Leitsatz (amtlich)
Die Verpflichtung des FG, selbständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob es einem Sachverständigengutachten folgen darf, erstreckt sich insbesondere auf die Frage, ob der Sachverständige seinem Gutachten zutreffende Tatsachen zugrunde gelegt hat. Die Ausgangstatsachen zu ermitteln, ist regelmäßig die Aufgabe des Gerichts und nur dann die Aufgabe des Sachverständigen, wenn es zu ihrer Feststellung gerade auf die Sachkunde des Gutachters ankommt.
Normenkette
FGO §§ 96, 82
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) führte als Erbin ihres im Jahre 1968 verstorbenen Ehemannes dessen Gärtnerei als landwirtschaftlichen Betrieb bis 1970 fort. Von dem Betriebsgrundstück (Gesamtfläche 1 ha 22 a 70 qm) wurde ein Trennstreifen von 18a 16 qm zum Autobahnbau benötigt. Da sich die Klägerin zur Ruhe setzen wollte, verkaufte sie am 5. Januar 1970 den Betrieb im ganzen, jedoch ohne den Bestand an Geräten, Maschinen und Pflanzen, an die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) zum Kaufpreis von 1 200 000 DM. Dabei wurde für den Grund und Boden ein Durchschnittspreis von 40 DM/qm vereinbart. Bevor der Vertrag grundbuchmäßig vollzogen war, bekundete X, der den Betrieb im Auftrag des Autobahnamts begutachtet hatte, Interesse am Erwerb. Am 4. Februar 1970 wurden der bestehende Kaufvertrag aufgehoben und zwei neue Verträge abgeschlossen: Die Bundesrepublik erwarb das zum Autobahnbau benötigte Trenngrundstück mit aufstehenden Gebäuden zum Preis von 703 050,74 DM, wobei für den Grund und Boden ein Durchschnittspreis von 40 DM/qm vereinbart wurde.
X erwarb das hinter dem Trenngrundstück gelegene Teilgrundstück von 1 ha 04 a 54 qm mit Wohn- und Betriebsgebäuden, Gewächshäusern, Frühbeetkästen, sonstigen Betriebseinrichtungen, Maschinen, Geräten und Pflanzenbeständen zum Kaufpreis von 800 000 DM. Auf X gingen auch die bestehenden betrieblichen Arbeits-, Versicherungs- und Versorgungsverträge über.
In ihrer Einkommensteuererklärung 1970 teilte die Klägerin den Gesamterlös in einen Teilbetrag von 40 DM/qm als Preis für den Grund und Boden und in einen Restbetrag als Preis für die anderen Wirtschaftsgüter des Betriebes im ganzen auf. Unter Berücksichtigung von Veräußerungskosten und Buchwerten des Betriebsvermögens ohne Grund und Boden erklärte sie einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn von 825 301 DM.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ließ 40 DM/qm nur als Preis für das Trenngrundstück gelten. Im Anschluß an eine Betriebsprüfung setzte das FA als Preis für das verbleibende Gärtnereigrundstück einen Durchschnittspreis von 16,25 DM/qm an. Auf einen Wertansatz in dieser Höhe hatte es sich - gleichfalls im Anschluß an eine Betriebsprüfung - mit dem Betriebserwerber X für die von diesem erworbenen Grundstücke geeinigt, nachdem X in seiner Eröffnungsbilanz sogar von einem Bodenwert von nur 5 DM/qm ausgegangen war. In dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid berechnete das FA den von der Klägerin erzielten steuerpflichtigen Betriebsveräußerungsgewinn auf 1 072 700 DM.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren beantragte die Klägerin im Verfahren vor dem Finanzgericht (FG), der Berechnung des steuerpflichtigen Betriebsveräußerungsgewinns ihre Einkommensteuererklärung zugrunde zu legen. Das FG ließ die Teilwerte der einzelnen an X veräußerten Wirtschaftsgüter durch einen Gartenbauingenieur und einen Architekten schriftlich begutachten. Die Gutachter setzten für den Grund und Boden einen Teilwert von 25 DM/qm an und berechneten die Summe der Teilwerte des an X veräußerten Betriebes auf 850 780 DM. Gegen das Gutachen erhob die Klägerin Einwendungen.
In seinem Urteil schloß sich das FG dem Gutachten an und setzte den Teilwert des Grund und Bodens mit 25 DM/qm an. Daß der Wertansatz von 40 DM/qm nicht zutreffen könne, begründete das FG auch damit, daß X in seinen Bilanzen zuerst 5 DM/qm und dann 16,25 DM für angemessen gehalten habe. Das FG teilte den von der Bundesrepublik und X insgesamt erzielten Erlös im Verhältnis der Teilwerte auf und berechnete den steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn auf 997 102 DM. Dementsprechend setzte es die Einkommensteuer herab und wies im übrigen die Klage ab.
Mit der Revision beantragt die Klägerin sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und den steuerfreien Gewinn aus der Veräußerung des Grund und Bodens nach einem Preis von 40 DM/qm zu berechnen, hilfsweise, den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen. Die Revision ist der Ansicht, daß 40 DM/qm als Durchschnittspreis für das gesamte Betriebsgrundstück anzusetzen seien. Dieser Wert habe aus dem - später aufgehobenen - Vertrag vom 5. Januar 1970 abgeleitet werden können. Wie die Klägerin im Verfahren vor dem FG stets hervorgehoben habe, lasse sich ein entsprechender Bodenwert auch aus anderen Ankäufen, die das zuständige Autobahnamt in der Nachbarschaft vorgenommen habe, ableiten. Die Bundesrepublik habe - auch schon vor Abschluß der hier zu beurteilenden Verträge - für Nachbargrundstücke Durchschnittspreise von nicht weniger als 40 DM/qm bewilligt. Mit diesem Vorbringen hätten sich die Gutachter und das FG nicht auseinandergesetzt.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Es hält das Gutachten der Sachverständigen für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Wird ein Betrieb veräußert, so ist das zu Buchwerten berechnete Betriebsvermögen mit dem erzielten Erlös zu vergleichen; der Differenzbetrag, vermindert um die Veräußerungskosten, tritt als Betriebsveräußerungsgewinn oder -verlust in Erscheinung. Wenn wie im Regelfall der Betriebsveräußerungsgewinn im ganzen zu versteuern ist, kommt es auf seiten des Veräußerers nicht darauf an, wie der Erlös auf die einzelnen Wirtschaftsgüter aufzuteilen ist.
Die Aufteilung des Gesamterlöses auf die einzelnen Wirtschaftsgüter erlangt aber steuerliche Bedeutung, wenn nicht bei allen Wirtschaftsgütern der durch die Veräußerung erzielte Gewinn der Besteuerung unterliegt. Dies ist nach § 4 Abs. 1 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1969 bei der Veräußerung von Grund und Boden, der zum Anlagevermögen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes gehörte, der Fall gewesen. Wie das FG zutreffend und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Urteile vom 20. August 1970 IV 143/64, BFHE 100, 97, BStBl II 1970, 807; vom 21. Januar 1971 IV 123/65, BFHE 102, 464, BStBl II 1971, 682) angenommen hat, ist die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG 1969, obwohl sie nicht im Einklang mit dem Grundgesetz (GG) stand, übergangsweise auf Veräußerungsvorgänge vor dem 1. Juli 1970 weiterhin anwendbar.
In solchen Fällen ist aber nicht nur eine Aufteilung des Gesamterlöses auf Grund und Boden einerseits und auf die anderen Wirtschaftsgüter andererseits erforderlich, vielmehr hat das FA auch Anlaß, eine von den Vertragspartnern selbst vorgenommene Aufteilung dahin zu überprüfen, ob sie ernstlich gewollt ist und den wirtschaftlichen Gegebenheiten entspricht (BFHE 102, 464, BStBl II 1971, 682). Wenn der Gewinn aus der Veräußerung des Grund und Bodens bei der Ermittlung des Betriebsveräußerungsgewinns außer Ansatz bleibt, ist der Veräußerungserlös nach dem Verhältnis der Teilwerte der einzelnen veräußerten Wirtschaftsgüter aufzuteilen (BFHE 102, 464, BStBl II 1971, 682). Hiervon ist das FG zutreffend ausgegangen.
Der Teilwert eines Wirtschaftsgutes ist der Betrag, den ein gedachter Erwerber des ganzen Betriebes im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Bei der Aufteilung des Gesamtkaufpreises auf einzelne Wirtschaftsgüter ist der Beurteiler auf Schätzungen angewiesen; die Schätzung wird durch Grenzwertvermutungen erleichtert, die die Rechtsprechung als Hilfsmittel aufgestellt hat. Die Obergrenze des Teilwerts eines einzelnen Wirtschaftsguts bildet der Wiederbeschaffungspreis, die Untergrenze der Einzelveräußerungspreis, d. h. der Preis, den der Steuerpflichtige hätte erzielen können, wenn er das Wirtschaftsgut am Stichtag einzeln ohne Rücksicht auf die Betriebszugehörigkeit veräußert hätte. Der Einzelveräußerungspreis fällt in der Regel mit dem Verkehrswert oder dem gemeinen Wert zusammen (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juni 1970 IV 166/65, BFHE 99, 482, BStBl II 1970, 721). Während jedoch bei der Ermittlung des gemeinen Werts ungewöhnliche und persönliche Verhältnisse außer Betracht bleiben (§ 9 Abs. 2 Satz 3 des Bewertungsgesetzes (BewG), sind sie bei der Ermittlung des erzielbaren Erlöses und des Teilwerts wie alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen, wenn sie ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter bei der Veräußerung berücksichtigt haben würde (vgl. BFH-Urteil vom 27. November 1974 R 250/72, BFHE 114, 236, BStBl II 1975, 306).
Soweit sich im Streitfall das Gutachten auf den Bodenwert bezieht, enthält es außer einer Beschreibung des Grundstücks und seiner Lage lediglich die Feststellung, daß "unter Berücksichtigung der günstigen Lage, der intensiven Nutzung durch beheizbare Unterglasanlagen und der Bewertung der Nachbargrundstücke" der Grund und Boden auf 25 DM/qm geschätzt werde.
Die unreflektierte Übernahme des vorliegenden Gutachtens als Urteilsgrundlage ist ein Verfahrensverstoß. Der Richter ist gehalten, selbständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob er dem Gutachten eines Sachverständigen folgen darf und weshalb er dies tut (Urteil des Reichsgerichts - RG - vom 15. Dezember 1939 IV 361/39, RGZ 162, 223, 227; vgl. auch Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 12. Januar 1976 VIII ZR 273/74, Betriebs-Berater 1976 S. 480 - BB 1976, 480 -). Die Prüfung erstreckt sich insbesondere auf die Frage, ob der Sachverständige von zutreffenden Tatsachenfeststellungen ausgegangen ist (BGH-Urteil vom 12. Juni 1963 IV ZR 12/63, Monatsschrift für Deutsches Recht 1963 S. 830 - MDR 1963, 830 -). Zu diesem Zweck muß der Sachverständige in seinem Gutachten angeben, welche Ausgangstatsachen er seinem Gutachten zugrunde gelegt (MDR 1963, 830) und aufgrund welcher Gesetzmäßigkeiten er kraft seiner besonderen Sachkunde auf bestimmte entscheidungserhebliche Anschlußtatsachen geschlossen hat. Die Ausgangstatsachen zu ermitteln, ist regelmäßig die Aufgabe des Richters und nur dann die Aufgabe des Sachverständigen, wenn es zu ihrer Feststellung gerade auf die Sachkunde des Gutachters ankommt (BGH-Urteil vom 13. Juli 1962 IV ZR 21/62, Neue Juristische Wochenschrift 1962 S. 1770 - NJW 1962, 1770 -).
Hier haben die Gutachter nicht mitgeteilt, wie sie zu Wiederbeschaffungskosten oder einem Einzelveräußerungspreis von 25 DM/qm gelangt sind. Es fehlen jegliche Angaben, ob sie den Wert aus bestimmten Verkaufsfällen abgeleitet und dabei die tatsächlichen Behauptungen der Klägerin berücksichtigt haben.
Die Klägerin hat sich in dem ganzen Verfahren darauf berufen, daß das zuständige Autobahnamt bereits vor dem hier in Rede stehenden Verkauf Durchschnittspreise - auch für Grundstücke mit Hinterland - von 40 DM/qm gezahlt habe. Es hätte sich dem FG aufdrängen müssen, hierzu eine Auskunft des zuständigen Autobahnamts einzuholen. Dies gilt um so mehr, als bereits in dem ersten Kaufvertrag zwischen der Klägerin und der Bundesrepublik über das ungeteilte Grundstück ein Durchschnittspreis für den Grund und Boden von 40 DM/qm angesetzt war. Die Behauptung des FA, die Wertbestimmung sei nicht ernsthaft getroffen worden, bedarf, insbesondere weil auf einer Vertragsseite eine Behörde beteiligt gewesen ist, der Untermauerung durch konkrete Tatsachen. Daß der erste Kaufvertrag mit der Bundesrepublik über das ungeteilte Grundstück sehr wohl ernsthaft gemeint gewesen sein kann, dürfte sich aus dem Umstand ergeben, daß die Klägerin in die Aufhebung des Vertrages erst eingewilligt hat, als der Vertrag mit X verbindlich zustande gekommen war. Es fehlt an nachprüfbaren Anhaltspunkten, weshalb die Klägerin sich bei der Veräußerung des Betriebes an X mit einem geringeren Durchschnittspreis begnügen wollte, wenn sie auf der Erfüllung des Vertrages mit der Bundesrepublik über einen höheren Durchschnittspreis hätte bestehen können.
Aus den von dem Autobahnamt beim Ankauf von Gelände für den geplanten Autobahnstrang bewilligten Preisen können entgegen der Ansicht des FA Rückschlüsse auf den Teilwert des Grund und Bodens gezogen werden. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der Ankauf von Grund und Boden in einem Ausmaß, wie er für den Bau eines Autobahnstrangs erforderlich ist, im örtlichen Bereich zu einer wesentlichen Verknappung des Grund und Bodens führt. Dieser Umstand wirkt sich nach den Regeln des Marktgeschehens auf das Gefüge der Wiederbeschaffungs- und Einzelveräußerungspreise im Bereich des relevanten örtlichen Grundstücksmarktes aus und muß deshalb bei der Ermittlung von Wiederbeschaffungskosten und Einzelveräußerungspreisen und bei der Schätzung von Teilwerten angemessen berücksichtigt werden, sofern das Ansteigen der Preise nicht erst nach dem jeweiligen Verkaufsstichtag eingesetzt hat.
Das FA kann sich zur Stützung seiner Ansicht nicht auf einen Einheitswert des Betriebs(-grundstücks) berufen, weil sich aus dem Einheitswert landwirtschaftlicher Betriebe in der Regel nicht auf den Wiederbeschaffungs- und Einzelveräußerungswert des Grund und Bodens schließen läßt.
Ein Durchschnittswert von 25 DM/qm kann auch nicht, wie das FG versucht, damit begründet werden, daß X in seiner Eröffnungsbilanz von 5 DM/qm ausgegangen ist und sich später mit dem FA auf 16,25 DM/qm geeinigt hat. Daraus kann nur geschlossen werden, daß X bestrebt war, zur Minderung seiner steuerlichen Belastung möglichst viel Abschreibungs- und Aufwandsvolumen zu schaffen. Das steuerliche Interesse des X hat denn auch das FG nicht verkannt. Dann aber war es nicht angängig, die einseitige Wertvorstellung des auf seinen steuerlichen Vorteil bedachten X zur Stützung des Urteils heranzuziehen.
Fundstellen
Haufe-Index 74204 |
BStBl II 1982, 258 |
BFHE 1982, 6 |