Leitsatz (amtlich)
Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für die Adoption eines fremdländischen Kindes (Reisekosten, Vermittlungsgebühren usw.) sind keine (zwangsläufigen) außergewöhnlichen Belastungen i.S. von § 33 EStG.
Orientierungssatz
Eine sittliche Pflicht (§ 33 Abs. 2 S. 1 EStG) des Steuerpflichtigen zur Leistung von Unterhalt besteht i.d.R. nur gegenüber Angehörigen i.S. des § 15 AO 1977, soweit sie nicht einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch haben (vgl. BFH-Urteil vom 25.3.1983 VI R 275/80).
Normenkette
EStG § 33 Abs. 1, 2 S. 1; AO 1977 § 15
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1981 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden.
Da sich die Kläger seit 1978 vergeblich um die Vermittlung eines deutschen Adoptivkindes bemüht hatten, beschlossen sie im Jahre 1980 ein im Ausland geborenes Kind anzunehmen. Dazu wandten sie sich Anfang 1981 an einen brasilianischen Rechtsanwalt, der ihnen bald darauf mitteilte, daß sie ein am 2.Juni 1981 geborenes Kind adoptieren könnten. Die Kläger reisten daraufhin am 10.Juni 1981 nach Brasilien und erwirkten am 17.Juni 1981 einen Adoptionsbeschluß des dortigen Vormundschaftsgerichts. Am 19.Juni 1981 wurde die Geburtsurkunde für den Adoptivsohn ausgestellt. Nachdem das Kind einen Reisepaß erhalten hatte, kehrten die Kläger mit dem Kind in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) zurück.
In ihrer Einkommensteuererklärung 1981 beantragten die Kläger, die ihnen durch die Adoption entstandenen Aufwendungen --einschließlich der Reisekosten für einen der Ehegatten-- als außergewöhnliche Belastung (§ 33 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) zu berücksichtigen. Die geltend gemachten Aufwendungen von insgesamt 14 957 DM setzten sich wie folgt zusammen:
1. Kosten des Adoptionsverfahrens
Beglaubigung des Adoptionsantrages 24,06 DM
Fotokopierkosten 77,53 DM
Übersetzungen 872,00 DM
Anwaltskosten 7 840,00 DM
2. Reisekosten für einen Ehepartner
Mehraufwendungen für Verpflegung 680,80 DM
Übernachtungskosten 937,44 DM
Flugkosten 4 276,00 DM
Flugkosten für das Adoptivkind 249,28 DM.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) versagte den Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen wegen fehlender Zwangsläufigkeit.
Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage teilweise statt. Es entschied, daß die unmittelbar durch die Adoption und die ihr vorausgegangenen Ereignisse veranlaßten Aufwendungen wegen des freiwilligen Adoptionsentschlusses nicht zwangsläufig erwachsen seien. Die Folgekosten einer Adoption seien jedoch zwangsläufig, soweit sie notwendig und angemessen seien. Dazu gehörten nicht nur die Flugkosten des Kindes, sondern auch die einer Begleitperson. Dem könne nicht entgegengehalten werden, daß diese Kosten bereits durch die Adoption ausgelöst seien, denn die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Urteil vom 17.Juli 1981 VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711) verbiete es, jede Kausalkette endlos zurückzuverfolgen. Entscheidend sei der adäquate Kausalzusammenhang, so daß wie bei einer Ehescheidung oder einer Krankheit auch bei den Folgekosten einer Adoption nicht nach deren Ursachen gefragt werden dürfe. Zu den notwendigen Folgekosten einer Adoption gehörten danach alle für die Familienzusammenführung erforderlichen Aufwendungen, die im Streitfall zu schätzen seien.
Dagegen richtet sich die vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Revision, mit der das FA die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Es beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
1. a) Nach § 33 Abs.1 EStG kann die Einkommensteuer ermäßigt werden, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen sind in diesem Sinne zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs.2 Satz 1 EStG).
b) Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß Aufwendungen eines Steuerpflichtigen im Zusammenhang mit der Adoption eines minderjährigen Kindes zwar außergewöhnlich i.S. des § 33 Abs.1 EStG sind, dem Steuerpflichtigen in der Regel jedoch nicht zwangsläufig erwachsen. Nach der Rechtsprechung des Senats ist das Tatbestandsmerkmal der Zwangsläufigkeit erfüllt, wenn die in § 33 Abs.2 Satz 1 EStG aufgeführten Gründe der Zwangsläufigkeit von außen, d.h. vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängig, auf seine Entschließung in einer Weise einwirken, daß er ihnen nicht auszuweichen vermag (Urteil vom 18.Juli 1986 III R 178/80, BFHE 147, 171, BStBl II 1986, 745).
2. a) Bei Anwendung dieses Grundsatzes auf den Streitfall ist die Zwangsläufigkeit der mit der Adoption zusammenhängenden Aufwendungen der Kläger zu verneinen. Der Entschluß, Aufwendungen mit dem Ziel einer Adoption zu leisten, beruht nicht auf zwingenden von außen auf die Entschließung der Kläger einwirkenden Gründen. Eine Rechtspflicht scheidet schon deshalb aus, weil die Kläger die geltend gemachten Aufwendungen nicht in Erfüllung gesetzlicher Unterhaltspflichten, sondern zu dem Zweck erbracht haben, solche familienrechtlichen Beziehungen erst zu begründen.
Zutreffend hat das FG im Streitfall auch das Vorliegen tatsächlicher Gründe der Zwangsläufigkeit i.S. des § 33 Abs.2 Satz 1 EStG verneint, weil die Aufwendungen nicht durch ein unausweichliches Ereignis wie Katastrophen, Krankheit oder andere Gesundheits- und Lebensbedrohungen ausgelöst wurden. Kinderlosigkeit kann ihre Ursache zwar in einer Krankheit haben; die Adoption eines Kindes ist aber keine notwendige Folge dieser Krankheit und daher auch nicht als Heilbehandlung anzusehen.
b) Die Aufwendungen sind auch nicht aus sittlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Das FG hat insoweit eine sittliche Verpflichtung der Kläger zur Erbringung von Aufwendungen zugunsten ihres späteren Adoptivsohnes verneint, als es für die Zeit vor der Adoption an einer persönlichen Beziehung zwischen den Klägern und dem Kind gefehlt habe. Dies entspricht der Rechtsprechung des BFH, wonach eine sittliche Pflicht des Steuerpflichtigen zur Leistung von Unterhalt in der Regel nur gegenüber Angehörigen i.S. des § 15 der Abgabenordnung (AO 1977), soweit sie nicht einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch haben, bejaht wird (vgl. zuletzt Urteil vom 25.März 1983 VI R 275/80, BFHE 138, 343, BStBl II 1983, 453 m.w.N.). Im Streitfall bestehen schon Zweifel an dem Unterhaltscharakter der geltend gemachten Aufwendungen. Denn Aufwendungen im Zusammenhang mit einer Adoption dienen nicht unmittelbar dem Lebensbedarf des minderjährigen Kindes i.S. des § 1610 Abs.2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB); sie werden vielmehr zu dem Zweck erbracht, eine neue familienrechtliche Beziehung, ein Eltern-Kind-Verhältnis zu begründen.
Selbst wenn man mit den Klägern davon ausgeht, daß auch derartige das Kind nur mittelbar begünstigende Aufwendungen in Erfüllung einer gerade diesem Kinde gegenüber bestehenden Sittenpflicht geleistet werden können, fehlt es im Streitfall an einer konkreten sittlichen Verpflichtung, wie sie der Senat in seinem Urteil vom 27.Februar 1987 III R 209/81 (BFHE 149, 240, BStBl II 1987, ...) vorausgesetzt hat. Danach besteht weder ein sittliches Gebot zur Adoption hilfsbedürftiger Kinder, dessen Erfüllung von der Mehrzahl aller billig und gerecht Denkenden als selbstverständliche Handlung erwartet würde noch wären die Kläger gesellschaftlicher Mißbilligung begegnet, wenn sie sich als kinderloses Ehepaar erst gar nicht zu einer Adoption entschlossen hätten. Dabei steht außer Zweifel, daß die Beweggründe der Kläger in hohem Maße achtens- und anerkennenswert sind. Dies gilt indessen auch für solche Steuerpflichtige, die unmittelbar Leistungen zugunsten hilfsbedürftiger fremder Kinder erbringen und diese Aufwendungen einkommensteuerlich nicht geltend machen können, sofern nicht die besonderen Voraussetzungen des § 10b EStG erfüllt sind. Gerade aus § 10b EStG wird der Wille des Gesetzgebers erkennbar, Aufwendungen für caritative und mildtätige Zwecke nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen und in begrenzter Höhe anzuerkennen.
c) Da der den Aufwendungen zugrunde liegende Entschluß der Kläger weder aus rechtlichen oder tatsächlichen noch aus sittlichen Gründen i.S. des § 33 Abs.2 Satz 1 EStG unausweichlich geboten war, sind alle in Ausführung dieses Entschlusses geleisteten Aufwendungen von einem Abzug als außergewöhnliche Belastung ausgeschlossen. Dies gilt insbesondere auch für den Teil der Aufwendungen, den das FG unter dem Gesichtspunkt der Familienzusammenführung als Folgekosten der Adoption bezeichnet hat.
Die Vorentscheidung hält auch insoweit einer Nachprüfung nicht stand, als die Abziehbarkeit der Adoptionsfolgekosten aus dem Vergleich mit der steuerlichen Behandlung von Entbindungskosten hergeleitet wird. Es trifft zwar zu, daß die Entbindungskosten ebenso wie Krankheitskosten behandelt werden und daß die Zwangsläufigkeit von Krankheitskosten nach ständiger Rechtsprechung des BFH unterstellt wird (vgl. zuletzt Urteil vom 17.Juli 1981 VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711, m.w.N.); Feststellungen zur Zwangsläufigkeit der die Krankheit auslösenden Ereignisse und Umstände werden als entbehrlich angesehen, weil darauf gerichtete Nachprüfungen nicht ohne unzumutbares Eindringen in die Privatsphäre möglich wären (BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711, m.w.N.). Dieser Verzicht auf Ursachenforschung ändert jedoch nichts an dem Erfordernis, daß sich der Steuerpflichtige den aufgewendeten Krankheitskosten in aller Regel aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen kann. Die Entscheidung, Aufwendungen zur Heilung einer Krankheit zu leisten, beruht --ungeachtet einer etwaigen selbst verschuldeten Gesundheitsgefährdung-- auf der objektiven Zwangslage infolge gesundheitlicher Beeinträchtigung; der Entschluß zu Aufwendungen für die Durchführung einer Adoption entspricht dagegen --wie dargelegt-- in aller Regel weder einer unausweichlichen Zwangslage noch einer rechtlichen oder sittlichen Verpflichtung.
3. Da die Vorentscheidung diesen Grundsätzen widerspricht, war sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 61542 |
BStBl II 1987, 495 |
BFHE 149, 245 |
BFHE 1987, 245 |
BB 1987, 1095 |
BB 1987, 1095-1095 (T) |
DB 1987, 1332-1332 (ST) |
DStR 1987, 427-427 (ST) |
HFR 1987, 347-347 (ST) |