Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Bilden Kohlengroßhändler zur Sicherung ihrer Verbindlichkeiten gegenüber dem gemeinsamen Lieferanten einen Bürgschaftsstock, so dürfen sie in der Regel für ihre Bürgschaftsverpflichtungen auch dann eine Rückstellung bilden, wenn bei Aufstellung der Bilanz noch keine bestimmten Ausfälle bei einem der Kohlengroßhändler erkennbar waren. Die Höhe der Rückstellungen richtet sich nach dem für den Lieferanten ohne den Bürgschaftsstock bestehenden und nach allgemeinen Grundsätzen zu berechnenden Ausfallrisiko. EStG § 5, § 6 Abs. 1 Ziff. 2.
Normenkette
EStG §§ 5, 6/1/2
Tatbestand
Streitig ist bei der einheitlichen Gewinnfeststellung 1956, ob die beschwerdeführende KG, die den Kohlengroßhandel betreibt, in ihrer Bilanz vom 31. Dezember 1956 eine Rückstellung für Bürgschaftsverpflichtungen machen darf.
Durch Vertrag vom 14. April 1954 schloß sich die Bfin. mit 23 Kohlengroßhändlern zur Bildung eines Bürgschaftsstocks in Höhe von . . . Millionen DM zusammen, der zur Sicherung der dem gemeinsamen Kohlenlieferanten (abgekürzt: L.) gegen die 24 Kohlengroßhändler jeweils zustehenden Warenforderungen diente. Sobald jeder Kohlengroßhändler den auf ihn entfallenden Anteil am Bürgschaftsstock leistet, ist er von jeder weiteren Bürgschaftsverpflichtung frei.
Auf Grund dieses Vertrages zahlte die Bfin. zur Bildung des Bürgschaftsstocks bis zum 31. Dezember 1956 . . . DM ein, die sie in ihrer Bilanz als Anteil am Stockvermögen aktivierte. Zur Deckung ihres sich aus der Bürgschaft ergebenden Risikos bildete sie auf der Passivseite der Bilanz mit der folgenden Begründung eine Rückstellung in Höhe von 50 v. H. des eingezahlten Betrages. Die Forderungen des L. aus Warenlieferungen an die 24 Kohlengroßhändler hätten am 31. März 1957 . . . Millionen DM betragen. Die von ihr begehrte Rückstellung entspreche einer Delkredere-Rückstellung von etwa 4,2 v. H. auf diese Forderungen und trage deshalb der Gefahr der Inanspruchnahme in angemessener Weise Rechnung. Im Jahr 1955 habe eine andere Gemeinschaftsbürgschaft zum Verlust des ganzen Stockvermögens geführt. Das Finanzamt versagte die Rückstellung, weil das Stockvermögen weder in der Vergangenheit noch in den folgenden Jahren in Anspruch genommen worden sei und bei Aufstellung der Bilanz vom 31. Dezember 1956 festgestanden habe, daß für die an diesem Stichtag bestehenden Forderungen des L. keine Zahlungen auf Grund der Bürgschaft notwendig werden würden.
Die Berufung blieb erfolglos. Das Finanzgericht ging in der in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1960 S. 252 veröffentlichten Entscheidung davon aus, daß eine Rückstellung für die Bürgschaftsverpflichtungen erst zulässig sei, wenn die Inanspruchnahme der Bürgen wegen der Zahlungsunfähigkeit der Schuldner ernstlich drohe. Es genüge nicht jede entfernte Möglichkeit einer künftigen Inanspruchnahme. Bis zur Aufstellung der Bilanz vom 31. Dezember 1956 im Dezember 1958 habe kein konkreter Anlaß zur Annahme bestanden, daß der Bürgschaftsstock für die am 31. Dezember 1956 bestehenden Forderungen des L. in Anspruch genommen werden würde.
Entscheidungsgründe
Die Rb. der Bfin. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Die Frage, ob die Bfin. wegen der Gefahr der Inanspruchnahme aus der Bürgschaft bis zu ihrem Anteil am Stockvermögen eine Rückstellung bilden darf, hängt eng mit der Bewertung der dem L. gegen die 23 anderen Kohlengroßhändler zustehenden Warenforderungen zusammen. In dem Umfang, in dem L. mit einem Ausfall seiner Forderungen rechnen darf, besteht für die Eigentümer des Stockvermögens die Gewißheit, aus der Bürgschaft in Anspruch genommen zu werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 27/57 U vom 15. April 1958, BStBl 1958 III S. 260, Slg. Bd. 66 S. 677). Daraus folgt, daß L. auf diese Außenstände eine Delkredere-Rückstellung nur machen darf, soweit die nach allgemeinen Grundsätzen ermittelte Rückstellung den Betrag von ... Millionen übersteigen würde und daß jeder Kohlengroßhändler die bei L. durch das Stockvermögen beseitigte Ausfallgefahr durch eine anteilige Rückstellung insoweit zum Ausdruck bringen darf, als sich die Gefahr nicht auf die gegen ihn gerichtete Warenforderung bezieht. Die Entscheidung hängt also davon ab, ob L. für die ihm am 31. Dezember 1956 zustehenden Warenforderungen gegen die anderen 23 Kohlengroßhändler eine Delkredere-Rückstellung hätte bilden dürfen, wenn das Stockvermögen nicht bestehen würde. Die Gefahr der Inanspruchnahme des Stockvermögens zeigt bei wirtschaftlicher Betrachtung ähnlichkeit mit den subsidiären Verpflichtungen des Kaufmanns aus der Weitergabe von Kundenwechseln.
Das Finanzgericht geht zutreffend davon aus, daß grundsätzlich jede einzelne Forderung und jedes einzelne Risiko für sich zu bewerten und eine Wertberichtigung oder eine Rückstellung nur zulässig ist, soweit am Bilanzstichtag Tatsachen vorliegen, aus denen eine Konkretisierung der Gefahr und eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Ausfalls oder der Inanspruchnahme hergeleitet werden können (Urteil des Reichsfinanzhofs VI 281/41 vom 22. Oktober 1941, RStBl 1941 S. 894). Die Rechtsprechung erkennt aber der kaufmännischen übung folgend auch pauschale Wertberichtigungen und pauschal berechnete Rückstellungen an, wenn es sich um eine Zusammenfassung gleichartiger Wirtschaftsgüter oder Risiken handelt und die individuelle Behandlung mit Schwierigkeiten verbunden oder unzumutbar ist. Auch bei der im Schätzungswege zu ermittelnden Pauschale muß von der objektiv durch die Verhältnisse des Betriebs bedingten Gefahr ausgegangen werden; bloße Vermutungen oder pessimistische Beurteilung der künftigen Entwicklung, für die am Bilanzstichtag kein greifbarer Anhalt vorliegt, bleiben außer Betracht (Urteil des Bundesfinanzhofs I 60/57 U vom 1. April 1958, BStBl 1958 III S. 291, Slg. Bd. 67 S. 47). Deshalb hat der Senat in der Entscheidung I 99/56 U vom 4. Dezember 1956 (BStBl 1957 III S. 16, Slg. Bd. 64 S. 43) bei Realkreditinstituten keine allgemeine Delkredere-Rückstellung auf Hypotheken zugelassen, bei denen mit Rücksicht auf die am Bilanzstichtag vorliegenden Tatsachen nach den allgemeinen Erfahrungen des Lebens mit Ausfällen nicht zu rechnen war. Dort kam der dinglichen Sicherung der Forderungen eine besondere Bedeutung zu. In der Regel wird man aber bei einer größeren Anzahl gleichartiger Forderungen davon ausgehen müssen, daß Forderungsausfälle mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten werden. Die Rechtsprechung hat deshalb die Bildung einer Pauschalrückstellung oder eines Pauschaldelkredere nicht von dem Nachweis abhängig gemacht, daß der Eingang einzelner, von der Pauschalrückstellung betroffener Forderungen auf Grund bestimmter am Bilanzstichtag vorliegender Tatsachen gefährdet ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn nach den Verhältnissen des Betriebs Grund zu der Annahme besteht, daß entgegen der allgemeinen Lebens- und Wirtschaftserfahrung bei der zum Zwecke der Bewertung zusammengefaßten Masse der Forderungen keinerlei Ausfälle eintreten werden (Urteile des Reichsfinanzhofs VI A 31/31 vom 15. Januar 1931, RStBl 1931 S. 201; VI A 1483-1485/30 vom 28. Oktober 1931, RStBl 1932 S. 144; I A 291/34 vom 7. April 1936, RStBl 1936 S. 755; Urteile des Bundesfinanzhofs III 132/56 S vom 23. November 1956, BStBl 1957 III S. 14, Slg. Bd. 64 S. 34, und IV 470/55 U vom 22. Mai 1958, BStBl 1958 III S. 345, Slg. Bd. 67 S. 192).
Wendet man diese Grundsätze auf die von der Bfin. begehrte Pauschalrückstellung an, so wird man gegen die zusammenfassende Bewertung der sich durch die Bürgschaft für die 23 anderen Kohlengroßhändler ergebenden Risiken keine Bedenken zu erheben brauchen, zumal der Bfin. die betrieblichen Verhältnisse der anderen Großhändler im einzelnen nicht bekannt sind und deshalb ausreichende Unterlagen für die Einzelbewertung der Risiken fehlen. Läßt man eine Pauschalrückstellung für die Summe der Risiken zu, so braucht die Bfin., um eine Rückstellung dem Grunde nach zu rechtfertigen, nicht darzulegen, daß auf Grund bestimmter, am Bilanzstichtag vorliegender Tatsachen bei einzelnen Bürgschaftsrisiken eine Inanspruchnahme mit gewisser Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Es genügt vielmehr der Hinweis auf die allgemeine Lebenserfahrung, wonach bei einer solchen Vielzahl von Risiken das Stockvermögen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in Anspruch genommen werden wird, weil keine besonderen Verhältnisse vorliegen, die eine andere Schlußfolgerung rechtfertigen könnten. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis der Bfin. auf einen ähnlich gelagerten Fall von Bedeutung, in dem der Bürgschaftsstock zum großen Teil in Anspruch genommen wurde. Auch die Tatsache, daß ein Bürgschaftsstock im Interesse des L. gebildet wurde, läßt den Schluß zu, daß die Beteiligten ernstlich mit einem gewissen Ausfallrisiko rechneten und daraus auch Folgerungen zogen, die nicht nur in der Bildung von Rückstellungen zu Lasten des Ertrages bestanden.
Da das Finanzgericht diese für Pauschalrückstellungen geltenden Grundsätze verkannte, muß die Vorentscheidung aufgehoben werden. Die Sache wird an das Finanzamt zur erneuten Entscheidung im Einspruchsverfahren zurückverwiesen. Wenn den einzelnen Kohlengroßhändlern die Summe der Forderungen des L. bekannt war, ist es zweckmäßig, die Höhe der Rückstellung der Bfin. und der anderen Kohlengroßhändler nach dem ohne den Bürgschaftsstock für L. bestehenden Ausfallrisiko zu bemessen. Bei der Berechnung dieses Risikos wird das Finanzamt von den allgemeinen Erfahrungen ausgehen können, die die Finanzverwaltung und die Wirtschaft hinsichtlich des Ausfallrisikos bei Kohlenlieferungen an Kohlengroßhändler gesammelt haben. Dieser Betrag muß nach einem angemessenen Maßstab auf die Kohlenhändler verteilt werden. Möglicherweise läßt sich, wenn der Bürgschaftsstock in der Regel in einem bestimmten Verhältnis zu der Summe der Forderungen des L. steht, durch einmalige Ermittlungen ein Hundertsatz des Anteils am Bürgschaftsstock feststellen, der, solange sich die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht ändern, in etwa dem Bürgschaftsrisiko Rechnung trägt.
Fundstellen
Haufe-Index 410093 |
BStBl III 1961, 336 |
BFHE 1962, 187 |
BFHE 73, 187 |
BB 1961, 817 |
DB 1961, 1006 |