Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Progressionsvorbehalt für außerordentliche Einkünfte - Doppelbesteuerung: Arbeitslohn in Belgien - Streitwertfestsetzung
Leitsatz (amtlich)
Entgegen Abschn.185 Abs.3 Satz 2 EStR 1990 sind außerordentliche Einkünfte i.S. des § 32b Abs.2 Nr.2 EStG auch die in § 34 Abs.3 EStG genannten Einkünfte, wenn sie Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit im Ausland darstellen.
Orientierungssatz
1. Ist ein Steuerpflichtiger, der in der Bundesrepublik Deutschland ansässig ist, für seinen inländischen Arbeitgeber ausschließlich in Belgien tätig, sind die laufenden Einkünfte aus der im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses ausgeübten unselbständigen Tätigkeit ebenso wie Sonderzahlungen, die zur Abgeltung von Ansprüchen auf Urlaub und Freizeitausgleich gewährt werden, in der Bundesrepublik von der Einkommensteuer befreit. Die Bundesrepublik darf allerdings die befreiten Einkünfte bei der Festsetzung des Einkommensteuersatzes berücksichtigen. Wird die Sonderzahlung zur Abgeltung von in mehreren Jahren entstandenen Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis geleistet, bleibt sie als außerordentliche Einkünfte von der Anwendung des Progressionsvorbehalts ausgenommen.
2. NV: Der Antrag auf Festsetzung des Streitwerts ist unzulässig, wenn der Streitwert eindeutig und einfach ermittelt werden kann (vgl. BFH-Beschluß vom 10.3.1972 III B 28/70).
Normenkette
EStG § 32b Abs. 2 Nr. 2, § 34 Abs. 3; DBA BEL Art. 15, 23 Abs. 1 Nr. 1; EStR 1990 Abschn. 185 Abs. 3 S. 2; GKG § 24 Fassung: 1975-12-15
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden im Streitjahr (1990) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war seit 1987 für seinen inländischen Arbeitgeber ausschließlich in Belgien tätig. Da er Urlaubsansprüche und Freizeitausgleich für Mehrarbeit in den Jahren 1987 bis 1989 nicht realisieren konnte, erhielt der Kläger im Streitjahr von seinem Arbeitgeber zur Abgeltung der entsprechenden Ansprüche eine einmalige Sonderzahlung.
Bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr bezog der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die gesamten für seine Tätigkeit in Belgien bezogenen Einkünfte des Klägers (Bruttoarbeitslohn ./. Werbungskosten) in die Berechnung des Steuersatzes nach § 32b des Einkommensteuergesetzes (EStG) ein. Der insbesondere gegen die Einbeziehung der Sonderzahlung gerichtete Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 32b i.V.m. § 34 Abs.3 EStG.
Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen und den Streitwert festzusetzen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG hat zutreffend entschieden, daß die vom Kläger empfangenen Sonderzahlungen gemäß § 32b Abs.2 Nr.2 i.V.m. § 34 Abs.3 EStG 1990 (EStG) als außerordentliche Einkünfte nicht bei der Berechnung des Einkommensteuersatzes einzubeziehen sind.
1. Gemäß Art.23 Abs.1 Nr.1 i.V.m. Art.15 Abs.1 und 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und zur Regelung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuern vom 11.April 1967 (BGBl II 1969, 18 --DBA-Belgien--) sind die Sonderzahlungen, die der Kläger von seinem Arbeitgeber zur Abgeltung von Ansprüchen auf Urlaub und Freizeitausgleich empfing, ebenso wie die laufenden Einkünfte aus der in Belgien im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses ausgeübten unselbständigen Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) von der Einkommensteuer befreit. Der Senat geht dabei davon aus, daß der Kläger i.S. des Art.4 DBA-Belgien in Deutschland ansässig war. Die Sonderzahlungen wurden nach den Feststellungen des FG zur Abgeltung von in den Jahren 1987 bis 1989 entstandenen Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis geleistet und sind deshalb i.S. des Art.15 Abs.1 Satz 2 DBA-Belgien für die (ausschließlich) in Belgien ausgeübte Arbeit bezogen (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5.Februar 1992 I R 158/90, BFHE 167, 496, BStBl II 1992, 660).
2. Gemäß Art.23 Abs.1 Nr.1 Satz 2 DBA-Belgien schränkt die vorgenannte Befreiung das Recht der Bundesrepublik nicht ein, die befreiten Einkünfte bei der Festsetzung des Einkommensteuersatzes zu berücksichtigen. Indessen bleiben davon gemäß § 32b Abs.2 Nr.2 i.V.m. § 34 Abs.3 EStG (und entgegen Abschn.185 Abs.3 Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien --EStR-- 1990) die streitigen Zuwendungen als außerordentliche Einkünfte ausgenommen.
a) Die Regelung des § 32b Abs.2 Nr.2 EStG, außerordentliche Einkünfte von der Anwendung des Progressionsvorbehalts auszunehmen, verstößt nicht gegen Abkommensrecht. Der in Art.23 Abs.1 Nr.1 Satz 2 DBA-Belgien enthaltene Progressionsvorbehalt begründet die Steuerpflicht nicht selbst, sondern hält lediglich die bestehende Steuerpflicht des deutschen Einkommensteuerrechts aufrecht, die der deutsche Gesetzgeber ohne weiteres wieder einschränken kann (BFH-Urteil vom 17.Oktober 1990 I R 182/87, BFHE 162, 307, BStBl II 1991, 136 m.w.N.). Der Progressionsvorbehalt des DBA kann deswegen § 32b Abs.2 Nr.2 EStG nicht entgegenstehen, soweit diese Vorschrift die Einbeziehung außerordentlicher Einkünfte in die Berechnung des Steuersatzes ausschließt.
b) Entgegen Abschn.185 Abs.3 Satz 2 EStR 1990 sind außerordentliche Einkünfte i.S. des § 32b Abs.2 Nr.2 EStG auch die in § 34 Abs.3 EStG genannten Einkünfte, wenn sie Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit im Ausland darstellen. Da § 32b Abs.2 Nr.2 EStG den Begriff der außerordentlichen Einkünfte nicht eigenständig umschreibt, haben als solche --neben den in § 34b EStG erfaßten außerordentlichen Einkünften-- die in § 34 EStG benannten außerordentlichen Einkünfte zu gelten. Denn es ist davon auszugehen, daß wörtlich übereinstimmende Begriffe innerhalb desselben Steuergesetzes auch sachlich identisch sind.
Weder aus § 34 Abs.3 noch aus § 32b Abs.2 Nr.2 EStG folgt eine Beschränkung des Begriffs der außerordentlichen Einkünfte auf die in § 34 Abs.1 und 2 EStG genannten.
aa) Nach der amtlichen Gesetzesüberschrift beinhaltet § 34 EStG "Außerordentliche Einkünfte". Die Überschrift bezeichnet sonach unterschiedslos die in allen Absätzen der Regelung erfaßten Einkünfte als außerordentliche --auch die nach § 34 Abs.3 EStG--. Die Steuerermäßigung nach § 34 Abs.3 EStG dient ebenso wie die nach § 34 Abs.1 EStG der Vermeidung von Härten, die sich sonst durch Einkünfte, die wirtschaftlich mehreren Veranlagungszeiträumen zuzurechnen sind, infolge der Tarifvorschriften ergeben würden (so z.B. der Fraktionsentwurf des Steuerreformgesetzes 1990, BTDrucks 11/2157, S.152). Es handelt sich daher um eine bloße Wiederholung der Überschrift, wenn in § 34 Abs.1 und 2 EStG die außerordentlichen Einkünfte ausdrücklich noch einmal als solche benannt sind. Im übrigen definiert § 34 Abs.2 EStG ausdrücklich nur den Begriff der außerordentlichen Einkünfte "im Sinne des Absatzes 1".
bb) § 32b EStG wurde durch das Einkommensteuerreformgesetz 1974 vom 5.August 1974 --EStRG 1974-- (BGBl I, 1769, BStBl I, 530) eingeführt. Die damals geltende Verwaltungsregelung des Abschn.185 Abs.3 Satz 2 EStR 1972 nahm (nach DBA steuerfreie) außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs.2 oder 4 oder des § 34b EStG in der damaligen Fassung von der Anwendung des Progressionsvorbehalts aus.
In der Begründung des Finanzausschusses zu § 32b EStG i.d.F. des EStRG 1974 heißt es zu § 32b EStG (BTDrucks 7/2180, S.20):
"Der Finanzausschuß erachtet es aus Gründen der Rechtssicherheit für
zweckmäßig, die Anwendung des Progressionsvorbehalts, der in Abkommen zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung vereinbart ist, im Gesetz zu regeln. Die
Neuregelung entspricht der bisherigen Verwaltungspraxis."
Daraus rechtfertigt sich indessen nicht der Schluß des FA, der Gesetzgeber habe damit die bisherige Verwaltungspraxis zu den außerordentlichen Einkünften ins Gesetz übernommen. Zum einen äußert sich die Gesetzesbegründung nicht speziell zu außerordentlichen Einkünften, deren Ausnahme damals --auch ausweislich des Abschn.185 EStR 1972-- nur Randproblem war. Hauptsächlich sollte die Einfügung des § 32b in das EStG dazu dienen, eine sichere Rechtsgrundlage für den Progressionsvorbehalt zu schaffen (vgl. Krabbe in Blümich, Einkommensteuergesetz, § 32b Rdnr.2).
Zum anderen ist bei der Auslegung auf den objektivierten Willen des Gesetzgebers abzustellen (Tipke/Kruse, Abgabenordnung- Finanzgerichtsordnung, 14.Aufl., § 4 AO 1977 Rdnr.83 mit zahlreichen Nachweisen). Die Absicht des Gesetzgebers, außerordentliche Einkünfte gemäß § 34 Abs.3 EStG nicht vom Progressionsvorbehalt auszunehmen, ist aber --wie oben dargelegt-- weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinnzusammenhang des § 32b Abs.2 Nr.2 EStG zu entnehmen. Überdies lassen sich innerhalb des dem Gesetzgeber zukommenden Gestaltungsspielraums sachliche Gründe für die Regelung finden, (ausländische) Einkünfte für mehrjährige Tätigkeit (§ 34 Abs.3 EStG) vom Progressionsvorbehalt auszunehmen. So würde die zusammengeballte Berücksichtigung solcher Einkünfte beim Steuersatz-Einkommen --entgegen der Intention des § 34 Abs.3 EStG-- sich übermäßig verschärfend auf die Progression auswirken; eine Regelung entsprechend § 34 Abs.3 EStG nur zur Ermittlung des Steuersatzes aber könnte der Gesetzgeber als für zu verwaltungsaufwendig gehalten und daher wegen geringer praktischer Bedeutung von ihr abgesehen haben.
Der Senat weicht nicht von seinem Urteil vom 28.April 1982 I R 151/78 (BFHE 135, 526, BStBl II 1982, 566) ab. Er ging zwar dort entsprechend der Verwaltungsregelung davon aus, daß außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs.2 und 4, § 34b EStG damaliger Fassung bei der Anwendung des Progressionsvorbehalts ausscheiden. Eine Entscheidung über die Anwendung des Progressionsvorbehalts bei außerordentlichen Einkünften i.S. des § 34 Abs.3 EStG wurde damit indes nicht getroffen.
c) Die vom Arbeitgeber empfangenen Sonderzahlungen zur Abgeltung von Ansprüchen auf Urlaub und Freizeitausgleich sind Vergütungen für eine mehrjährige Tätigkeit i.S. des § 34 Abs.3 EStG. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
++/ 3. Der Antrag der Kläger auf Festsetzung des Streitwerts ist unzulässig, weil der Streitwert eindeutig und einfach ermittelt werden kann (vgl. BFH-Beschluß vom 10. März 1972 III B 28/70, BFHE 105, 89, BStBl II 1972, 492). Denn der Streitwert ergibt sich aus dem Unterschied zwischen der dem FA gemäß Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit zur Berechnung aufgegebenen Steuerfestsetzung des FG und der Steuerfestsetzung im angegriffenen Steuerbescheid. /++
Fundstellen
Haufe-Index 64915 |
BFH/NV 1993, 63 |
BStBl II 1993, 790 |
BFHE 171, 388 |
BFHE 1994, 388 |
BB 1993, 1795 (L) |
DB 1993, 2009-2010 (LT) |
DStR 1993, 1697 (KT) |
DStZ 1993, 663 (KT) |
HFR 1993, 710 (LT) |
StE 1993, 474 (K) |
WPg 1993, 741-742 (ST) |
StRK, R. 13 (LT) |
FR 1993, 752 (KT) |
RIW/AWD 1993, 874 (KT) |
IStR 1993, 427 (KT) |
Stbg 1993, 518 (KT) |