Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Bei einer Versendungslieferung ist der Gegenstand der Lieferung dann an den Abnehmer versendet, wenn auf Grund der anläßlich der Beförderung ausgestellten Urkunden der Frachtführer zur Auslieferung der Ware an den Abnehmer verpflichtet und der Abnehmer zum Empfang der Ware berechtigt ist.
Ist ein Ladeschein ausgestellt, der auf Order lautet, dann ist die Ware nicht an den Abnehmer versendet.
Normenkette
UStG § 3; UStDB § 5 Abs. 2; UStG § 3/7
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige - Stpfl. -) führte Futter- und Düngemittel ein, die sie an inländische Abnehmer weiterlieferte. Die Stpfl. rief die Ware bei der ausländischen Lieferantin ab, diese übergab sie einem ausländischen Frachtführer, der sie auf dem Binnenwasserweg zu dem inländischen Bestimmungsort (Löschstelle) beförderte. Hier wurde die Ware an die Empfänger ausgehändigt. Der ausländische Frachtführer stellte dem Absender einen Ladeschein (Konossement) aus, der auf Order lautete.
Streitig ist, ob die Ware mit der übergabe an den Frachtführer nichtsteuerbar im Ausland an die Stpfl. oder deren Abnehmer geliefert oder ob sie erst im Inland durch Verschaffung der tatsächlichen Verfügungsmacht an die Abnehmer der Ware geliefert wurde. Da der Ladeschein an Order lautete, die Ware daher nach dem Ladeschein nicht an den inländischen Abnehmer versandt wurde, vertrat das Finanzamt (FA) die Auffassung, daß es sich um steuerbare Inlandslieferungen handle. Es forderte daher mit Bescheid vom 26. April 1961 u. a. die auf die streitigen Lieferungen entfallende Umsatzsteuer in Höhe von ... DM nach.
Die Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Meinung, daß Lieferungen im Ausland vorliegen, weil die Ware von den ausländischen Lieferanten im Auftrage der Stpfl. an deren inländischen Abnehmer versandt worden sei. Alle Beteiligten seien sich von vornherein darüber klar gewesen, daß die Ware in die Verfügungsmacht der inländischen Abnehmer der Stpfl. gelangen sollte. Alle Beteiligten, insbesondere die Stpfl., hätten auch das ihrerseits Erforderliche getan, um das erstrebte Ziel unmittelbar herbeizuführen, so daß die Ware auf direktem Wege in einem Beförderungsgang in die Verfügungsmacht der Abnehmer der Stpfl. gelangt sei.
Mit der Rb. beantragt der Beklagte und Revisionskläger (FA), das Urteil des FG aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid 1958 vom 26. April 1961 wiederherzustellen. Die Revision wird auf unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts gestützt. Es wird insbesondere gerügt, daß das FG bei Auslegung des § 5 Abs. 2 UStDB die frachtrechtliche Bestimmung des § 445 Abs. 1 Ziff. 4 HGB außer acht gelassen habe. Das FG sei auch von der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) abgewichen, der in zwei Urteilen entschieden habe, daß Empfängervermerke auf dem Frachtbrief und die Empfängeranweisung an die Empfangsstation für die Bestimmung des Ortes der Lieferung unmaßgeblich sei.
Entscheidungsgründe
Die Rb., die nunmehr als Revision zu behandeln ist (§ 184 Abs. 2 Ziff. 1 FGO), führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Eine Lieferung wird dadurch ausgeführt, daß der Lieferer den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen - Verschaffung der Verfügungsmacht - (§ 2 Abs. 1 UStDB). Wird der Gegenstand der Lieferung jedoch an den Abnehmer versendet, so gilt die Lieferung mit der übergabe des Gegenstandes an den Spediteur, Frachtführer oder Verfrachter als ausgeführt. Diese Regelung lehnt sich an die bürgerlich-rechtliche Gestaltung an, wonach mit der übergabe der verkauften Sache an den Spediteur die Gefahr des Untergangs der Ware auf den Käufer übergeht. Das UStG bedient sich demnach bei der Versendungslieferung einer Fiktion. Denn der Abnehmer erhält die tatsächliche Verfügungsmacht am gelieferten Gegenstand erst mit dessen Aushändigung durch den Beförderungsunternehmer. Bei der Fiktion geht das Gesetz offenbar auch von der Vorstellung aus, daß der Beförderungsunternehmer auf Grund des Frachtvertrages verpflichtet ist, dem Abnehmer, an den der Gegenstand der Lieferung versendet wird, den Gegenstand auszuhändigen. Es wird aus diesem Grunde als unbedenklich angesehen, eine Lieferung bereits mit der übergabe des zu liefernden Gegenstandes an den Beförderungsunternehmer anzunehmen. Die Verpflichtung des Beförderungsunternehmers gewährleistet zwangsläufig, daß dem Abnehmer die Verfügungsmacht an der Ware auch tatsächlich verschafft wird.
Nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 2 UStDB muß der Gegenstand der Lieferung "an den Abnehmer" versendet werden. Das bedeutet nicht nur, wie das FG meint, den tatsächlichen Vorgang des Beförderns. "An den Abnehmer" versendet wird vielmehr nur dann, wenn der Frachtführer verpflichtet ist, den Gegenstand der Lieferung an den Abnehmer auszuhändigen und dieser dem Beförderungsunternehmer gegenüber berechtigt ist, den Gegenstand der Lieferung in Empfang zu nehmen. Diese Verpflichtung und Berechtigung ergibt sich aus den anläßlich der Beförderung ausgestellten Papieren und Urkunden. Im Landfrachtgeschäft ist dafür maßgebend der Frachtbrief (vgl. z. B. § 75 Abs. 1 der Eisenbahnverkehrsordnung - EVO -; Urteile des RFH V 440/39 vom 24. Januar 1941, RStBl 1941, 254; V 26/42 vom 22. Januar 1943, RStBl 1943, 318), im Binnenschiffahrtsverkehr der Ladeschein, wenn ein solcher ausgestellt wird. Denn ein Ladeschein kann von dem Frachtführer über die Verpflichtung zur Auslieferung des Gutes ausgestellt werden (vgl. § 444 HGB in Verbindung mit § 72 Abs. 1 des Binnenschiffahrtsgesetzes - BschG -). Durch den Ladeschein wird bestimmt, wer Empfänger ist. Es wird dadurch aber auch derjenige, an welchen das Gut nach dem Ladeschein abgeliefert werden soll, zum Empfang des Gutes dem Frachtführer (Schiffer) gegenüber legitimiert (§ 447 Abs. 1 HGB). Nur bei Bezeichnung des Abnehmers im Ladeschein ist dem Wortlaut und dem Sinn des § 5 Abs. 2 UStDB entsprochen, daß der Liefergegenstand "an den Abnehmer" versendet wird, d. h. diesem auf Grund der im Zusammenhang mit der Beförderung ausgestellten Urkunden die Verfügungsmacht an dem Gegenstand verschafft wird.
Im Streitfall sind nach den Feststellungen des FG im Ladeschein nicht die Stpfl. und auch nicht deren Abnehmer als empfangsberechtigt angegeben. Die ausgestellten Ladescheine lauten vielmehr "an Order". In einem solchen Falle gilt als empfangsberechtigt der Absender (§ 445 Abs. 1 Ziff. 4 HGB in Verbindung mit § 72 BschG). Gilt aber als empfangsberechtigt der Absender, so ist der Frachtführer (Schiffer) auch nur verpflichtet, die Ware an diesen bzw. an den von ihm Bezeichneten (Order) auszuhändigen. Unter diesen Umständen ist aber die Ware nicht "an den Abnehmer" versendet worden. Dies hat aber zur weiteren Folge, daß die Lieferung nicht mit der übergabe des Gegenstandes an den Frachtführer im Ausland als ausgeführt gilt.
Dem steht nicht entgegen, daß die Ladescheine einen Vermerk darüber enthalten, wer der Empfänger der Ware sein soll. Es handelt sich dabei um die Abnehmer der Stpfl. Denn der Frachtführer (Schiffer) ist nach dem Inhalt des Ladescheins nicht verpflichtet, die Ware an die in einem Vermerk als Empfänger bezeichneten Personen auszuhändigen. Umgekehrt sind diese auch nach dem Ladeschein dem Frachtführer gegenüber nicht legitimiert, die Ware in Empfang zu nehmen. Wäre es anders, hätte es nicht einer übersendung des Ladescheins durch den ausländischen Lieferanten im Auftrag der Stpfl. an die Löschstelle bedurft. Es wäre auch schließlich nicht eine besondere Anweisung der Stpfl. an die Löschstelle erforderlich gewesen, an wen und in welcher Menge die Waren auszuliefern sind.
Das FG glaubte § 445 Abs. 1 Ziff. 4 HGB nicht berücksichtigen zu brauchen, weil es sich um eine rechtliche Fiktion handle und der wirkliche Empfänger der Ware praktisch nicht der Aussteller eines Konnossements sei. Es wäre wenig sinnvoll, an sich selbst in einen anderen Ort und noch dazu im Ausland, Ware zu schicken. Bei dieser Auffassung berücksichtigt das FG jedoch nicht, daß eine Versendung an den Abnehmer nur dann anzunehmen ist, wenn der Abnehmer dem Frachtführer gegenüber berechtigt ist, den gelieferten Gegenstand in Empfang zu nehmen. Im übrigen verkennt das FG auch den Sinn des § 445 Abs. 1 Ziff. 4 HGB. Denn mit der Fiktion, daß als empfangsberechtigt der Absender gelte, wird lediglich erreicht, daß die Dispositionsbefugnis über die Ware während des Transportes und nach dessen Beendigung beim Absender verbleibt.
Es kann auch der Auffassung des FG nicht zugestimmt werden, daß es für das Umsatzsteuerrecht allein entscheidend sei, zu wem die Ware tatsächlich befördert werde und wem vom Lieferanten die Verfügungsmacht darüber eingeräumt werde. Bei der Versendungslieferung kommt es vielmehr darauf an, wer auf Grund der ausgestellten Beförderungsurkunden dem Frachtführer gegenüber berechtigt ist, die Ware in Empfang zu nehmen. An den Abnehmer versendet ist nämlich nur dann, wenn der in den Beförderungsurkunden als Empfänger Bezeichnete auch tatsächlich der Abnehmer der Ware ist.
Die Vorentscheidung, die von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war demnach aufzuheben und die Berufung (Klage) gegen die Einspruchsentscheidung als unbegründet abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 412347 |
BStBl III 1967, 101 |
BFHE 1967, 162 |
BFHE 87, 162 |