Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur rechtlichen Bedeutung des Erlasses des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 7. August 1961 (BStBl II 1961, 135) betreffend die Auflösung von Rückstellungen für Pensionszusagen an Gesellschafter-Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften - Hier: Anwendung des ermäßigten Steuersatzes des § 34 Abs. 1 EStG auf die an den Gesellschafter gezahlte Ablösung des Pensionsanspruchs.
Ein Stpfl., der mit guten Gründen annehmen konnte, daß bei ihm die Voraussetzungen des erwähnten Erlasses erfüllt seien, ist in seinem Vertrauen auf die Anwendbarkeit dieses Erlasses zu schützen, wenn er dem Erlaß entsprechend disponiert hat.
Normenkette
AO § 131; EStG § 24 Ziff. 1, § 34 Abs. 1
Tatbestand
Der Revisionskläger (Steuerpflichtige - Stpfl. -) ist Geschäftsführer einer GmbH, deren Anteile seine Ehefrau besitzt. Nach den Vereinbarungen mit der GmbH hatte der Stpfl. nach Vollendung des 75. Lebensjahres einen Anspruch auf eine Pension von monatlich 1.200 DM. Nachdem er diese Altersgrenze im Jahre 1957 erreicht hatte, war der Stpfl. weiter bei der GmbH tätig geblieben. Er bezog jedoch vom 1. Januar 1958 ab nur noch 1.200 DM monatlich zu Lasten der Pensionsrückstellung. Ende 1961 ließ sich der Stpfl. unter Verzicht auf die Pensionsansprüche für sich und seine Frau den Rest der Rückstellung mit 150.707 DM auszahlen.
Das Finanzamt (FA) versagte für die 150.707 DM den beantragten ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG.
Die Sprungberufung hatte keinen Erfolg. Der ausgezahlte Betrag, so führte das Finanzgericht (FG) aus, sei keine Entschädigung im Sinne des § 24 Ziff. 1 a EStG; denn dem Stpfl. sei dadurch, daß er auf seine Ansprüche aus der Pensionszusage verzichtet habe, kein Schaden entstanden, sondern er habe an Stelle der laufenden künftigen Zahlungen einen Einmalbetrag erhalten, der der kapitalisierten Rente entspreche. Der Stpfl. habe sich auch nicht in einer durch die neuere Rechtsprechung des BFH über die Auflösung nicht ernstlicher Pensionszusagen (vgl. BFH-Urteil I 11/58 S vom 5. Mai 1959, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 69 S. 286 - BFH 69, 286 - BStBl III 1959, 369, und I 4/59 S vom 4. August 1959, BFH 69, 299, BStBl III 1959, 374) entstandenen Gefahrenlage befunden; denn bei einer Nichtanerkennung der Pensionsrückstellung hätte möglicherweise der GmbH, nicht aber dem Stpfl. selbst ein steuerlicher Nachteil erwachsen können. Dem Stpfl. sei schließlich auch nicht auf Grund des Erlasses des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 7. August 1961 (BStBl II 1961, 135) eine Tarifvergünstigung zu gewähren; denn die Voraussetzungen dieses Erlasses seien zur Zeit der Auflösung der Rückstellung nicht gegeben gewesen. Die Pensionszusage sei ernsthaft und damit die Bildung der Rückstellung zulässig gewesen. Die Tatsache, daß der Stpfl., obwohl er weiter Geschäftsführer geblieben sei, mit dem Erreichen der Altersgrenze ab 1958 nur noch 1.200 DM monatlich erhalten habe, zeige die Ernsthaftigkeit der Zusage. Außerdem habe das FA die Pensionsrückstellung nach der Betriebsprüfung im Jahre 1958 anerkannt. Schließlich habe das FA die Pensionsrückstellung auch in den endgültigen Körperschaftsteuerbescheiden 1958 und 1959 vom 26. Januar und 3. Oktober 1960 nicht beanstandet, obwohl diese Veranlagungen nach dem Bekanntwerden der verschärften Rechtsprechung des BFH ergangen seien. Nach allem sei anzunehmen, daß die Pensionsrückstellung freiwillig aufgelöst worden sei. Die irrige Annahme der GmbH, das FA werde die Rückstellung möglicherweise wegen mangelnder Ernsthaftigkeit auflösen, reiche nicht aus, um die Voraussetzungen des Ministerialerlasses zu erfüllen. Die GmbH hätte Rückfrage beim FA halten können. Sie habe dafür auch ausreichend Zeit gehabt; denn der Ministerialerlaß sei am 31. August 1961 veröffentlicht worden; für die abschließende Entscheidung hätten die Betroffenen bis zum 31. Dezember 1961 Zeit gehabt. Die GmbH hätte somit vier Monate für eine Rückfrage beim FA zur Verfügung gehabt.
Mit seiner Revision rügt der Stpfl. unrichtige Anwendung der §§ 24, 34 EStG. Er beantragt,
bei der Einkommensteuerveranlagung 1961 die Abfindung von 150.707 DM mit dem ermäßigten Einkommensteuersatz des § 34 Abs. 1 EStG zu erfassen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision muß zur Aufhebung der Vorentscheidung führen.
Das FG hat zu Recht eine Entschädigung im Sinne des § 24 Ziff. 1 a EStG verneint. Der Stpfl. hat die ihm vertraglich zustehenden Leistungen erhalten, wenn auch nicht in Form von laufenden Zahlungen, sondern als Einmalzahlung. Wenn laufende Zahlungen durch eine einmalige Zahlung abgelöst werden, so ist das kein Entschädigungsvorgang, sondern ein Umwandlungsvorgang. Daraus, daß der Ministerialerlaß vom 7. August 1961 gestattet, auf die in ihm genannten Auszahlungen aus Billigkeitsgründen den § 34 Abs. 1 EStG (ermäßigten Steuersatz) anzuwenden, ist - entgegen der Ansicht der Stpfl. - nicht etwa zu folgen, daß die obersten Verwaltungsbehörden Zahlungen der hier streitigen Art allgemein unter § 24 Ziff. 1 EStG gebracht wissen wollen.
Dem FG ist aber nicht darin beizustimmen, daß der Ministerialerlaß vom 7. August 1961 hier nicht anwendbar sei. Der Senat ist entgegen der Auffassung des FG der Meinung, daß der Stpfl. darauf vertrauen durfte, daß ihm für die streitige Zahlung der ermäßigte Steuersatz gewährt würde, als sich die GmbH zur Auflösung der Rückstellung entschloß. Der Ministerialerlaß ist offenbar ein Milderungserlaß im Sinne des § 131 AO. Er geht von der Voraussetzung aus, daß die der "verschärften" Rechtsprechung des BFH nicht entsprechenden Rückstellungen aufgelöst werden müßten, auch soweit das FA in der Vergangenheit ihre Bildung nicht beanstandet hatte. Der Erlaß will den übergang von der Vergangenheit in den der "verschärften" Rechtsprechung entsprechenden neuen Zustand dadurch erleichtern, daß er, wenn der Rückstellungsbetrag dem auf seine Pensionsansprüche verzichtenden Gesellschafter ausgezahlt wird, dem Gesellschafter der ermäßigte Steuersatz des § 34 Abs. 1 EStG gewährt. Daß solche übergangsregelungen (Anpassungsregelungen) durch § 131 AO gedeckt sein können und soweit das der Fall ist, auch von den Steuergerichten zu beachten sind, hat der BFH wiederholt ausgesprochen, z. B. in den Urteilen I 39/57 U vom 14. August 1958 (BFH 67, 354, BStBl III 1958, 409), VI 20/63 U vom 28. Februar 1964 (BFH 79, 34, BStBl III 1964, 245), IV 301/62 U vom 1. April 1965 (BFH 82, 514, BStBl III 1965, 432) und IV 56/63 vom 30. März 1966 (BFH 86, 98, BStBl III 1966, 407). Bei der Beurteilung des Erlasses darf aber auch nicht außer acht gelassen werden, daß die Finanzverwaltung ein erhebliches eigenes Interesse daran hatte, die durch den Wandel der Rechtsprechung entstandene unklare Bilanzlage möglichst schnell, einfach und endgültig zu bereinigen.
Waren die in der Vergangenheit zu Unrecht gebildeten Rückstellungen aufzulösen, wie die Finanzverwaltung annahm, so war die übergangsregelung (Anpassungsregelung) im Erlaß vom 7. August 1961 eine durch § 131 AO gedachte angemessene Maßnahme. Allerdings war, wie sich später herausstellte, der Ausgangspunkt der Verwaltung insofern unrichtig, als Rückstellungen, die auf Grund der "alten" Rechtsprechung anerkannt waren, nicht aufgelöst zu werden brauchten (BFH-Urteil I 188/61 S vom 26. Juni 1962, BFH 75, 366, BStBl III 1962, 399). Trotzdem ist anzunehmen, daß Steuerpflichtige, die auf den veröffentlichten Erlaß der obersten Finanzbehörden vertraut und seine Voraussetzungen erfüllt haben, in ihrem Vertrauen ebenso geschützt werden müssen wie Steuerpflichtige, die sich in Einzelfällen auf eine vorbehaltlose Auskunft oder Zusage des FA verlassen haben und dadurch zu wirtschaftlichen Dispositionen veranlaßt worden sind (Grundsatzentscheidung des Senats VI 269/60 S vom 4. August 1961, BFH 73, 813, BStBl III 1961, 562).
Entgegen dem FG kann der Senat nicht annehmen, daß die Rechtslage für den Stpfl. und die GmbH im Jahre 1961, dem Jahr der Auflösung der Rückstellung, so eindeutig war, daß der Stpfl. und die GmbH mit einer Beanstandung der Rückstellung durch das FA für die Vergangenheit nicht mehr zu rechnen brauchten. Gewiß hatte der Stpfl. die für die Pensionierung vorgesehene Altersgrenze überschritten. Aber gerade weil er trotzdem weiter für die GmbH tätig blieb, war keineswegs ausgeschlossen, daß das FA sich auf den Standpunkt stellte, der Stpfl. beziehe ein laufendes, seiner Tätigkeit angemessenes Gehalt; deshalb sei es unrichtig, dieses Gehalt zu Lasten der Rückstellung zu buchen; die Rückstellung sei deshalb aufzulösen. Unklar war damals vor allem auch, wie die Pensionszusage an die jüngere Ehefrau des Stpfl. zu beurteilen war. Jedenfalls war es den Beteiligten nicht zu verdenken, wenn sie sich bei der Unsicherheit der Rechtslage, den durch den Ministerialerlaß gebotenen steuerlichen Vorteilen sowie der kurzen Frist, die für die Auflösung der Rückstellung gesetzt war, zur Auflösung und Auszahlung der Rückstellung entschlossen, zumal sie auch den Wortlaut des Ministerialerlasses in ihrem Sinn auslegen konnten.
Die Tatsache, daß die Stpfl. keine Auskunft bei dem FA eingeholt haben, zwingt nicht, ihnen den Vertrauensschutz zu versagen, weil die von der Verwaltung gesetzte Frist nur kurz war und die Stpfl. kaum damit rechnen konnten, bei der unübersichtlichen Rechtslage eine vorbehaltlose Auskunft des FA zu erhalten. War aber, wenn sie den Bescheid des FA erhielten, die gesetzte Frist verstrichen, so mußten sie damit rechnen, daß sie den steuerlichen Vorteil des Erlasses nicht mehr ausnutzen konnten.
Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben. Dem Stpfl. ist der ermäßigte Steuersatz des § 34 Abs. 1 EStG zuzuerkennen. Die Sache wird zur Festsetzung der Steuer an das FA zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 412342 |
BStBl III 1967, 128 |
BFHE 1967, 277 |
BFHE 87, 277 |