Entscheidungsstichwort (Thema)
Vereinbarung zwischen mehreren Personen als Versicherungsverhältnis
Leitsatz (amtlich)
1. Als Versicherungsvertrag im Sinne des VersStG gilt nach § 2 Abs. 1 VersStG auch eine Vereinbarung zwischen mehreren Personen, solche Verluste und Schäden gemeinsam zu tragen, die den Gegenstand einer Versicherung bilden können (hier: Sterbegeldeinrichtung in Form einer Umlage und die Versicherungsleistung als Gesamtsumme dieser Umlage im Einzelfall abhängig von der jeweiligen Zahl der Mitglieder und deshalb in der Höhe schwankend).
2. Die Versicherungsteuerpflicht der privaten Sterbegeldversicherung gegenüber der Steuerfreiheit der Sozialversicherung verstößt nicht gegen GG Art. 3.
Normenkette
VersStG 1937 §§ 1-2; GG Art. 3
Tatbestand
I.
Die Bfin. ist eine Sterbegeldeinrichtung, an der die Genossen einer Wirtschaftsgenossenschaft, ohne dazu verpflichtet zu sein, teilnehmen können. Der Beitritt vollzieht sich durch schriftliche Erklärung gegenüber der Genossenschaft; hierbei erklärt sich der Genosse damit einverstanden, daß er für jeden im Kreise der Mitglieder der Bfin. eintretenden Todesfall mit … DM auf seinem laufenden Konto belastet wird. Im Falle des Todes eines Mitgliedes wird dessen Hinterbliebenen die Gesamtsumme der Umlage als Unterstützung ausgezahlt. Verwaltungskostenbeiträge und Eintrittsgelder werden nicht erhoben; eine Satzung besteht nicht.
Das FA sah in dieser Einrichtung eine versicherungsteuerpflichtige Vereinbarung im Sinne des § 2 Abs. 1 VersStG und setzte für die Kalenderjahre 1953 bis 1958 eine VersSt von 2 v. H. der ausgezahlten Umlagebeträge fest.
Einspruch und Berufung waren erfolglos.
Entscheidungsgründe
II.
Auch die Rechtsbeschwerde (Rb.) kann keinen Erfolg haben.
1. Nach § 1 VersStG unterliegt die Zahlung des Versicherungsentgelts auf Grund eines durch Vertrag oder auf sonstige, Weise entstandenen Versicherungsverhältnisses der Versicherungsteuer (VersSt). Als Versicherungsvertrag im Sinne des VersStG gilt nach § 2 Abs. 1 VersStG auch eine Vereinbarung zwischen mehreren Personen, solche Verluste oder Schäden gemeinsam zu tragen, die den Gegenstand einer Versicherung bilden können. Hieraus ergibt sich, daß der Begriff der Versicherung weit gefaßt und nach den besonderen Zwecken des VersSt-Rechts zu deuten ist. Das allgemeine Versicherungsrecht ist für das VersSt-Recht nur insoweit maßgebend, als das VersStG nichts anderes erkennen läßt. Die besonderen Voraussetzungen des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) und des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) gelten nicht auch ohne weiteres für das VersSt-Recht. Vor allem muß es sich nicht um eine Versicherungsunternehmung im Sinne des § 1 VAG handeln, die der Versicherungsaufsicht unterliegt (Urteil des RFH II A 131/27 vom 12. Juli 1927, RStBl 1927 S. 214) …
Eine Vereinbarung zwischen mehreren Personen im Sinne des § 2 Abs. 1 VersStG ist jede Willenseinigung oder auch die bloße Feststellung einer Willensübereinstimmung mehrerer Personen über ein bestimmtes Handeln oder Verhalten (Urteil des RFH II A 131/27, a.a.O.). Im Streitfall ergibt sich diese Willenseinigung aus der Errichtung der Bfin. als eines nicht rechtsfähigen Vereins in Verbindung mit der schriftlichen Beitrittserklärung unter den mit Rundschreiben mitgeteilten Voraussetzungen. Die Vereinbarung der Vereinsmitglieder geht auch dahin, Schäden und Verluste gemeinsam zu tragen, die Gegenstand einer Versicherung bilden können. Eine Versicherung kann gegen jede Beeinträchtigung wirtschaftlicher Belange genommen werden … (Urteil des RFH II A 51/27 vom 15. März 1927, Mrozek-Kartei, VersStG 1922 § 1 R. 3; Urteil des BFH II 218/55 U vom 5. Juni 1957, BStBl 1957 III S. 253).
Der Auffassung der Bfin., eine Vereinbarung im Sinne des § 2 Abs. 1 VersStG liege schon deshalb nicht vor, weil die Vereinsmitglieder nicht zur Zahlung eines Versicherungsentgelts verpflichtet seien und keinen irgendwie bestimmbaren Versicherungsanspruch hätten, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Versicherungsentgelt im Sinne des VersSt-Rechts ist nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 3 VersStG auch die – unter Umständen erst nach Eintritt des Versicherungsfalles – jeweils erhobene Umlage, selbst wenn diese je nach der Zahl der Todesfälle zeitlichen Schwankungen unterliegt. Die Entrichtung der Umlage ist auch kein Akt der Wohltätigkeit, da die Vereinsmitglieder sich durch ihre Beitrittserklärung zur Zahlung der Umlage verpflichtet haben. Daß die Mitglieder sich (unter ersatzlosem Verlust der bereits geleisteten Umlagen) durch jederzeitigen Austritt ohne Kündigung oder nachträgliche Haftung der Umlageverpflichtung unter Aufgabe ihrer Ansprüche auf die Unterstützung entziehen können, ändert nichts daran, daß sie für die Dauer der Vereinsmitgliedschaft zur Zahlung der Umlage verpflichtet sind. Letzteres ist aber allein entscheidend.
Anderseits ist auch der zur Bejahung eines Versicherungsverhältnisses erforderliche Rechtsanspruch auf die Unterstützung gegeben. Nach der ständigen Rechtsprechung der obersten Steuergerichte bedarf es nicht der Klagbarkeit dieses Anspruchs; es genügt, daß diejenigen, für die vereinbarungsgemäß eine Unterstützung vorgesehen ist, nach Treu und Glauben bei Vorliegen der Voraussetzungen mit der Unterstützung rechnen können, daß es sich also nicht um einen Willkürakt handelt (vgl. z.B. Urteil des RFH II A 426/34 vom 24. September 1935, RStBl 1935 S. 1498). Erst recht muß der Rechtsanspruch bejaht werden, wenn – wie im Streitfall – der Verein sich (zwar ohne Satzung, jedoch) ohne Einschränkung verpflichtet hat, den Hinterbliebenen des verstorbenen Vereinsmitgliedes die aus der Umlage erzielte Gesamtsumme auszuzahlen. Demgegenüber ist es unerheblich, daß die Höhe der Versicherungssumme im Einzelfall je nach der schwankenden Mitgliederzahl an einem jeweiligen Todestag ungewiß ist (insoweit vergleichbar schon Urteile des RFH II A 524/25 vom 30. Oktober 1925, Slg. Bd. 17 S. 236, 238; II A 305/26 vom 16. November 1926, Mrozek-Kartei, VersStG 1922 § 2 R. 1). Aus der Tatsache, daß im Falle des Urteils des erkennenden Senats II 218/55 U (a.a.O.) feste Versicherungssummen zugesagt waren, ergeben sich deshalb nicht die von der Bfin. angenommenen unterschiedlichen Rechtsfolgen. Im Ergebnis besteht vielmehr kein Unterschied zu der in diesem Urteil erwähnten Möglichkeit, daß eine Sterbegeldregelung alljährlich durch deren Träger aufgelöst werden kann (Urteil des BFH II 218/55 U a.a.O., S. 254 r. Sp. a. E.; vgl. auch Urteil des RFH II A 524/25, a.a.O., S. 237 oben) oder daß, wie der Senat bereits in einem nicht veröffentlichten Urteil entschieden hat, die Unterstützungseinrichtung überhaupt nicht für die Dauer gedacht ist.
Unter diesen Umständen kommt der Senat wie das FG zu dem Ergebnis, daß nach der grundsätzlichen Regelung der Sterbegeldeinrichtung Umlage und Unterstützung im Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stehen, auch wenn im Einzelfall ungewiß ist, ob und in welcher Höhe die Angehörigen des Verstorbenen in den Genuß der Unterstützung kommen. Denn eine nach versicherungsmathematischen Regeln abgestufte Gleichwertigkeit der Leistungen hinsichtlich der Beiträge und der einzelnen Unterstützungsansprüche ist nicht vorausgesetzt; erforderlich ist nur, daß die Leistungen derjenigen, die die Vereinbarung unter sich getroffen haben, der Verlust- oder Schadensdeckung dienen.
2. Auch das weitere wesentliche Merkmal eines Versicherungsverhältnisses, das Vorhandensein eines Wagnisses, ist entgegen der Auffassung der Bfin. gegeben. Bei einem Versicherungsverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 VersStG besteht das Wagnis bereits in der Vereinbarung der gemeinsamen Verlust- bzw. Schadenstragung selbst. Es wird nichts weiter vorausgesetzt, als daß durch die Vereinbarung das Risiko eines den Einzelnen treffenden Ereignisses auf einen größeren Kreis von Teilnehmern verteilt wird (Urteil des RFH II A 51/27 vom 15. März 1927, a.a.O.). Ein Wagnis liegt dann vor, wenn die Entstehung, der Zeitpunkt oder auch die Höhe eines künftigen Bedarfs, der auf Grund der Vereinbarung gedeckt werden soll, ungewiß ist. Zutreffend hat deshalb das FG dieses Wagnis im Streitfall darin erblickt, daß (aus der Sicht des Mitgliedes) im Zeitpunkt des Beitritts zum Verein das Verhältnis der bis zum eigenen Tod zu leistenden Umlagebeiträge zur Höhe der Unterstützung ebenso ungewiß war wie (aus der Sicht des Vereins) das von der Zahl der Sterbefälle und von der Zahl der im einzelnen Todesfall dem Verein angehörenden Mitglieder abhängende Ausmaß künftiger Unterstützungsfälle. Vom Standpunkt des VersSt-Rechts aus „übernimmt” das Wagnis in diesem Sinn der Risikoverteilung nicht das einzelne Mitglied für sich oder der Verein als solcher, sondern es wird getragen von der in dem Verein eigens zu diesem Zweck zusammengefaßten Gesamtheit aller Mitglieder. Deshalb ist es auch unerheblich, daß den Verein kein Risiko bei der Abwicklung, des einzelnen Schadensfalles insofern trifft, als er die Umlagen nur einzieht und in gleicher Höhe auszahlt. Auf diese. Art des Risikos im Sinne eines möglichen Verlustgeschäftes im Einzelfall kann es ebensowenig ankommen wie darauf, ob der Verein Gewinn erzielen will oder ob – ähnlich wie bei Lebensversicherungsunternehmungen ein Versicherungsstock – ein Reservefonds vorhanden ist oder nicht (vgl. auch Urteil des RFH II A 524/25 vom 30. Oktober 1925, a.a.O.).
3. Auch darin, daß gegen die Erhebung der VersSt mit Rücksicht auf die Steuerfreiheit der Sozialversicherung (§ 4 Ziff. 3 VersStG) auf Grund des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 GG verfassungsrechtliche Bedenken möglich seien, vermag der Senat der Bfin. nicht zu folgen. Der Gesetzgeber ist an den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG nur in dem Sinn gebunden, daß er wesentlich Gleiches nicht willkürlich ungleich und wesentlich Ungleiches nicht willkürlich gleich behandeln darf (Entscheidungen des BVerfG Bd. 1 S. 52 und S. 247; Bd. 4 S. 155). Die Sozialversicherung ist seinerzeit als Pflichtversicherung nur zur Entlastung sozial schwacher Bevölkerungskreise von der VerSt-Pflicht ausgenommen worden, weil sie also der Allgemeinheit zugute kommt und im öffentlichen Interesse liegt (vgl. auch Wunschel-Kostboth, Kommentar zum VersStG § 4 Anm. 18). Diese Gesichtspunkte können aber auf freiwillige Versicherungsverhältnisse von Angehörigen freier Berufe nicht ohne weiteres übertragen werden. Auch aus der erst mit Wirkung vom 27. Mai 1959 durch Abschn. III Art. 4 Ziff. 2, Abschn. IV Art. 9 des Gesetzes zur Änderung verkehrsteuerrechtlicher Vorschriften vom 25. Mai 1959 (BGBl 1959 I S. 261, BStBl 1959 I S. 228) geschaffenen allgemeinen Befreiung für die Lebensversicherung kann nichts anderes abgeleitet werden. Der Gesetzgeber hat sich zu dieser Befreiung nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen, sondern aus steuerpolitischen Gründen entschlossen, weil der Abschluß von Lebensversicherungsverträgen einkommensteuerrechtlich als Sparförderungsmaßnahme begünstigt ist und durch die Erhebung einer VersSt nicht behindert werden sollte (vgl. Anlage 3 zur BT-Drucks. 262, 3. Wahlperiode; BT-Drucks. 997, 69. Sitzung, 3. Wahlperiode, S. 3649 li. Sp.).
Fundstellen