Leitsatz (amtlich)
1. Beim Bestehen einer echten Ladengemeinschaft mehrerer Unternehmer sind die Grundsätze über den Verkauf im eigenen Laden (sog. Ladenrechtsprechung) nicht anzuwenden. In einem solchen Fall handelt es sich um verschiedene Unternehmer, die mit den Entgelten der von ihnen bewirkten Lieferungen zur Umsatzsteuer heranzuziehen sind, ohne daß die Umsätze des einen dem anderen zugerechnet werden dürfen.
2. Zu den Voraussetzungen, unter denen eine echte Ladengemeinschaft umsatzsteuerrechtlich anerkannt werden kann.
Normenkette
UStG § 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtiger) unterhält neben anderen Betrieben zwei unmittelbar nebeneinander liegende räumlich durch zwei Wandöffnungen verbundene Restaurants, in denen er die Gäste durch Kellner und Serviererinnen mit Getränken bedienen läßt. Diese holt das Bedienungspersonal von zwei Theken ab, die an einer der beiden Wandöffnungen stehen. Die Restaurationsküche in den genannten Gaststätten betreibt ein Pächter, dem durch eine als Mietvertrag bezeichnete schriftliche Vereinbarung vom 29. Oktober 1957 der zu einem der beiden Restaurants gehörende Küchenraum im 1. Stockwerk "zur Errichtung eines eigenen Gewerbebetriebs" überlassen wurde, um alle "in den Lokalen ... verabreichten Speisen" zu liefern. Ihm steht jedoch nicht nur die Küche zur Verfügung, sondern auch ein mit dieser durch einen Aufzug verbundener Raum mit einem Warmhalteofen, anderem Inventar und einer Registrierkasse. Der Pächter mußte seinen Betrieb bei der Gewerbepolizei anmelden. Er stellt entsprechend seiner vertraglichen Verpflichtung das zur Einrichtung einer Restaurationsküche notwendige Inventar, ferner das zur Bedienung der Gäste erforderliche Geschirr und silberne Eßbestecke. Diese sind mit seinem vollen Namen, jenes ist mit den Anfangsbuchstaben seines Namens gekennzeichnet. Es liegen in den Gasträumen getrennte Getränke- und Speisekarten aus. Die letzten tragen neben der Bezeichnung der Gaststätte unter dem Hinweis "Speisen-Karte" den Vermerk: Restaurationsküche und den Namen des Pächters. Dieser ist gegenüber dem Steuerpflichtigen nicht weisungsgebunden, er kauft selbst ein, stellt die Speisekarten auf und trägt alle mit dem Küchenbetrieb zusammenhängenden Unkosten einschließlich der Löhne und Gehälter des Küchenpersonals. Mit dem Personal, das die Gäste mit Getränken und Speisen bedient, besteht je ein Arbeitsvertrag des Steuerpflichtigen und des Pächters, die beide nach den gezahlten Bruttovergütungen getrennt Steuerabzugsbeträge einbehalten und abführen sowie Beiträge zur Berufsgenossenschaft leisten. Die Kellner und Serviererinnen rechnen mit den Gästen die verzehrten Getränke und Speisen nicht gesondert ab, sie erteilen vielmehr auf Zetteln, mit denen Werbung für eine Brauerei betrieben wird, eine Gesamtabrechnung. Die kassierten Beträge werden, nach Getränken und Speisen aufgeteilt, in die Registrierkasse des Steuerpflichtigen oder in die des Pächters eingelegt bzw. über diese zur Abrechnung verbucht.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA), der den Steuerpflichtigen nach dem Ergebnis einer Betriebsprüfung bis einschließlich 1959 nur mit den Pachtentgelten aus dem Küchenbetrieb zur Umsatzsteuer herangezogen hatte, rechnete dem Steuerpflichtigen bei der erstmaligen Veranlagung für 1960 die Küchenumsätze voll hinzu, weil nur er nach außen als Unternehmer auftrete. Das FA bezog sich in der Einspruchsentscheidung auf das Urteil des BFH V 156/58 vom 28. Juli 1960 (StRK, Umsatzsteuergesetz, § 2 Abs. 1, Rechtsspruch 80).
Das FG gab der Berufung (jetzt Klage) des Steuerpflichtigen statt. Es hat durch den Berichterstatter der Kammer in Gegenwart der Prozeßbeteiligten bzw. deren Vertreter eine Ortsbesichtigung durchführen lassen, bei der der Küchenpächter und der Oberkellner informatorisch gehört wurden. Auf Grund der tatsächlichen Feststellungen und unter Berücksichtigung der vertraglichen Beziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Pächter ist die Vorinstanz zu dem Ergebnis gekommen, daß eine echte Ladengemeinschaft von zwei Unternehmern vorliege, bei der die Grundsätze der sog. Ladenrechtsprechung nicht anwendbar seien.
Mit der als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde (§§ 184 Abs. 2, 115 ff. FGO rügt das FA unter Hinweis auf die Rechtsprechung und das Schrifttum eine Verletzung von Bundesrecht. Bei dem Steuerpflichtigen und dem Küchenpächter handele es sich zwar um zwei Unternehmer. Das Bestehen einer Ladengemeinschaft dieser beiden Unternehmer sei jedoch nicht anzunehmen, weil nur der Steuerpflichtige als Gastwirt den Kunden nach außen erkennbar gegenübertrete, während der Pächter als zweiter Unternehmer in den Gasträumen nicht aufgetreten sei. Daher müßten die Grundsätze über den Verkauf im eigenen Laden angewendet werden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision kann keinen Erfolg haben.
Das FG ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH (Urteile V 164/61 vom 11. Juli 1963, HFR 1964, 100, und V 155/60 vom 14. Februar 1963, HFR 1963, 317) zutreffend davon ausgegangen, daß beim Vorliegen einer echten Ladengemeinschaft mehrerer Unternehmer die Grundsätze über den Verkauf im eigenen Laden nicht anzuwenden sind und daß in einem solchen Fall jeder Unternehmer mit den von ihm erzielten Umsätzen zur Umsatzsteuer heranzuziehen ist. Es hat auch unter Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 FGO) auf Grund der tatsächlichen, vom FA im einzelnen nicht bestrittenen Feststellungen ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze und bei richtiger Würdigung des Vertrags vom 29. Oktober 1957 eine Ladengemeinschaft des Steuerpflichtigen mit dem Pächter angenommen.
Im allgemeinen wird umsatzsteuerechtlich das Bestehen einer Ladengemeinschaft anerkannt, wenn mehrere Unternehmer in einem Laden räumlich getrennte Betriebe unterhalten und dort Waren im eigenen Namen und für eigene Rechnung zum Verkauf anbieten. Im einzelnen wird von der Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil V 155/60 vom 14. Februar 1963, a. a. O.) und der Verwaltung (siehe Rundverfügung der OFD Hannover vom 18. August 1967, Umsatzsteuer-Rundschau 1967 S. 326) verlangt, daß zwischen den Unternehmern ein Miet- (bzw. Untermiet-) Vertrag oder ein anderes zur Nutzung der Geschäftsräume berechtigendes Rechtsverhältnis besteht, das klar und eindeutig festgelegt ist und auch tatsächlich durchgeführt wird. Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Die Vorinstanz konnte im Rahmen der ihr als Tatsachengericht zustehenden Beweiswürdigung zu der Überzeugung kommen, daß der Vertrag vom 29. Oktober 1957 sich nicht nur auf die Überlassung des Küchenraums beschränkt, sondern dem Pächter das Recht einräumt, auch in den Restaurationsräumen tätig zu werden. Diese Auffassung wird durch den Wortlaut der Vereinbarung vom 29. Oktober 1957 gestützt, in der es heißt, der von dem Pächter zu errichtende eigene "Gewerbebetrieb umfaßt ausschließlich die Belieferung (gemeint ist offensichtlich die Lieferung) aller in den Lokalen ... verabreichten Speisen". Der Pächter war also vertraglich nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, in den Restaurants als Unternehmer durch Verabreichung von Speisen tätig zu werden. Damit war ihm ein Recht auf Nutzung aller zur Bedienung der Gäste vorgesehenen Räume überlassen, und zwar auf Grund von Abmachungen, die das insoweit rechtserhebliche Innenverhältnis zwischen den an der Ladengemeinschaft beteiligten Unternehmern klar und eindeutig regeln. Dem entspricht auch, daß das Bedienungspersonal im Gegensatz zu den am Büfett (Theke) und in der Küche beschäftigten Arbeitnehmern sowohl von dem Steuerpflichtigen als auch von dem Pächter eingestellt und getrennt entlohnt wird.
Ein weiteres Anzeichen für das Bestehen einer echten Ladengemeinschaft, daß nämlich der Steuerpflichtige und der Pächter in irgendeiner Weise auch nach außen hin als Unternehmer in Erscheinung treten, liegt ebenfalls vor. Denn auch der Pächter, der alle Zutaten zur Herstellung der Speisen im eigenen Namen und auf seine Rechnung einkaufen muß, tritt z. B. den Lieferanten dieser Waren, den Elektrizitäts-, Gas- und Wasserwerken sowie den Behörden (FA, Gewerbepolizei) als Unternehmer gegenüber.
Es besteht auch eine getrennte Kassenführung beider Unternehmer. Das Bedienungspersonal, das zwar Getränke und Speisen dem Gast gegenüber auf einem Zettel abrechnet, führt die eingenommenen Beträge zwei räumlich getrennt stehenden Registrierkassen zu, von denen die eine dem Steuerpflichtigen und die andere dem Pächter zur Verbuchung und Aufnahme der Entgelte zur Verfügung stehen. Der Steuerpflichtige ist somit weder tatsächlich in der Lage noch berechtigt, über Beträge zu verfügen, die in die Kasse des Pächters eingelegt worden sind oder mit diesem unmittelbar abgerechnet werden.
Bei dieser Sachlage konnte das FG ohne Rechtsirrtum davon ausgehen, daß zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Pächter im Jahr 1960 eine umsatzsteuerrechtlich anzuerkennende Ladengemeinschaft bestand, die den vernünftigen wirtschaftlichen Interessen der beiden daran Beteiligten entsprach. Diese haben durch Anbringung von Schildern an den Eingängen und in den Räumen der Restaurants außerdem erkennbar gemacht, daß zwei Unternehmer in den Lokalen tätig sind. Dies geht u. a. auch aus der Auslage getrennter Getränke- und Speisekarten hervor, von denen diese neben der Bezeichnung des Restaurants nur den Namen des Pächters angeben, ohne einen Hinweis auf den Inhaber der Gaststätten zu enthalten. Wesentlich erscheint in diesem Zusammenhang ferner, daß der Pächter auf Grund der Dienstverträge mit den einzelnen Kellnern und Serviererinnen Bestellungen durch eigenes Personal entgegennimmt und die Speisen von eigenen Arbeitnehmern liefern läßt. In den Urteilen V 214/59 U vom 7. Juni 1962 (BFH 75, 262, BStBl III 1962, 361) und V 121/60 vom 8. November 1962 (HFR 1963, 377) hat der Senat, ohne eine Ladengemeinschaft ausdrücklich anzuerkennen, darauf hingewiesen, daß besondere Verhältnisse oder Umstände zu einer von der sog. Ladenrechtsprechung abweichenden Beurteilung führen können, wenn erkennbar zwei Unternehmer im Geschäftslokal durch eigene Angestellte tätig werden, weil die Verkäufe dann dem Unternehmer zuzurechnen sind, für den die Angestellten handeln.
Im gegebenen Fall liegt, wie oben dargestellt, eine echte Ladengemeinschaft des Steuerpflichtigen mit einem anderen Unternehmer, dem Pächter der Restaurationsküche, vor. Die Rechtsprechung über den Verkauf im eigenen Laden, bei der zur Klärung der Frage, ob jemand Vermittler oder Eigenhändler ist, das Auftreten den Kunden gegenüber entscheidende Bedeutung hat, ist hier demzufolge nicht anwendbar.
Wenn sich das FA in der Einspruchsentscheidung auf das Urteil V 156/58 vom 28. Juli 1960 (a. a. O.) bezieht, hat es nicht beachtet, daß es sich zwar um einen ähnlichen, jedoch in wesentlichen Punkten anders gelagerten Sachverhalt als im vorliegenden Fall handelt. Dem genannten Urteil kann nicht entnommen werden, ob das Recht des Pächters sich auf die Restaurationsräume erstreckte und ob er sich als Unternehmer am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr beteiligt hat. Das Bedienungspersonal war nur vom Gastwirt angestellt und die Speisekarten trugen dessen Namen mit einem Hinweis auf den Pächter. Auch für eine getrennte Kassenführung liegen Anhaltspunkte nach der Sachverhaltsdarstellung nicht vor. Eine typisierende Betrachtung lehnte der Senat ab. Er führte nämlich aus: "Im vorliegenden Falle gehört sowohl der Ausschank von Getränken als auch die Abgabe von Speisen an Gäste zum Gastwirtsgewerbe." Gemeint ist damit lediglich das unter besonderen Umständen betriebene Gewerbe des damaligen Rechtsmittelführers.
Auch der Hinweis des FA auf die Ausführungen bei Hartmann-Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, Kommentar (5. Auflage), Erläuterung 108 zu § 3, kann nicht zu einer anderen Beurteilung führen. Die Erläuterungen 98 ff. zu § 3 sind überschrieben: "IV. Eigenhändler, Kommissionär und Agent (Handeln im eigenen oder im fremden Namen)." Sie beziehen sich also auf die Grundsätze der sog. Ladenrechtsprechung und geben diese richtig wieder, ohne in dem vom FA wörtlich zitierten Teil auf den besonderen Fall einer Ladengemeinschaft einzugehen. Im nächsten, vom FA nicht angeführten Satz der Erläuterung 108 und in der Erläuterung 113 werden Fälle angesprochen (Verkauf in Gaststätten durch Angestellte eines anderen Unternehmers bzw. Reklameverkäufe in Ladengeschäften), in denen - wie im vorliegenden Fall - nicht zu entscheiden ist, ob ein Handeln im eigenen oder fremden Namen gegeben ist, sondern beurteilt werden muß, welcher Unternehmer (im eigenen Namen handelnd) die Ware liefert. Lieferer der Speisen ist im gegebenen Fall bei dem festgestellten Bestehen einer Ladengemeinschaft der Pächter. Ihm allein und nicht auch dem Steuerpflichtigen sind die Küchenumstäze zuzurechnen.
Fundstellen
BStBl II 1969, 361 |
BFHE 1969, 201 |