Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Lieferung von Pumpstrom
Leitsatz (amtlich)
Die Zuleitung von sog. Pumpstrom an ein Pumpspeicherkraftwerk ist umsatzsteuerrechtlich keine Lieferung.
Orientierungssatz
Ausführungen zu den Begriffen "Lieferung" und "Verschaffung der Verfügungsmacht", zur Erbringung einer sonstigen Leistung des Pumpspeicherkraftwerks in Gestalt der "Verwahrung" des Pumpstroms und zur Nichtanwendung des Instituts der Materialbeistellung (vgl. Rechtsprechung: BFH, EuGH; Literatur).
Normenkette
UStG 1967 § 3 Abs. 1; UStG 1973 § 3 Abs. 1; UStG 1967 § 3 Abs. 8; UStG 1973 § 3 Abs. 8
Verfahrensgang
FG Münster (Entscheidung vom 12.12.1989; Aktenzeichen XV-V 4073/84 U) |
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten über die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von sog. Pumpstrom.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erzeugt, kauft und verkauft Strom. Tagsüber bezieht sie Strom von A, den dieser als Eigentümer einer Talsperre in einem Wasserkraftwerk erzeugt. Das Kraftwerk verarbeitet zum einen den natürlichen Wasserabfluß; daneben wird es als Speicherkraftwerk betrieben, indem Wasser eines Ausgleichsweihers zur Nachtzeit durch elektrisch betriebene Pumpen wieder in die als Speicherraum dienende Talsperre zurückgeleitet wird. Den notwendigen Pumpstrom bezieht A von der Klägerin. Der Vertrag zwischen der Klägerin und A bestimmt in § 2, daß der gesamte von A in dem Wasserkraftwerk erzeugte Strom von der Klägerin übernommen wird. § 3 regelt, daß das Kraftwerk nur an Werktagen und nur in der tariflichen Tagzeit Strom erzeugen soll, und bestimmt ferner: "Der Pumpbetrieb wird ausschließlich in den übrigen Zeiten durchgeführt, wozu der erforderliche Pumpstrom aus dem Netz der Klägerin geliefert wird. Während der tariflichen Nachtzeit ... erzeugt das Kraftwerk nur in Ausnahmefällen Strom. Die Gefällstufe am Ausgleichsweiher ... dient dagegen einer ununterbrochenen Stromerzeugung."
In § 5 verpflichtet sich die Klägerin ferner, soweit sie mit ihren vorhandenen Netzanlagen dazu in der Lage ist, den innerhalb der festgelegten Zeiten für die Pumpspeicherung und den im Ausnahmefall auch über die Anlagen der Gefällstufen von A benötigten Strom in ausreichender Menge zur Verfügung zu stellen. Andererseits darf A den erforderlichen Fremdstrom nur von der Klägerin beziehen.
§ 9 des Vertrages bestimmt:
"Die Klägerin zahlt an A:
1. Für den aus dem Speicherbetrieb gelieferten Strom
a) an Werktagen (außer b)
für die ersten 50 000 KWh/Tag 5,20 Pf/KWh für die nächsten 10 000
KWh/Tag 2,00 Pf/KWh für die nächsten 10 000 KWh/Tag 0,70 Pf/KWh für
alles darüber 0,45 Pf/KWh
b) an Samstagen ...
c) an Sonn- und Feiertagen ...
d) auf besondere Anforderung der Klägerin.
2. Für den aus dem Betrieb der Gefällstufen gelieferten Strom
an Werktagen in der tariflichen
Tagzeit von 6.00 - 22.00 Uhr 3,70 Pf/KWh
in der übrigen Zeit 2,10 Pf/KWh.
A zahlt an die Klägerin:
3. Für den von der Klägerin gelieferten
Pumpstrom 2,40 Pf/KWh
4. Für den von der Klägerin über die Anlagen der
Gefällstufen gelieferten Strom
an Werktagen in der tariflichen
Tagzeit von 6.00 - 22.00 Uhr 5,20 Pf/KWh
in der übrigen Zeit 2,40 Pf/KWh
...
Die beiderseitigen Stromlieferungen werden monatlich abgerechnet und sind bis zum 25. des der Lieferung folgenden Monats zu bezahlen. Etwaige Beanstandungen der Stromrechnungen sind spätestens innerhalb von 14 Tagen nach Rechnungslegung anzuzeigen."
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte den Feststellungen einer bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung und erfaßte den Pumpstrom als steuerbare und steuerpflichtige Leistung. Die Klägerin und A hätten jeweils ein eigenes wirtschaftliches Interesse, die verfügbaren Stromkapazitäten gewinnbringend einzusetzen. Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt; das Urteil ist in der Umsatzsteuer-Rundschau (UR) 1991, 256 und in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1990, 493 veröffentlicht.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts (§ 3 Abs.1 und Abs.4 des Umsatzsteuergesetzes --UStG-- 1967/1973) und trägt vor:
1. Eine steuerpflichtige Leistung sei zu Unrecht als nicht steuerbare Beistellung behandelt worden. Entscheidend sei, ob die Klägerin an A habe Strom liefern wollen oder ob es ihr darauf angekommen sei, selbst einen Beitrag zur Stromherstellung des A zu leisten. Aus den vertraglichen Bestimmungen ergäben sich keinerlei Verbindungen zwischen der Lieferung des Pumpstroms einerseits und der Herstellung des Spitzenstroms andererseits. Wie bei zwei getrennten Liefervorgängen sei festgelegt, wer wann welche Leistungen erbringe. Auch nach der tatsächlichen Durchführung ergäben sich keine Abhängigkeiten zwischen den Lieferungen. Beispielsweise schwankten die Pumpstromlieferungen bei einer Spitzenstromabgabe von konstant 50 000 KWh zwischen 12,3 % im Februar 1975 und 74,1 % im März 1975. Lasse schon die mengenmäßige Abgabe des Pumpstroms ohne jedweden Bezug auf die abzunehmende Menge Spitzenstrom darauf schließen, daß die Klägerin den Pumpstrom im Leistungsaustausch geliefert habe und sei in § 9 von gegenseitigen Stromleistungen die Rede, so sprächen auch die im Vertrag festgelegten Preise für Pumpstrom und Spitzenstrom und der monatliche Abrechnungsmodus bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise für die Annahme einer Lieferung.
2. Nach der Auffassung von Weiß (UR 1991, 256) habe das FG zu Unrecht nur darauf abgestellt, daß die Klägerin den Nachtstrom A nicht zur freien Verfügung habe zuleiten wollen; der mit dem Pumpvorgang verbundene Verbrauch des gelieferten Nachtstroms bewirke zwangsläufig den Verlust der Verfügungsmacht.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, und führt aus:
1. Mit der Verneinung eines Zusammenhangs zwischen dem Pumpstrom und dem zu liefernden Tagstrom greife das FA die tatsächlichen Feststellungen des FG an. Die Frage, ob die Klägerin den Pumpstrom mit oder ohne Bezug auf die Erzeugung des zu liefernden Tagstroms habe zuleiten wollen, betreffe den Inhalt des Vertrags; der BFH sei an diese tatsächliche Feststellung des Vertragsinhalts gebunden.
2. Das FA verkenne nach wie vor die Funktionsweise der Talsperre und den Zusammenhang zwischen nächtlichem Pump- und täglichem Spitzenstrom. Die nächtlichen Pumpstromlieferungen seien notwendig, um mittels eines größeren Wasservorrats tagsüber genügend Spitzenstrom liefern zu können.
3. Weiß verkenne den Begriff der Verfügungsmacht in Zusammenhang mit den sog. sonstigen Beistellungen und mißachte die vertraglichen Beziehungen zwischen den Beteiligten.
Die Grundsätze der Materialbeistellung gälten gleichermaßen für die Beistellung sonstiger Hilfsstoffe. Das bedeute, daß auch hier die Verfügungsmacht des Unternehmers und die Verwendung nur für vom Besteller vorgegebene Zwecke maßgeblich seien. Dabei sei ebenso wie bei der Materialbeistellung auch im Fall der sonstigen Beistellung auf den Inhalt des Leistungsaustausches abzustellen. Nach diesen Grundsätzen habe das FG folgerichtig entschieden, daß ein auf Verschaffung freier Verfügungsmacht gerichteter Lieferungswille der Klägerin fehle.
Der Pumpstrom möge sich verbraucht haben, der Besteller habe den beigestellten Hilfsstoff jedoch in "verarbeiteter" Form wieder zurückerhalten. Maßgeblich sei der gesamte Inhalt des Leistungsaustausches. Hiernach sei die ausschließliche Verwendung des Nachtstroms für Zwecke der Klägerin sichergestellt gewesen.
Selbst wenn man davon ausginge, daß die Verfügungsmacht an dem Nachtstrom auf A übergegangen sei, ändere das nichts; denn es sei gerade das Merkmal beigestellter Hilfsstoffe, daß diese bei der Herstellung des fertigen Werkes verbraucht würden. In den Fällen der Beistellung von Hilfsstoffen sei kaum denkbar, daß die Verfügungsmacht nicht auf den Unternehmer übergehe.
4. Die Abrechnungsregelung sei lediglich ein Beweisanzeichen. Für eine Beistellung sei die Form der Rechnungsstellung nicht ausschlaggebend. Ein Berechnen des beigestellten Stoffes durch den Besteller sei ebenso möglich wie eine Gesamtabrechnung, in der die Beistellung als Abzugsposten in Ansatz gebracht werde.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
1. Die Zuleitung des Pumpstroms ist keine Lieferung i.S. des § 3 Abs.1 UStG 1967/1973. Nach dieser Vorschrift sind Lieferungen Leistungen, durch die ein Unternehmer den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Eine Lieferung liegt vor, wenn die wirtschaftliche Substanz eines Gegenstandes vom Leistenden auf den Leistungsempfänger übergeht und dies von den Beteiligten endgültig gewollt ist (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20.Februar 1986 V R 133/75, BFH/NV 1986, 311, und vom 29.September 1987 X R 13/81, BFHE 151, 469, BStBl II 1988, 153; Weiß, UR 1980, 76; Giesberts in Rau/Dürrwächter/Flick/Koch, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 6.Aufl., Stand: April 1992, § 3 Anm.120, 121; Schöll in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, Stand: April 1989, § 3 Bem.22). Die Verschaffung der Verfügungsmacht verlangt, daß der Abnehmer faktisch in der Lage ist, mit dem Gegenstand nach Belieben zu verfahren, insbesondere ihn wie ein Eigentümer nutzen und veräußern kann und daß er --dem wirtschaftlichen Eigentümer i.S. des § 39 der Abgabenordnung (AO 1977) vergleichbar-- einen entsprechenden Herrschaftswillen ausübt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 151, 469, BStBl II 1988, 153; Schöll in Sölch/Ringleb/List, a.a. O.; Urteil des Europäischen Gerichtshofes --EuGH-- vom 8.Februar 1990 Rs.C-320/88, UR 1991, 289).
Im Streitfall ist hinsichtlich der Zuleitung des Pumpstroms der subjektive Tatbestand der Verschaffung der Verfügungsmacht nicht erfüllt. Der Gegenstand der Leistung ergibt sich aus den Abmachungen der Beteiligten; abzustellen ist auf den wirtschaftlichen Kern des Vertragsverhältnisses. Die Zuleitung des Pumpstroms ist keine Leistung, mit der dem Abnehmer die Verfügungsmacht an diesem Strom endgültig verschafft werden sollte (so bereits BFH-Urteil vom 25.September 1953 V 59/53, nicht veröffentlicht --NV--; vgl. ferner BFH-Urteil vom 7.März 1957 V 173/56 U, BFHE 64, 534, BStBl III 1957, 199). Der Pumpstrom wird nicht geliefert, damit ihn A für seine Zwecke verbrauchen kann. Es handelt sich vielmehr um die Zuleitung überschüssigen Stroms, der mit Hilfe des Pumpspeicherkraftwerkes gespeichert wird (zur Bedeutung und Wirkungsweise von Pumpspeicherwerken vgl. Enzyklopädie Naturwissenschaft und Technik, 1981, 5007 ff.). In belastungsarmen Zeitabschnitten wird Elektroenergie aus dem Netz genommen und mit Hilfe dieser Energie wird Wasser aus einem Unterbecken in ein hochgelegenes Oberbecken gepumpt. Die potentielle Energie des Wassers wird über Druckrohrleitungen den Maschinensätzen in der Spitzenbelastungszeit wieder zugeführt. Die wirtschaftliche Bedeutung des Vorgangs besteht daher nicht in der --widersinnigen -- Stromlieferung an einen Stromerzeuger zum Verbrauch, sondern in der Speicherung überschüssiger Energie, die bei Bedarf wieder abgerufen wird. A speichert und "verwahrt" für die Klägerin deren überschüssigen Strom. Die vertraglichen Beziehungen der Beteiligten sind insoweit nicht auf (endgültige) Stromlieferung gerichtet, sondern auf vorübergehende Speicherung; A erbringt in Gestalt der "Verwahrung" von Strom gegenüber der Klägerin eine sonstige Leistung. Die wirtschaftliche Substanz des Pumpstroms sollte gemäß der wirtschaftlichen und technischen Bedeutung des Vorgangs nach dem Willen der Beteiligten nicht endgültig auf A übertragen werden. Bestätigt wird diese Beurteilung letztlich auch durch die Abhängigkeit des Pumpstrompreises von dem Wirkungsgrad der Anlage und durch das Verhältnis des Pumpstrompreises zu dem Lieferpreis des A.
Das FA weist zu Recht darauf hin, daß die vertraglichen Abmachungen, insbesondere § 9 des Vertrags, --isoliert betrachtet-- auf einen Leistungsaustausch hindeuten. Die Abrechnungsmodalitäten bilden indes lediglich ein Indiz für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Vorgänge. Dieses Indiz ist nicht geeignet, die wirtschaftliche Bedeutung und die auf dieser Bedeutung aufbauende umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Vorgänge gegenteilig zu bewerten. Eine Betrachtung, die allein auf die äußerlichen Merkmale des Vorgangs abstellt --so das FA und so auch Weiß, UR 1991, 256--, wird der (maßgeblichen) wirtschaftlichen Bedeutung des Speichervorgangs nicht gerecht.
2. Zur Begründung dieses Ergebnisses bedarf es nicht eines Rückgriffs auf das Institut der Materialbeistellung (vgl. BFH- Urteile vom 17.Januar 1957 V 157/55 U, BFHE 64, 241, BStBl III 1957, 92; vom 12.März 1959 V 205/56 S, BFHE 68, 596, BStBl III 1959, 227, und vom 8.Juli 1971 V R 38/68, BFHE 103, 257, BStBl II 1972, 44).
Fundstellen
Haufe-Index 64707 |
BFH/NV 1993, 78 |
BStBl II 1993, 847 |
BFHE 172, 148 |
BFHE 1994, 148 |
BB 1993, 2224 (L) |
DB 1993, 2516 (L) |
DStR 1993, 1783 (KT) |
DStZ 1993, 734 (KT) |
HFR 1994, 28 (LT) |
StE 1993, 582 (K) |