Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Grundsteuer
Leitsatz (amtlich)
über die Befreiungen von der Grundsteuer ist im Steuermeßbetragsverfahren zu entscheiden.
Ist ein Steuergegenstand bisher ganz zur Grundsteuer herangezogen worden und sind die Voraussetzungen der Befreiung für einen Teil des Steuergegenstands eingetreten, so führt das zu einer Fortschreibung des Einheitswerts für den steuerpflichtig gebliebenen Teil und zu einer entsprechenden neuen Veranlagung des Grundsteuermeßbetrags.
Zur Frage der Befreiung von der Grundsteuer auf einen zurückliegenden Zeitpunkt.
Normenkette
AO § 212a Abs. 3, § 225a; GrStG § 6/2, § 14
Tatbestand
Streitig ist, von welchem Zeitpunkt ab ein Grundstück der Beschwerdeführerin (Bfin.), teilweise von der Grundsteuer zu befreien ist.
Die Bfin. benutzt einen Teil des Grundstücks für die besonderen Zwecke der Sozialversicherung. Am 29. April 1955 beantragte sie unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, diesen Teil des Grundstücks ab 1. April 1950 von der Grundsteuer zu befreien (im Verlauf des Verfahrens schränkte sie ihren Antrag dahin ein, daß sie die Teilbefreiung erst ab 1. April 1951 verlangte). Das Finanzamt gab dem Antrage in der Weise statt, daß es den für das ganze Grundstück zuletzt zum 21. Juni 1948 festgestellten Einheitswert von 24.800 DM für den steuerpflichtigen Teil zum 1. Januar 1955 auf 9.300 DM fortschrieb; außerdem setzte es zum gleichen Zeitpunkt den bisherigen Grundsteuermeßbetrag von 173,60 DM auf 65,10 DM herab. Demgegenüber beharrte die Bfin. in ihrer Sprungberufung auf Teilbefreiung ihres Grundstücks in diesem Ausmaß bereits nach dem Stande vom 1. Januar 1950 (bzw. 1. Januar 1951). Die Sprungberufung hatte aber keinen Erfolg.
In der Rechtsbeschwerde wird von der Bfin. gegen die ablehnende Entscheidung des Finanzgerichts vor allem folgendes vorgebracht: Die erstmalige Teilbefreiung eines Grundstücks von der Grundsteuer nach dem Gesetz zur änderung des Grundsteuergesetzes vom 10. August 1951 sei nicht, wie das Finanzgericht annehme, von der vorherigen Fortschreibung des Einheitswerts und der Herabsetzung des Grundsteuermeßbetrags abhängig, sondern müsse (ebenso wie das Gesetz zur änderung des Grundsteuergesetzes sich Rückwirkung beigelegt habe) rückwirkend vom 1. April 1951 ab eintreten; denn die Befreiung sei erstmalig auf die Grundsteuer des Rechnungsjahres 1951 anzuwenden.
Entscheidungsgründe
Im Ergebnis hat die Rechtsbeschwerde Erfolg.
I. - Der Bfin. ist zuzugeben, daß das Gesetz zur änderung des Grundsteuergesetzes vom 10. August 1951 die Vorschriften über die Befreiungen von der Grundsteuer erweitert hat und daß diese Vorschriften erstmalig auf die Grundsteuer für das Rechnungsjahr 1951 anzuwenden sind (Art. IV Abs. 2 Ziff. 2 des Gesetzes zur änderung des Grundsteuergesetzes). Hieraus ergibt sich aber keineswegs, daß das Grundstück der Bfin. nun ohne weiteres ab 1. April 1951 die begehrte Teilbefreiung erhalten müßte. Vielmehr muß im geordneten Veranlagungsverfahren durch diejenige Steuerbehörde, die über die Grundsteuerpflicht bzw. die Befreiung von der Grundsteuer zu entscheiden hat, geprüft werden, ob die Voraussetzungen der Befreiung vorliegen und von wann ab diese Voraussetzungen gegeben sind. Unzutreffend ist auch die Auffassung der Bfin., daß die erstmalige Teilbefreiung ihres Grundstücks nicht von der vorherigen Herabsetzung des Grundsteuermeßbetrags abhängig sei. Die Bfin. übersieht, daß in der Festsetzung des Grundsteuermeßbetrags zugleich die Feststellung der sachlichen Steuerpflicht und der persönlichen Steuerpflicht (Steuerschuldnerschaft) liegt (ß 212a Abs. 3 der Reichsabgabenordnung - AO -). Hieraus ergibt sich, daß über die Befreiungen von der Grundsteuer (ß 4 des Grundsteuergesetzes - GrStG -) im Steuermeßbetragsverfahren zu entscheiden ist.
II. - Unzutreffend ist auch die Auffassung der Bfin., daß die erstmalige Teilbefreiung eines Grundstücks von der Grundsteuer (ß 6 Abs. 2 GrStG) nicht von der vorherigen Fortschreibung des Einheitswerts abhängig sei. Die Bfin. übersieht, daß die Festsetzung der Grundsteuermeßbeträge mit der Einheitsbewertung aufs engste verknüpft ist. Ein Einheitswertbescheid enthält Feststellungen über den der Besteuerung zugrunde zu legenden Wert, über die Art des Steuergegenstands (z. B. land- und forstwirtschaftlicher Betrieb, Grundstück) sowie darüber, wem der Steuergegenstand bei der Besteuerung zuzurechnen ist (vgl. §§ 214 und 216 AO). In den §§ 13, 14 und 15 GrStG ist ausdrücklich bestimmt, daß die Steuermeßbeträge im Anschluß an die Feststellung der Einheitswerte (sei es Hauptfeststellung, Fortschreibung oder Nachfeststellung) festgesetzt werden und daß der Veranlagung des Steuermeßbetrags jeweils der maßgebende Einheitswert sowie die anderen im Einheitswertbescheid getroffenen Feststellungen zugrunde zu legen sind.
Im Bewertungsgesetz und im Grundsteuergesetz ist nicht ausdrücklich geregelt, wie zu verfahren ist, wenn ein bisher ganz zur Grundsteuer herangezogener Steuergegenstand nur noch mit einem Teil zur Grundsteuer heranzuziehen ist. Wenn umgekehrt ein Steuergegenstand bisher in vollem Umfang von der Grundsteuer befreit war und die Voraussetzungen der Befreiung für den ganzen Steuergegenstand oder für einen Teil weggefallen sind, ist für den ganzen Steuergegenstand oder für den steuerpflichtig gewordenen Teil des Steuergegenstandes nachträglich ein Einheitswert festzustellen (ß 23 Abs. 1 Ziff. 2 des Bewertungsgesetzes - BewG -) und der Steuermeßbetrag nachträglich zu veranlagen (ß 15 GrStG). Ist bereits ein maßgebender Einheitswert vorhanden, so ist lediglich der Grundsteuermeßbetrag nachträglich zu veranlagen (ß 34 der Grundsteuerdurchführungsverordnung - GrStDV -). Sinngemäß muß auch verfahren werden, wenn ein bisher ganz zur Grundsteuer herangezogener Steuergegenstand nur mit einem Teil zur Grundsteuer heranzuziehen ist. In einem solchen Fall muß der Einheitswert für den steuerpflichtig gebliebenen Teil des Steuergegenstands fortgeschrieben und der Grundsteuermeßbetrag dementsprechend neu veranlagt werden (ß 225a Abs. 1 Ziff. 1 AO, § 14 GrStG).
III. - Im Streitfall war der Steuergegenstand bisher in vollem Umfang zur Grundsteuer herangezogen worden. Nach dem Gesetz zur änderung des Grundsteuergesetzes in Verbindung mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs III 175/53 S vom 28. August 1954 (Slg. Bd. 59 S. 318, Bundessteuerblatt 1954 III S. 333) sind die Voraussetzungen der Befreiung für einen Teil des Grundstücks gegeben. Das Finanzamt hat daher ganz richtig eine Fortschreibung des Einheitswerts für den steuerpflichtig gebliebenen Teil des Grundstücks durchgeführt (ß 214 Ziff. 3 AO). Auch ein solcher Fortschreibungsbescheid wird - wie die Vorinstanz zutreffend angenommen hat - auf Antrag erlassen, der nur bis zum Ablauf des Kalenderjahres, auf dessen Beginn die neue Feststellung begehrt wird, gestellt werden kann (ß 225a Abs. 2 AO). Dabei kommt es aber bei der engen Verknüpfung der Festsetzung der Grundsteuermeßbeträge mit der Einheitsbewertung nicht entscheidend darauf an, ob der Steuerpflichtige einen förmlichen Antrag auf Fortschreibung des Einheitswerts stellt. Es reicht auch aus, wenn er Befreiung von der Grundsteuer geltend macht.
Die Vorinstanz hat auch nicht übersehen, daß der Fortschreibungsbescheid erforderlichenfalls von Amts wegen zu erlassen ist (ß 225a Abs. 2 AO), d. h. wenn die steuerliche Gerechtigkeit die Fortschreibung verlangt. Nach ihrer Auffassung trifft dies - wie sich aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ergebe - dann zu, wenn der Steuerpflichtige einen ausreichenden Grund für die begehrte Fortschreibung auf den angegebenen Stichtag gehabt und nicht grundlos mit der Antragstellung jahrelang gewartet habe. Ein derartiger Tatbestand liege aber bei der Bfin. nicht vor. Sie habe den Antrag auf Fortschreibung zum 1. Januar 1951 schon einige Jahre früher (nach Erlaß des Gesetzes zur änderung des Grundsteuergesetzes) stellen können. Zudem beziehe sich die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs über das Erfordernis der Wertfortschreibung von Amts wegen besonders auf die Fälle, in denen die Fortschreibung für den Lastenausgleich von Bedeutung gewesen sei. Das trifft an sich zu. Aber auch bei anderen Steuerarten kann die steuerliche Gerechtigkeit eine Fortschreibung des Einheitswerts von Amts wegen auf einen zurückliegenden Zeitpunkt erfordern. Aus der Entscheidung vom 28. August 1954 ist zu ersehen, daß im Zusammenhang mit der Einführung der Gemeinnützigkeit als Befreiungsgrund durch das Gesetz zur änderung des Grundsteuergesetzes eine Lücke im GrStG entstanden ist, die erst durch die genannte Entscheidung ausgefüllt worden ist. Unter diesen Umständen kann nicht angenommen werden, daß die Bfin. mit ihrem Antrag auf Teilbefreiung ihres Grundstücks grundlos jahrelang gewartet hat. Die steuerliche Gerechtigkeit erfordert vielmehr eine Rückbeziehung der Teilbefreiung auf den 1. Januar 1951.
IV. - über den Umfang der Steuerbefreiung besteht kein Streit. Die Sache ist spruchreif. Die vom Finanzamt mit Bescheid vom 14. Mai 1955 zum 1. Januar 1955 durchgeführte Wertfortschreibung und Fortschreibungsveranlagung gilt bereits zum 1. Januar 1951.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 307 ff. AO.
Fundstellen
Haufe-Index 408394 |
BStBl III 1956, 69 |
BFHE 1956, 186 |
BFHE 62, 186 |