Leitsatz (amtlich)
Vertragliche Leistungen passiver Natur, die in einem Sichzurverfügunghalten bestehen, werden in aller Regel dort erbracht, wo sich der Verpflichtete während der Zeitdauer der vereinbarten Leistungsverpflichtung tatsächlich befindet. Nur dieser Ort ist Ausübungsort im Sinne des Urteils des Senats I R 176/66 vom 2. Mai 1969 (BFH 96, 163, BStBl II 1969, 579).
Normenkette
DBA USA 1954 Art. 15 Abs. 1b; EStG § 19
Tatbestand
Die Revisionskläger sind Eheleute. Die Ehefrau (Steuerpflichtige), eine Filmschauspielerin, hatte am 14. Dezember 1955 mit der amerikanischen Filmgesellschaft "... Company" einen Vertrag geschlossen, durch den sie sich u. a. verpflichtete, innerhalb eines je einjährigen Vertragszeitraumes in zwei von der Filmgesellschaft herzustellenden Filmen als Schauspielerin mitzuwirken. Im Jahre 1956 wurden mit der Steuerpflichtigen zwei Filme gedreht. Auf Grund des Optionsrechtes der Filmgesellschaft wurde der Vertrag mit einigen Nachträgen bis zum Jahre 1959 ausgedehnt. Die vereinbarte Vergütung für die Steuerpflichtige war nach dem Vertrag auch dann fällig, wenn die Filmgesellschaft die Option zwar ausübte - mit der Folge, daß sich die Steuerpflichtige zur Verfügung halten mußte -, in dem betreffenden Jahr aber mit der Steuerpflichtigen kein Film gedreht wurde. Die Steuerpflichtige hatte dafür u. a. jede Konkurrenztätigkeit im Filmgeschäft in den Vereinigten Staaten zu unterlassen.
Auf Grund des genannten Vertrages und einiger Nachträge erhielt die Steuerpflichtige für die Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen in den Jahren 1957, 1958 und 1959 eine Vergütung von je 35 000 Dollar von der Filmgesellschaft ausbezahlt, obgleich sie in den drei Jahren von der Gesellschaft in deren Filmen nicht als Schauspielerin verwendet wurde und sich während dieser Zeit auch nicht in den USA aufhielt. Die Steuerpflichtige hatte in den genannten Jahren vielmehr ihren ausschließlichen Wohnsitz in der BRD.
Die Vergütungen für 1957 und 1958 wurden ursprünglich der amerikanischen Bundeseinkommensteuer (income tax) unterworfen. Die Steuern wurden später jedoch von der amerikanischen Finanzbehörde auf Antrag wieder erstattet, weil die Steuerpflichtige als nicht in den USA ansässige Ausländerin angesehen wurde, die für die Vergütungen keine Dienstleistungen in den Vereinigten Staaten erbracht habe.
Der Revisionsbeklagte (FA) erfaßte bei der Steuerpflichtigen im Zuge der Einkommensteuerveranlagungen 1957 bis 1959 auch die genannten Vergütungen als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Hiergegen richtete sich zunächst die gegen den Einkommensteuerbescheid 1957 erhobene Klage, die vom FG mit Urteil II (VI) 109/65 vom 26. Oktober 1967 (EFG 1968, 110) als unbegründet zurückgewiesen wurde. Die gegen dieses Urteil von der Steuerpflichtigen eingelegte Revision hat der Senat wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist als unzulässig verworfen.
Auch die Klage der Steuerpflichtigen gegen die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1958 und 1959 blieb ohne Erfolg. Das FG begründete seine Entscheidung damit, daß Art. XV Abs. 1b erster Halbsatz des Abkommens zwischen der BRD und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen vom 22. Juli 1954 - DBA-USA 1954 - (BStBl I 1955, 70) der Besteuerung nicht entgegenstehe.
Es handele sich unstreitig um Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Steuerpflichtigen sei auch darin beizupflichten, daß die ihr von der Filmgesellschaft zugeflossenen Beträge aus den USA stammten. Da die Vergütungen in den Streitjahren dafür bezahlt worden seien, daß die Steuerpflichtige - ohne eine Tätigkeit auszuüben - unter Vertrag gestanden habe, sei als Tätigkeitsort der Ort dieser vertraglichen Verpflichtung, nämlich der Sitz der Filmgesellschaft und damit die Vereinigten Staaten anzusehen.
Zweifel bestünden jedoch hinsichtlich der Auslegungsfrage, ob die strittigen Bezüge Einkommensteile darstellten, mit denen sich das DBA-USA 1954 befaßte. Im Urteil II (VI) 109/65, a. a. O., habe das FG diese Frage zwar bejaht, der Wortlaut des Art. X DBA-USA 1954 führe jedoch zur gegenteiligen Auslegung.
Selbst wenn das FG jedoch seiner im Urteil II (VI) 109/65, a. a. O., vertretenen ursprünglichen Auffassung folge, wonach sich Art. X DBA-USA 1954 im weiteren Sinne - nämlich im negativen Sinne - auch mit solchen aus den USA stammenden Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit befasse, die nicht als Vergütung für eine während eines vorübergehenden Aufenthalts in den USA geleistete Arbeit gezahlt worden seien, komme eine Freistellung der strittigen Bezüge von der inländischen Einkommensteuer nicht in Betracht. In diesem Falle müsse nämlich berücksichtigt werden, daß diese Einkommensteile nach den Grundsätzen des DBA-USA 1954 eben von der Steuer der USA befreit seien. Man müsse hier konsequenterweise den Beweis durch einen Umkehrschluß führen: Dadurch, daß das DBA-USA 1954 die strittigen, aus den USA stammenden Einkünften nicht der Besteuerung durch die Vereinigten Staaten zuweise, stelle es sie von der amerikanischen Besteuerung frei.
Mit der Revision begehren die Revisionskläger, die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Sie rügen unrichtige Anwendung materiellen Rechts. Insbesondere beanstanden sie, daß das FG nunmehr die Auffassung vertrete, das DBA-USA 1954 befasse sich mit den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit schlechthin. Diese Auffassung stehe zunächst im Widerspruch zur eigenen, früher vertretenen Auffassung desselben Gerichts. Sie sei darüber hinaus weder mit Abschn. 17 Abs. 3 der Richtlinien vom 21. Februar 1957 über die Anwendung des DBA-USA 1954 (BStBl I 1957, 154) noch mit der im Schrifttum seit Jahren einhellig vertretenen Meinung in Einklang zu bringen.
Auch beruhe die in den USA ausgesprochene Steuerbefreiung entgegen der Auffassung des FG nicht auf dem DBA-USA 1954, sondern auf inneramerikanischen Vorschriften. Das DBA-USA 1954 werde daher auch im Schreiben (Freistellungsverfügung) des US Treasury Department weder ausdrücklich erwähnt noch werde sinngemäß darauf Bezug genommen. Die Steuerbefreiung in den USA hätte genauso erfolgen müssen, wenn es überhaupt kein Abkommen gegeben hätte.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Die hier streitigen Bezüge sind vom FG ohne Rechtsverstoß als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 EStG angesehen worden. Als solche unterliegen sie, obgleich sie der Steuerpflichtigen aus dem Ausland zugeflossen sind, der inländischen Besteuerung, denn die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich grundsätzlich auf sämtliche Einkünfte (§ 1 Abs. 1 Satz 2 EStG). Die Besteuerung der genannten Bezüge in der BRD kann jedoch gleichwohl gemäß Art. XV Abs. 1b DBA-USA 1954 ganz oder teilweise ausgeschlossen sein. Nach dieser Vorschrift wird die BRD, soweit Personen mit Wohnsitz in der BRD in Frage stehen, diejenigen aus den USA stammenden Einkommensteile, mit denen sich das Abkommen befaßt und die nach dem Abkommen nicht von der Steuer der USA befreit sind, von der Bemessungsgrundlage ausnehmen. Inwieweit diese Voraussetzungen indes im Streitfall vorliegen, muß das FG in tatsächlicher Hinsicht noch feststellen.
Der Senat hatte im Urteil I R 176/66 vom 2. Mai 1969 (BFH 96, 163, BStBl II 1969, 579) über die Auslegung des Art. XV Abs. 1b DBA-USA 1954 zu befinden und entschieden, daß Einkünfte aus nichtselbständiger, außerhalb der USA ausgeübter Arbeit, die in den Vereinigten Staaten lediglich verwertet wird, nicht aus den USA "stammen". Auf die Einzelheiten dieser Entscheidung wird Bezug genommen.
Die in dem genannten Urteil nur kurz erörterte, weil zwischen den Beteiligten unstreitige Frage, ob sich das DBA-USA 1954 mit den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit schlechthin befaßt, wurde vom Senat unter Hinweis auf Art. X DBA-USA 1954 bejaht. An dieser Auffassung wird festgehalten. Wenn Art. XV Abs. 1b von "Einkommensteilen" spricht, mit denen sich das Abkommen befaßt, so sollte dadurch keine über die verschiedenen vom Abkommen angesprochenen Einkommensarten hinausgehende Differenzierung vorgenommen werden. Das Abkommen befaßt sich in Art. X mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit schlechthin, indem es die Einkünfte aus kurzzeitiger nichtselbständiger Arbeit im Ausland einer Sonderregelung unterwirft. Diese früher auch von der Vorinstanz im Urteil II (VI) 109/65, a. a. O., vertretene Auffassung steht im Einklang mit Abschn. 17 Abs. 3 der Richtlinien vom 21. Februar 1957 (a. a. O.) und wird zudem vom Schrifttum geteilt (vgl. Bühring, BB 1954, 815; Korn-Dietz, Doppelbesteuerung, Anm. 2b zu Art. XV DBA-USA 1954; Mersmann, DStZ A, 1955, 321 [338]).
Auf Grund der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen kann im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen werden, daß die Bezüge der Steuerpflichtigen im Sinne von Art. XV Abs. 1b DBA-USA 1954 in vollem Umfang aus den USA "stammen", denn die Steuerpflichtige übte ihre durch die oben genannten Verträge bedingte "Tätigkeit" mindestens zu einem nicht unerheblichen Teil außerhalb des Staatsgebiets der Vereinigten Staaten von Amerika aus: Die von der Steuerpflichtigen eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen waren ausschließlich passiver Natur. Sie bestanden einerseits in einem Sichzurverfügunghalten und andererseits in einem Unterlassen bestimmter Konkurrenzhandlungen.
Das Sichzurverfügunghalten vollzog sich nicht in den USA. Zur Verfügung halten kann sich eine Person stets nur dort, wo sie sich tatsächlich befindet. Nur von diesem Ort ist sie abrufbar, unabhängig davon, wo sich der Abrufende zur Zeit des Abrufs aufhält. Sich zur Verfügung halten bedeutet abwarten eines möglicherweise erfolgenden Abrufs. Abwarten kann man ein Ereignis nur an seinem jeweiligen tatsächlichen Aufenthaltsort. Die Steuerpflichtige hatte sich jedoch in den Streitjahren nicht in den USA aufgehalten.
Das Unterlassen "jeder Konkurrenztätigkeit im Filmgeschäft in den USA" stellt dagegen eine vertragliche Verpflichtung dar, deren rechtliche Würdigung ohne eine weitere Aufklärung des Sachverhalts nicht möglich ist. Der Senat geht in Übereinstimmung mit den zum Umsatzsteuerrecht vertretenen Auffassungen (vgl. Plückebaum-Malitzky, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., Tz. 1213 zu §§ 1 bis 3 UStG, sowie Sölch-Ringleb, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 7. Aufl., Tz. 60 zu § 1 UStG) davon aus, daß eine in einer Unterlassung liegende vertragliche Leistung nur dort bewirkt wird, wo andernfalls die - zu unterlassende - Handlung vorgenommen sein würde. Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist daher der genaue Inhalt der vertraglichen Verpflichtungen der Steuerpflichtigen von Bedeutung. Nach den in der Vorentscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind mehrere Vertragsgestaltungen denkbar:
a) Die Verpflichtung der Steuerpflichtigen bestand nur darin, sich nicht in den USA - und zwar durch körperliche Anwesenheit auf deren Staatsgebiet - anderen Filmgesellschaften für Dreharbeiten zur Verfügung zu stellen. In diesem Falle einer unmittelbaren Beziehung zwischen dem Aufenthaltsort der Steuerpflichtigen und dem Staatsgebiet der USA muß die Erfüllung der Verpflichtung als eine in den USA erbrachte Leistung, d. h. als eine dort ausgeübte Tätigkeit angesehen werden, denn nur in den USA hätte die Steuerpflichtige dieser Verpflichtung zuwiderhandeln können.
b) Die Verpflichtung der Steuerpflichtigen bestand darin, an keinem Film einer anderen Filmgesellschaft mitzuwirken, dessen Aufführung auf dem Gebiet der USA vorgesehen war. Hier fehlt ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der vereinbarten Unterlassung und dem Staatsgebiet der USA. Diese Verpflichtung hätte die Steuerpflichtige an jedem beliebigen Ort der gesamten Welt verletzen aber auch erfüllen können. Es muß daher mangels eines anderen Konkretisierungsmerkmals der jeweilige Aufenthaltsort der Steuerpflichtigen als der Ort angesehen werden, an welchem die Steuerpflichtige der genanten Verpflichtung nachkam.
Das FG wird zunächst zu prüfen haben, welche der beiden Vertragsgestaltungen vorliegt. Sofern beide oben aufgezeigten Verpflichtungen in dem von der Steuerpflichtigen mit der Filmgesellschaft abgeschlossenen Vertrag enthalten sein sollten, muß - ggf. im Wege einer Schätzung - ermittelt werden, in welchem Verhältnis beide Verpflichtungen zueinander stehen. Liegt das Schwergewicht des Vertrages auf einer Sperrung der Steuerpflichtigen für die amerikanischen Filmbühnen, so wird der unter a) genannten Verpflichtung nur eine untergeordnete Bedeutung zukommen. In diesem Zusammenhang erscheint es nicht unbeachtlich, daß die amerikanische Steuerbehörde nach den vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen die Auffasung vertreten hat, die Steuerpflichtige habe keine Dienstleistungen in den USA erbracht.
Sollte sich bei Anwendung der oben dargelegten Grundsätze ergeben, daß eine Ausübung der nichtselbständigen Arbeit in den USA nicht vorliegt, so wäre die Klage abzuweisen. Sollte dagegen die weitere Sachverhaltsaufklärung ergeben, daß die Steuerpflichtige die Konkurrenzvereinbarung - ggf. teilweise - in den USA erfüllt hat, so tritt insoweit Steuerbefreiung nach dem Doppelbesteuerungsabkommen ein. In diesem Falle bedarf es einer weiteren Abwägung: Halten sich die Bedeutung des Konkurrenzverbots einerseits (soweit der Ausübungsort in den USA liegt) und die Bedeutung des Sichzurverfügunghaltens andererseits (Ausübungsort BRD) die Waage, so kann davon ausgegangen werden, daß das an die Steuerpflichtige gezahlte Entgelt je zur Hälfte für diese beiden Verpflichtungen entrichtet wurde. Haben beide Verpflichtungen dagegen unterschiedliches Gewicht, so muß je nach einem etwaigen Übergewicht einer der beiden Verpflichtungen eine entsprechende Aufteilung des Entgelts erfolgen.
Der Senat verkennt nicht, daß eine Abgrenzung der genannten Sachverhaltsgruppen auch nach Würdigung aller Umstände des Falles letztlich nur im Wege einer Schätzung möglich sein wird. Das Revisionsgericht ist jedoch mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen nicht in der Lage, die Höhe der in der BRD zu versteuernden Einkünfte selbst zu bestimmen.
Fundstellen
BStBl II 1970, 867 |
BFHE 1971, 194 |