Entscheidungsstichwort (Thema)
(Gesamtumsatz i.S. des § 19 UStG 1980 - Antrag nach § 68 FGO im Revisionsverfahren)1)
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Gesamtumsatz i.S. des § 19 Abs.1 Satz 2 i.V.m. Abs.4 Satz 1 UStG 1980 in der für 1980 geltenden Fassung zählen die kraft Gesetzes steuerfreien Umsätze, die der Unternehmer wirksam als steuerpflichtig behandelt. Dies gilt auch bei der Veranlagung für 1980 bezüglich des maßgeblichen Gesamtumsatzes im vorangegangenen Kalenderjahr 1979.
Orientierungssatz
Der Antrag, den Umsatzsteuerjahresbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, kann auch noch im Revisionsverfahren über den Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid gestellt werden (vgl. BFH-Urteil vom 19.2.1991 VIII R 106/87).
Normenkette
UStG 1980 § 4 Nr. 12, § 9; FGO § 68; UStG 1980 § 19 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 S. 1; UStG 1973 § 19 Abs. 3, § 9; FGO § 123 S. 2
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG (Entscheidung vom 07.08.1987; Aktenzeichen IV 229/81 (I)) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) errichtete im Jahre 1974 auf einem ihr gehörenden Grundstück eine Senioren- Wohnsitzanlage mit angeschlossener Kurklinik, die sie an eine Betriebsgesellschaft verpachtete. Sie optierte 1974 für die Regelbesteuerung und verzichtete von Anfang an --auch für das Streitjahr (1980)-- auf die Steuerfreiheit der Verpachtungsumsätze. Dementsprechend setzte sie die bei der Errichtung des Objekts angefallenen Vorsteuerbeträge ab. Für Februar 1980 stellte sie der Betriebsgesellschaft keine Umsatzsteuer mehr in Rechnung und erklärte für diesen Zeitraum gegenüber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) steuerfreie Pachtumsätze in Höhe von 372 972 DM. Das FA setzte im Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für Februar 1980 48 486,35 DM Umsatzsteuer fest.
Einspruch und Klage gegen den Bescheid blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte in dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1988, 141 veröffentlichten Urteil aus, die Verpachtungsumsätze der Klägerin gingen über die in § 19 Abs.1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 bestimmten Wertgrenzen weit hinaus. Bei der Berechnung des für die Wertgrenzen maßgebenden Gesamtumsatzes seien auch Umsätze einzubeziehen, auf deren Steuerfreiheit der Unternehmer wirksam verzichtet habe. Ein solcher wirksamer Verzicht liege für das Jahr 1979 vor.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 4 Nr.12 Buchst.a i.V.m. § 9 und § 19 Abs.2 UStG 1980. Sie bringt vor: Der von ihr für das Streitjahr erklärte Verzicht auf die Steuerfreiheit der Vermietungsumsätze sei nicht wirksam; denn sie sei in diesem Besteuerungszeitraum Kleinunternehmerin i.S. des § 19 Abs.1 UStG 1980 gewesen. Ihre unter der Geltung des UStG 1973 abgegebene Erklärung, die Verpachtungsumsätze der Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften dieses Gesetzes zu unterwerfen, wirke für das Jahr 1980 nicht fort. Der Vorsteuerabzug aus der Errichtung des Senioren-Wohnsitzes sei nicht zu berichtigen.
Bereits während des Verfahrens vor dem FG war ein im Verlaufe des Revisionsverfahrens nach § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) berichtigter Jahresbescheid für 1980 ergangen, in dem das FA ebenfalls von der Steuerpflicht der Pachtumsätze und deren Berücksichtigung bei der Ermittlung des Gesamtumsatzes ausgegangen ist.
Die Klägerin beantragt, den Umsatzsteuerjahresbescheid für 1980 vom 25.September 1986 in der Fassung des Bescheids vom 15.Mai 1987 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen und die Umsatzsteuer für 1980 von ... DM auf ... DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
1. Die Klägerin konnte den Antrag, den Umsatzsteuerjahresbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, auch noch im Revisionsverfahren stellen (§§ 68, 123 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19.Februar 1991 VIII R 106/87, BFHE 164, 34, BStBl II 1991, 569).
2. Die im Streitjahr ausgeführten Verpachtungsumsätze sind steuerpflichtig, weil die Klägerin wirksam auf die Steuerfreiheit (§ 4 Nr.12 Buchst.a UStG 1980) verzichtet hat (§ 9 UStG 1980).
a) Gemäß § 9 UStG 1980 in der für das Streitjahr geltenden Fassung kann der Unternehmer einen Umsatz, der u.a. nach § 4 Nr.12 Buchst.a UStG 1980 steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
b) Dem Verzicht auf die Steuerfreiheit steht nicht § 19 Abs.1 Satz 4 UStG 1980 entgegen. Nach dieser Regelung finden in den Fällen der Kleinunternehmerbesteuerung (§ 19 Abs.1 Satz 1 UStG 1980) u.a. die Vorschriften über den Verzicht auf Steuerbefreiungen (§ 9 UStG 1980) keine Anwendung. Gemäß § 19 Abs.1 Satz 1 UStG 1980 in der für das Streitjahr geltenden Fassung wird die für Umsätze i.S. des § 1 Abs.1 Nrn.1 bis 3 UStG 1980 geschuldete Umsatzsteuer nicht erhoben, wenn der in § 19 Abs.1 Satz 2 UStG 1980 bezeichnete Umsatz zuzüglich der darauf entfallenden Steuer im vorangegangenen Kalenderjahr 20 000 DM nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr 100 000 DM voraussichtlich nicht übersteigen wird. Umsatz in diesem Sinne ist der nach vereinnahmten Entgelten bemessene Gesamtumsatz, gekürzt um die darin enthaltenen Umsätze von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens.
Gesamtumsatz ist nach § 19 Abs.4 Satz 1 UStG 1980 a.F. die Summe der steuerbaren Umsätze i.S. des § 1 Abs.1 Nrn.1 bis 3 UStG 1980 abzüglich u.a. der Umsätze, die nach § 4 Nr.12 UStG 1980 steuerfrei sind. Nicht abzuziehen sind Umsätze, die zwar kraft Gesetzes steuerfrei sind, die der Unternehmer aber nach § 9 UStG 1980 (bzw. 1973) als steuerpflichtig behandelt hat (Bülow in Vogel/Reinisch/Hoffmann, Umsatzsteuergesetz, § 19 Anm.90, Stand 1992; Stadie in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz, § 19 Anm.55, Stand August 1991). Verzichtet der Unternehmer wirksam auf die Steuerfreiheit von bestimmten Umsätzen, stehen diese Umsätze in jeder Hinsicht den kraft Gesetzes steuerpflichtigen Umsätzen gleich.
Der danach für die Anwendung des § 19 Abs.1 Satz 1 UStG 1980 maßgebende Umsatz der Klägerin im Jahre 1 9 7 9 überstieg die dafür bestimmte Wertgrenze von 20 000 DM bei weitem. Die Klägerin hatte für dieses Jahr wirksam auf die Steuerfreiheit der Verpachtungsumsätze (§ 4 Nr.12 Buchst.a UStG 1973) verzichtet (§ 9 UStG 1973). Auf den voraussichtlichen Umsatz der Klägerin i.S. des § 19 Abs.1 Satz 2 UStG 1980 im Jahre 1980 kommt es demnach nicht mehr an. Nicht erheblich ist auch, daß die unter der Geltung des UStG 1973 abgegebene Erklärung, die Umsätze der Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften dieses Gesetzes zu unterwerfen (§ 19 Abs.4 UStG 1973), für das Jahr 1980 nicht fortwirkte (Senatsurteil vom 18.August 1988 V R 199/83, BFHE 155, 196, BStBl II 1989, 306).
Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man den Gesamtumsatz des Jahres 1979 nicht nach § 19 Abs.4 Satz 1 UStG 1980 a.F., sondern gemäß § 19 Abs.3 Satz 1 UStG 1973 berechnet. Zum Gesamtumsatz im Sinne dieser Vorschrift zählt die Gesamtsumme der steuerpflichtigen Umsätze, gleichgültig ob die Steuerpflicht durch das Gesetz oder den Verzicht des Unternehmers auf die Steuerfreiheit begründet ist.
Das dargelegte Ergebnis ist systemgerecht. Es entspricht der Regelung in § 19 Abs.1 Satz 1 UStG 1980, die die Anwendung der Kleinunternehmerbesteuerung davon abhängig macht, daß weder im Vorjahr noch im laufenden Jahr bestimmte Umsatzgrenzen überschritten werden. Die Klägerin hätte die Besteuerung der Verpachtungsumsätze im Streitjahr dadurch vermeiden können, daß sie nicht auf die Steuerfreiheit verzichtet hätte. Sie hätte dann allerdings --systemgerecht-- die Berichtigung des Vorsteuerabzugs (§ 15a UStG 1980) in Kauf nehmen müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 64224 |
BFH/NV 1993, 13 |
BStBl II 1993, 209 |
BFHE 169, 548 |
BFHE 1993, 548 |
BB 1993, 207 (L) |
DB 1993, 362 (LT) |
DStR 1993, 163 (KT) |
DStZ 1993, 157 (KT) |
HFR 1993, 122 (LT) |
StE 1993, 47 (K) |