Leitsatz (amtlich)
Übt ein selbständig tätiger Arzt seinen Beruf in der Weise aus, daß er --ohne eine eigene Praxis zu unterhalten-- bei anderen Ärzten in einem Umkreis von 25 km Praxisvertretungen übernimmt, so kann er für die mit dem eigenen Kraftfahrzeug durchgeführten Fahrten zwischen seiner Wohnung und den einzelnen Praxen nur einen Betrag von 0,36 DM je Entfernungskilometer als Betriebs- ausgaben geltend machen.
Normenkette
EStG 1981 § 4 Abs. 5 Nr. 6, § 9 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 1 S. 3 Nr. 4
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Sie werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin bezieht als Ärztin Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Sie übt ihren Beruf in der Weise aus, daß sie --ohne eigene Praxis-- bei anderen Ärzten Praxisvertretungen übernimmt. Im Streitjahr 1982 war sie in insgesamt sechs Praxen tätig, die von der Wohnung der Klägerin zwischen acht und 14 km entfernt lagen.
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1982 machte die Klägerin für die mit dem eigenen PKW durchgeführten Fahrten zwischen ihrer Wohnung und den jeweiligen Praxen Aufwendungen in Höhe von 0,36 DM je gefahrenen Kilometer als Betriebsausgaben geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erkannte dagegen bei der Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer unter Hinweis auf § 4 Abs.5 Nr.6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nur die Fahrtaufwendungen in Höhe des Pauschsatzes von 0,36 DM je Entfernungskilometer als Betriebsausgaben an.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, nach § 4 Abs.5 Nr.6 EStG dürften Aufwendungen für Fahrten des Steuerpflichtigen zwischen Wohnung und Betriebstätte den Gewinn nicht mindern, soweit sie die in entsprechender Anwendung des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG sich ergebenden Beträge (0,36 DM je Entfernungskilometer) überstiegen. Dies bedeute, daß die in § 9 Abs.1 Nr.4 EStG für Arbeitnehmer vorgeschriebene Begrenzung des Abzugs auf 0,36 DM je Entfernungskilometer auch für Steuerpflichtige mit Gewinnermittlung nach §§ 4 oder 5 EStG gelte. Dagegen sei die sinngemäße Anwendung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), die für Arbeitnehmer mit ständig wechselnden Einsatzstellen den vollen Abzug der Fahrtkosten zulasse (Urteile vom 11.Juli 1980 VI R 198/77, BFHE 131, 64, BStBl II 1980, 654, und vom 12.August 1983 VI R 155/80, BFHE 139, 190, BStBl II 1983, 718), auf den Streitfall nicht möglich. Denn zwischen Arbeitnehmern und freiberuflich tätigen Praxisvertretern bestünden Unterschiede. Anders als bei Arbeitnehmern, die kraft der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers zu wechselnden Einsatzstellen entsandt werden, könne ein selbständig tätiger Praxisvertreter von Fall zu Fall selbst entscheiden, ob er eine Vertretung übernehmen wolle oder nicht. Hierbei könne er auch in bestimmtem Umfang die Höhe der Fahrtaufwendungen beeinflussen, indem er z.B. nur Vertretungen in nahegelegenen Betriebstätten übernehme. Darüber hinaus habe er es in der Hand, Praxisvertretungen ggf. nur bei Erstattung der Fahrtaufwendungen zu übernehmen. Die hierin liegenden Unterschiede im Verhältnis zu den Arbeitnehmern mit ständig wechselnden Einsatzstellen rechtfertigten eine unterschiedliche Behandlung der Fahrtaufwendungen.
Gegen das Urteil des FG legten die Kläger die --vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene-- Revision ein. Sie rügen die Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragen, das FG-Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung so abzuändern, daß für die Fahrten der Klägerin zwischen Wohnung und den Vertretungspraxen ein Betrag von 0,36 DM je gefahrenen Kilometer als Betriebsausgaben berücksichtigt und die Steuer entsprechend niedriger festgesetzt wird, hilfweise, das FG- Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß die Klägerin bei der Ermittlung ihres Gewinns ihre Aufwendungen für die Fahrten zwischen der Wohnung und ihren jeweiligen Vertretungspraxen nur in Höhe von 0,36 DM je Entfernungskilometer als Betriebsausgaben absetzen kann.
1. Nach § 4 Abs.5 Nr.6 EStG 1982 dürfen Aufwendungen für Fahrten des Steuerpflichtigen zwischen Wohnung und Betriebstätte den Gewinn nicht mindern, soweit sie die Beträge übersteigen, die sich in entsprechender Anwendung des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG ergeben. Das bedeutet, daß bei Fahrten mit dem eigenen Kraftwagen die Aufwendungen für jeden Arbeitstag, an dem das Fahrzeug benutzt wird, nur in Höhe von 0,36 DM je Entfernungskilometer als Betriebsausgaben anerkannt werden.
Die gesetzliche Regelung des § 4 Abs.5 Nr.6 EStG geht zurück auf das Steueränderungsgesetz vom 23.Dezember 1966 (BGBl I 1966, 702, BStBl I 1967, 2), das die für den Werbungskostenabzug bei Arbeitnehmern maßgebende Kilometerpauschale auch auf den Bereich der Gewinneinkünfte erstreckte. Aufwendungen von Gewerbetreibenden und Freiberuflern für Fahrten zwischen Wohnung und Betrieb werden seither in gleichem Umfang wie entsprechende Aufwendungen von Arbeitnehmern berücksichtigt. Diese Gleichstellung wird vom Bundesverfassungsgericht --BVerfG-- (Beschluß vom 2.Oktober 1969 1 BvL 12/68, BVerfGE 27, 58, BStBl II 1970, 140) im Hinblick auf den Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes --GG--) als geboten angesehen. Der Gleichstellungszweck ist auch bei der Auslegung des § 4 Abs.5 Nr.6 EStG zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 31.Mai 1978 I R 69/76, BFHE 125, 381, BStBl II 1978, 564).
2. Wenn nach dem Zweck des § 4 Abs.5 Nr.6 EStG beim Abzug der dort genannten Fahrtkosten die Gewerbetreibenden und selbständig Tätigen den Arbeitnehmern gleichzustellen sind, dann müssen auch die für Arbeitnehmer geltenden Ausnahmen von der Abzugsbeschränkung im Falle gleichliegender Sachverhalte bei den Gewerbetreibenden und den selbständig Tätigen grundsätzlich ebenso gelten.
a) Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil in BFHE 131, 64, BStBl II 1980, 654) ist die Regelung des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG ausnahmsweise dann nicht anzuwenden, wenn Arbeitnehmer auf ständig wechselnden auswärtigen Einsatzstellen tätig sind. In diesen Fällen sind grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen für die Fahrten mit dem eigenen Kraftwagen zu der jeweiligen Einsatzstelle als Werbungskosten abziehbar. Der VI.Senat des BFH hat diese Ausnahme von der pauschalen Begrenzung des Werbungskostenabzugs damit begründet, daß Arbeitnehmer, die keine feste Arbeitsstätte haben, sondern vielmehr an ständig wechselnden Einsatzstellen tätig werden, nicht die Möglichkeit hätten, durch entsprechende Wohnsitznahme selbst die Höhe der Fahrtaufwendungen zu bestimmen. Allerdings könne diese Ausnahme dann nicht gelten, wenn die verschiedenen Einsatzstellen innerhalb eines in sich geschlossenen, nicht weit auseinandergezogenen und überschaubaren Gebiets liegen (BFH-Urteil vom 2.November 1984 VI R 38/83, BFHE 142, 389, BStBl II 1985, 139). Sei ein Arbeitnehmer an verschiedenen Einsatzorten in einer Entfernung von seiner Wohnung tätig, wie sie auch von vielen anderen Arbeitnehmern mit einer festen Arbeitsstätte täglich zurückgelegt würden (12 bis 25 km), so seien die Aufwendungen für die Fahrten mit dem eigenen PKW von der Wohnung zu den verschiedenen Einsatzorten und zurück nur mit den Pauschsätzen des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG abziehbar (BFH-Urteil vom 10.Mai 1985 VI R 157/81, BFHE 144, 46, BStBl II 1985, 595).
b) Bei Anwendung dieser durch die Rechtsprechung entwickelten Rechtsgrundsätze auf selbständig Tätige ergibt sich, daß auch diese Steuerpflichtigen ihre Fahrtkosten trotz ständig wechselnden Einsatzorten nicht in voller Höhe absetzen können, wenn diese Einsatzorte nicht weiter von der Wohnung entfernt liegen als 25 km.
Schon aus diesem Grunde kann die Klägerin, die nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt Praxisvertretungen in einer Entfernung von höchstens 14 km von ihrer Wohnung übernahm, die volle Abziehbarkeit ihrer Fahrtkosten nicht beanspruchen. Sie muß sich vielmehr mit der pauschalen Abgeltung nach § 4 Abs.5 Nr.6 EStG begnügen.
Fundstellen
Haufe-Index 61896 |
BStBl II 1988, 334 |
BFHE 151, 413 |
BFHE 1988, 413 |