Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Grundsteuer
Leitsatz (amtlich)
Ist ein Steuergegenstand bisher ganz zur Grundsteuer herangezogen worden und sind die Voraussetzungen der Befreiung für einen Teil des Steuergegenstandes eingetreten, so ist es grundsätzlich Sache des Steuerschuldners, die Steuerbefreiung geltend zu machen. Dies gilt auch für den Fall, daß der Eintritt der Befreiungsvoraussetzungen auf einer Gesetzesänderung beruht.
Normenkette
AO § 225a/2; GrStG § 4/3/b
Tatbestand
Der beschwerdeführende Verein erfüllt unstreitig in subjektiver Beziehung die Voraussetzungen für die Befreiung von der Grundsteuer nach § 4 Ziff. 3 Buchst. b des Grundsteuergesetzes (GrStG) in der Fassung vom 10. August 1951 (Gemeinnützigkeit bzw. Mildtätigkeit).
Schon im Jahre 1939 hatte der Beschwerdeführer (Bf.) beantragt, sein Grundstück, ... wegen Benutzung für mildtätige Zwecke von der Grundsteuer zu befreien. Der Antrag blieb damals ohne Erfolg. Am 29. Juli 1955 beantragte der Bf. erneut Befreiung von der Grundsteuer für den Teil des Grundstücks, der von ihm als Altersheim benutzt wird. Das Finanzamt gewährte die Teilbefreiung ab 1. April 1955; der Bf. verlangt sie jedoch rückwirkend ab 1. April 1951. Die Sprungberufung hatte keinen Erfolg. Die ablehnende Entscheidung des Finanzgerichts beruht im wesentlichen auf folgenden Erwägungen: Das Gesetz zur änderung des Grundsteuergesetzes vom 10. August 1951 (Bundesgesetzblatt I S. 515) habe neben der Mildtätigkeit auch die Gemeinnützigkeit als Befreiungsgrund eingeführt (ß 4 Ziff. 3 Buchst. b GrStG) und außer den schon vorher befreiten Krankenanstalten auch die "Bewahrungsanstalten" von der Grundsteuer befreit (ß 4 Ziff. 8 GrStG); zu den Bewahrungsanstalten in diesem Sinn gehören - wie in § 16 Abs. 2 der Durchführungsverordnung zum Grundsteuergesetz (GrStDV) vom 29. Januar 1952 ausdrücklich bestimmt sei - auch die Altersheime. Nach herrschender Meinung könne den Finanzämtern nicht zugemutet werden, den Eintritt der Steuerbefreiung bei allen Steuerpflichtigen von Amts wegen festzustellen. Im Streitfall wäre eine Befreiung nach dem Stande vom 1. Januar 1951 nur dann möglich, wenn sie im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung erforderlich wäre und der Bf. nicht grundlos mit seinem Antrag jahrelang gewartet hätte. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs über die Rückbeziehung der Steuerbefreiung für Sozialversicherungsträger auf den 1. Januar 1951 könne nicht entsprechend angewendet werden.
In der Rechtsbeschwerde (Rb) wird zugegeben, daß dem Finanzämtern zwar nicht zugemutet werden könne, den Eintritt von Steuerbefreiung bei allen Steuerpflichtigen durch fortlaufende Prüfungen von Amts wegen festzustellen; eine Fortschreibung von Amts wegen sei aber dann erforderlich, wenn eine Gesetzesänderung vorliege. In einem solchen Fall stehe es nicht im Belieben des Finanzamts, die für den Steuerpflichtigen günstigeren Vorschriften anzuwenden oder nicht.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist unbegründet.
Bei der Grundsteuer werden keine Steuererklärungen einverlangt. Aber auch bei dieser Steuer kann auf die Mitwirkung der Steuerschuldner nicht völlig verzichtet werden. Das gilt insbesondere für die Durchführung der Befreiungsvorschriften der §§ 4 bis 6 GrStG. über die Befreiung nach diesen Vorschriften kann das Finanzamt nur richtig entscheiden, wenn es über die tatsächlichen Verhältnisse des Steuergegenstands, die zu einer Befreiung von der Grundsteuer führen können, zutreffend unterrichtet wird. Diesem Zweck dienen Anzeigen und Anträge, die bei änderung in der Steuerpflicht dem Steuerschuldner auferlegt bzw. für ihn vorgesehen sind. So hat der Steuerschuldner, wenn bei einem Gegenstand der Grundsteuer die Steuerpflicht eintritt oder sich erweitert, dies dem Finanzamt anzuzeigen (ß 165 e Abs. 3 der Reichsabgabenordnung - AO -). Das Gegenstück hierzu ist, daß die Steuerpflicht wegfällt oder sich vermindert.
Wenn ein Steuergegenstand bisher ganz zur Grundsteuer herangezogen worden ist und die Voraussetzungen der Befreiung für einen Teil des Steuergegenstands eingetreten sind, führt das, wie der erkennende Senat bereits im Urteil III 248/55 S vom 20. Januar 1956, Slg. Bd. 62 S. 186, Bundessteuerblatt - BStBl - 1956 III S. 69, entschieden hat, zu einer Fortschreibung des Einheitswerts für den steuerpflichtig gebliebenen Teil und zu einer entsprechenden neuen Veranlagung des Grundsteuermeßbetrags. Ein solcher Fortschreibungsbescheid wird auf Antrag, erforderlichenfalls auch von Amts wegen erlassen. Der Antrag kann nur bis zum Ablauf des Kalenderjahres, auf dessen Beginn die Feststellung begehrt wird, gestellt werden; wird der Antrag verspätet gestellt, so wirkt er auf den Beginn das Kalenderjahres, in dem er eingereicht worden ist (vgl. § 225 a Abs. 2 AO). "Erforderlichenfalls" bedeutet, daß die steuerliche Gerechtigkeit die Fortschreibung verlangt. Dieser Fall ist gegeben, wenn der Steuerpflichtige einen ausreichenden Grund für die begehrte Fortschreibung auf den angegebenen Stichtag hat und nicht grundlos mit seiner Antragstellung jahrelang gewartet hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 3/52 U vom 6. Februar 1953, Slg. Bd. 57 S. 164, BStBl 1953 III S. 65). Wenn somit ein Gegenstand bisher ganz zur Grundsteuer herangezogen worden ist und die Voraussetzungen der Befreiung für einen Teil des Gegenstands eingetreten sind, ist es grundsätzlich Sache des Steuerschuldners, die Steuerbefreiung geltend zu machen.
Für diese Auffassung spricht auch § 16 Abs. 1 GrStG. änderungen im Umfang der Steuerpflicht, die im Laufe eines Kalenderjahrs eintreten, können bei der Grundsteuer regelmäßig erst mit Beginn des nächsten Rechnungsjahrs, das auf dieses Kalenderjahr folgt, berücksichtigt werden. Diese Folge, die sich aus der allgemeinen Regelung des Gesetzes (Abhängigkeit der Grundsteuermeßbetragsveranlagung von der Einheitsbewertung) ergibt, wird durch § 16 Abs. 1 GrStG für den Fall gemildert, daß die Steuerpflicht für den ganzen Steuergegenstand wegfällt, weil der Steuergegenstand untergeht oder für ihn ein Befreiungsgrund nach den §§ 4 bis 6 GrStG eintritt. In diesen Fällen ist die Grundsteuer - unbeschadet des Rechts des Steuerschuldners auf Durchführung der allgemeinen Regelung - nur bis zum Schluß des laufenden Kalendervierteljahres zu entrichten. Wird der für die vorzeitige Befreiung notwendige Antrag erst nach Ablauf des Kalendervierteljahrs gestellt, in dem die Steuerpflicht weggefallen ist, dann muß die Steuer bis zum Schluß des Kalendervierteljahrs weitergezahlt werden, in dem der Antrag gestellt wird.
Im Streitfall gibt der Bf. zu, daß bei der Grundsteuer den Finanzämtern nicht zugemutet werden kann, den Eintritt von Steuerbefreiungen bei allen Steuerpflichtigen durch fortlaufende Prüfungen von Amts wegen festzustellen. Er will aber diesen Grundsatz nicht für den Fall gelten lassen, daß der Eintritt der Steuerbefreiung auf einer Gesetzesänderung beruht. Diese Auffassung ist abzulehnen. Auch bei einer Gesetzesänderung wird das Finanzamt nicht immer in der Lage sein, alle Einheitswertakten des Grundbesitzes - bei großen und größeren Finanzämtern handelt es sich zumeist um mehrere Zehntausende von Akten - daraufhin durchzusehen, ob nicht eine Befreiung von der Grundsteuer in Betracht kommen könnte. In den meisten Fällen wird zudem aus den Einheitswertakten nicht ersehen werden können, ob und inwieweit der betreffende Grundbesitz vom Eigentümer oder etwa einer anderen begünstigten Person am Stichtag zu begünstigten Zwecken benutzt wird. Hierin können und werden zudem immer wieder änderungen eintreten. Eine besondere Vorschrift, daß die Finanzämter den Eintritt von Steuerbefreiung durch fortlaufende Prüfungen von Amts wegen festzustellen hätten, besteht nicht. Auch bei Gesetzesänderungen muß es daher dem Steuerschuldner überlassen bleiben, den Eintritt von Befreiungsvoraussetzungen geltend zu machen. Im Streitfall hätte der Bf. bereits nach der Bekanntgabe des Grundsteueränderungsgesetzes im August 1951, zumindest aber nach der Bekanntgabe der GrStDV vom 29. Januar 1952, den Antrag auf Teilbefreiung seines Grundstücks stellen müssen. Es ist nicht zu verstehen, daß er bei der klaren Sach- und Rechtslage die Befreiung erst im Jahre 1955 beantragt hat. In einem solchen Fall kann nicht gesagt werden, die steuerliche Gerechtigkeit erfordere die Teilbefreiung schon vom 1. April 1951 an. Wenn der erkennende Senat in dem oben erwähnten Urteil vom 20. Januar 1956 die Teilbefreiung rückwirkend vom 1. April 1951 zuerkannt hat, so lag der Sachverhalt wesentlich anders. Damals handelte es sich um eine Steuerbefreiung, die nicht ohne weiteres aus dem GrStG und der GrStDV entnommen werden konnte, so daß die Rückbeziehung - im Gegensatz zum Streitfall - ein Gebot der steuerlichen Gerechtigkeit war.
Fundstellen
Haufe-Index 408920 |
BStBl III 1958, 48 |
BFHE 1958, 121 |
BFHE 66, 121 |