Leitsatz (amtlich)
Kommt es nach dem Doppelbesteuerungsabkommen nicht zur Anrechnung einer im Ausland festgesetzten und entrichteten Steuer vom Einkommen, weil im Ausland wegen der Berücksichtigung von Einbußen im Privatvermögen keine Steuer vom Einkommen festgesetzt worden ist, so stellt es keine sachlich bedingte Unbilligkeit dar, wenn durch die inländische Einkommensbesteuerung, bei der die Vermögenseinbußen nicht berücksichtigt werden, der im Ausland gewährte Steuervorteil nicht zum Tragen kommen kann.
Normenkette
AO § 131; DBA USA 1965 Art. 15, 18
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte, Revisionskläger und Anschlußrevisionsbeklagte (FA) den Erlaß von Einkommensteuer, Ergänzungsabgabe und Kirchensteuer 1969 ermessensfehlerfrei ablehnen konnte.
Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Anschlußrevisionsklägerin (Klägerin) ist Staatsbürgerin der Vereinigten Staaten von Amerika und hat einen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland. Der Gesamtbetrag ihrer Einkünfte 1969 von 70 105 DM bestand in Höhe von 65 165 DM aus Dividenden amerikanischer Kapitalgesellschaften und aus in Amerika zahlbaren Leibrentenbezügen. Die amerikanischen Bundessteuerbehörden haben von der Erhebung von Steuern vom Einkommen auf diese Einkünfte abgesehen, weil sie einen Vermögensschaden berücksichtigten, den die Klägerin wegen eines Einbruchs in ihre Wohnung geltend gemacht hatte. Das FA bezog bei der Veranlagung 1969 die amerikanischen Einkünfte der Klägerin in die Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer ein, sah aber von der Anrechnung amerikanischer Steuern vom Einkommen ab, weil solche nicht festgesetzt und von der Klägerin auch nicht entrichtet worden waren. Die Klägerin legte gegen den Bescheid zur Festsetzung der Einkommensteuer, Kirchensteuer und Ergänzungsabgabe 1969 Einspruch ein und verlangte u. a. die Anrechnung fiktiver amerikanischer Steuern vom Einkommen. Sie stellte ferner den Antrag, im Erlaßweg so gestellt zu werden, wie wenn amerikanische Einkommensteuer erhoben, von ihr entrichtet und vom FA nach Art. XV des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und einiger anderer Steuern vom 22. Juli 1954 i. d. F. des Protokolls vom 17. September 1965 (BGBl II 1966, 745) - DBA-USA - i. V. m. § 34 c EStG auf die deutsche Einkommensteuer angerechnet worden wäre. Zur Begründung des Einspruchs und des Erlaßantrags machte sie geltend, der Vorteil aus dem Verzicht des amerikanischen Steuergläubigers auf die ihm zustehende Steuer müsse ihr verbleiben und dürfe nicht letztlich dem deutschen Steuergläubiger zugute kommen. Auf die Mitteilung des FA, es werde die Anrechnung fiktiver amerikanischer Steuern im Einspruchsverfahren und im Erlaßverfahren ablehnen, nahm die Klägerin den Einspruch insoweit zurück. Das FA lehnte den Erlaßantrag ab.
Die Vorinstanz hob auf die nach erfolglosem Beschwerdeverfahren wegen der Ablehnung des Erlaßantrags erhobene Klage mit der in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1973 S. 57 (EFG 1973, 57) veröffentlichten Vorentscheidung die Beschwerdeentscheidung der OFD auf. Es führte zur Begründung im wesentlichen aus: Die Behörden hätten sich bei ihren Erwägungen über den Erlaßantrag auf die Rechtmäßigkeit der Veranlagung beschränkt und die Billigkeitsfrage nur unvollkommen erörtert. Darin liege ein Ermessensfehler. Sie hätten prüfen müssen, ob eine unbillige Härte darin liege, daß bei Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Anrechnung der im Ausland tatsächlich festgesetzten und gezahlten Steuern vom Einkommen statt durch Freistellung der ausländischen Einkünfte von der deutschen Einkommensbesteuerung im Ausland gewährte persönliche oder sachliche Steuervergünstigungen zunichte gemacht würden. Ferner sei nicht berücksichtigt worden, daß nach dem Doppelbesteuerungsabkommen in seiner Fassung vor dem Protokoll vom 17. September 1965 in Fällen der vorliegenden Art im Inland unbeschränkt einkommensteuerpflichtige amerikanische Staatsbürger mit Einkünften aus den USA schlechthin steuerbefreit gewesen seien. Dieser Gegensatz der Doppelbesteuerungsabkommen beider Fassungen zueinander könne die Annahme einer unbilligen Härte im vorliegenden Fall rechtfertigen. Ferner hätte geprüft werden müssen, ob § 34 c Abs. 3 EStG anzuwenden sei.
Gegen dieses Urteil richten sich die Revision des FA und die nach Ablauf der Revisionsfrist eingelegte Anschlußrevision der Klägerin. Beide Beteiligten rügen die Verletzung des § 131 AO.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Anschlußrevision zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben, entsprechend dem Klageantrag das FA zu verurteilen, den beantragten Erlaß auszusprechen, und die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
a) Entgegen der Auffassung der Vorinstanz brauchten FA und OFD bei ihrer Entscheidung über den Erlaßantrag § 34 c Abs. 3 EStG nicht zu berücksichtigen. Wie ihre Stellung im Einkommensteuergesetz unter Abschn. "Tarif" zeigt, ist diese Vorschrift bei der Festsetzung der Einkommensteuer zu berücksichtigen. Die nach § 34 c Abs. 3 EStG mögliche Pauschalierung der Einkommensteuer hat der BFH als verselbständigten Teil des Veranlagungsverfahrens angesehen (vgl. Urteil vom 13. Januar 1966 IV 166/61, BFHE 85, 399, BStBl III 1966, 556). Das gleiche gilt für die Entscheidung über einen auf § 34 c Abs. 3 EStG gestützten Erlaß der Einkommensteuer.
b) Zutretfend ist die Vorinstanz davon ausgegangen, daß die Entscheidung der Behörden i. S. von § 131 Abs. 1 Satz 1 AO über den Erlaßantrag der Klägerin eine Ermessensentscheidung war (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFH 105, 101, BStBl II 1972, 603), die in materiell-rechtlicher Hinsicht von den Gerichten nur auf die Einhaltung des Zwecks der Ermessensermächtigung und der gesetzlichen Grenzen des Ermessens überprüfbar ist (§§ 101, 102 FGO).
Mit der Ablehnung des Erlaßantrags haben die Behörden entgegen der Auffassung der Vorinstanz die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens nicht überschritten. Die Grenzen des in § 131 Abs. 1 Satz 1 AO eingeräumten Ermessens bestimmt der Maßstab der Billigkeit (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes GmS-OGB 3/70).
Da der Begriff "unbillig" "in den Ermessensbereich hineinragt" (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes GmS-OGB 3/70), also kein unbestimmter Rechtsbegriff ist, kann das Gericht nur prüfen, ob nach dem Sachverhalt Anhaltspunkte für die getroffene Ermessensentscheidung fehlen. Fehlen im Fall der Ablehnung eines Erlaßantrags Anhaltspunkte für eine persönliche oder sachliche Unbilligkeit und damit für einen Erlaß, dann können die Ermessensgrenzen nicht verletzt sein. Im vorliegenden Fall fehlen Anhaltspunkte dafür, daß die Einziehung der Steuern, deren Erlaß die Klägerin verlangt, unbillig sein könnte. Persönliche Verhältnisse der Klägerin, nach denen die Einziehung der Steuern unbillig sein könnte, hat die Vorinstanz nicht festgestellt. Revisionsrügen sind insoweit nicht erhoben worden (§ 118 Abs. 2 FGO).
Ein Steuererlaß aus sachlichen Gründen setzt voraus, daß die Einziehung der Steuer im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Besteuerung, nicht mehr zu rechtfertigen ist. Da die Wertungen des Gesetzgebers bereits bei der Auslegung des gesetzlichen Steuertatbestandes und bei der Frage der Tatbestandsmäßigkeit der Steuerfestsetzung zu berücksichtigen sind, kommen als sachliche Billigkeitsgründe nur solche Umstände in Betracht, die bei der Steuerfestsetzung durch Auslegung des Steuertatbestands nach dem objektivierten Willen des Gesetzgebers nicht berücksichtigt werden können (vgl. BFH-Urteile vom 26. Oktober 1972 I R 125/70, BFHE 108, 146, BStBl II 1973, 271; vom 15. Februar 1973 V R 152/69, BFHE 108, 571, BStBl II 1973, 466, und vom 7. Mai 1968 II 151/64, BFHE 93, 14, BStBl II 1968, 663). Solche Umstände liegen nicht vor.
Für das Erlaßverfahren ist davon auszugehen, daß die Steuerfestsetzung tatbestandsmäßig ist. Denn die Richtigkeit eines unanfechtbar gewordenen Bescheids ist im Verfahren nach § 131 AO grundsätzlich nicht mehr nachprüfbar (vgl. BFH-Urteile vom 3. März 1970 II 135/64, BFHE 99, 8, BStBl II 1970, 503, und vom 10. Juni 1975 VIII R 50/72, BFHE 116, 103, BStBl II 1975, 789); die Klägerin hätte das Einspruchsverfahren weiterführen können. Daß der der Klägerin von den amerikanischen Bundessteuerbehörden gewährte Steuervorteil durch die deutsche Besteuerung verlorenging, war eine Folge, die mit der tatbestandsmäßigen Steuerfestsetzung zwangsläufig und unabhängig von den Umständen des Einzelfalles eintrat, weil das FA davon ausgehen mußte, daß die Klägerin im Inland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist und daß nach Art. XV Abs. 1 Buchst. b Nr. 2 DBA-USA die hier vorliegenden amerikanischen Einkünfte der Klägerin in die Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer einzubeziehen waren. Da es an einer effektiven Doppelbesteuerung fehlt, ist die Klägerin im Ergebnis steuerlich nicht stärker belastet als andere im Inland unbeschränkt Einkommensteuerpflichtige.
Ein Anhaltspunkt, der die Annahme einer unbilligen Härte rechtfertigen könnte, ist auch nicht der Umstand, daß nach der Fassung des Doppelbesteuerungsabkommens vor dem Änderungsprotokoll 1965 die Doppelbesteuerung nach dem damaligen Art. XV dadurch vermieden wurde, daß die Einkünfte aus Amerika aus der Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer ausgeschieden wurden. Nach dem neugefaßten Art. XV DBA-USA wird zwar im Grundsatz an dieser Steuerbefreiung festgehalten und damit bereits die virtuelle Doppelbesteuerung ausgeschlossen (vgl. BFH-Urteil vom 31. Juli 1974 I R 27/73, BFHE 113, 437, BStBl II 1975, 61). Sie kommt jedoch nur in Betracht für Einkünfte aus in Amerika belegenem Grundvermögen, Gewinne aus amerikanischen Betriebstätten und Einkünfte aus in Amerika ausgeübter Tätigkeit sowie für bestimmte Dividenden; alle übrigen Einkünfte aus Amerika sind nunmehr in die Bemessungsgrundlage für die deutsche Einkommensteuer einzubeziehen, und die Doppelbesteuerung ist dadurch zu vermeiden, daß die in Amerika festgesetzte und gezahlte Bundessteuer vom Einkommen auf die deutsche Einkommensteuer angerechnet wird. Die sich für die Klägerin aus dieser Änderung des Doppelbesteuerungsrechts ergebenden Nachteile sind jedoch ebenfalls Folgen, die mit der tatbestandsmäßigen Steuerfestsetzung zwangsläufig und unabhängig von den Umständen des Einzelfalles verbunden sind.
Die Klägerin wird auch nicht i. S. des Art. XVIII DBA-USA diskriminiert. Diese Bestimmung enthält in Abs. 3 lediglich das Gebot an die Bundesrepublik Deutschland, der Klägerin keine höheren Steuern aufzuerlegen als allen übrigen Einkommensteuerpflichtigen. Abs. 2 dieser Bestimmung gebietet nicht, Steuervorteile, die die amerikanischen Steuerbehörden der Klägerin gewährt haben, der Klägerin auch in Deutschland einzuräumen, sondern besagt nur, daß das Doppelbesteuerungsabkommen als völkerrechtliche Norm und als Spezialgesetz bestimmte steuerliche Vorzugsbestimmungen der Vertragsstaaten nicht aufhebt und ausschließt.
Die Vorentscheidung ist von anderen rechtlichen Erwägungen ausgegangen. Sie muß daher aufgehoben werden. Da die Ablehnung des Erlaßantrags innerhalb der den Behörden eingeräumten Ermessensgrenzen lag, ist die Sache spruchreif, so daß die Klage als unbegründet abgewiesen werden muß.
2. Die Anschlußrevision ist unbegründet. Nach den vorstehenden Ausführungen handelten die Steuerbehörden mit der Ablehnung des Erlaßantrags nicht ermessensfehlerhaft. Damit steht zugleich fest, daß der Ermessensbereich nicht in der Weise eingeschränkt war, daß die Behörden dem Erlaßantrag stattgeben mußten.
Fundstellen
BStBl II 1977, 125 |
BFHE 1977, 443 |