Leitsatz (amtlich)
Ein Arbeitnehmer, der wegen Unterbrechung seiner Arbeitszeit um mehr als vier Stunden zweimal täglich zu seiner Arbeitsstätte fahren muß, kann für jede Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte die Kilometerpauschale nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1967 als Werbungskosten ansetzen. Die tatsächlich entstandenen Kraftfahrzeugkosten können seit der Neuregelung über die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1967 nicht mehr geltend gemacht werden.
Normenkette
EStG 1967 § 9 Abs. 1 Nr. 4; LStDV 1968 § 20 Abs. 2 Nr. 2
Tatbestand
Die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) ist Chorsängerin an einer Oper. Sie muß in der Regel täglich zweimal zu ihrer fünf Kilometer von der Wohnung entfernten Arbeitsstätte fahren, und zwar vormittags zu den Chorproben und abends zu den Vorstellungen. Ihre Arbeitszeit ist dadurch mehr als vier Stunden unterbrochen. Für die Fahrten benutzt sie ihren eigenen PKW.
In ihrem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1967 machte die Steuerpflichtige ihre gesamten Kfz-Kosten abzüglich 10 v. H. Privatnutzung als Werbungskosten geltend. Der Revisionsbeklagte (FA) berücksichtigte jedoch nur die doppelte Kilometerpauschale. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das FG wies die Klage durch seine in den EFG 1970, 602 veröffentlichte Entscheidung ab. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Mit der Revision rügt die Steuerpflichtige Verletzung des § 9 EStG und des § 20 LStDV. Sie trägt vor: Die entsprechende Anwendung des § 20 Abs. 2 Nr. 2 LStDV auf die zweite Fahrt zur Arbeitsstätte und zurück sei nicht möglich, da - wie der Gesetzeswortlaut "für jeden Arbeitstag für jeden km" zeige - keine Gesetzeslücke vorliege. Dies ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil VI 159/58 S vom 18. März 1960, BFH 71, 21, BStBl III 1960, 255). Diese Rechtsprechung sei auch nicht durch die Neuregelung in § 9 EStG 1967 und § 20 LStDV 1968 überholt; denn der Gesetzeswortlaut habe sich nicht geändert, nur die Höhe der Pauschsätze. Die Tatsache, daß durch die Neufassung die steuerliche Auswirkung umgekehrt sei, da sich nunmehr die Anerkennung der tatsächlichen Aufwendungen als Werbungskosten zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken könnte, könne die Klageabweisung nicht rechtfertigen. Dies würde dem Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung widersprechen. Der BFH sei auch von seiner bisherigen Rechtsprechung nicht abgewichen. Im Urteil VI R 279/67 vom 29. November 1968 (BFH 94, 336, BStBl II 1969, 173) gehe er davon aus, daß Ausnahmen von den Pauschbeträgen zulässig seien, "wenn im Einzelfall ungewöhnliche Verhältnisse vorliegen, die den typischen Arbeitsverhältnissen nicht zuzuordnen sind". Der BFH lasse dabei ausdrücklich offen, ob Abschn. 25 Abs. 2 Satz 4 LStR richtig sei. Er bejahe damit im Ergebnis bei mehrfacher Fahrt zur Arbeitsstätte die Inanspruchnahme des Abzugs nach Maßgabe der tatsächlichen Kosten.
Die Steuerpflichtige beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und Werbungskosten in Höhe der tatsächlich entstandenen PKW-Kosten anzuerkennen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Zu Recht hat das FG der Steuerpflichtigen für ihre Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte die zweifache Kilometerpauschale zuerkannt. Zwar zählt das Arbeitsverhältnis der Steuerpflichtigen zu den atypischen Fällen im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile VI 159/58 S vom 18. März 1960, a. a. O., und VI 153/57 vom 2. April 1960, StRK, Lohnsteuer-Durchführungsverordnung, § 20 Abs. 2, Rechtsspruch 67). Die in den genannten Entscheidungen aus der Atypik der Fälle gezogene rechtliche Folgerung des Ansatzes der tatsächlich entstandenen Kfz-Kosten läßt sich nach der Neuregelung der Behandlung von Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte durch StÄndG 1966 in § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1967 jedoch nicht mehr aufrechterhalten. Durch diese Bestimmung ist die Frage, inwieweit Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als Werbungskosten geltend gemacht werden können, abschließend geregelt. Während die Pauschalierung in der bis zum Veranlagungszeitraum 1966 einschließlich geltenden Regelung (§ 9 Nr. 4 EStG 1965 i. V. m. § 26 EStDV 1965, § 20 Abs. 2 Nr. 2 LStDV 1965) der Vereinfachung und Gleichmäßigkeit der Besteuerung diente und dementsprechend die Kilometerpauschale im Normalfall die tatsächlich entstandenen Fahrtaufwendungen deckte, ist der Abzug der Aufwendungen durch § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1967 bewußt beschränkt. Die niedriger als die durchschnittlich entstehenden tatsächlichen Kosten bemessene Kilometerpauschale soll nach dem Willen des Gesetzgebers zur Entlastung des Straßenverkehrs in den Ballungszentren und zur Erhöhung des Steueraufkommens führen (vgl. Bundestags-Drucksache V 1068 S. 23 und Bundestags-Drucksache V 1187 S. 5). Die Beschränkung des Werbungskostenabzugs ist verfassungsgemäß (Beschluß des BVerfG 1 BvL 12/68 vom 2. Oktober 1969, BStBl II 1970, 140).
§ 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1967 gilt auch für sog. atypische Fälle. Grund für den Ansatz der tatsächlich entstandenen Kosten in den Entscheidungen VI 159/58 S (a. a. O.) und VI 153/57 (a. a. O.) war, daß die Pauschalierung als eine typisierende Schätzung in den genannten Fällen zu einer unzutreffenden Besteuerung geführt hätte. Demgegenüber stellt die Pauschalierung in § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1967 nicht typisierend auf den Normalfall ab, sondern schränkt die Geltendmachung der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte generell ein. Für Erwägungen, ob der Ansatz der Kilometerpauschale zu unzutreffenden Ergebnissen führt, bleibt mithin kein Raum.
Der Steuerpflichtigen steht die Kilometerpauschale für jede der beiden Fahrten, die sie täglich zu ihrer Arbeitsstätte machen muß, zu. Zwar werden nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG 1967 nur die Aufwendungen für eine Fahrt arbeitstäglich berücksichtigt. Die Bestimmung hat den Normalfall eines Arbeitsverhältnisses mit einer einheitlichen Arbeitszeit, die allenfalls durch eine Pause zur Einnahme einer Zwischenmahlzeit unterbrochen ist, im Auge, bei dem nur Aufwendungen für eine Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte arbeitstäglich Werbungskosten sein können. Liegt aber - wie hier - eine geteilte Arbeitszeit vor, die täglich mindestens vier Stunden unterbrochen ist, so ist von dem Arbeitnehmer kraft des Arbeitsverhältnisses je Arbeitstag zweimal eine selbständige Arbeitszeit zu leisten. Die Aufwendungen für die jeweiligen Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind Werbungskosten (vgl. BFH-Urteil VI R 236/69 vom 13. Februar 1970, BFH 98, 350, BStBl II 1970, 391). In diesen Fällen ist auf jede der Fahrten § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG anzuwenden. Würde man streng nach dem Wortlaut der Bestimmung nur die Aufwendungen für eine Fahrt arbeitstäglich als Werbungskosten behandeln, so widerspräche dies dem Grundsatz der Berücksichtigung von Werbungskosten, der durch § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG nur der Höhe, nicht aber dem Grunde nach eingeschränkt ist. Andererseits wird der gesetzgeberische Zweck der Beschränkung des Werbungskostenabzugs auch nur dann erfüllt, wenn von ihr alle Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte erfaßt werden.
Die Auffassung der Steuerpflichtigen läßt sich auch nicht mit dem Urteil des Senats VI R 279/67 (a. a. O.) begründen. Gegenstand dieser Entscheidung war die vor dem Veranlagungszeitraum 1967 geltende Regelung über die Behandlung der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Die darin zu Abschn. 25 Abs. 2 Satz 4 LStR 1968 vertretene Auffassung war nicht entscheidungserheblich.
Fundstellen
Haufe-Index 413097 |
BStBl II 1972, 260 |
BFHE 1972, 209 |