Leitsatz (amtlich)
Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes, durch den das HZA einen bei ihm gestellten Billigkeitsantrag ablehnt, können nicht daraus hergeleitet werden, daß die in ihm liegende Ermessensentscheidung über die Billigkeitsmaßnahme nicht vom HZA selbst, sondern vom BdF getroffen worden ist.
Normenkette
AO § 131 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 46 Abs. 2; Erlaßrichtlinien vom 7. Dezember 1953 (BZBl 1953, 810)
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ließ im Jahre 1962 Rohzucker, den sie unter Entrichtung der Zuckersteuer und der Ausgleichsteuer ihrem Zollaufschublager entnommen hatte, im passiven Veredelungsverkehr raffinieren. Nach der Wiedereinfuhr der Ware stellte sie beim Beklagten und Revisionskläger (HZA) den Antrag, ihr die für den Rohzucker entrichteten Abgaben in Höhe des Betrages von 34 677,40 DM zu erstatten, der auf den durch die Raffination entstandenen Schwund entfiel. Das HZA befürwortete den Antrag mit Bericht vom 13. Mai 1966 und bat die OFD, die Sache dem BdF zur Entscheidung vorzulegen. In ihrem Vorlagebericht vertrat die OFD die Auffassung, die von der Klägerin geltend gemachten Umstände könnten einen Billigkeitserweis nicht rechtfertigen. Der BdF trat dieser Auffassung bei und veranlaßte die OFD durch Erlaß vom 5. Juli 1966, das HZA anzuweisen, den Antrag abzulehnen. Gegen die vom HZA sodann am 13. Oktober 1966 erlassene Ablehnungsverfügung erhob die Klägerin vergeblich Beschwerde. Auf ihre Klage hin hob das FG die Verfügung des HZA vom 13. Oktober 1966 und die Beschwerdeentscheidung der OFD auf. Zur Begründung führte es aus:
Die Befugnis, im Einzelfall Steuern zu erlassen oder zu erstatten, wenn ihre Einziehung unbillig wäre, stehe nach § 131 Abs. 3 AO der obersten Finanzbehörde oder den von ihr bestimmten Stellen zu. Der BdF habe von der Möglichkeit der Befugnisübertragung in den Erlaßrichtlinien vom 7. Dezember 1953 (BZBl 1953, 810) Gebrauch gemacht. Danach seien die OFD und die HZÄ allgemein befugt, Billigkeitsanträge oder ihre Weitergabe abzulehnen, während ihre Befugnis, Anträgen stattzugeben, auf einen Katalog abgegrenzter Billigkeitstatbestände beschränkt sei (Dritter Teil, Erster Abschnitt Nr. 3; Zweiter Teil Nr. 2). Das HZA habe dem von ihm für begründet gehaltenen Antrag der Klägerin auf Grund der Erlaßrichtlinien nicht entsprechen dürfen; es habe ihn nur befürwortend der OFD vorlegen können. Mit der Unterlassung einer Ablehnung und der befürwortenden Vorlage des Antrags habe das HZA das ihm zustehende Ermessen ausgeübt. Es habe daher von der OFD nicht angewiesen werden können, entgegen seinem bereits ausgeübten Ermessen den Antrag im eigenen Namen abzulehnen. Ein solches Verfahren sei auch nicht erforderlich gewesen, weil nach § 131 Abs. 3 AO in Verbindung mit den Erlaßrichtlinien entweder die OFD oder der BdF in der Lage gewesen sei, den ablehnenden Verwaltungsakt zu erlassen. Es würde das Rechtsschutzinteresse des Steuerpflichtigen verletzen, wenn dieselbe vorgesetzte Behörde, die der ihr unterstehenden Behörde durch Erteilung einer Weisung ihre abweichende Auffassung über die Ausübung des Ermessens vorgeschrieben habe, später auch zur Entscheidung über die Beschwerde berufen wäre.
Wenn also die untergeordnete Behörde das ihr nach § 131 AO in Verbindung mit den Erlaßrichtlinien zustehende Ermessen bereits durch befürwortende Vorlage des Billigkeitsantrags an die zur positiven Entscheidung befugten vorgesetzten Behörden ausgeübt habe und diese die nach ihrer Meinung gebotene Ablehnung des Antrags mit Hilfe der im § 46 AO geregelten Weisungsbefugnis von der untergeordneten Behörde vornehmen lasse, verletze die vorgesetzte Behörde die Rechte des Steuerpflichtigen. Im vorliegenden Falle habe sich das HZA beim Erlaß des angefochtenen Ablehnungsbescheides an eine solche Weisung der OFD gebunden gefühlt und daher bei der Ablehnung des Antrags nicht sein eigenes Ermessen walten lassen. Das stelle eine Ermessensüberschreitung im Sinne des § 2 StAnpG und des § 102 FGO dar, die gebiete, den ablehnenden Bescheid des HZA aufzuheben.
Das HZA begründet seine Revision wie folgt:
Das FG-Urteil verletze § 46 Abs. 2 AO und § 3 FVG. Das der OFD nach diesen Vorschriften zustehende Weisungsrecht diene der sich aus dem System der Über- und Unterordnung der Behörden ergebenden Aufgabe, eine gleichmäßige und einheitliche Rechtsanwendung sicherzustellen. Trotz vorausgegangener Weisung bleibe die ihr entsprechende Entscheidung ein Verwaltungsakt der angewiesenen Zollbehörde. Daraus entstünden dem Beteiligten keine Nachteile. Es gehe ihm weder formell noch sachlich eine Rechtsbehelfsinstanz verloren.
Die Klägerin vertritt im wesentlichen die Auffassung des FG.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet.
Nach § 131 Abs. 1 AO können Steuern erlassen oder erstattet werden, wenn ihre Einziehung nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre. Diese Befugnis steht nach § 131 Abs. 3 Satz 1 AO der obersten Finanzbehörde der Körperschaft, die die Steuer verwaltet, oder den von ihr bestimmten Stellen zu. Die Befugnis, Zuckersteuer und andere vom Bund verwaltete Verbrauchsteuern aus Billigkeitsgründen zu erstatten, stand daher zur Zeit des Antrags der Klägerin grundsätzlich dem BdF zu. Dieser hatte durch die Erlaßrichtlinien vom 7. Dezember 1953 von der Möglichkeit der Übertragung seiner Befugnis Gebrauch gemacht. Für Verbrauchsteuern, die wie im vorliegenden Falle als Eingangsabgaben erhoben wurden, hatte er den HZÄ und den OFD die Befugnis zur Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen beim Vorliegen bestimmter Tatbestände übertragen (Dritter Teil, Erster Abschnitt Nr. 3; Zweiter Teil Nr. 2).
Die HZÄ und die OFD hat er im übrigen für allgemein befugt erklärt, Anträge auf Billigkeitsmaßnahmen oder die Weitergabe solcher Anträge abzulehnen (Zweiter Teil Nr. 2 C 3). Das ist keine Befugnisübertragung im Sinne des § 131 Abs. 3 AO, da diese Vorschrift wegen ihres ausdrücklichen Hinweises auf Abs. 1 nur die Befugnis zur Gewährung, nicht auch die zur Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme betrifft. Aus den Erlaßrichtlinien des BdF ging insgesamt hervor, daß die Befugnis, den in Rede stehenden Zuckersteuerbetrag aus Billigkeitsgründen zu erstatten, beim BdF selbst verblieben war. Nur diesem stand also die auf Grund des Antrags der Klägerin zu treffende Entscheidung zu, ob die Einbehaltung der Steuer angesichts der besonderen Umstände des Falles unbillig wäre. Diese Entscheidung war nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen (vgl. den Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Deshalb blieb daneben kein Raum für eine eigene Ermessensentscheidung des HZA. Dieses hat eine eigene Ermessensentscheidung im Sinne des § 131 Abs. 1 AO auch nicht getroffen. Eine eigene Entscheidung des HZA kann nicht etwa darin gesehen werden, daß dieses von der ihm durch die Erlaßrichtlinien vom 7. Dezember 1953 zugestandenen Möglichkeit der Ablehnung des Antrags keinen Gebrauch machte und unter Befürwortung des Antrags die OFD bat, die Sache dem BdF zur Entscheidung vorzulegen. Denn das HZA hat sich mit diesem Verhalten nicht an die Klägerin gewandt, also keinen Verwaltungsakt erlassen (vgl. § 91 AO), sondern sich auf seine innerdienstliche Tätigkeit beschränkt und hierbei lediglich Einfluß auf die Entscheidung des BdF nehmen wollen.
Einen Verwaltungsakt, der sich der Klägerin als Entscheidung über den Erstattungsantrag darstellt, hat das HZA erst durch die Verfügung vom 13. Oktober 1966 erlassen. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes, durch den das HZA einen bei ihm gestellten Billigkeitsantrag ablehnt, können nicht daraus hergeleitet werden, daß die in ihm liegende Ermessensentscheidung über die Billigkeitsmaßnahme nicht vom HZA selbst, sondern vom BdF getroffen worden ist. Da die Klägerin ihren Erstattungsantrag an das HZA gerichtet hatte, entsprach es ihrem damit geäußerten Willen, durch einen Bescheid dieser Behörde auch eine Entscheidung über den Antrag zu erhalten. Es lag auch in ihrem Interesse, daß das HZA nicht von vornherein den Antrag unter Berufung auf das Fehlen einer eigenen Erstattungsbefugnis zurückwies, sondern ihn dem zur Erstattung allein befugten BdF zuleitete und sogar befürwortete. Der Umstand, daß das HZA die ablehnende Entscheidung des BdF weisungsgemäß als seine eigene Entscheidung erscheinen ließ, ist ebenfalls rechtlich unbedenklich, da die Klägerin vom HZA selbst eine positive Entscheidung nicht erhalten konnte und ein vom BdF erlassener Verwaltungsakt keinen anderen Inhalt gehabt hätte als der des HZA. Außerdem entsprach das angewandte Verfahren dem in § 46 Abs. 2 AO zum Ausdruck gekommenen, dem gleichmäßigen Gesetzesvollzug dienenden Prinzip, daß die übergeordnete Behörde ihren eigenen Willen an die Stelle des Willens der untergeordneten Behörde setzen kann.
Durch das angewandte Verfahren ist das Rechtsschutzinteresse der Klägerin schon deshalb nicht verletzt worden, weil die Klägerin auf ihren an das HZA gerichteten Antrag von dieser Behörde wegen fehlender eigener Erstattungsbefugnis nur einen ablehnenden Bescheid erhalten konnte und weil der gerichtliche Rechtsschutz gegenüber dem Verwaltungsakt des HZA nicht geringer ist als der gegenüber einem die Erstattung von Verbrauchsteuern ablehnenden Verwaltungsakt des BdF. Der Umstand, daß gegen einen Verwaltungsakt des BdF keine Beschwerde in Betracht kommt (§ 230 Abs. 3 AO), beeinträchtigt den letztlich allein wesentlichen gerichtlichen Rechtsschutz nicht. Denn diesem gegenüber hat das Beschwerdeverfahren lediglich die Bedeutung, daß der Verwaltung vor dem gerichtlichen Verfahren noch einmal Gelegenheit gegeben werden soll, ihren Verwaltungsakt zu überprüfen (vgl. § 45 FGO).
Der erkennende Senat teilt somit nicht die vom V. Senat im Urteil vom 27. Oktober 1966 V 86/65 (BFHE 87, 206, BStBl III 1967, 98) vertretene Auffassung, eine Befugnisübertragung im Sinne des § 131 Abs. 3 AO liege auch dann vor, wenn der BdF der nachgeordneten Behörde nur das Recht zur Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme zugesteht. Da indessen der erkennende Senat dem V. Senat darin folgt, daß eine nicht zur Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme ermächtigte Behörde einen Billigkeitsantrag ablehnen darf, ist es im vorliegenden Fall nicht erforderlich, den Großen Senat des BFH nach § 11 Abs. 3 FGO anzurufen.
Das FG hätte somit die Verfügung des HZA vom 13. Oktober 1966 nicht deshalb aufheben dürfen, weil die in ihr erklärte Ablehnung des Erstattungsantrages auf einer Weisung des BdF beruhte. Seine Entscheidung war daher aufzuheben. Es wird nunmehr prüfen müssen, ob die in der Ablehnung liegende Entscheidung vom BdF innerhalb der Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens getroffen worden ist. Zu diesem Zwecke war die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Die Übertragung der Kostenentscheidung und die Festsetzung des Streitwertes beruhen auf § 143 Abs. 2 und § 140 Abs. 3 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 70354 |
BStBl II 1973, 325 |
BFHE 1973, 282 |