Leitsatz (amtlich)
Die Vermutung, der gemeine Wert von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die sich im Aufbau befindet (Abschn. 89 VStR 1963), sei der Wert des eingezahlten Kapitals, kann durch den Nachweis entkräftet werden, daß die Gründung der GmbH eindeutig eine Fehlmaßnahme war oder daß das eingezahlte Kapital für wertlose Fehlmaßnahmen ausgegeben wurde.
Normenkette
BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 13 Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist der gemeine Wert der Anteile an einer GmbH zum 31. Dezember 1962.
Die GmbH wurde durch notariellen Vertrag vom 30. März 1962 gegründet. Gesellschaftszweck sind die Herstellung und der Vertrieb von Maschinen aller Art.
An dem zum 31. Dezember 1962 eingezahlten Stammkapital waren die Klägerin (und Revisionsklägerin) und die Beigeladenen beteiligt. Durch Beschluß vom 13. Dezember 1962 wurde das Stammkapital der GmbH erhöht.
Das Betriebsvermögen der GmbH wurde zum 1. Januar 1963 auf ... DM festgestellt. Zum 31. Dezember 1962 schloß die GmbH mit einem Verlust ab. Die von der GmbH entwickelten Maschinen befanden sich am 31. Dezember 1962 noch im Konstruktionsstadium. Im Jahr 1962 erzielte die GmbH noch keine Umsätze.
Dem Begehren der GmbH, den gemeinen Wert ihrer Anteile wegen ihres negativen Einheitswerts und des Betriebsverlustes auf 0 DM festzustellen, gab das FA (Beklagter und Revisionsbeklagter) nicht statt. Unter Hinweis auf Abschn. 89 Abs. 1 VStR 1963 stellte das FA den gemeinen Wert der Anteile zum 31. Dezember 1962 auf 100 DM je 100 DM Stammkapital fest.
Der Einspruch der Klägerin und der drei Beigeladenen und die von der Klägerin eingelegte Berufung blieben erfolglos. Das FG begründete seine Entscheidung im wesentlichen damit, daß bei Gesellschaften, die sich im Aufbau befänden, der gemeine Wert nach der Sonderregelung des Abschn. 89 Abs. 1 VStR 1963, die der Rechtsprechung des RFH (III 140/38 vom 11. Mai 1939, RStBl 1939, 805) und des BFH (III 365/61 U vom 23. Oktober 1964, BFH 81, 178, BStBl III 1965, 64) entspreche, in der Regel auf 100 v. H. je 100 DM Stammkapital festzustellen sei. Danach seien im Streitfall die Betriebsverluste der Anlaufjahre 1962, 1963 und 1964 nicht zu berücksichtigen. Hierbei handle es sich um Verluste, die infolge Neugründung der Gesellschaft entstanden seien. Es wäre atypisch, wenn in der Anlaufzeit Gewinne erzielt worden wären. Nach betriebswirtschaftlichen Erfahrungen stehe fest, daß bei jeder technisch komplizierten Maschine die Herstellung der ersten Serien immer am schwierigsten und damit am kostspieligsten sei. In diesem Zusammenhang habe der eine Beigeladene in der mündlichen Verhandlung von Fehlmaßnahmen in den ersten Jahren nach Gründung der GmbH gesprochen. Er habe ferner darauf hingewiesen, daß ein großer Teil des Kapitals durch Experimente der in der GmbH beschäftigten Techniker verbraucht worden sei. Weiter habe er ausgeführt, bei Gründung der GmbH sei damit gerechnet worden, daß die GmbH nach vier oder fünf Jahren mit Gewinn arbeiten werde. Hieraus folgert die Vorinstanz, es sei keine Ausnahme, daß die GmbH in den Jahren nach ihrer Gründung habe Verluste hinnehmen müssen. Die große Mehrheit neu gegründeter Betriebe, deren Unternehmenszweck in der Konstruktion von Maschinen und Apparaten bestehe, zeigten diese oder eine ähnliche Entwicklung. Auf den gemeinen Wert der Anteile zum 31. Dezember 1962 könnten sich demzufolge die negativen Betriebsergebnisse und als deren Folge das negative Betriebsvermögen der Folgejahre nicht auswirken. Für die Ermittlung des gemeinen Wertes der Anteile sei ferner wesentlich, daß die bei der Entwicklung der Maschinen gesammelten positiven und negativen Erfahrungen als solche zwar nicht bewertungsfähig, aber doch mit dem Betrieb eng verbunden seien und bei einer etwaigen Veräußerung den Preis der Anteile beeinflußt hätten. Im übrigen spreche die ständige Erhöhung des Stammkapitals bis zum 31. Dezember 1966 dagegen, die Anteile an der Klägerin zum 31. Dezember 1962 als wertlos anzusehen. Die Gesellschafter der Klägerin hätten wohl kaum die nicht unerheblichen Kapitalerhöhungen beschlossen, wenn sie den Wert der GmbH und damit ihre Anteile nicht entsprechend eingeschätzt hätten.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 13 Abs. 2 BewG. Nach Abschn. 89 Abs. 1 VStR 1963 seien Anteile an einer Gesellschaft, die sich im Aufbau befinde, zwar in der Regel mit 100 v. H. des eingezahlten Nennkapitals zu bewerten. Den Entscheidungen des RFH (III 140/38 vom 11. Mai 1939, RStBl 1939, 805) und des BFH (III 368/57 vom 13. Mai 1960, HFR 1961, 97, StRK, Bewertungsgesetz, § 13 Rechtsspruch 5; III 365/61 U vom 23. Oktober 1964, BFH 81, 178, BStBl III 1965, 64) habe kein dem Streitfall vergleichbarer Sachverhalt zugrunde gelegen. Während in den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen keine Vermögenseinbuße durch Produktionsverluste eingetreten sei und das Vermögen in jenen Fällen zu Recht mit 100 v. H. des eingezahlten Kapitals habe angesetzt werden können, sei im Streitfall das Vermögen der GmbH durch Betriebsverluste restlos verbraucht und demzufolge der für das Betriebsvermögen festgestellte Einheitswert negativ.
Der Begriff "Gesellschaft, die sich im Aufbau befinde", sei in keinem der bisher ergangenen Urteile erläutert worden. Nach ihrer Auffassung verstehe die Rechtsprechung darunter Unternehmen, die nicht bereits im Jahre der Gründung die Produktion aufnehmen könnten. Die von solchen Unternehmen während der Anlaufzeit erlittenen Verluste seien nicht, wie bei ihr, Produktionsverluste, sondern beruhten im wesentlichen auf Verwaltungsausgaben. Solche Unkosten müßten stets bei Gründung von Unternehmen in Kauf genommen werden. Denn jeder Kaufmann sei sich bei Gründung eines Unternehmens bewußt, daß in der Aufbauzeit Unkosten und Zinsen anfielen. Im Streitfall handle es sich nicht um ein Unternehmen im Aufbau. Die Gesellschaft sei am 30. März 1962 gegründet worden und habe bereits am 1. April 1962 mit der Fertigung von Spezialmaschinen begonnen. Die im vorliegenden Fall entstandenen Verluste seien keine Anlaufverluste im Sinne von Abschn. 89 Abs. 1 VStR 1963, sondern echte Produktionsverluste, die mit der Gründung ursächlich nichts zu tun hätten. Voraussehbare Anlaufverluste im ersten Jahre des Bestehens in Höhe von 100 v. H. und mehr des eingezahlten Kapitals gebe es nicht. Es handle sich dabei um einen Katastrophenfall. Aus der Bezeichnung des Betriebsverlusts 1962 als Entwicklungsverlust in der Gewinn- und Verlustrechnung habe das FG falsche Schlüsse gezogen. Entwicklungsverluste wirkten sich im Streitfall ebenso wie bei einem schon lange Jahre bestehenden Unternehmen auf das Vermögen aus. Sei das eingezahlte Kapital, ohne daß ein Gegenwert vorhanden sei, verbraucht, entspreche die Unterstellung in Abschn. 89 Abs. 1 VStR 1963 nicht mehr dem Bewertungsgrundsatz des § 13 Abs. 2 BewG, nach dem der gemeine Wert unter Berücksichtigung des effektiv vorhandenen Vermögens zu schätzen sei. § 13 Abs. 2 Satz 2 BewG kenne für die Schätzung des gemeinen Wertes zwei selbständige, voneinander unabhängige Komponenten, das Vermögen und die Ertragsaussichten. Es erscheine möglich, bei neu gegründeten Unternehmen die Ertragsaussichten unberücksichtigt zu lassen, wenn die ersten Jahre nach Gründung Verluste auswiesen. Die "negativen" Ertragsaussichten führten dann zu keiner Ermäßigung des festgestellten Vermögenswertes. Es bedeute jedoch einen Verstoß gegen § 13 Abs. 2 BewG, für ein effektiv nicht vorhandenes Vermögen einen Vermögenswert zu konstruieren und diesen steuerlich zu erfassen.
Die Gesellschafter hätten der GmbH nach Verbrauch des zunächst eingezahlten Kapitals immer wieder neue Mittel in der Hoffnung zur Verfügung gestellt, daß sich vielleicht die jeweils nächste Kapitalhingabe rentieren werde. Die von der GmbH konstruierten Maschinen seien nicht dadurch wertvoller geworden, daß viel Arbeit und Zeit hineingesteckt worden und dennoch Fehlentwicklungen eingetreten seien. Zu Unrecht habe das FG aus den Kapitalerhöhungen gefolgert, die Gesellschafter hätten den gemeinen Wert der Anteile höher eingeschätzt. Die Kapitalerhöhungen seien zum jeweiligen Ausgleich der effektiv eingetretenen Betriebsverluste nötig gewesen, um den drohenden Konkurs abzuwenden.
Die Klägerin beantragt, den gemeinen Wert der Anteile zum 1. Januar 1963 auf 0 DM festzustellen.
Das FA hält die Revision für unbegründet.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Nichtnotierte Anteile einer GmbH sind gemäß § 13 Abs. 2 BewG in der zum Stichtag geltenden Fassung (BewG a. F.) mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Läßt sich der gemeine Wert nicht aus zeitnahen Verkäufen ableiten, ist er - wie die Vorinstanz zu Recht ausführt - unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten zu schätzen. Das Stuttgarter Verfahren ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein geeignetes, wenngleich die Gerichte nicht bindendes Verfahren zur Ermittlung des gemeinen Werts nichtnotierter Anteile. Für die Bewertung von Anteilen an neu gegründeten Kapitalgesellschaften enthält Abschn. 89 Abs. 1 VStR 1963 eine Sonderregelung. Hiernach ist der Wert von Anteilen an Kapitalgesellschaften, die sich im Aufbau befinden, in der Regel mit 100 v. H. des eingezahlten Nennkapitals zu bewerten. Diese Regelung geht zurück auf die Entscheidung des RFH III 140/38 (a. a. O.). Danach kann bei einer Gesellschaft, die sich im Aufbau befindet, unterstellt werden, daß den Gründern der Gesellschaft die Anteile noch soviel wert sind, wie sie für deren Erwerb an Kapital aufgewendet haben. Der Senat räumt zwar ein, daß jene Entscheidung zu einem dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbaren Tatbestand ergangen ist. Indes handelt es sich bei den in jener Entscheidung entwickelten Erwägungen um über den Einzelfall hinausgehende, allgemeingültige Grundsätze, die der Senat in den Urteilen III 368/57 (a. a. O.) und III 365/61 (a. a. O.) bestätigt hat.
Mit dem FG ist im Streitfall davon auszugehen, daß sich die GmbH zum 31. Dezember 1962 noch im Aufbau befand. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Aufbauzeit bei einem Unternehmen, dessen Zweck die Konstruktion und die Herstellung von Maschinen ist, mit der Aufnahme der Produktion nicht beendet. Auch nach Aufnahme der Fertigung braucht ein neu gegründetes Unternehmen im allgemeinen immer noch eine gewisse Anlaufzeit, bis es sich in das Wirtschaftsleben eingegliedert hat und gewinnbringend arbeiten kann. Damit, daß die GmbH im Streitfall ihre Tätigkeit im April 1962 aufgenommen, ein Geschäftslokal angemietet und die notwendigen Einrichtungsgegenstände angeschafft hatte, war die Anlaufzeit noch nicht beendet. Daß die GmbH sich am Stichtag offensichtlich noch im Aufbau befand, zeigt sich insbesondere darin, daß sie bis zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Umsätze getätigt hatte. Die Ansicht der Klägerin, echte Produktionsverluste könnten nicht als Anlaufverluste angesehen werden, trifft nicht zu.
Die Annahme der Klägerin, die seitherige Rechtsprechung habe den Wert von Anteilen an neu gegründeten Gesellschaften nur dann mit 100 v. H. des eingezahlten Nennkapitals angesetzt, wenn keine Vermögenseinbuße eingetreten sei, verkennt, daß jeder Verlust zwingend zu einer Einbuße von Vermögen führen muß. Auch wenn das Vermögen durch Anlaufverluste gemindert ist, gilt nach Auffassung des Senats der Grundsatz, daß Anteile an neu gegründeten Gesellschaften in der Regel mit 100 v. H. des eingezahlten Nennkapitals zu bewerten sind. Auf den gemeinen Wert der Anteile bleibt die Minderung des Vermögens durch Anlaufverluste in der Regel ohne Auswirkung, da jeder Käufer von Anteilen neu gegründeter Gesellschaften solche Verluste in seine Kaufpreisüberlegungen einbeziehen würde.
Indes dürfen Verluste bei der Bewertung von Anteilen neu gegründeter Kapitalgesellschaften nur in dem Umfang unberücksichtigt bleiben, als sie ein Erwerber der Anteile als während der Anlaufzeit entstanden üblicherweise erwarten muß. Die Vermutung, der gemeine Wert der Anteile neu gegründeter Gesellschaften entspreche dem Wert des eingezahlten Kapitals, kann durch den Nachweis entkräftet werden, daß die Gründung der GmbH eindeutig eine Fehlmaßnahme gewesen ist oder daß das eingezahlte Kapital für wertlose Fehlmaßnahmen ausgegeben wurde. Verluste größeren Umfangs, die durch echte Fehlmaßnahmen verursacht sind, wird ein Erwerber von Beteiligungen an neu gegründeten Unternehmen nicht in Rechnung stellen. Führen Fehlmaßnahmen bei einem neu gegründeten Unternehmen zu erheblichen, in ihrer Höhe unerwarteten Vermögensverlusten, deren Ausgleich im normalen Geschäftsbetrieb ausgeschlossen erscheint, ist es geboten, solche Verluste bei der Schätzung des gemeinen Wertes zu berücksichtigen.
Die Feststellungen der Vorinstanz zu der Frage, ob die im Streitfall eingetretenen Verluste auf klaren Fehlmaßnahmen beruhen, sind nicht ausreichend und in sich widersprüchlich. Einerseits scheint die Vorentscheidung den Angaben des einen Beigeladenen zu folgen, der in der mündlichen Verhandlung von Fehlmaßnahmen in den ersten Jahren nach Gründung der GmbH gesprochen hat. Worin die Fehlmaßnahmen im einzelnen bestanden, ist den Feststellungen des FG jedoch nicht zu entnehmen. Andererseits stellt die Vorentscheidung fest, die Tatsache, daß die GmbH in den Jahren nach ihrer Gründung Verluste gehabt habe, sei kein Ausnahmefall. Da jedoch, wie dargelegt, auf klaren Fehlmaßnahmen beruhende Jerluste bei der Bewertung von Anteilen an neu gegründeten Gesellschaften unter den oben bezeichneten Voraussetzungen zu berücksichtigen sind, ist die Vorentscheidung aufzuheben.
Die Sache ist nicht spruchreif. Sie wird deshalb zur weiteren Sachaufklärung und erneuten Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG wird unter Berücksichtigung der oben entwickelten Grundsätze - möglicherweise unter Beiziehung eines Sachverständigen - prüfen müssen, ob und in welchem Umfang im Streitfall echte Fehlmaßnahmen der GmbH zu erheblichen, in ihrer Höhe unerwarteten Vermögensverlusten geführt haben. Der gemeine Wert wäre dann mit einem Wert anzusetzen, der unter 100 v. H. je 100 DM Stammkapital liegt. Daß die Gesellschafter der GmbH noch vor dem streitigen Stichtag eine Kapitalerhöhung beschlossen haben, spricht im übrigen dagegen, daß die Gesamtheit der von der GmbH getroffenen Maßnahmen am Stichtag als fehlgeschlagen angesehen und damit der gemeine Wert mit 0 DM angesetzt werden kann.
Die Kostenentscheidung war nach § 143 Abs. 2 FGO dem FG zu übertragen.
Fundstellen
Haufe-Index 412974 |
BStBl II 1972, 109 |
BFHE 1972, 1 |