Entscheidungsstichwort (Thema)
Gemeinschaftliches Versandverfahren; Erlass von Eingangsabgaben
Leitsatz (amtlich)
1. Eingangsabgaben können erlassen werden, wenn dem Antrag besondere Umstände zu entnehmen sind, die einen Erlass der Abgaben rechtfertigen. Gegebenenfalls ist der Antrag von den zuständigen nationalen Behörden der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zur Entscheidung vorzulegen.
2. Ein besonderer Umstand im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über den Erlass von Eingangsabgaben liegt weder darin, dass der Eingriff organisierter Kriminalität in das gemeinschaftliche Versandverfahren die Wiedergestellung der Waren verhindert hat, noch darin, dass die Erhebung der Abgaben zu einer existenzbedrohenden Situation für den Hauptverpflichteten führen würde.
3. Außer nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, auf deren sinngemäße Anwendung das nationale Verbrauchsteuerrecht für die Eingangsabgaben verweist, kommt ein Erlass aus Billigkeitsgründen nach § 227 AO 1977 nicht in Betracht.
Normenkette
EWGV 1430/79 Art. 13; EWGV 3799/86 Art. 4 Abs. 1-2, Art. 6; AO 1977 § 227; BGB § 166 Abs. 1, § 278; BranntwMonG § 154 Abs. 1; TabStG § 10 Abs. 1; UStG 1991 § 5 Abs. 2 Nr. 1; EUStBV § 17
Verfahrensgang
FG des Landes Brandenburg |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ließ als Hauptverpflichtete im Jahre 1992 mehrere externe gemeinschaftliche Versandverfahren für den Versand von Zigaretten bzw. Spirituosen nach Polen eröffnen, die nicht abgeschlossen wurden. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt ―HZA―) nahm die Klägerin daraufhin in Höhe von insgesamt … DM (Zoll, Einfuhrumsatzsteuer und Tabak- bzw. Branntweinsteuer) in Anspruch. Er hielt es für erwiesen, dass die im gemeinschaftlichen Versandverfahren beförderten Waren nicht ordnungsgemäß gestellt wurden. Der Steuerbescheid in seiner endgültigen Fassung ist inzwischen bestandskräftig geworden, nachdem die dagegen eingelegten Rechtsmittel, zuletzt die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das die Klage im zweiten Rechtszug abweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) ―Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. Januar 1998 VII B 229/97 (BFH/NV 1998, 984)― keinen Erfolg hatten. Der Antrag der Klägerin, die festgesetzten Eingangsabgaben zu erlassen, blieb erfolglos. Die gegen die Ablehnung des Antrags gerichtete Beschwerde und Klage hatten ebenfalls keinen Erfolg.
Das FG führte aus, dass sich aus Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 (VO Nr. 1430/79) des Rates vom 2. Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. L 175/1) i.d.F. der Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 (VO Nr. 3069/86) des Rates vom 7. Oktober 1986 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 … (ABlEG Nr. L 286/1) kein Anspruch auf Erlass der Abgaben ergebe. Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 3799/86 (VO Nr. 3799/86) der Kommission vom 12. Dezember 1986 zur Durchführung der Art. 4 a, 6 a, 11 a und 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 … (ABlEG Nr. L 352/19) bestimme abschließend, wann im Falle des Diebstahls ein besonderer Umstand i.S. von Art. 13 Abs. 1 VO Nr. 1430/79 vorliege. Da die Waren im Streitfall gerade nicht wieder aufgetaucht seien, scheide die Anwendung von Art. 13 VO Nr. 1430/79 aus. Unabhängig von der "Sperrwirkung" des Art. 4 Abs. 1 Buchst. a VO Nr. 3799/86 liege auch kein den Erlass rechtfertigender besonderer Umstand vor, weil die aus dem Wesen einer bestimmten Berufstätigkeit, wie sie die des Spediteurs, der die Verantwortung als Hauptverpflichteter übernehme, darstelle, resultierenden Berufsrisiken nicht zu den besonderen Umständen i.S. des Art. 13 Abs. 1 VO Nr. 1430/79 gehörten. Es könne daher offen bleiben, ob daneben auch noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit i.S. des Art. 13 VO Nr. 1430/79 vorliege. Auch § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) greife vorliegend nicht ein, weil Art. 13 VO Nr. 1430/79 nicht nur für die gemeinschaftsrechtlich, sondern auch für die nach nationalem Recht geschuldeten Eingangsabgaben gelte. Deshalb könnten auch keine persönlichen Billigkeitsgründe berücksichtigt werden, weil solche keine besonderen Umstände i.S. des Art. 13 VO Nr. 1430/79 seien.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, das angefochtene Urteil beruhe auf der Verletzung von Bundesrecht. Das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, es habe zu Unrecht einen Erlass der Eingangsabgaben nach Art. 13 VO Nr. 1430/79 und einen Erlass der Verbrauchsteuern sowie der Einfuhrumsatzsteuer nach § 227 AO 1977 abgelehnt. Durch das inzwischen ergangene Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 25. Februar 1999 Rs. C-86/97 (EuGHE 1999, I-1041) fühlt sich die Klägerin insoweit bestätigt, als nunmehr klar sei, dass es sich bei Art. 13 VO Nr. 1430/79 um eine Billigkeitsnorm handele und zum anderen die Ansicht des FG widerlegt sei, dass die VO Nr. 3799/86 die Erlassmöglichkeiten im Diebstahlsfall abschließend regelt. Der EuGH differenziere nicht zwischen objektiver (sachlicher) und subjektiver (persönlicher) Billigkeit. Deshalb könnten im Rahmen des Art. 13 VO Nr. 1430/79 sowohl sachliche als auch persönliche Billigkeitsgründe berücksichtigt werden.
Im Streitfall liege ein "besonderer Umstand" i.S. von Art. 13 VO Nr. 1430/79 vor. Die Situation der Klägerin sei außergewöhnlich im Verhältnis zur Situation anderer Speditionen. Sie sei Opfer eines hinterhältigen Akts organisierter Kriminalität geworden, einer Erscheinung, der bisher niemand, nicht einmal der Staat, etwas entgegen zu setzen habe. Der Staat habe noch nicht einmal eine Warnung ausgegeben, vielmehr zugelassen, dass sie nur eine Bürgschaft über 20 000 DM als Sicherheit gestellt habe. Dadurch habe sie einen verfehlten Eindruck von den zu erwartenden Risiken gewonnen. Außerdem habe sich die wirtschaftliche Situation der Klägerin, wie sie im Einzelnen ausführt, erheblich verschlechtert.
…
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. … . Das FG hat zutreffend erkannt, dass der Bescheid, mit dem das HZA den Antrag der Klägerin auf Erlass der Eingangsabgaben abgelehnt hat, rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.
1. …
2. Ein Erlass der Eingangsabgaben nach Art. 13 VO Nr. 1430/79 kommt nicht in Betracht.
Gemäß Art. 13 VO Nr. 1430/79 können Eingangsabgaben bei Vorliegen besonderer Umstände erstattet oder erlassen werden, sofern der Beteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat. In der zur Durchführung dieser Bestimmung ergangenen Durchführungsverordnung Nr. 3799/86 sind in Art. 4 die Fälle genannt, in denen die Mitgliedstaaten selbst über den Erlass der Eingangsabgaben entscheiden können (Art. 5 VO Nr. 3799/86), weil entweder ein besonderer Umstand i.S. des Art. 13 Abs. 1 VO Nr. 1430/79 als gegeben (Art. 4 Abs. 1 VO Nr. 3799/86) oder als ausgeschlossen (Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 3799/86) erachtet wird.
Wie das FG mit Recht ausgeführt hat und von der Revision auch nicht in Zweifel gezogen wird, liegen allerdings die Voraussetzungen für einen Erlass der Eingangsabgaben nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a VO Nr. 3799/86, der von den in Art. 4 Abs. 1 VO Nr. 3799/86 genannten Fällen für einen Erlass der Eingangsabgaben hier allein in Betracht käme, nicht vor. Sofern die der Bestimmungszollstelle nicht wieder gestellten Waren tatsächlich gestohlen worden sein sollten, ist jedenfalls die weitere Voraussetzung, dass sie wieder gefunden wurden und unverändert in ihre ursprüngliche zollrechtliche Stellung zurückgeführt werden konnten, nicht erfüllt, weil die Waren, wie das FG für den Senat bindend festgestellt hat (§ 118 Abs. 2 FGO), nicht wieder aufgetaucht sind.
Außer den in Art. 4 Abs. 1 VO Nr. 3799/86 genannten Fällen, in denen die Behörde eines Mitgliedstaats selbst entscheiden kann, dass ein besonderer, den Erlass der Eingangsabgaben rechtfertigender Umstand vorliegt, sind aber weitere besondere Umstände denkbar, unter denen ein Erlass der Abgaben in Betracht kommt. Das ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 VO Nr. 3799/86. Denn danach lehnt die Behörde den Antrag auf Erlass der Eingangsabgaben nur ab, wenn entweder einer der in Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 3799/86 genannten Fälle vorliegt oder kein Fall des Art. 4 Abs. 1 derselben Verordnung gegeben ist, es sei denn, die Begründung des Antrags lässt auf (andere) besondere Umstände schließen, aus denen sich ergibt, dass der Beteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat. Sind der Begründung solche besonderen Umstände zu entnehmen, so entscheidet nicht die Behörde des Mitgliedstaats über den Antrag, sondern die Kommission der Europäischen Gemeinschaften (KEG) nach dem Verfahren der Art. 7 bis 10 VO Nr. 3799/86 (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 VO Nr. 3799/86). Das hat der EuGH in seinem auf Vorlage des BFH (Beschluss vom 26. November 1996 VII R 106/95, BFH/NV 1997, 447) zu der dem Art. 6 VO Nr. 3799/86 insoweit entsprechenden Vorschrift des Art. 905 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (ZKDVO) der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG 1993 Nr. L 253/1) ergangenen Vorabentscheidung (Urteil in EuGHE 1999, I-1041) klargestellt.
Dem Vortrag der Klägerin ist jedoch nicht zu entnehmen, dass solche besonderen Umstände vorliegen. Sie hat lediglich behauptet, dass die Waren durch organisierte Kriminalität abhanden gekommen sein müssten, wenn es zutreffe, dass sie nicht gestellt worden seien. Damit äußert sie aber nur eine Vermutung, die sie nicht durch konkrete Tatsachen belegt, und führt überhaupt nichts bezüglich der weiteren Voraussetzung aus, dass der Beteiligte (hier die Klägerin) nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat. Allein das Vorhandensein organisierter Kriminalität, die sich auch des Versandverfahrens für ihre Zwecke bedient, ist aber kein besonderer Umstand, der als solcher, ohne dass weitere Umstände hinzutreten, schon ein mögliches Handeln des Beteiligten in betrügerischer Absicht oder eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten ausschließt.
Selbst wenn Art. 13 VO Nr. 1430/79 i.V.m. Art. 6 VO Nr. 3799/86 so auszulegen wäre, dass die "besonderen Umstände" mit dem Begriff der "höheren Gewalt" gleichzusetzen wären, wäre der Eingriff der organisierten Kriminalität in die Versandverfahren doch nicht als höhere Gewalt zu bewerten, sondern stellt, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, unter den gegebenen Verhältnissen nur ein allgemeines Risiko dar, dem jeder unterliegt, der sich als Hauptverpflichteter am gemeinschaftlichen Versandverfahren beteiligt. Das bestehende Risiko ist deshalb für den Beteiligten vorhersehbar mit der Folge, dass er sich darauf einstellen kann und muss (EuGH, Urteil vom 13. November 1984 in den verbundenen Rechtssachen 98 und 230/83, EuGHE 1984, 3763, 3779 Tz. 16). Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass das gemeinschaftliche Versandverfahren ein Zollverfahren ist, das vor allem die unter Umständen notwendig werdende Erhebung der auf den beförderten Waren ruhenden Eingangsabgaben sichern soll, aber nicht dazu dient, den sicheren Transport der Waren zu gewährleisten. Die Zollbehörden trifft daher gegenüber dem Hauptverpflichteten keine besondere Verpflichtung, den Eingriff der organisierten Kriminalität in das Versandverfahren zu verhindern. Es ist vielmehr eine allgemeine Aufgabe des Staates auf dem Gebiet der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, den Zugriff organisierter Kriminalität zu verhindern, ohne dass dieser Umstand aber einen Einfluss auf die Erhebung von Abgaben haben kann, die im Zusammenhang mit dem widerrechtlichen Zugriff auf die zum gemeinschaftlichen Versandverfahren abgefertigte Ware entstanden sein mögen.
Der Einwand der Klägerin, sie habe mit dem von ihr beauftragten Frachtführer seit Jahren zusammengearbeitet und diesen als zuverlässig kennen gelernt, kann ebenfalls nicht durchgreifen. Übernimmt der Spediteur als Hauptverpflichteter gegenüber den Zollbehörden die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Versandverfahrens, so muss er auch für ein etwaiges Verschulden derjenigen eintreten, welcher er sich zur Durchführung des Versandverfahrens bedient. Dies gilt unabhängig davon, welche Sorgfalt der Hauptverpflichtete bei der Auswahl seiner Erfüllungsgehilfen hat walten lassen. Dieser Grundsatz hat seinen Ausdruck in § 278, § 166 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gefunden, muss aber unabhängig von seiner positiven Regelung im Zivilrecht auch im öffentlichen Recht (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21. Dezember 1990 3 B 47.89, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 316 § 48 VwVfG Nr. 64) und insbesondere dann gelten, wenn ein Zollbeteiligter, wie im Streitfall, eine besondere Verantwortung gegenüber den Zollbehörden übernimmt, indem er ein Versandverfahren eröffnen lässt (vgl. BFH, Beschluss vom 27. September 1994 VII B 113/94, BFHE 175, 478 zum insoweit vergleichbaren Ausfuhrerstattungsrecht).
Auch die Berufung der Klägerin darauf, dass sie durch die Erhebung der streitigen Abgaben in eine existenzbedrohende Situation gebracht werde, stellt keinen besonderen Umstand i.S. des Art. 6 VO Nr. 3799/86 dar, der das HZA dazu verpflichten würde, den Antrag der Klägerin der KEG zur Entscheidung vorzulegen. Denn die bei Erhebung der Abgaben erwarteten wirtschaftlichen Schwierigkeiten haben keinen Bezug zu der Frage, ob die Klägerin in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat. Die Erhebung der entstandenen Abgaben beim Hauptverpflichteten in dem Fall, dass die Ware der Bestimmungszollstelle nicht wieder gestellt wird, stellt für diesen ein mit der Benutzung des Versandverfahrens verbundenes normales Risiko dar, mit dem er rechnen muss, wenn er ein Versandverfahren beantragt (vgl. EuGH, Urteil in EuGHE 1984, 3763).
3. Schließlich scheidet ein Erlass der Eingangsabgaben nach nationalem Recht ebenfalls aus. Die in § 227 Abs. 1 AO 1977 enthaltene Billigkeitsregelung ist auf Eingangsabgaben einschließlich der als Eingangsabgaben zu erhebenden Verbrauchsteuern nicht anwendbar.
a) Hinsichtlich der gemeinschaftsrechtlich geregelten Eingangsabgaben, für die die VO Nr. 1430/79 unmittelbar gilt, ergibt sich dies aus der in dieser Verordnung und den dazu ergangenen Durchführungsverordnungen enthaltenen abschließenden Regelung, die dem nationalen Recht als unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht vorgeht und es damit ausschließt (vgl. Worms in Bail/Schädel/Hutter, Zollgesetz, Kommentar, F IX Rz. 15; auch EuGH, Urteil vom 28. Juni 1977 Rs. 118/76, EuGHE 1977, 1177).
b) Soweit es um die noch national geregelten Verbrauchsteuern (hier: Einfuhrumsatzsteuer, Branntweinmonopolausgleich und Tabaksteuer) geht, gelten nach den ausdrücklichen Regelungen in den jeweiligen Verbrauchsteuergesetzen (jeweils in der zum Zeitpunkt der Entstehung der Abgaben maßgebenden Fassung) die den Erlass betreffenden Vorschriften über Zölle sinngemäß. Für die Einfuhrumsatzsteuer ergibt sich dies aus § 5 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1991) vom 8. Februar 1991 (BGBl I, 351) i.V.m. § 17 der Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungsverordnung (EUStBV) vom 5. Juni 1984 (BGBl I, 747, 752), wonach die Einfuhrumsatzsteuer ―von Ausnahmen abgesehen― in sinngemäßer Anwendung der VO Nr. 1430/79 und der dazu ergangenen Durchführungsverordnungen erlassen wird. In § 154 Abs. 1 des Gesetzes über das Branntweinmonopol (BranntwMonG) vom 8. April 1922 (RGBl I, 335, 405 in der zuletzt durch Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 des Mineralöl- und Branntweinsteuer-Änderungsgesetzes 1981 vom 20. März 1981, BGBl I, 301 geänderten Fassung) und § 10 Abs. 1 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) vom 13. Dezember 1979 (BGBl I, 2118) ist ausdrücklich die sinngemäße Geltung der Zollvorschriften auch über den Erlass festgelegt worden.
Bei diesen Vorschriften handelt es sich um so genannte dynamische Verweisungen, d.h. die maßgebenden zollrechtlichen Vorschriften gelten sinngemäß in ihrer jeweiligen Fassung und schließen auch das Gemeinschaftsrecht ein, soweit dieses an die Stelle des nationalen Zollrechts getreten ist (vgl. u.a. BFH, Urteile vom 3. Mai 1990 VII R 71/88, BFHE 161, 260, und vom 30. Januar 1996 VII R 84/95, BFHE 179, 508). Das kraft Verweisung geltende Gemeinschaftsrecht schließt damit als spezifische Regelung für die als Eingangsabgaben zu erhebenden Verbrauchsteuern grundsätzlich das nationale Recht ebenfalls aus. Das gilt auch für die Vorschriften der AO 1977, soweit in ihr Materien geregelt sind, die von der Verweisung betroffen werden (vgl. BFH in BFHE 161, 260, 262 für die Einfuhrumsatzsteuer).
Durch die sinngemäße Anwendung der Zollvorschriften soll insbesondere sichergestellt werden, dass die bei der Einfuhr zu erhebenden Abgaben von ein und derselben Behörde in einem Bescheid nach dem gleichen Verfahren aufgrund einheitlich getroffener Feststellungen einfach und zweckmäßig erhoben werden (vgl. BFH in BFHE 161, 260, 262). Das gilt nicht nur für die Erhebung der Abgaben, sondern kraft der ausdrücklichen Inbezugnahme der Zollvorschriften über den Erlass entsprechend auch für den Erlass von Verbrauchsteuern, die als Eingangsabgaben erhoben werden.
Da die Verweisungen die Anwendung der Zollvorschriften nicht schlechthin, sondern nur sinngemäß anordnen, gilt eine Zollvorschrift jedoch nur mit der Maßgabe, dass ihre Anwendung dem Sinn und Zweck der Vorschriften über die betreffende Verbrauchsteuer nicht widerspricht. Ob das der Fall ist, bedarf für jede Bestimmung einer eigenen Prüfung. Die Anwendung einer Zollvorschrift darf danach nicht zu einem Ergebnis führen, das den mit der Erhebung der betreffenden Verbrauchsteuer verfolgten Zweck beeinträchtigen würde (vgl. BFH, Urteil vom 5. September 1989 VII R 39/87, BFHE 158, 182, 187). Das ist aber bei den Vorschriften über den Erlass, auf die in den Verbrauchsteuergesetzen ausdrücklich verwiesen wird, regelmäßig nicht der Fall.
Zwar wird von der Verwaltung (Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung ―VSF― Z 1102 Abs. 43 Unterabs. 2), in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung (FG des Saarlandes, Urteil vom 23. Mai 1990 2 K 56/85, Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1991, 204; FG Bremen, Urteil vom 28. Juni 1991 II 226/89 K, EFG 1992, 84, die den gemeinschaftsrechtlichen unbestimmten Rechtsbegriff "besondere Umstände" durch die nationalen Billigkeitsgesichtspunkte interpretieren wollen; FG München, Urteil vom 28. November 1990 3 K 3268/87, EFG 1991, 489) und teilweise im Schrifttum (vgl. Worms in Bail/Schädel/ Hutter, a.a.O., F IX 1/13 Rz. 14; Mewes, Abgrenzung gemeinschaftlicher und nationaler Rechtsvorschriften zur Bewertung eines abgabenrechtlichen Billigkeitserlasses, Recht der internationalen Wirtschaft 1993, 479, 484; zum entsprechenden neuen Recht Worms in Dorsch, Zollrecht, B I/235-242 Rz. 116; Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 227 AO 1977 Rz. 12; Krabbe in Koch/Scholz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 227 Rz. 6) die Meinung vertreten, dass in Bezug auf die als Eingangsabgaben zu erhebenden Verbrauchsteuern weiterhin auch nationales Billigkeitsrecht anzuwenden sei. Dem Zweck der als Eingangsabgaben zu erhebenden Verbrauchsteuern lässt sich dies allerdings nicht entnehmen (vgl. Witte/Huchatz, Zollkodex, 2. Aufl., Vor Art. 235 Rz. 5, m.w.N., Art. 239 Rz. 30; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 227 Rz. 11; noch nicht abschließend auch BFH, Beschluss vom 7. April 1992 VII B 56/91, BFH/NV 1993, 137, 139; jetzt aber BFH, Urteil vom 21. Mai 1999 VII R 106/95, BFHE 189, 218).
Allein der Umstand, dass § 227 AO 1977 weiterhin für Verbrauchsteuern gilt, die nicht als Eingangsabgaben erhoben werden, gibt keine Veranlassung, diese Vorschrift auch im Zusammenhang mit der Erhebung von Verbrauchsteuern als Eingangsabgaben heranzuziehen. Denn der Gesetzgeber hat für die Erhebung der betreffenden Verbrauchsteuern ausdrücklich auf die entsprechenden Zollvorschriften über den Erlass verwiesen. Hätte er daneben auch die Anwendung von § 227 AO 1977 in Betracht gezogen, so hätte es angesichts des abschließenden Charakters der zollrechtlichen Regelungen über den Erlass einer besonderen Regelung bedurft, die neben den zollrechtlichen Regelungen ausdrücklich § 227 AO 1977 weiterhin für anwendbar erklärt hätte. Aus der bloßen Verwendung des Wortes "sinngemäß" lässt sich dies jedenfalls nicht entnehmen.
In diesem Zusammenhang stellt sich auch nicht die von der Klägerin aufgeworfene Frage, inwieweit der Gesetzgeber die Verbrauchsteuergesetze in allen möglichen Punkten harmonisieren wollte. In den zuvor genannten Verweisungsvorschriften geht es vielmehr lediglich um das Bestreben des Gesetzgebers, durch den Verweis auf die Zollvorschriften für den Bereich der Wareneinfuhr unabhängig von den aus diesem Anlass zu erhebenden unterschiedlichen Abgaben möglichst einheitliche Rechtsvorschriften zur Anwendung zu bringen.
Andere Besonderheiten der betreffenden Verbrauchsteuern führen ebenfalls nicht dazu, im Streitfall neben den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über den Erlass auch § 227 AO 1977 anzuwenden. Jedenfalls kann der Umstand, dass die Verbrauchsteuern im Streitfall gegenüber dem Zoll den weitaus höheren Anteil des Betrages der Eingangsabgaben ausmachen, entgegen der Auffassung der Klägerin kein Grund für die unterschiedliche Behandlung der Abgaben in Bezug auf die Anwendung der Vorschriften über den Erlass sein. Aus der unterschiedlichen Zielsetzung der als Eingangsabgaben zu erhebenden Verbrauchsteuern (Einnahmeerzielung aus fiskalischen Gründen) und des Zolls (Schutz der inländischen Wirtschaft) lassen sich ebenfalls keine Gründe herleiten, die es notwendig machen, im Falle der Verbrauchsteuern persönliche Billigkeitsgründe gelten zu lassen, die für den Zoll nach Gemeinschaftsrecht nicht zu berücksichtigen sind.
Der Grundsatz des Übermaßverbots und des rechtsstaatlich fairen Verfahrens sind im Streitfall, anders als die Klägerin meint, nicht berührt. Der hohe Betrag der gegen die Klägerin als Abgabeschuldnerin festgesetzten Verbrauchsteuern stellt keine Sanktion für ein individuelles Fehlverhalten der Klägerin dar, der das Übermaßverbot allenfalls entgegenstehen könnte, sondern hängt allein mit der Höhe der auf den Waren ruhenden gesetzlich vorgesehenen Abgaben zusammen. Der Grundsatz eines rechtsstaatlich fairen Verfahrens wurde für das Prozessrecht entwickelt (vgl. z.B. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., Vor § 76 Rz. 4), kann aber auf ein Zollverfahren, in dem es nur einen Beteiligten gibt, nicht übertragen werden. Im Übrigen lässt nicht das von der Klägerin benutzte Versandverfahren, sondern allein der Umstand, dass sie die selbst übernommenen Pflichten nicht erfüllt, die Abgabenschuld entstehen und begründet die Abgabenschuld der Klägerin als Hauptverpflichtete in diesem von ihr selbst beantragten Verfahren. Dafür, dass die Zollverwaltung im Streitfall ihre sich aus dem Verfahren ergebenden Pflichten vernachlässigt hat, gibt es abgesehen davon, dass die zur Absicherung des Abgabenausfallrisikos der Zollverwaltung von der Klägerin verlangte Sicherheit zu niedrig gewesen sein mag, keine konkreten Anhaltspunkte. Die Klägerin hat sich insoweit auf allgemein gehaltene Vorwürfe beschränkt, die keinen Bezug zum Streitfall aufweisen.
Soweit bei den als Eingangsabgaben zu erhebenden Verbrauchsteuern im Zusammenhang mit dem Erlass materielle Besonderheiten zu berücksichtigen sind, hat der Gesetzgeber dies ―wie in § 5 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1991 i.V.m. § 17 Abs. 2 EUStBV geschehen― durch eine ausdrückliche Regelung vorgeschrieben. Bestehen solche Sonderregelungen nicht, sind daher ausschließlich die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über den Erlass anzuwenden (vgl. BFH, Urteil in BFHE 189, 218). Keiner besonderen Regelung bedurfte es indes hinsichtlich der Zuständigkeit für die Entscheidung über den Antrag auf Erlass der Verbrauchsteuern. Da es sich bei diesen um nationale Abgaben handelt, ist auch ohne eine gesetzliche Regelung klar, dass darüber nur die nationalen Behörden entscheiden können. Für den Zoll ist die Entscheidungszuständigkeit dagegen nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 3799/86 teilweise auf die KEG übergegangen. Diese Besonderheit hat aber im Streitfall keine Auswirkungen, weil, wie ausgeführt, aus der Begründung des von der Klägerin gestellten Erlassantrags nicht auf besondere Umstände zu schließen ist, aus denen sich ergibt, dass sie nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat. Daher konnte das HZA, wie geschehen, einheitlich sowohl hinsichtlich des Zolls (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 3799/86) als auch hinsichtlich der festgesetzten Verbrauchsteuern über den Antrag entscheiden, ohne den Antrag in Bezug auf den zu erhebenden Zoll vorher der KEG vorlegen zu müssen.
4. Der Senat hält es nicht für erforderlich, in dieser Sache eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Auslegung der hier anzuwendenden Gemeinschaftsvorschriften über den Erlass einzuholen, weil sich, nachdem der EuGH mit Urteil in EuGHE I 1999, I-1041 auf ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen des Senats in BFH/NV 1997, 447 betreffend die den im Streitfall noch anwendbaren Bestimmungen nachfolgenden, im Wesentlichen gleichen Bestimmungen entschieden hat, keine Zweifelsfrage mehr hinsichtlich der Auslegung dieser Vorschriften in dem Sinne ergibt, dass mehrere Auslegungsmöglichkeiten denkbar wären (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415-3442, und Senatsurteil vom 23. Oktober 1985 VII R 107/81, BFHE 145, 266).
Fundstellen
Haufe-Index 508956 |
BFH/NV 2001, 133 |
BFHE 192, 140 |
BFHE 2001, 140 |
BB 2000, 2350 |
DStRE 2000, 1220 |
HFR 2001, 39 |
StE 2000, 705 |