Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ein Schauspieler, der seine überwiegenden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bei Theater und Film bezieht, kann für Einkünfte aus freiberuflicher künstlerischer Tätigkeit, etwa bei Rundfunk und Fernsehen, die Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG 1957 in Anspruch nehmen, auch wenn die freiberufliche künstlerische Tätigkeit ihrem Umfange nach keine Nebentätigkeit darstellt.
An der im Urteil IV 146/57 U vom 24. Juli 1958 (BStBl 1958 III S. 389, Slg. Bd. 67 S. 297) im Falle eines pensionierten Ingenieurs hinsichtlich seiner Einkünfte aus freiberuflicher wissenschaftlicher Tätigkeit vertretenen gegenteiligen Auffassung hält der Senat nicht mehr fest.
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1, § 34/1, § 34 Abs. 4; EStR Abschn. 202/1
Tatbestand
Der Bf. ist Schauspieler. Er bezog im Veranlagungszeitraum 1957 Einkünfte a) aus nichtselbständiger Arbeit als Schauspieler bei einem Theater und einigen Filmgesellschaften; b) aus selbständiger Arbeit als Schauspieler und Sprecher bei Rundfunkanstalten, beim Fernsehen und bei einer Schallplattenfirma.
Die Einkünfte zu b) betrugen etwa 2/3 derjenigen zu a). Für die Einkünfte aus selbständiger Arbeit begehrt der Bf. die Steuerermäßigung für Nebeneinkünfte aus künstlerischer Tätigkeit gemäß § 34 Abs. 4 EStG 1957.
Das Finanzamt lehnte den Antrag mit der Begründung ab, bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit handle es sich nicht um Nebeneinkünfte im Sinne des § 34 Abs. 4 EStG 1957, sondern um einen Teil der Einkünfte aus der Haupttätigkeit des Bf. als Schauspieler und Sprecher.
Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht führte aus, die Einkünfte des Bf. aus seiner selbständigen künstlerischen Tätigkeit seien nicht schon deshalb nach § 34 Abs. 4 EStG 1957 begünstigt, weil sie geringer seien als die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs würden solche Einkünfte nicht als steuerbegünstigt anerkannt, die in den Beruf des Steuerpflichtigen fielen (Urteil VI 29/59 S vom 24. April 1959, BStBl 1959 III S. 193, Slg. Bd. 68 S. 504, und die dort angeführte Rechtsprechung). Auch dem angestellten Chefarzt eines Krankenhauses sei im Urteil des Bundesfinanzhofs IV 245/56 U vom 21. Juni 1956 (BStBl 1956 III S. 247, Slg. Bd. 63 S. 130) die Steuervergünstigung für die Einkünfte aus einer neben seiner Chefarzttätigkeit ausgeübten Facharztpraxis versagt worden, da die Chirurgie eine ärztliche Tätigkeit sei. Es komme lediglich auf den Beruf an, nicht aber darauf, ob er selbständig oder nicht selbständig ausgeübt werde. Einkünfte, die bei einer Tätigkeit erzielt würden, die auf demselben Beruf beruhten wie die Haupttätigkeit, könnten keine Nebeneinkünfte nach § 34 Abs. 4 EStG sein. Auch der Bf. erziele seine Einkünfte aus freiberuflicher künstlerischer Tätigkeit im Rahmen seiner Haupttätigkeit als Schauspieler. Diesen Hauptberuf übe der Bf. das eine Mal als Arbeitnehmer und das andere Mal freiberuflich aus. Die berufliche Tätigkeit bleibe immer die gleiche. Infolgedessen könne von einer Nebentätigkeit und daraus resultierenden Nebeneinkünften nicht gesprochen werden.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Bf. ist begründet.
Tarifbegünstigte Nebeneinkünfte nach § 34 Abs. 4 EStG 1957 sind die Einkünfte aus einer freiberuflich ausgeübten wissenschaftlichen, künstlerischen oder schriftstellerischen Tätigkeit, soweit sie neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder einer anderen freien Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG bezogen werden und zusammen mit den übrigen Einkünften niedriger sind als die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder der anderen freien Berufstätigkeit. Werden die Einkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit neben Einkünften aus einer anderen freien Berufstätigkeit nach § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG erzielt, so müssen sie außerdem ihnen gegenüber abgrenzbar sein. Andere Voraussetzungen als die hier angeführten, die dem Gesetzeswortlaut entsprechen, sind - von gewissen Sondertatbeständen abgesehen - für die Anerkennung tarifbegünstigter Nebeneinkünfte nicht erforderlich.
Der Bf. bezog im Streitjahr seine überwiegenden Einkünfte als nichtselbständiger Schauspieler an einem Theater und bei Filmgesellschaften. Neben den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit hatte der Bf. geringere Einkünfte aus freiberuflicher künstlerischer Tätigkeit als Schauspieler und Sprecher bei Rundfunk und Fernsehen sowie bei einer Schallplattenfirma. Da keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß es sich in den ersten beiden Fällen um keine echten Arbeitsverhältnisse und in den anderen Fällen um keine echte freie künstlerische Tätigkeit handelte, sind nach Ansicht des Senats die Einkünfte des Bf. aus der freiberuflichen künstlerischen Tätigkeit tarifbegünstigte Nebeneinkünfte im Sinne des § 34 Abs. 4 EStG 1957. Diese Auffassung steht - wie der Bf. zutreffend ausgeführt hat - im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, der gleichgelagerte Fälle in mehreren veröffentlichten Urteilen im obigen Sinne entschieden hat (IV 193/50 U vom 6. April 1951, BStBl 1951 III S. 106, Slg. Bd. 55 S. 274; IV 104/52 U vom 13. November 1952, BStBl 1953 III S. 33, Slg. Bd. 57 S. 83; IV 106/54 U vom 3. November 1955, BStBl 1956 III S. 110, Slg. Bd. 62 S. 296; IV 277/54 U vom 3. November 1955, BStBl 1956 III S. 112, Slg. Bd. 62 S. 302). In allen diesen Entscheidungen bezog der Steuerpflichtige die überwiegenden Einkünfte aus einer nichtselbständigen Arbeit und seine Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit aus einer freiberuflichen Arbeit, die der Berufsarbeit nach zu dem gleichen Berufe gehörte, den der Steuerpflichtige bei seiner nichtselbständigen Arbeit ausübte. Die Abgrenzbarkeit lag allein in der Verschiedenheit der Einkunftsart, wie sie das Gesetz bei Arbeitnehmern für die Anerkennung tarifbegünstigter Nebeneinkünfte neben der geringeren Höhe der Einkünfte als einzige Voraussetzung der Abgrenzbarkeit fordert. Die Tarifvergünstigung hat die Rechtsprechung allerdings dann nicht gewährt, wenn der Steuerpflichtige neben den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Einkünfte aus einer typischen Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG bezogen hat, z. B. Einkünfte aus der Tätigkeit als Arzt, Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer usw. Der Grund für die Versagung der Tarifvergünstigung für solche Einkünfte, z. B. bei einem angestellten Chefarzt, der zugleich Einkünfte aus einer freiberuflichen Arztpraxis bezieht, liegt in der Hauptsache darin, daß die praktische Berufsarbeit bei diesen typischen freien Berufen in der Regel nicht der "wissenschaftlichen Tätigkeit" im Sinne von § 18 Abs. 1 Ziff. 1 und § 34 Abs. 4 EStG gleichgestellt werden kann (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs IV 171/55 U vom 6. Dezember 1956, BStBl 1957 III S. 129, Slg. Bd. 64 S. 338, und VI 48/55 U vom 3. Mai 1957, BStBl 1957 III S. 227, Slg. Bd. 64 S. 604).
Diese Rechtsprechung, die nur die Frage der Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG für Steuerpflichtige betrifft, die ihre überwiegenden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und daneben Einkünfte aus einer Tätigkeit als Arzt, Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer usw. beziehen, findet auf den vorliegenden Fall keine Anwendung, weil der Beruf des Schauspielers zu keiner der in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG angeführten typischen freien Berufstätigkeiten gehört. Beim Berufsschauspieler stellt in der Regel auch die praktische Berufsarbeit eine künstlerische Tätigkeit im Sinne des - 34 Abs. 4 EStG 1955 dar, wenn sie freiberuflich ausgeübt wird. Die Vorinstanz hat insoweit die Rechtslage verkannt.
In dem Urteil VI 29/59 S vom 24. April 1959 (a. a. O.) hat der VI. Senat des Bundesfinanzhofs die obigen Grundsätze auf einen Diplomingenieur angewandt, der seine wissenschaftliche Lehrtätigkeit überwiegend in nichtselbständiger Arbeit und daneben in freiberuflicher Tätigkeit ausübte. Der VI. Senat hat den Standpunkt vertreten, daß dem Steuerpflichtigen die Tarifvergünstigung zu gewähren sei, da hinsichtlich seiner Einkünfte aus der freiberuflichen Lehrtätigkeit die oben angeführten gesetzlichen Voraussetzungen des § 34 Abs. 4 EStG zuträfen. In der Entscheidung ist vor allem hervorgehoben, daß es für das Vorliegen steuerbegünstigter Nebeneinkünfte nicht darauf ankomme, ob die betreffenden Einkünfte aus einer Haupt- oder Nebentätigkeit bezogen würden. Der erkennende Senat hat zwar im Urteil IV 146/57 U vom 24. Juli 1958 (BStBl 1958 III S. 389, Slg. Bd. 67 S. 297) für die Anerkennung tarifvergünstigter Nebeneinkünfte neben den gesetzlichen Voraussetzungen als weitere Voraussetzung verlangt, daß die Nebeneinkünfte aus einer sich ihrem Umfang nach von der Haupttätigkeit abhebenden Nebentätigkeit bezogen sein müßten. An den Grundsätzen dieser Entscheidung hält jedoch der erkennende Senat nicht mehr fest, da - wie schon der VI. Senat in der angeführten Entscheidung dargelegt hat - für die klare Abgrenzung der Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit kein Bedürfnis besteht, zwischen Einkünften aus einer Haupt- oder Nebentätigkeit zu unterscheiden. Auch der Wortlaut des § 34 Abs. 4 EStG spricht gegen eine derartige Einschränkung des Begriffs der tarifbegünstigten Nebeneinkünfte.
Schließlich kann hier für die Gewährung der Tarifvergünstigung auch nicht entscheidend sein - wie die Vorinstanz meint -, daß die Einkünfte, für die die Vergünstigung begehrt wird, nicht aus einer Tätigkeit bezogen werden, die in den Beruf des Steuerpflichtigen fällt. Diesen Grundsatz hat die Rechtsprechung nur für die Fälle aufgestellt, wo freiberuflich Tätige, z. B. ärzte oder Rechtsanwälte, die Tarifvergünstigung für Einkünfte aus einer wissenschaftlichen oder schriftstellerischen Tätigkeit begehrten, die mit zur Berufstätigkeit des betreffenden Steuerpflichtigen gehörte; es fehlt in solchen Fällen an der im § 34 Abs. 4 EStG geforderten Abgrenzbarkeit der Nebeneinkünfte von der freien Berufstätigkeit (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs IV 23/55 U vom 12. Juli 1956, BStBl 1956 III S. 251, Slg. Bd. 63 S. 140, und IV 245/56 U vom 21. Juni 1956, a. a. O.). Der Grundsatz kann aber für die Steuerpflichtigen keine Geltung haben, die die Einkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit ausschließlich neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit beziehen. Denn bei ihnen ergibt sich nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes die Abgrenzbarkeit der Nebeneinkünfte schon aus der Verschiedenheit der Einkunftsarten.
Dem Bf. ist demnach für seine Einkünfte aus freiberuflicher künstlerischer Tätigkeit, soweit sie 50 v. H. der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nicht übersteigen, die Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG 1957 zu gewähren. Das Urteil des Finanzgerichts und die Einspruchsentscheidung waren aus diesem Grunde aufzuheben. Die Sache wird zur entsprechenden änderung des Einkommensteuerbescheides 1957 an das Finanzamt zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 409819 |
BStBl III 1961, 2 |
BFHE 1961, 4 |
BFHE 72, 4 |