Leitsatz (amtlich)
1. Der BFH ist in der steuerrechtlichen Beurteilung einer vom Bundesverfassungsgericht mit Gesetzeskraft für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärten Vorschrift zumindest insoweit frei, als dadurch nicht die materielle verfassungsrechtliche Grundlage der gesetzeskräftigen Entscheidungsformel berührt wird.
2. Ein seinem klaren Wortlaut nach vollziehbarer Gesetzesbefehl darf nicht derart einschränkend interpretiert werden, daß die Vorschrift als ganze inhaltlos würde.
2. Zum Tatbestand der § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG gehört nicht, daß die Einlage des Kommanditisten die Kapitalkraft des persönlich haftenden Gesellschafters - hier: der Kapitalgesellschaft - stärkt (BFH 99, 423).
Normenkette
KVStG § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 4; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 94 Abs. 2; BVerfGG § 31 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
Die Klägerin war als Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu dem Zweck gegründet worden, sich an anderen Unternehmen zu beteiligen, insbesondere persönlich haftender Gesellschafter von Personengesellschaften zu werden. Sie ist als persönlich haftende Gesellschafterin in eine Personengesellschaft eingetreten, deren bisherige Komplementäre mit ihrem Eintritt zu Kommanditisten wurden. Das FA hat die Klägerin vorläufig aus dem Nennwert der Kommanditeinlagen zur Gesellschaftsteuer herangezogen. Einspruch und Anfechtungsklage hatten keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Gemäß § 2 Nr. 1 KVStG in der Fassung vom 24. Juli 1959 - jetzt geltend als § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG - unterliegt der Gesellschaftsteuer der erste Erwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft durch den ersten Erwerber. Als Gesellschaftsrechte an Kapitalgesellschaften gelten gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG auch die Anteile der Kommanditisten an einer Kommanditgesellschaft, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern der Kommanditgesellschaft eine Kapitalgesellschaft gehört. Tritt eine Kapitalgesellschaft als persönlich haftende Gesellschafterin in eine zuvor nur aus natürlichen Personen bestehende Kommanditgesellschaft ein, so erwerben die Kommanditisten mit diesem Zeitpunkt erstmals die durch § 6 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 KVStG beschriebene Rechtsstellung, und tritt die Besteuerung ein (Urteil des BFH II 196/65 vom 11. November 1969, BFH 98, 369, BStBl II 1970, 335); das gleiche gilt, wenn die Gesellschaftsanteile der bisher persönlich haftenden Gesellschafter gleichzeitig mit dem Eintritt der Kapitalgesellschaft in Kommanditanteile verwandelt werden. Daß die Kommanditeinlage die Kapitalkraft der Kapitalgesellschaft verstärke, ist nicht Tatbestandsmerkmal der § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG. Da dieses Merkmal durch den gesetzlichen Tatbestand in keinem Falle erfüllt werden kann, kann es - wie bereits in dem Urteil II R 22/70 vom 16. Juni 1970 (BFH 99, 423, BStBl II 1970, 668) ausgeführt ist - nicht zur Eingrenzung des Tatbestandes herangezogen werden.
Die Klägerin erklärt sich durch dieses Urteil nicht für überzeugt. Sie ist mit Heyden (DB 1969, 1574) der Ansicht, durch den Beschluß des BVerfG 1 BvF 3/65 vom 2. Oktober 1968 (BVerfGE 24, 174) sei mit Gesetzeskraft (Art. 94 Abs. 2 GG § 31 Abs. 2 Satz 1, § 13 Nr. 6 BVerfGG) nur festgestellt, daß § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Das schließe aber nicht aus, die Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG - dem Sinn des KVStG entsprechend - auf die Fälle zu beschränken, in denen der Kapitalgesellschaft selbst Kapital zugeführt worden sei; der BFH sei also nicht gehindert, zu erkennen, daß § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG auf eine GmbH & Co. KG in der heute üblichen Gestaltung unanwendbar sei.
Das erstgenannte Argument trifft zu (vgl. zu § 3 Abs. 1 KVStG, BFH - Urteil II R 2/68 vom 3. Dezember 1969, BFH 98, 81 [82], BStBl II 1970, 289), das zweite nicht. Allerdings ist der BFH in der steuerrechtlichen Beurteilung der vom BVerfG für gültig erachteten Vorschrift zumindest insoweit frei, als dadurch nicht die materielle verfassungsrechtliche Grundlage der gesetzeskräftigen Entscheidungsformel berührt wird (vgl. Urteil II 162/65 vom 3. Dezember 1969, BFH 98, 59 [61, 67 ff.], BStBl II 1970, 279). Demnach greifen insoweit die allgemeinen Auslegungsgrundsätze Platz. Zu diesen gehört aber auch der aus Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitende Satz, daß kein Gericht befugt ist, einen seinem klaren Wortlaut nach vollziehbaren Gesetzesbefehl derart einschränkend zu interpretieren, daß die Vorschrift inhaltlos würde und ihr Tatbestand durch keinen denkbaren Sachverhalt mehr verwirklicht werden könnte.
Gemäß der Legaldefinition des § 161 Abs. 1 HGB ist eine Kommanditgesellschaft eine - voll kaufmännische (§ 4 HGB) - Gesellschaft, deren Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet ist, wenn bei einem oder bei einigen von den Gesellschaftern die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern auf den Betrag einer bestimmten Vermögenseinlage beschränkt ist (Kommanditisten), während bei dem anderen Teil der Gesellschafter eine Beschränkung der Haftung nicht stattfindet (persönlich haftende Gesellschafter). Der Zweck, ein Handelsgewerbe (§§ 1 bis 3 HGB) unter gemeinschaftlicher Firma (§§ 17, 19 HGB) zu betreiben, ist für die Gründung der Kommanditgesellschaft notwendig. Der Erwerb von Gesellschaftsrechten einer Gesellschaft, bei der nur einer der Gesellschafter das Handelsgewerbe betreibt, die Vermögenseinlagen des oder der anderen aber in dessen Vermögen übergehen sollen (§ 355 HGB), würde daher nicht der Besteuerung aus § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG, sondern gegebenenfalls aus § 6 Abs. 1 Nr. 3 KVStG unterliegen.
Betreibt dagegen die Kommanditgesellschaft das Handelsgewerbe und werden demzufolge auch ihr die Einlagen geleistet, so ist es unerheblich, ob es sich um ein neu gegründetes Unternehmen handelt oder ob der persönlich haftende Gesellschafter oder auch der Kommanditist einen bereits bestehenden Betrieb einbringt; in keinem Falle wird auf Grund des Gesellschaftsverhältnisses dem persönlich haftenden Gesellschafter Kapital zugeführt. Er erlangt vielmehr "stets nur den mittelbaren Nutzen, den ihm seine Stellung als persönlich haftender Gesellschafter verschafft".
Die Klägerin verkennt diese Bemerkung des BFH-Urteils II R 22/70 vom 16. Juni 1970 (BFH 99, 423, BStBl II 1970, 668) mit der Ansicht, der BFH halte somit "den mittelbaren Nutzen für ausreichend" und das nur deshalb, weil er "es nicht für angängig hält, mit der von der Klägerin vorgetragenen (vgl. Heyden DB 1969, 1574) und durchaus haltbaren Begründung die Entscheidung des BVerfG mittelbar wirkungslos zu machen". Weder kann es darauf ankommen, ob die besteuerte Kapitalgesellschaft aus den Einlagen der Kommanditisten Nutzen zieht, noch darauf, ob es der BFH für "angängig" hält, sich in Widerspruch zum BVerfG zu setzen oder nicht. Denn gemäß der Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) der Entscheidungsformel des Beschlusses des BVerfG 1 BvF 3/65 vom 2. Oktober 1968 (BVerfGE 24, 174; BGBl I 1968, 1102) ist § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG gültig; er muß folglich angewandt werden. Ist die Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG mit dem - wirklich oder vermeint lich - das Gesellschaftsteuerrecht beherrschenden Prinzip der Besteuerung der Kapitalzufuhr an eine Kapitalgesellschaft unvereinbar, so beweist das allenfalls, daß § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG in Verbindung mit § 2 (Abs. 1) Nrn. 1 und 2 KVStG einerseits, § 10 Abs. 1 KVStG andererseits eine Ausnahme von diesem Prinzip darstellt. Die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieser Ausnahme ist aber, wie die Klägerin selbst anerkennt, nicht mehr aufzuwerfen.
Fundstellen
Haufe-Index 69310 |
BStBl II 1971, 105 |
BFHE 1971, 472 |