Grundsteuer-Gutachten: Klagewelle in NRW möglich
Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Grundsteuerreform, die am 1.1.2025 in Kraft tritt, belastet in Nordrhein-Westfalen (NRW), wo das sogenannte Bundesmodell angewendet wird, Wohngrundstücke stärker als Geschäftsgrundstücke. Im Juli 2024 verabschiedete der Landtag deshalb ein Gesetz, das es Kommunen ermöglicht, differenzierte Hebesätze anzuwenden.
Ein Gutachten von zwei Professoren im Auftrag des Städtetages NRW legt nun erhebliche rechtliche Risiken für die Städte und Gemeinden durch das Landesmodell zur Grundsteuer mit differenzierten Hebesätzen offen.
Gutachten: Hebesatz-Differenzierung anfällig für Klagen
Das Gutachten, das der Städtetag NRW bei Prof. Dr. Steffen Lampert (Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht am Institut für Staats-, Verwaltungs- und Wirtschaftsrecht, Universität Osnabrück) und Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M. (Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht, Universität Hamburg) in Auftrag gegeben hat, kommt zu einem anderen Ergebnis als ein Gutachten, das vom Finanzministerium NRW im September 2024 veröffentlicht worden ist.
Wörtlich heißt es bei Lampert und Hummel:
"Nordrhein-Westfalens Grundsteuerhebesatzgesetz soll nach den Überzeugungen der Urheber des Gesetzentwurfs den logischen Abschluss der Grundsteuerreform des Bundesmodells bilden, bedürfe diese doch einer Erweiterung, mit welcher den Kommunen ein optionales gesondertes Hebesatzrecht für Wohn- und Nichtwohngrundstücke einzuräumen sei.
Diesem Anspruch wird Nordrhein-Westfalens Grundsteuerhebesatzgesetz indes nicht gerecht. Es greift nämlich mit seinen Regelungen in die vorgenommene Bewertung für die Grundsteuer und in die darauf landesweit einheitlich vorgenommene Differenzierung mittels der Steuermesszahlen ein.
So modifiziert Nordrhein-Westfalens Grundsteuerhebesatzgesetz, gemessen an seinen faktischen Wirkungen, die Grundsteuer nach bisherigem Verständnis und vor allem auch nach Maßgabe des Grundsteuergesetzes. In Abkehr von der einheitlichen Grundlage für die Grundsteuer soll vielmehr ein individueller gemeindebezogener, mit einem Sachgestaltungsanspruch verbundener Belastungserfolg herbeigeführt werden. Ziel ist es dabei, das vormalige Grundsteuer-Belastungsniveau für die Wohngrundstücke zulasten der Nichtwohngrundstücke zu sichern. Die Eigentümer der Nichtwohngrundstücke als Gruppe in einer Gemeinde – in der Summe ihrer Grundsteuermessbeträge – soll so letztlich nicht von der Neubewertung ihrer Grundstücke in vollem Umfang profitieren und korrespondierend die Eigentümer der Wohngrundstücke als Gruppe in einer Gemeinde – in der Summe ihrer Grundsteuermessbeträge – von den nachteiligen Folgen der Neubewertung ihrer Grundstücke verschont werden. Die normativen Resultate der Neubewertung und die nachfolgende Steuerbemessung können damit im Nachhinein in Abhängigkeit der Struktur der jeweiligen Gemeinde im Wege des Zugriffs auf das Belastungsergebnis mittels der Bestimmung der Hebesätze egalisiert werden.
Letztlich geht es dem Landesgesetzgeber damit (nur) darum, die Folgen bundesgesetzlicher Typisierungen und Pauschalierungen auf Ebene des Bewertungsverfahrens mit Blick auf bebaute Grundstücke im Sinne des § 248 BewG zu relativieren, obgleich diese unter denselben Steuergegenstand im Sinne des § 2 GrStG fallen wie unbebaute Grundstücke
im Sinne des § 246 BewG. Weil der nach Maßgabe der Bundesregelung sich einstellende Belastungserfolg aus Landesperspektive (politisch) nicht gewollt ist, werden punktuelle Eingriffe vorgenommen, die als solche den Zweckzusammenhang der Bundesregelung einerseits – nämlich der äußeren Form nach – bestätigen und andererseits – nämlich der inneren Absicht nach – modifizieren.
Der Landesgesetzgeber berücksichtigt ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs auch nicht, dass die Bestimmung der Höhe der Grundsteuer zugleich Ausdruck des Finanzbedarfs der jeweiligen Gemeinde ist. Schon deshalb kann es bei bau- und wertidentischen Grundstücken in verschiedenen Gemeinden zu einer unterschiedlichen Belastung mit der Grundsteuer nach dem Grundsteuergesetz kommen.
Überdies geht der Landesgesetzgeber im Hinblick auf die (politisch) erstrebte Aufkommensneutralität von einem anderen Ziel aus als der Bundesgesetzgeber: Der Bundesgesetzgeber will das Gesamtaufkommen in einer Gemeinde ausgeglichen wissen, um ein konstantes Grundsteueraufkommen zu sichern. Hingegen will der Landesgesetzgeber bei bau- und wertidentischen Grundstücken in verschiedenen Gemeinden der gleichen Steuerbelastung den Weg ebnen.
Ferner ist die Kompetenz des Landesgesetzgebers zur abweichenden Gesetzgebung zwar nicht auf einzelne Regelungsgegenstände oder -aspekte beschränkt, ob er aber die zweite Stufe der Ermittlung der Grundsteuer, mithin die zumindest landeseinheitlich wirkenden Steuermesszahlen, de facto überschreiben darf, erscheint zweifelhaft."
Das Gutachten für das Finanzministerium räumte indessen Bedenken gegen die Einführung der Differenzierungsoption umfassend aus, "soweit der Belastungsunterschied zwischen Wohn- und Nichtwohngrundstücken nicht mehr als 50 Prozent beträgt, ist die Orientierung der Belastungsverteilung an den Auswirkungen des bisherigen Grundsteuergesetzes zulässig und wirft auch keine Verfassungsmäßigkeitszweifel auf".
Grundsteuer: Städtetag NRW fordert Korrekturen
Das Modell der Landesregierung sei für die Städte "hochriskant", erklärte Thomas Eiskirch, Vorsitzender des Städtetages NRW und Oberbürgermeister der Stadt Bochum (SPD). Betroffene haben laut Gutachten gute Chancen, gegen die unterschiedlichen Hebesätze zu klagen.
Der Städtetag forderte das Land zur Kurskorrektur auf. "Das Land hätte längst problemlos dafür sorgen können, dass Wohngrundstücke durch die Grundsteuerreform nicht übermäßig belastet werden, indem es schlicht und einfach landesweit die Messzahlen anpasst", so Eiskirch weiter. As Vorbild nannte er Sachsen, das Saarland und Berlin. "Und auch NRW sollte es so machen. Für 2025 ist es nun aber zu spät."
Grundsteuer ab 2025: Fragen und Antworten auf einen Blick
FG Köln: Musterklage gegen Bundesmodell abgewiesen
In einem aktuellen Urteil wurde eine Klage gegen die neue Grundsteuerbewertung in NRW abgewiesen. Das Urteil war das erste zum Bundesmodell, das von neun Bundesländern ohne Abweichung angewandt wird.
Die Klage richtete sich gegen einen Bescheid, mit dem der Grundsteuerwert zum 1.1.2022 festgestellt wurde. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken, wie sie die Kläger angeführt hatten, sah das Gericht nicht.
Das könnte Sie auch interessieren:
Wie hoch wird die Grundsteuer ab 2025 wirklich?
-
Grundsteuer: Wie teuer wird es 2025 für Wohneigentümer?
5.997
-
Mindesttemperatur: Was Vermieter rechtlich beachten müssen
4.116
-
Sonder-AfA für den Neubau von Mietwohnungen wird angepasst
4.0586
-
Mehrfamilienhaus: Videoüberwachung – das ist erlaubt
2.729
-
Hydraulischer Abgleich: Neue Fristen für Vermieter
2.533
-
Degressive AfA für den Wohnungsbau: fünf Prozent, sechs Jahre
2.234
-
CO2-Abgabe soll stärker steigen: Was auf Vermieter zukommt
1.9927
-
Energetische Sanierung: Steuerliche Förderung angepasst
1.297
-
Was darf in die Garage und was nicht? Wo Bußgelder drohen
1.260
-
EZB senkt Leitzins zum vierten Mal – gut für Kredite
1.191
-
Wahlprogramme der Parteien zum Thema Wohnen
20.12.2024
-
Zu scharf: Neues Mietgesetz sorgt für Wirbel
19.12.2024
-
Niedersachsen weitet Mietpreisbremse aus
18.12.2024
-
Gesetze, Fristen, Dauerbrenner: Das kommt 2025
17.12.2024
-
Scout24-Übernahme von Bulwiengesa ist fix
17.12.2024
-
Jahresrückblick: Immobilien-Highlights und Miseren
17.12.2024
-
Immobilienbranche: Keine Zukunft ohne Techies
17.12.2024
-
Smart-Meter-Rollout: Pflichten ab Januar 2025
17.12.2024
-
Jeder dritte Deutsche wohnt unter der Mietpreisbremse
13.12.20241
-
EZB senkt Leitzins zum vierten Mal – gut für Kredite
12.12.2024