Leitsatz (amtlich)
1. Erwirbt eine Aktiengesellschaft unter Verstoß gegen § 71 AktG eigene Aktien und zahlt sie dafür einen Preis, der über dem Kurswert liegt, nimmt sie eine verdeckte Gewinnausschüttung an den Aktionär vor, dessen Aktien sie erwirbt.
2. Die Gefahr einer "Überfremdung" rechtfertigt nicht ohne weiteres den Erwerb eigener Aktien.
Normenkette
KStG § 6 Abs. 1 S. 2; AktG § 71
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine AG, befaßt sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von ...
Ihre Aktien gehörten im Streitjahr 1968 zu mehr als 80 v. H. der Familie S, die auch ein alleinvertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied und den stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrats stellte.
Im Streitjahr 1968 bot ein Unternehmen des X-Konzerns einem Minderheitsaktionär der Klägerin, der 8,6 v. H. der Aktien der Klägerin besaß, für diese Aktien einen Preis, der einem Kurswert von 835 v. H. entsprach, während der Börsenkurs 470 v. H. betrug. Da die Mehrheitsaktionäre der Klägerin zu dieser Zeit finanziell nicht in der Lage waren, die Aktien des Minderheitsaktionärs zu kaufen, erwarb die Klägerin die Aktien auf der Grundlage eines Kurswerts von 835 v. H. für insgesamt - einschließlich der Nebenkosten - 1 011 794 DM. Sie zahlte diesen Preis, um zu verhindern, daß die erworbenen Aktien auf ein Unternehmen des X-Konzerns übergingen.
In der Bilanz zum 31. Dezember 1968 nahm die Klägerin auf die erworbenen eigenen Aktien eine Abschreibung von 465 654 DM auf den niedrigeren Börsenkurs von 470 v. H. vor.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) behandelte den Betrag der Abschreibung als verdeckte Gewinnausschüttung.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Das FG hat ausgeführt, von dem Betrag der Abschreibung von 465 654 DM sei ein Teilbetrag von 23 373 DM als anteilige Nebenkosten zu aktivieren (Urteil des BFH vom 15. Juli 1966 VI 226/64, BFHE 86, 699, BStBl III 1966, 643). Der übrige Betrag der Abschreibung sei eine verdeckte Gewinnausschüttung an die Mehrheitsaktionäre der Klägerin, die Mitglieder der Familie S. Denn der Erwerb der eigenen Aktien und die Zahlung eines den Börsenkurs übersteigenden Preises zum Zweck der Fernhaltung des X-Konzerns sei ausschließlich im Interesse der Mehrheitsaktionäre und nicht im Interesse der Klägerin erfolgt. Ein Interesse der Klägerin am Erwerb der eigenen Aktien wäre nur dann steuerrechtlich erheblich, wenn dieses Interesse den Erwerb der eigenen Aktien nach § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG gerechtfertigt hätte. Die von der Klägerin vorgetragenen Gründe für den Erwerb der eigenen Aktien ließen aber nicht erkennen, daß der Erwerb notwendig gewesen sei, um einen schweren Schaden von der Klägerin abzuwenden. Nach den eigenen Angaben der Klägerin sei es das Bestreben des X-Konzerns gewesen, auf dem Markt der ... Fuß zu fassen. Mangels anderer Anhaltspunkte sei dann aber davon auszugehen, daß der X-Konzern damit eine für die Klägerin positive Konzeption verfolgt habe. Die Klägerin habe nichts vortragen können, was darauf schließen ließe, daß der X-Konzern für den Fall des Erwerbs der Aktien geschäftshemmende Maßnahmen in bezug auf das Unternehmen der Klägerin beabsichtigt hätte. Ein Konkurrenzunternehmen sei der X-Konzern noch nicht gewesen, weil er erst die Absicht gehabt habe, in den Bereich der Herstellung und des Vertriebs von ... einzudringen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der Verletzung der § 6 Abs. 1 Satz 2 KStG, § 6 Abs. 1 Nr. 1, 2 EStG gerügt wird. Die Klägerin meint unter Berufung auf die Rechtsprechung des RFH und des BFH, der Erwerb eigener Anteile durch eine Kapitalgesellschaft stelle keinen geldwerten Vorteil für die verbleibenden Gesellschafter dar. Das gelte auch, wenn es sich nur um wenige Gesellschafter handle und wenn die Anteile zu einem überhöhten Preis erworben würden. Unbegründet seien auch die Ausführungen des FG zur Teilwertabschreibung. Die Abschreibung auf den niedrigeren Börsenkurswert sei handelsrechtlich und steuerrechtlich geboten. Das FG habe schließlich nicht beachtet, daß die Klägerin die eigenen Aktien erworben habe, um einen lästigen Gesellschafter loszuwerden. Der Mehrpreis sei daher abzugsfähig.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und das Einkommen der Klägerin für das Streitjahr 1968 um 465 654 DM zu vermindern und den Körperschaftsteuerbescheid 1968 entsprechend zu berichtigen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. In dem Erwerb der eigenen Aktien durch die Klägerin zu einem überhöhten Preis liegt eine verdeckte Gewinnausschüttung an den Minderheitsaktionär. Die Abschreibung dieser Aktien auf den niedrigeren Teilwert darf daher das Einkommen der Klägerin nicht mindern (§ 71 Abs. 1, 2 AktG, § 6 Abs. 1 Satz 2 KStG).
1. Zutreffend hat das FG entschieden, daß der Erwerb der eigenen Aktien durch die Klägerin verboten war. Nach § 71 Abs. 1 AktG darf die Gesellschaft eigene Aktien nur aus den in § 71 Abs. 1 Nr. 1 - 6 bestimmten Gründen erwerben. Im Streitfall kommt nur der Rechtfertigungsgrund Nr. 1 in Betracht: Die Gesellschaft darf eigene Aktien erwerben, wenn der Erwerb notwendig ist, um einen schweren Schaden von der Gesellschaft abzuwenden.
Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), hat die Klägerin die eigenen Aktien in der Absicht erworben, zu vermeiden, daß die Aktien auf ein Unternehmen des X-Konzerns übergingen. Das FG hat aber nicht feststellen können, daß der X-Konzern den Einfluß, den er durch den Erwerb der 8,6 v. H. der Aktien der Klägerin erlangt hätte, zum Nachteil der Gesellschaft ausgeübt hätte. Eine Änderung der Geschäftspolitik, wie sie die Klägerin befürchtet hat, bedeutet nicht notwendig einen schweren Schaden für die Gesellschaft.
Im Schrifttum zum Aktienrecht ist streitig, ob die Gefahr einer "Uberfremdung" den Erwerb eigener Aktien rechtfertigt (Lutter in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 71 Anm. 15 mit weiteren Angaben). Der Senat braucht diese Frage nicht abschließend zu prüfen. Selbst wenn man in Übereinstimmung mit dem BGH (Urteile vom 27. September 1956 II ZR 144/55, Juristenzeitung 1957 S. 179, und vom 6. Oktober 1960 II ZR 150/58, BGHZ 33, 175) und entgegen der dazu geäußerten Kritik von Mestmäcker (Der Betriebs-Berater 1961 S. 945) davon ausgeht, daß die Verwaltung der Aktiengesellschaft berechtigt ist, den Erwerb von Aktien der Gesellschaft durch ein Konkurrenzunternehmen zu verhindern, wenn dieses die Absicht hat, die eigene Gesellschaft zu vernichten, ist im Streitfall der Erwerb der eigenen Aktien durch die Klägerin nicht erlaubt. Denn das FG hat nicht feststellen können, daß der X-Konzern die Absicht gehabt habe, die Klägerin zu schädigen oder gar zu vernichten.
Soweit den Mehrheitsaktionären der Klägerin aus dem Erwerb der Aktien des Minderheitsaktionärs durch ein Unternehmen des X-Konzerns Nachteile erwachsen konnten, lag darin keine Rechtfertigung für den Erwerb der eigenen Aktien durch die Klägerin nach § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG. Denn nach dieser Vorschrift muß der schwere Schaden, der durch den Erwerb der eigenen Aktien abgewendet werden soll, der Gesellschaft, nicht den Aktionären und erst recht nicht nur den Mehrheitsaktionären drohen. Das Aktiengesetz unterscheidet zwischen dem Schaden der Gesellschaft und dem Schaden der Aktionäre, setzt also beides nicht gleich (§ 243 Abs. 2 AktG; dazu Schilling in Freundesgabe für Hans Hengeler, S. 226, 231 ff.). § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG nennt als Schutzobjekt nur die Gesellschaft, deren Interessen mit denen der Mehrheitsaktionäre nicht übereinstimmen müssen.
Auch das Interesse der Mehrheitsaktionäre an der Beibehaltung der bisherigen Geschäftspolitik, die sie maßgeblich bestimmt haben, kann solange keine Rechtfertigung für den Erwerb der eigenen Aktien durch die Klägerin sein, als eine Änderung der Geschäftspolitik keinen schweren Schaden für die Gesellschaft selbst zur Folge hat. Eine solche Gefahr ist aber, wie bereits bemerkt, vom FG nicht festgestellt.
2. Der aktienrechtlich verbotene Erwerb eigener Aktien, wie er im Streitfall vorlag, stellt eine unzulässige Rückgewähr der Einlagen dar (§ 57 Abs. 1 Satz 2 AktG; Lutter, a. a. O., § 71 Anm. 50). Das dingliche Rechtsgeschäft ist wirksam, das schuldrechtliche Rechtsgeschäft ist nichtig (§ 71 Abs. 2 AktG). Der Minderheitsaktionär ist zur Rückgewähr des erlangten Kaufpreises verpflichtet (§ 57 Abs. 1, § 62 Abs. 1 AktG), die Gesellschaft ist verpflichtet, diesen Anspruch geltend zu machen und die eigenen Aktien wieder herauszugeben (Lutter, a. a. O., § 71 Anm. 49, 50).
Hätten sich im Streitfall die Klägerin und der Minderheitsaktionär an diese Rechtslage gehalten, so wäre der Gewinn der Klägerin und damit auch ihr Einkommen durch den Erwerb der eigenen Aktien nicht gemindert worden. Denn die Abschreibung der erworbenen eigenen Aktien auf den niedrigeren Teilwert wäre durch die Bilanzierung der beiderseitigen Rückgewähransprüche ausgeglichen worden.
3. Lassen jedoch - wie im Streitfall - die Aktiengesellschaft und der Aktionär den verbotenen Erwerb der eigenen Aktien gelten, so wird aus der aktienrechtlichen Rückgewähr der Einlagen (§ 57 Abs. 1 Satz 2 AktG) steuerrechtlich eine verdeckte Gewinnausschüttung (§ 6 Abs. 1 Satz 2 KStG). Empfänger der verdeckten Gewinnausschüttung waren allerdings im Streitfall nicht die Mehrheitsaktionäre der Klägerin. Empfänger war vielmehr der Minderheitsaktionär, dessen Aktien die Klägerin erworben hat. Die unzulässige Rückgewähr der Einlagen (§ 57 Abs. 1 Satz 2 AktG) erfolgte an den Aktionär, dessen Aktien erworben wurden, nicht an die übrigen Aktionäre. Der Vorteil, den der Minderheitsaktionär im Streitfall erlangt hat, besteht darin, daß der Minderheitsaktionär für die Aktien einen Preis erhielt, der weit über dem Börsenkurs lag. Die Ursache für die Zuwendung lag im Gesellschaftsverhältnis. Denn der Minderheitsaktionär erhielt sie in seiner Eigenschaft als Gesellschafter der Klägerin.
Auf die Rechtsprechung zur Abzugsfähigkeit von Abfindungen an lästige Gesellschafter einer Personengesellschaft kann sich die Klägerin nicht berufen. Für die Frage, ob eine Aktiengesellschaft durch den Erwerb eigener Aktien steuerrechtlich ihren Gewinn mindern darf, ist § 71 AktG maßgeblich. Die Maßgeblichkeit des Aktienrechts folgt daraus, daß das Verhalten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters als Maßstab für die Prüfung einer verdeckten Gewinnausschüttung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 KStG gilt und Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft durch den verbotenen Erwerb eigener Aktien diese Sorgfaltspflicht verletzen (§ 93 Abs. 1, 3 Nr. 3 AktG).
Ob im Streitfall die Vorteile, die die Mehrheitsaktionäre durch den Erwerb der eigenen Aktien erlangt haben, geeignet sind, Gegenstand einer verdeckten Gewinnausschüttung zu sein, erscheint fraglich. Darauf kommt es jedoch im Streitfall nicht an. Denn zur Hinzurechnung des streitigen Betrags zum Einkommen der Klägerin nach § 6 Abs. 1 Satz 2 KStG genügt die Feststellung einer verdeckten Gewinnausschüttung an den Minderheitsaktionär der Klägerin.
4. Bei dieser Sach- und Rechtslage braucht der Senat nicht zu prüfen, ob ein Teil des Betrags der Teilwertabschreibung als anteilige Nebenkosten für den Erwerb der eigenen Aktien zu aktivieren ist. Soweit die Frage zu verneinen wäre, ginge der Betrag ein in den Betrag der hinzuzurechnenden verdeckten Gewinnausschüttung.
Fundstellen
Haufe-Index 72351 |
BStBl II 1977, 572 |
BFHE 1978, 52 |