Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Bewertung Bewertung/Vermögen-/Erbschaft-/Schenkungsteuer
Leitsatz (amtlich)
Begehrt der Steuerpflichtige eine rückwirkende Wertfortschreibung, so sind in erster Linie die Antragsfristen des § 225 a Abs. 2 AO maßgebend.
Bei Wertfortschreibung von Amts wegen auf Anregung des Steuerpflichtigen liegt die zeitliche Zurückverlegung des Fortschreibungszeitpunktes im Ermessen des Finanzamts.
Der Pflichtige hat mit zumutbarer Sorgfalt jeden Feststellungsbescheid in der Rechtsmittelfrist zu überprüfen und später laufend darauf zu achten, ob sich eine Fortschreibungsmöglichkeit zu seinen Gunsten ergibt.
Soweit die bisherige Rechtsprechung mehr oder weniger nur wegen grundlos langen Zuwartens eine zeitlich zurückgreifende, sachlich berechtigte Fortschreibung begrenzte, rechtfertigt sich diese weite Auslegung in der Regel nur bei Fortschreibungen mit Auswirkung auf den Lastenausgleich.
Normenkette
AO § 225a; BewG § 22
Tatbestand
Der Einheitswert für die Fabrikgrundstücke der Bgin. war durch Bescheid vom 8. Dezember 1953 zum 1. Januar 1951 auf 3.147.900 DM fortgeschrieben. Am 21. August 1957 reichte die Bgin. Baubeschreibungen für die Stichtage 1. Januar 1952, 1953, 1954, 1955, 1956 und 1957 ein und beantragte Wertfortschreibungen unter Berücksichtigung von Abschlägen für Kriegsschäden und für Wertminderungen insbesondere durch Säureeinwirkungen. Das Finanzamt schrieb durch Bescheide vom 18. November 1957 den Einheitswert zum 1. Januar 1954 und zum 1. Januar 1956 fort, wobei es eine Fortschreibung auf frühere Zeitpunkte ablehnte.
Die Bgin. erhob gegen die beiden Wertfortschreibungen Einspruch und beantragte Fortschreibung auf den 1. Januar 1952, da der Einheitswert zu den vorhergehenden Stichtagen (21. Juni 1948, 1. Januar 1950 und 1. Januar 1951) unrichtig ermittelt worden sei. Die davon abhängigen Steuern seien noch nicht verjährt. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Die Begründung der Entscheidung ging dahin, die Ausschlußfristen nach § 225 a Abs. 2 AO seien abgelaufen. Es erscheine dem Finanzamt billig, die Fortschreibung auf den 1. Januar 1954 vorzunehmen, da zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine weitere Wertfortschreibung infolge Zubauten gegeben gewesen seien.
Mit der Berufung beantragte die Bgin. "Aufhebung der Fortschreibungsbescheide auf den 1. 1. 1954 und 1. 1. 1956 und statt dessen Fortschreibung des per 1. 1. 1951 rechtskräftig festgestellten unrichtigen Einheitswertes mit seinem richtigen Wert auf den 1. 1. 1952 und anschließend die Fortschreibungen gemäß den Wertgrenzen". Die Wertfortschreibung sei von Amts wegen vorzunehmen. Die Abweichung sei nicht geringfügig, da Wertfortschreibung zum 1. Januar 1952 auf 2.736.300 DM begehrt werde. Sie habe mit dem Antrag nicht jahrelang grundlos gewartet; sie habe die unrichtige Bewertung erst im August 1957 bemerkt, wobei es unbeachtlich sei, ob sie diese schon früher hätte erkennen können. Das "Warten" könne erst mit der Aufdeckung des Fehlers beginnen.
Die Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht führte aus, die Bgin. habe einen gerechtfertigten Grund für die Wertfortschreibung, die Abweichung sei nicht geringfügig, und sie habe auch nicht grundlos lange mit ihrem Antrag gewartet. "Warten" setze ein Ereignis, also einen Anlaß zum Tätigwerden, voraus, von dem ab gewartet werde, es sei nicht erforderlich, daß die Unkenntnis unverschuldet sei. Ein Verschulden habe nur für die Frage der Verwirkung oder eines Verstoßes gegen Treu und Glauben Bedeutung.
Mit der Rb. macht der Vorsteher des Finanzamts geltend, die Auffassung des Finanzgerichts, es sei unbeachtlich, ob die Unkenntnis verschuldet oder unverschuldet sei, finde im Gesetz keine Stütze. Die in § 225 a AO enthaltene Antragsfrist wäre sinnlos, wenn das Finanzamt nach Fristablauf die Fortschreibungen von Amts wegen vorzunehmen hätte; daher seien die Bestimmungen über die Fortschreibungen von Amts wegen eng auszulegen. Die Steuergerechtigkeit erfordere nicht, Fortschreibungen vorzunehmen, wenn der Steuerpflichtige, wie hier, die unrichtige Bewertung hätte erkennen können. Der Zeitpunkt, auf den die Fortschreibung erfolge, sei Ermessensfrage, wobei grundloses Warten als schuldhaft zu werten sei.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzamt.
§ 225 a AO über die Fortschreibung auf Antrag oder von Amts wegen ist eine Verfahrensvorschrift zu § 22 BewG. Sinngemäß gedacht ist offenbar die Fortschreibung auf Antrag zugunsten, von Amts wegen zum Nachteil des Steuerpflichtigen. So erklärt sich die im Gesetz vorgesehene relativ kurze Rückwirkung beim Antrage, da ja dem Steuerpflichtigen die Umstände, die ihm eine Fortschreibung erwünscht erscheinen lassen, bekannt sind, während das Finanzamt meistens erst nach längerer Zeit und zudem noch oft nur von dritter Seite Mitteilungen über änderungen im Werte des Gegenstandes, in der Art des Gegenstandes oder in der Zurechnung des Gegenstandes erhält. Somit ist logischerweise eine unterschiedliche Behandlung der Fortschreibungen, die auf Veranlassung des Steuerpflichtigen, und der Fortschreibungen, die erforderlichenfalls auf Veranlassung des Finanzamts von Amts wegen ergehen, für den Regelfall gerechtfertigt. Es kann aber auch der Einheitswert von Amts wegen auf Anregung des Steuerpflichtigen zu dessen Gunsten aus Gründen der steuerlichen Gerechtigkeit fortgeschrieben werden. Durch diese Handhabung dürfen aber die in § 225 a Abs. 2 AO gesetzlich bestimmten Antragsfristen (Ausschlußfristen) nicht völlig ihren Sinn verlieren, wenn auch eine rückwirkende fehlerbeseitigende Wertfortschreibung, wie sie hier die Bgin. begehrt, nach dem Gesetzeswortlaut keiner ausdrücklichen zeitlichen Beschränkung unterliegt. Es ist ohne Bedeutung, ob die Wertfortschreibung auf dem Vorliegen eines Bewertungsfehlers im vorangegangenen Einheitswertbescheid oder auf veränderten Verhältnissen beruht. Als letzte zeitliche Schranke gilt die Verjährung der von der Fortschreibung abhängigen Steuern (Urteile des Bundesfinanzhofs III 18/52 U vom 16. Mai 1952, BStBl 1952 III S. 189, Slg. Bd. 56 S. 490, und III 266/51 S vom 31. Oktober 1952, BStBl 1952 III S. 313, Slg. Bd. 56 S. 816). Besondere Bedeutung kommt der Fortschreibung von Amts wegen auf den 21. Juni 1948 oder bei Berliner Grundstücken auf den 1. Januar 1950 wegen der Auswirkung auf den Lastenausgleich zu (Urteile des Bundesfinanzhofs III 3/52 U vom 6. Februar 1953, BStBl 1953 III S. 65, Slg. Bd. 57 S. 164, und III 317/56 U vom 22. Februar 1957, BStBl 1957 III S. 158, Slg. Bd. 64 S. 419). Insoweit ist der Begriff "erforderlichenfalls" auch in der Rückwirkung weit zu fassen. In diesen Fällen steht wegen der Vermögensabgabe mit ihrer etwa 30jährigen Laufzeit auch die Verjährung der von der Wertfortschreibung sonst abhängigen Steuern entgegen. Im vorliegenden Falle handelt es sich nicht um eine Fortschreibung zum Währungsstichtag, so daß hier die besonders großzügige Handhabung einer Fortschreibung zugunsten des Steuerpflichtigen nicht Platz greift. Wenn schon nach ständiger Rechtsprechung eine vom Finanzamt betriebene Fortschreibung wegen jahrelangen grundlosen Wartens entfällt (Urteile des Bundesfinanzhofs III 360/57 U vom 29. Januar 1959, BStBl 1959 III S. 110, Slg. Bd. 68 S. 279; III 239/59 U vom 12. Mai 1961, BStBl 1961 III S. 430, Slg. Bd. 73 S. 445, und III 45/61 vom 5. Juli 1963, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 225 a, Rechtsspruch 51), so muß dies erst recht bei jahrelanger Versäumung der Antragsfrist seitens des Steuerpflichtigen gelten. In dem Urteil III 360/57 U a. a. O. wird alsbaldige Vornahme der Wertfortschreibung seitens des Finanzamts nach Kenntnisnahme des die Fortschreibung rechtfertigenden Sachverhalts verlangt. Bei dieser Entscheidung ist zu beachten, ob die Gegenpartei zur nicht rechtzeitigen Wertfortschreibung beigetragen hat. Nach dem Urteil III 45/61 a. a. O. liegt ein unzulässiges langes Zuwarten des Finanzamts nicht vor, wenn es erst nach Jahren durch eine Mitteilung des Ortsamtes von der anderweitigen Nutzung eines Einfamilienhauses Kenntnis erhielt. Umgekehrt muß daraus geschlossen werden, daß die eigene Kenntnis und auch das Kennenmüssen der die Fortschreibung begründenden Tatsachen einer rückwirkenden Fortschreibung mehr oder weniger entgegensteht. Die gegenteilige Auffassung des Finanzgerichts ist nicht anzuerkennen.
Begehrt der Steuerpflichtige eine rückwirkende Wertfortschreibung, so sind in erster Linie die Antragsfristen (Ausschlußfristen) des § 225 a Abs. 2 AO maßgebend. Begehrt der Pflichtige nach Fristablauf eine Wertfortschreibung von Amts wegen, so liegt es im Ermessen des Finanzamts, wie weit es den Fortschreibungszeitpunkt zeitlich zurückverlegt. Denn der Pflichtige hat von vornherein einen Feststellungsbescheid im Sinne des Bewertungsrechtes zunächst mit zumutbarer Sorgfalt innerhalb der Einspruchsfrist zu überprüfen und später laufend darauf zu achten, ob sich eine Fortschreibungsmöglichkeit zu seinen Gunsten ergibt. Hier hatte die Bgin., abgesehen von der Rechtsmittelfrist gegen den Fortschreibungsbescheid auf den 1. Januar 1951, seit Jahren die Möglichkeit, die Wertfortschreibung ordnungsgemäß nach § 225 a Abs. 2 AO jeweils bis zum Ablauf des Kalenderjahres zu beantragen. Nach ihren eigenen Angaben waren die Einheitswerte bereits zu den Stichtagen 21. Juni 1948, 1. Januar 1950 und 1. Januar 1951 unrichtig ermittelt, und zwar auf Grund der von ihr seinerzeit eingereichten unrichtigen Baubeschreibungen. Die Bgin. konnte die Fortschreibungsmöglichkeiten früher erkennen und geltend machen. Denn es handelt sich bei ihr um eine große Firma, die nach dem unwidersprochenen Vorbringen des Finanzamts über genügend Steuersachverständige und desgleichen auch über technisch vorgebildete Mitarbeiter verfügte. Ein Steuerpflichtiger, der seinen steuerlichen Angelegenheiten nicht die erforderliche und zumutbare Sorgfalt widmet, kann nicht verlangen, daß alsdann über die gesetzlich bestimmten Ausschlußfristen des § 225 a Abs. 2 AO hinweggegangen und er von den ihm ungünstigen Folgen der Unterlassung zeitlich unbegrenzt befreit wird. Alsdann ist die in § 225 a Abs. 2 AO enthaltene Voraussetzung einer rückwirkenden Fortschreibung von Amts wegen - erforderlichenfalls - nicht gegeben. In dieser allgemeinen Sicht ist das Verschulden der Beteiligten zu beachten, ohne daß die Fortschreibung auf einen zeitnahen Feststellungszeitpunkt dadurch berührt wird. Im Interesse der Rechtssicherheit ist eine rückwirkende Fortschreibung übrigens auch objektiv grundsätzlich nicht zeitlich unbegrenzt zulässig. Das Verschulden ist bei begehrter zeitlicher Rückwirkung relativ zu behandeln (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 450/59 U vom 26. Oktober 1962, BStBl 1963 III S. 29, Slg. Bd. 76 S. 81). Es würde dem Grundsatz von Treu und Glauben widersprechen, wenn man die Verzögerung der Antragstellung, die nur auf das Verhalten der Bgin. zurückzuführen ist, der Finanzverwaltung zeitlich unbegrenzt zur Last legen würde.
Wenn die Bgin. im Jahre 1957 Wertfortschreibungen ab 1. Januar 1952 beantragte, so war aus den dargelegten Gründen das Finanzamt berechtigt, die Fortschreibung von Amts wegen nur in beschränktem zeitlichem Zurückgreifen vorzunehmen. Gegen die erst auf den 1. Januar 1954 vorgenommene Fortschreibung ist daher nichts einzuwenden. Die Bgin. hat bei der gegebenen Sachlage keinen Anspruch auf eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung bereits zum 1. Januar 1952 oder zum 1. Januar 1953.
Insoweit ist die Rb. des Vorstehers des Finanzamts begründet und die Berufung der Bgin. gegen die Einspruchsentscheidung unbegründet. Die vom Finanzamt vorgenommene Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1954 bleibt aufrechterhalten. Betragsmäßig ist sie nicht bestritten.
Wegen der nach dem 1. Januar 1954 laut Berufungsantrag begehrten Wertfortschreibungen gemäß den Wertgrenzen, einschließlich der Wertfortschreibung zum 1. Januar 1956, erfolgt unter Aufhebung der Vorentscheidungen Zurückverweisung an das Finanzamt zwecks Nachprüfung der dafür erforderlichen Voraussetzungen und eventueller Durchführung. Zu diesen Fragen haben in den Vorverfahren keine Erörterungen stattgefunden, auch nicht über die durch die Berichtigungen der Einheitswerte 1954 und 1956 erfolgte Verschiebung der Wertdifferenz zum 1. Januar 1956.
Fundstellen
Haufe-Index 411314 |
BStBl III 1964, 618 |
BFHE 1965, 397 |
BFHE 80, 397 |