Leitsatz (amtlich)
Die steuerliche Begünstigung des Veräußerungsgewinns, der durch die Veräußerung einer freiberuflichen Praxis erzielt wird, setzt auch nach § 18 Abs. 3 EStG 1965 voraus, daß neben der Veräußerung des der freiberuflichen Praxis dienenden Vermögens einschließlich der Beziehungen zur Mandantenschaft die freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlich begrenzten Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit eingestellt wird (Anschluß an BFH-Urteil vom 14. Mai 1970 IV 136/65, BFHE 99, 126, BStBl II 1970, 566).
Normenkette
EStG 1965 § 18 Abs. 3, § 34 Abs. 1-2
Tatbestand
Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1967 bei einem Steuerbevollmächtigten das Vorliegen einer Praxisveräußerung oder zumindest einer Teilpraxisveräußerung im Sinne des § 18 Abs. 3 EStG 1965.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Steuerbevollmächtigter. Er betreibt seit 1956 in X-Stadt eine Steuerbevollmächtigtenpraxis. Von 1963 bis Anfang 1967 hatte er sein Büro in A-Stadt, WE-Straße. Im Februar 1967 eröffnete er ein Büro in A-Stadt, ER-Straße, in dem sich von diesem Zeitpunkt an das Personal, die Einrichtung und die Literatur befanden. Das Büro in der WE-Straße, das nur noch behelfsmäßig eingerichtet war, blieb bestehen. Von den insgesamt 64 Mandanten betreute der Kläger 57 von dem Büro in der ER-Straße aus und sieben Mandanten weiterhin von dem Büro in der WE-Straße. Zum 1. Oktober 1967 veräußerte der Kläger sein Büro in der ER-Straße mit dem von ihm betreuten Mandantenstamm an den Steuerbevollmächtigten F. Der Erwerber trat in den bestehenden Mietvertrag ein und übernahm das Personal und die gesamte Einrichtung. Nach der Veräußerung dieses Büros war der Kläger nur noch im Büro in der WE-Straße als Steuerbevollmächtigter tätig. Dort hatte er auch seine Wohnung. Für den durch die Veräußerung seines Büros erzielten Veräußerungsgewinn von 40 068 DM beantragte der Kläger in der Einkommensteuererklärung für 1967 die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) betrachtete bei der Einkommensteuerveranlagung den aus der Veräußerung erzielten Gewinn als laufenden Gewinn und lehnte daher die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes ab. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos.
Gegen die Einspruchsentscheidung erhob der Kläger Klage. In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) erklärt er u. a. : "Ich bin heute noch als Steuerbevollmächtigter tätig. Den Verkauf an F habe ich aus Gesundheitsgründen durchgeführt. Im Oktober 1967, nach Verkauf des Büros in der ER-Straße, zog ich wieder in die Räume in der WE-Straße. Ich habe dort wieder ein Büro eingerichtet und zwar in räumlichem Zusammenhang mit meiner Wohnung. Ab Dezember 1967 habe ich wieder eine Sekretärin beschäftigt bis Juni dieses Jahres (1970).
Im Jahre 1968 betrugen die Einnahmen rund 56 900 DM, davon entfielen 35 370 DM auf Tätigkeiten, die mit der Abwicklung der an F übertragenen Mandanten zusammenhingen. Der Reingewinn 1968 betrug 10 578 DM.
1969 betrugen die Einnahmen etwa 40 000 DM. Diese entfielen wieder zum Teil auf Abwicklungstätigkeiten.
Die Einnahmen für 1970 dürften bei 35 000 DM liegen. Ich habe zur Zeit etwa 12 Mandanten ..."
Die Klage wies das FG als unbegründet ab.
Mit der Revision beantragt der Kläger, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einspruchsentscheidung und den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1967 dahin abzuändern, daß ihm die Steuerbegünstigung gemäß §§ 18 Abs. 3, 34 EStG gewährt werde, hilfsweise die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Der Kläger trägt vor, die Veräußerung seiner Praxis in der ER-Straße stelle eine steuerbegünstigte Veräußerung des gesamten der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens im Sinne des § 18 Abs. 3 EStG dar. Seine Steuerkanzlei habe sich seit Februar 1967 mit allen wesentlichen Grundlagen in der ER-Straße befunden. Aufgrund mangelhafter Sachverhaltsaufklärung sei die Vorinstanz zu der unhaltbaren Auffassung gelangt, er habe bei dem Verkauf der Praxis in der ER-Straße nicht die gesamten wesentlichen Grundlagen der selbständigen Tätigkeit veräußert. Der Umstand, daß er sämtliche Sachwerte, die Praxisorganisation sowie das Personal um 90 v. H. seines Kundenstammes auf den Erwerber übertragen habe, könne nicht einfach mit der Begründung abgetan werden, die dem Kläger verbliebenen sieben Mandate seien ein nicht ganz unbedeutender Teil des Mandantenstammes. Die Vorinstanz habe auch unberücksichtigt gelassen, daß diese sieben Mandate aus Gründen freundschaftlicher Beziehung, also aus teilweise privaten Gründen, nicht mitveräußert worden seien, da insoweit eine Mitveräußerung gar nicht möglich gewesen sei. Die Mandate seien unübertragbar und für die Steuerbevollmächtigtenpraxis von untergeordneter Bedeutung gewesen. Dies hätte die Vorinstanz zweifellos feststellen müssen, wenn sie seinem Vorbringen durch ordnungsmäßige Sachverhaltsaufklärung nachgegangen wäre.
Die Gewährung der Tarifvergünstigung scheitere auch nicht daran, daß er seine berufliche Tätigkeit nicht vollständig aufgegeben habe. Nach dem Praxisverkauf habe sich die Struktur seiner freiberuflichen Tätigkeit grundlegend geändert. Er habe sie auch in einem anderen Stadtteil ausgeübt.
Wenn der Praxisverkauf im Jahre 1967 nicht als Veräußerung einer vollständigen Praxis anerkannt werde, weil die zurückbehaltenen Mandate trotz der geschilderten besonderen Umstände als eine nicht unwesentliche Grundlage des Vermögens aus selbständiger Arbeit angesehen würden, so müsse folgerichtig eine Teilpraxisveräußerung zugestanden werden. Denn er habe mit dem kleinen Stamm von sieben Mandanten im Prinzip eine selbständige Praxis gebildet. Betrachte man die in der WE-Straße zurückbehaltenen Mandate als nicht unwesentlich, wie es die Vorinstanz getan habe, so sei es inkonsequent, wenn das FG der veräußerten Praxis in der ER-Straße deshalb die Qualität einer Teilpraxis abspreche, weil sie praktisch die Gesamtpraxis dargestellt habe. Nach der Rechtsprechung liege die Veräußerung einer Teilpraxis mit gleichartiger Tätigkeit vor, wenn die Gesamttätigkeit in mehreren örtlich abgegrenzten Bereichen von getrennten Büros aus ausgeübt und in einem dieser Bereiche infolge Übertragung der Teilpraxis einschließlich der Beziehungen zur Kundschaft eingestellt werde (vgl. Urteil des BFH vom 6. Dezember 1963 IV 268/63 U. BFHE 78, 346, BStBl III 1964, 135). Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall gegeben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das FG hat die Annahme einer tarifbegünstigten Praxisveräußerung oder Teilpraxisveräußerung im Sinne des § 18 Abs. 3 EStG 1965 in Verbindung mit § 34 Abs. 1 und 2 EStG im Ergebnis zutreffend verneint.
1. Gemäß § 18 Abs. 3 und § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG 1965 ist die Einkommensteuer für den Gewinn, der bei der Veräußerung des der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens oder eines selbständigen Teils dieses Vermögens oder eines Anteils daran oder bei der Aufgabe der selbständigen Tätigkeit erzielt wird, auf Antrag nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen. Wie der Senat bereits mehrfach ausgesprochen hat, muß sowohl im Falle der Veräußerung als auch in dem der Aufgabe grundsätzlich die selbständige Tätigkeit beendet sein, damit die Voraussetzungen der Steuerbegünstigung erfüllt sind (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 10. Oktober 1963 IV 198/62 S, BFHE 78, 303, BStBl III 1964, 120; vom 30. Juni 1961 IV 278/60, HFR 1961, 222; vom 24. Mai 1956 IV 24/55 U, BFHE 63, 27, BStBl III 1956, 205; vgl. ferner für Gewerbebetriebe z. B. vom 13. Januar 1966 IV 76/63, BFHE 84, 461, BStBl III 1966, 168 [169 Sp. 1]). Das bedeutet zwar für den Fall einer Veräußerung des dem freien Beruf dienenden Vermögens nicht, daß sich der Veräußerer fortan schlechthin und auf immer der freiberuflichen Tätigkeit zu enthalten hätte. Es ist aber mindestens erforderlich, daß der Veräußerer seine Tätigkeit im bisherigen örtlichen Wirkungskreis tatsächlich wenigstens für eine gewisse Zeit einstellt und nach außen hin eine solche Einstellung auch in Erscheinung tritt. An diesen Grundsätzen hält der Senat auch unter der ab dem Veranlagungszeitraum 1965 geltenden geänderten Fassung des § 18 Abs. 3 EStG fest, durch die auch die Begünstigung einer Teilpraxisveräußerung erstmals gesetzlich anerkannt wird (Anschluß an BFH-Urteil vom 14. Mai 1970 IV 136/65 in BFHE 99, 126, BStBl II 1970, 566).
Der Senat stützt diese Auffassung auf folgende Überlegungen:
Nach ständiger Rechtsprechung greift die Steuerbegünstigung des § 18 Abs. 3 und des § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG - ebenso wie die in gewisser Weise vergleichbare Steuerbegünstigung des § 16 und des § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG - nur ein, wenn alle wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen der freiberuflichen Tätigkeit auf den Praxiserwerber übertragen oder in das Privatvermögen überführt werden. Zu den vermögensmäßigen Grundlagen einer freiberuflichen Praxis gehören inbesondere immaterielle Wirtschaftsgüter, und zwar sowohl die Beziehungen des Praxisinhabers zu seinen bisherigen Mandanten als auch das durch den Praxisnamen bestimmte Wirkungsfeld, das die maßgebende Grundlage für die Möglichkeit darstellt, neue Mandanten zu erlangen. Demgemäß liegt eine Veräußerung des gesamten, der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens nicht vor, wenn der bisherige Praxisinhaber nach der Veräußerung der Praxis seine Beziehungen zu einem wenn auch kleinen Teil seiner bisherigen Mandanten in der Weise selbst nutzt, daß er diese Mandanten weiterhin selbst betreut, einen Teil seiner bisherigen Mandate also zurückbehält, und außerdem in seinem angestammten räumlichen Wirkungsbereich verbleibt, in dem er seine Tätigkeit ohne zeitliche Unterbrechung mit alten und neu erworbenen Mandaten fortsetzt, so daß eine Einstellung der bisherigen freiberuflichen Tätigkeit auch nach außen hin nicht einmal für eine gewisse Zeitspanne in Erscheinung tritt. Denn in diesem Falle nutzt der Praxisinhaber einen Teil der vermögensmäßigen Grundlagen seiner bisherigen Praxis, nämlich einen Teil seiner bisherigen Mandate und das durch den Praxisnamen bestimmte und bedingte bisherige Wirkungsfeld als maßgebliche Grundlage zukünftiger selbständiger Arbeit weiterhin ohne erkennbare Unterbrechung für sich zur Erzielung freiberuflicher Einkünfte. Es liegt auf der Hand, daß der Preis für eine Beraterpraxis im allgemeinen davon beeinflußt wird, ob der bisherige Praxisinhaber weiterhin in seinem angestammten räumlichen Wirkungsbereich - wenn auch in kleinerem Umfang - seine Tätigkeit fortsetzt, oder ob er in diesem örtlichen Wirkungsbereich jegliche freiberufliche Tätigkeit einstellt und dem Erwerber seiner Praxis dann auch eine größere und dauerhafte Chance überlassen kann, neue Mandate zu erlangen.
Mit diesen Rechtsgrundsätzen stimmt die Vorentscheidung im wesentlichen überein. Das FG ging zutreffend davon aus, daß der Mandantenstamm des Klägers der wichtigste Teil der vermögensmäßigen Grundlagen seiner freiberuflichen Steuerbevollmächtigtenpraxis war, und daß er durch die für sich vorbehaltene Weiterbetreuung von sieben Mandanten einen nicht unwesentlichen Teil dieses der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens nicht aufgegeben bzw. veräußert hat. Die Rüge des Klägers, das FG sei nur aufgrund ungenügender Sachverhaltsaufklärung zu dieser Feststellung gekommen, ist unbegründet. Zu seiner Feststellung mußte das FG aufgrund der unbestrittenen Tatsachen gelangen. Der Kläger hat vor dem FG selbst vorgetragen, daß die sieben Mandate ausreichend waren, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, weil sie die Grundlage einer selbständigen kleinen Beraterpraxis bildeten. Der Kläger hat auch vorgetragen, daß er diese Beraterpraxis durch weitere Mandate erweitert habe. Er beschäftigte im übrigen in der verkleinerten Praxis auch eine Sekretärin. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht auf die Zahl der zurückbehaltenen Mandate an - wie der Kläger offenbar meint -, sondern auf den Umfang der einzelnen Mandate und der damit verbundenen Höhe der Einnahmen. Ob die Weiterführung eines unter diesem Gesichtspunkt als unbedeutend zu wertenden Restes von Mandaten der Annahme einer begünstigten Praxisveräußerung entgegenstünde, kann dahingestellt bleiben, da hier ein solcher Fall nicht vorliegt.
Der Kläger hat aber nicht nur einen Teil seiner bisherigen Mandanten behalten und weiterhin betreut, er ist auch in dem bisherigen räumlichen Wirkungskreis verblieben und hat in ihm seine Praxis mit teils alten teils neuen Mandaten ohne Unterbrechung fortgesetzt. Der Umstand, daß er das Büro in der ER-Straße auf seinen Nachfolger übertragen hat, während er seine verkleinerte Praxis in der WE-Straße fortführte, fällt dabei nicht ins Gewicht. Die Steuerbevollmächtigtenpraxis des Klägers war bis Anfang 1967 ausschließlich in der WE-Straße; sie wurde auch nach der Einrichtung des Büros in der ER-Straße, das nur wenig mehr als ein halbes Jahr als Sitz der Praxis diente, nicht ganz aufgegeben. Im übrigen liegen WE-Straße und ER-Straße in benachbarten Stadtteilen, so daß jedenfalls schon deshalb der örtliche Wirkungskreis für eine Steuerberaterpraxis als identisch bezeichnet werden muß, ohne daß es darauf ankäme, ob die Großstadt als Ganzes als ein einziger örtlicher Wirkungskreis zu gelten hat.
Der Kläger hat also weder die wesentlichen Grundlagen der seiner freiberuflichen Tätigkeit dienenden Vermögenswerte auf den Praxiserwerber übertragen bzw. in das Privatvermögen übergeführt, noch durch die Verlegung der Praxis von der ER-Straße in die WE-Straße seine Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungsbereich eingestellt (vgl. BFH-Urteil IV 136/65).
Schon daraus ergibt sich, daß auch die Annahme einer Teilpraxisveräußerung nach der Rechtsprechung nicht in Betracht kommt (vgl. BFH-Urteil IV 198/62 S). Der veräußerte Teil der Praxis des Klägers stellte schon deshalb keinen mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteten organisch geschlossenen Teil der Gesamtpraxis dar, weil er in keinem von der beibehaltenen kleinen Praxis örtlich klar abgegrenzten Wirkungskreis lag. Das FG hat ferner zutreffend festgestellt, daß auch organisatorisch keine zwei mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteten Praxisteile vorhanden gewesen sind.
Fundstellen
Haufe-Index 71461 |
BStBl II 1975, 661 |
BFHE 1976, 8 |