der Wehrdienst keine Ausbildung mehr unterbrechen. Aber auch nach dem Sinne des § 32 EStG wäre hier die Weitergewährung des Kinderfreibetrags nicht gerechtfertigt; denn diese Vorschrift will sicherstellen, daß ein Steuerpflichtiger, der vor Beginn des Wehrdienstes seines Kindes den Kinderfreibetrag erhielt und ihn nach Ableistung des Wehrdienstes wieder erhalten wird, auch für die Zeit der Ableistung des Wehrdienstes selbst den Freibetrag behalten soll (Urteil VI 231/61 U).
Es kommt also im vorliegenden Falle darauf an, ob der Sohn der Steuerpflichtigen, hätte er den Wehrdienst nicht abzuleisten brauchen, seine Ausbildung fortgesetzt oder zunächst unterbrochen hätte, bis er dann das Abendgymnasium hätte besuchen können. Diese Frage ist zu beantworten an Hand aller Umstände des Einzelfalles, deren Ermittlung und Würdigung zu den Aufgaben der Tatsacheninstanz gehört. Das FG hatte von seinem Rechtsstandpunkt aus keine Veranlassung, den Sachverhalt insoweit festzustellen und zu würdigen. Es muß dies nunmehr nachholen. Es muß also feststellen, ob nach seiner Überzeugung der Sohn der Steuerpflichtigen zur Zeit seiner Einberufung zum Wehrdienst bereits das ihm vorschwebende Berufsziel erreicht hatte und ob er sich verneinendenfalls zu diesem Zeitpunkt noch um seine Erreichung bemühte. Es handelt sich hierbei zwar um nur schwer feststellbare innere Vorgänge. Doch können insoweit Rückschlüsse auch aus dem tatsächlichen Verlauf und der Lebenserfahrung gezogen werden. Für ein Andauern der Berufsausbildung könnte z. B. sprechen, daß der Sohn der Steuerpflichtigen tatsächlich später das Abendgymnasium besuchte. Gegen eine Fortdauer der Ausbildung könnte dagegen sprechen, daß der Sohn vor dem an sich früher möglichen Besuch des Gymnasiums noch eine Zeitlang als Bauhilfsarbeiter arbeitete, wobei die Gründe hierfür eine gewichtige Rolle spielen werden.
Sollte das FG bei erneuter Prüfung zu dem Schluß kommen, daß die Berufsausbildung noch andauerte, so wird weiter zu untersuchen sein, ob die Steuerpflichtigen vor der Einberufung zum Wehrdienst die Kosten des Unterhalts und der Ausbildung überwiegend getragen hatten.
Fundstellen
Haufe-Index 68987 |
BStBl II 1970, 450 |
BFHE 1970, 244 |