Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Sonstiges Steuerliche Betriebsprüfung Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
über das Verhältnis des § 205a Abs. 2 und 3 AO zu den §§ 171 und 217 AO.
Normenkette
EStG § 9; LStDV §§ 20, 46; AO §§ 171, 217, 205a Abs. 2-3
Tatbestand
Streitig ist, ob pauschale Beträge für Reise- und Repräsentationsspesen an den Geschäftsführer lohnsteuerpflichtig sind, so daß die Beschwerdeführerin (Bfin.) für die nicht einbehaltene Lohnsteuer haftet.
Die Bfin. zahlte an ihren alleinigen Geschäftsführer folgende laufende Spesen:
für II/1948 -- 1949 ----- 1950 ----- 1951 ----- 1952 9.000 DM ----- 24.000 DM 24.000 DM 24.000 DM 24.000 DM.Bei einer Lohnsteuerprüfung ergab sich, daß Aufzeichnungen und Belege weder über die Geschäftsreisen als solche, noch über Art und Höhe der Ausgaben vorhanden sind. Die Reisekosten wurden nicht abgerechnet oder nachgewiesen. Der Geschäftsführer war an etwa 20 Tagen in jedem Monat vom Betrieb abwesend. Die Bfin. führte aus, der Geschäftsführer habe andere Beträge für Geschäftsreisen, Bewirtung von Geschäftsfreunden oder sonstige Ausgaben für Repräsentation der Geschäftskasse nicht entnommen, sondern diese Ausgaben von den Pauschalbeträgen bestritten. Bei der wirtschaftlichen Bedeutung der verschiedenen Industrie-Werke seien Spesen des alleinigen Geschäftsführers als selbstverständlich und der geltend gemachte Betrag im Verhältnis zu dem gesamten Umsatz aller Firmen von 18 - 20 Millionen DM als gering anzusehen. Der Geschäftsführer lehne es als unter seiner Würde liegend ab, für die Reise- und Repräsentationsaufwendungen Belege zu sammeln und eine Einzelabrechnung zu geben. Bei der Annahme von monatlich 15 Reisetagen mit einem Pauschalsatz von 48 DM täglich ergäben sich monatlich 700 DM Reise- und übernachtungskosten und unter Hinzurechnung von 800 DM Bewirtungsspesen falle ein Gesamtbetrag von 2.000 DM monatlich nicht aus dem Rahmen. Buchungen seien auch deswegen unterblieben, um den Angestellten nicht Art und Höhe der Spesen bekanntzugeben. Die völlige Nichtanerkennung der pauschalen Zahlung nach § 205a der Reichsabgabenordnung (AO) stelle einen Ermessensmißbrauch des Finanzamts dar, da der Geschäftsführer in regelmäßigen Zeitabständen die in verschiedenen Städten gelegenen Zweigstellen und die technischen Messen besuche; während der mehrfachen Kuraufenthalte in X führe er von dort aus die Geschäfte unverändert fort, so daß dadurch weitere Geschäftsspesen entständen.
Das Finanzamt hat unter Bezugnahme auf die Abschnitte 21 Abs. 6 und 24 Abs. 4 der Lohnsteuer-Richtlinien die gezahlten Beträge nicht als Reisekosten anerkannt, sondern sie dem jeweiligen Gehalt des Geschäftsführers zugerechnet und die Bfin. für den unterlassenen Steuerabzug neben Kirchensteuer und Abgabe Notopfer Berlin mit 56.413,25 DM Lohnsteuer zur Haftung herangezogen. Die Berufung blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht führte aus, daß an Arbeitnehmer gezahlte Spesen nur insoweit lohnsteuerfrei seien, als sie die tatsächlichen Aufwendungen nicht überstiegen. Hier seien weder die Reisen noch die Kosten nachgewiesen oder auch nur glaubhaft gemacht. Durchlaufende Posten, durch die die Auslagen des Arbeitnehmers ersetzt würden, lägen ebenfalls nicht vor, da der Geschäftsführer diese festen Beträge nach eigenem Ermessen und im eigenen Namen ohne Rechenschaftslegung ausgegeben habe. Es handle sich auch nicht um Werbungskosten, sondern um Kosten der Lebensführung, die die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung des Geschäftsführers mit sich bringe. Für seine schätzungsweise Aufteilung sei mangels jeden Anhalts kein Raum. Das Fernbleiben an etwa 20 Tagen im Monat besage gar nichts, da der Geschäftsführer schon 74 Jahre als sei und nicht angebe, wo er überhaupt an diesen Tagen gewesen sei. Eine Ermessensüberschreitung des Finanzamts durch die Zurechnung der vollen Pauschbeträge zum Gehalt liege nicht vor, da auf den Nachweis nach § 205a AO nur bei Glaubhaftmachung verzichtet werden könne; hier fehle aber die Glaubhaftmachung.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) weist die Bfin. darauf hin, daß die geltend gemachten Spesen glaubhaft seien und daß zumindest in der völligen Nichtanerkennung ein Ermessensmißbrauch der Vorinstanzen liege.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt wegen Rechtsirrtums und wegen mangelnder Sachaufklärung zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das Finanzgericht.
Im vorliegenden Tatbestand ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht ein Fall des § 205a AO gegeben. Wie der Bundesfinanzhof in den Urteilen IV 120/52 U vom 18. September 1952 (Slg. Bd. 56 S. 716, Bundessteuerblatt - BStBl - 1952 III S. 275) und I 106/56 U vom 5. Juni 1956 (Slg. Bd. 63 S. 29, BStBl 1956 III S. 206) ausgeführt hat, ist der Zweck des § 205a AO darin zu sehen, daß das, was bei dem einen steuerlich abzusetzen ist, bei dem anderen erfaßt werden muß, wenn nicht steuerpflichtige Beträge unversteuert bleiben sollen. In erster Linie sollen durch § 205a AO Schmiergelder und OR-Geschäfte erfaßt werden (siehe Urteile des Bundesfinanzhofs IV 81/50 S vom 23. Februar 1951, Slg. Bd. 55 S. 204, BStBl 1951 III S. 77, und IV 173/52 U vom 30. Oktober 1952, Slg. Bd. 57 S. 75, BStBl 1953 III S. 30). Bei den hier streitigen Beträgen, die der Geschäftsführer als pauschale Spesen ausbezahlt erhielt, steht nicht in Frage, ob die vom Geschäftsführer verausgabten Beträge beim dritten Empfänger (Hotel, Gastwirt, Taxifahrer usw.) versteuert wurden; dies kann durchaus unterstellt werden. Es handelt sich vielmehr darum, ob bei dem Geschäftsführer selbst abzugsfähige Werbungskosten vorliegen und wie hoch sie mangels Belege zu schätzen sind (Hinweis auf §§ 171 und 217 AO).
Entschädigungen, die einem privaten Arbeitnehmer zur Bestreitung eines Dienstaufwandes gezahlt werden, sind ein Teil des Arbeitslohnes. Es ist demnach zu prüfen, ob die dem Geschäftsführer gezahlten pauschalen Beträge für Reisen und Repräsentation Werbungskosten sind, oder ob es sich bei den davon bestrittenen Ausgaben um nicht abzugsfähige Kosten der Lebensführung handelt, die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Geschäftsführers mit sich bringt (§ 12 Ziff. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Wenn Aufwendungen gemacht werden, bei denen schwer erkennbar ist, ob sie mehr dem Beruf oder mehr der Wahrung der wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Stellung dienen, so sind sie nach ständiger Rechtsprechung den Lebenshaltungskosten zuzurechnen (siehe Urteil des Bundesfinanzhofs IV 23/53 U vom 14. Januar 1954, Slg. Bd. 58 S. 439, BStBl 1954 III S. 79). Um Reisekosten und sonstige Spesen als Werbungskosten oder auch als durchlaufende Gelder im Sinne des § 4 Ziff. 3 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) anerkennen zu können, ist in erster Linie erforderlich, daß solche Kosten überhaupt entstanden sind. Weiterhin entbindet auch die Bestimmung des Abschnitts 121 der Einkommensteuer- Richtlinien und die Inanspruchnahme der darin vorgesehenen Pauschsätze die Bfin. nicht von der Verpflichtung, die Aufwendungen für Geschäftsreisen und Spesen ordnungsgemäß zu verbuchen (siehe Urteil des Bundesfinanzhofs IV 244/52 U vom 9. Oktober 1952, Slg. Bd. 58 S. 414, BStBl 1954 III S. 71). Im vorliegenden Falle handelt es sich aber nicht einmal um die Inanspruchnahme der in den Einkommensteuer-Richtlinien Abschnitt 121 vorgesehenen amtlichen Pauschsätze, sondern die Bfin. und der Geschäftsführer haben die 9.000 DM für II/1948 bzw. die 24.000 DM seit 1949 jährlich von sich aus ohne erkennbare Unterlage als pauschale Spesen festgesetzt. Die Vorinstanzen haben daher mit Recht diese Beträge nicht ohne weiteres anerkannt. über durchlaufende Gelder müßte ebenfalls Rechnung gelegt werden, zumal diese Ausgaben gerade für Rechnung des Arbeitgebers zu machen sind und an den Ausgaben kein eigenes Interesse des Arbeitnehmers bestehen darf (siehe Abschnitt 23 der Lohnsteuer-Richtlinien). Andererseits hätte aber das Finanzgericht als Tatsacheninstanz eine Klärung des Sachverhalts versuchen müssen, um gegebenenfalls zu einer Schätzung der angemessenen Werbungskosten zu kommen, da ein gewisser Aufwand im rein geschäftlichen Interesse im Bereich der Möglichkeit liegt. Aus der Abwesenheit des Geschäftsführers an etwa 20 Tagen im Monat ergibt sich allerdings nicht ohne weiteres eine geschäftliche Reisetätigkeit für diese Tage. Der Geschäftsführer ist bereits über 70 Jahre alt, er dürfte bei seiner Stellung im Betrieb nicht an Dienststunden gebunden sein, sondern über seine Zeit frei verfügen können; jedenfalls liegt bei der Verweigerung jeder Auskunft über die Geschäftsreisen diese Vermutung nahe. Dazu kommt noch, daß sich der Geschäftsführer nach den eigenen Angaben der Bfin. mehrere Male im Jahre zur Kur in X aufhält, wodurch die Abwesenheit vom Betriebe bereits für erhebliche Zeiträume durch private Gründe geklärt ist. Schließlich hat die Bfin. für sonstige leitende Angestellte erhebliche Beträge an Reise- und Repräsentationskosten steuerlich abgesetzt, so daß von ihr derartige Unkosten bereits geltend gemacht sind. Insoweit ähnelt der vorliegende Tatbestand dem des Urteils IV 23/53 U vom 14. Januar 1954, wo ebenfalls neben belegten Aufwandsentschädigungen pauschaler Auslagenersatz geltend gemacht wurde. Da aber andererseits dargelegt ist, daß der Geschäftsführer in regelmäßigen Zeitabständen die Zweigstellen der Firma in verschiedenen Städten und auch die technischen Messen besucht, ist das Vorhandensein von Werbungskosten in gewissem Umfang glaubhaft; das Finanzgericht hätte deshalb in dieser Hinsicht Ermittlungen anstellen müssen, um zu einer etwaigen Schätzung des anzuerkennenden Betrags zu kommen. Wenn daher das Finanzgericht als Tatsacheninstanz ohne den Versuch einer Klärung des Sachverhalts unter Verwendung des § 205a AO jeden Abzug für Spesen und Reisekosten ablehnte, so liegt hierin eine Verkennung des Anwendungsbereichs des § 205a AO. Diese Bestimmung soll als Ausnahmebestimmung des § 4 Abs. 4 und des § 9 EStG, wie schon erwähnt, insbesondere Schmiergelder und OR-Geschäfte erfassen, nicht aber dazu führen, im Fall notwendiger Schätzung mangels ordnungsmäßiger Buchführung von den herkömmlichen Schätzungsmethoden abzuweichen (siehe Kühn, Reichsabgabenordnung, 1956, § 205a AO Anm. 6). Hier handelt es sich um einen Fall der §§ 171 und 217 AO und nicht um § 205a AO. Die Bfin. ist nach § 171 AO zur Ergänzung und Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet, und das Finanzgericht hat von sich aus nach § 243 AO den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Dieser Pflicht ist das Finanzgericht nicht hinreichend nachgekommen. Da nach den bisherigen Ermittlungen bei der Bfin. Buchungen und Belege über die Spesen nicht vorhanden sind, wird das Finanzgericht zweckmäßig den Geschäftsführer selbst hören. Sollte dieser die notwendigen Angaben zur Aufklärung des Sachverhalts verweigern, so muß das Finanzgericht die Höhe der Werbungskosten frei schätzen.
Die nicht spruchreife Sache ist an das Finanzgericht zur erneuten Prüfung unter Beachtung der vorstehenden rechtlichen Grundsätze zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 423993 |
BStBl III 1957, 149 |
BFHE 64, 400 |