Leitsatz (amtlich)
Kann ein Verfahrensfehler bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt werden, so ist seine Rüge in der Revision ausgeschlossen. Der Senat folgt der Rechtsprechung des BVerwG, daß die Rüge der Nichtvernehmung von Zeugen nur dann ordnungsmäßig erhoben ist, wenn die Namen der Zeugen und das Beweisthema entweder in der Revisionsbegründung oder im angefochtenen Urteil bezeichnet werden.
Normenkette
FGO § 120 Abs. 2 S. 2, § 155; ZPO § 295 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist die vom FA für die Jahre 1953 bis 1955 durchgeführte Schätzung der Umsätze und Gewinne des Steuerpflichtigen dem Grunde und der Höhe nach.
Der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) unterhielt in den Streitjahren einen Lebensmitteleinzelhandel mit 10 Filialen in X. Eine im Jahre 1958 durchgeführte Betriebsprüfung ergab folgendes: Der Steuerpflichtige habe in den Streitjahren kein Kassenbuch geführt. Das Kassenkonto sei nur in größeren Zeitabständen geführt worden und ersetze daher das Kassenbuch nicht. Das gelte auch für die in den Filialen geführten Einnahmebücher, weil die Einnahmen aller Filialen nicht zusammengefaßt und die Kassenausgaben nicht laufend aufgezeichnet worden seien. Für drei Filialen seien die Einnahmebücher nicht von Anfang an geführt worden. Außerdem seien bei verschiedenen Filialen die ursprünglich verbuchten täglichen Einnahmen wiederholt um 500 bzw. 1 000 DM nachträglich erhöht worden.
Aus diesen Gründen verwarf der Revisionsbeklagte (FA) die Buchführung. Der Betriebsprüfer ermittelte die Ein- und Verkaufspreise bei 206 Artikeln und bildete hieraus den durchschnittlichen Rohgewinnaufschlag für Zeitabschnitte der Jahre 1952 und 1953 und das Jahr 1955. Der Durchschnitt dieser Aufschläge betrug 14,089 v. H., den der Betriebsprüfer auf 13,5 v. H. minderte, um Diebstahl, Schwund, Verderb und Eigenverbrauch zu berücksichtigen.
Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos. Die als Klage behandelte Berufung begründete der Steuerpflichtige im wesentlichen mit dem Hinweis, daß sein inzwischen verstorbener Buchhalter die Änderungen der Einnahmebuchungen von sich aus vorgenommen habe und daß in der Kalkulation Verluste durch Warendiebstähle von insgesamt 34 000 DM unberücksichtigt geblieben seien. Als Beweis für die Diebstähle benannte der Steuerpflichtige 19 Zeugen, meist Personen, denen er Diebstähle vorwirft. Das FG hat die Vernehmung der bezeichneten Zeugen beschlossen und dem Steuerpflichtigen aufgegeben, die Journale, Einnahmebücher und sonstigen Unterlagen vorzulegen. Trotz mehrerer Erinnerungen ist der Steuerpflichtige dieser Auflage nicht nachgekommen. Auch in der mündlichen Verhandlung am 6. Juli 1966 hat der Vertreter des Steuerpflichtigen die angeforderten Bücher und Unterlagen nicht vorgelegt. Daraufhin wies das FG die Klage mit folgender Begründung ab: Da der Steuerpflichtige die Bücher und Unterlagen dem Gericht nicht vorgelegt habe, könne die Buchführung nur nach dem Ergebnis der Betriebsprüfung beurteilt werden. Danach aber sei sie nicht ordnungsmäßig gewesen, worauf auch die Änderung der Einnahmebuchungen hindeute. Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen sei dem Grunde nach berechtigt gewesen und auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die Ausführungen des Steuerpflichtigen über die Diebstahlsverluste seien zu unbestimmt, als daß eine Beweisaufnahme durchgeführt werden könnte. Angaben darüber, wann, wo und unter welchen Umständen die Diebstähle ausgeführt wurden, fehlten. Auch könne wegen der Nichtvorlage der Bücher nicht geprüft werden, ob die Diebstahlsverluste unverbucht blieben. Aus diesen Gründen habe das Gericht von der Zeugenvernehmung abgesehen. Hinzu komme, daß der Betriebsprüfer durch die Minderung des Rohgewinnaufschlages bereits 24 000 DM Verluste erfaßt habe, so daß das Vorbringen des Steuerpflichtigen nur erheblich wäre, wenn Diebstahlsverluste von mehr als 24 000 DM durch genau nachprüfbare Angaben geltend gemacht worden wären, was nicht der Fall gewesen sei.
Hiergegen richtet sich die Revision, in der der Steuerpflichtige die Verletzung des § 76 Abs. 1 FGO, der §§ 162 Nr. 7 und 217 AO und der Denkgesetze rügt. Hierzu führt der Steuerpflichtige aus: Das FA sei an der Unauffindbarkeit der Bücher und Unterlagen mitschuldig, so daß es wider Treu und Glauben verstoße, wenn ihm hierdurch Nachteile entstehen. Im übrigen seien die Unterlagen nunmehr vorhanden. Eine Verletzung seiner Aufklärungspflicht habe das FG begangen, weil es die Zeugen nicht über die Diebstahlsverluste gehört habe. Das FG habe auch die Buchführung nicht verwerfen dürfen, weil die Bücher nicht vorgelegt wurden, denn diese hätten dem FA vorgelegen. Die Buchführung sei ordnungsmäßig gewesen, so daß die Besteuerungsgrundlagen nicht hätten geschätzt werden dürfen. Auch der Höhe nach sei die Schätzung nicht gerechtfertigt, weil die Diebstahlsverluste nicht ausreichend berücksichtigt seien. Der Abschlag vom Rohgewinnaufschlag erfasse in erster Linie Verderb, Schwund und Eigenverbrauch, so daß die erheblichen Diebstahlsverluste in dem Abschlag nicht berücksichtigt seien.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision hat keinen Erfolg.
Mit dem Vortrag, die vom FG angeforderten Bücher und Unterlagen hätten sich beim FA befunden, kann der Steuerpflichtige nicht mehr gehört werden. Es handelt sich um neues tatsächliches Vorbringen, das in der Revisionsinstanz grundsätzlich nicht mehr beachtet werden kann (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2. bis 4. Aufl., Anm. 7 zu § 118 FGO; Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Lfg. 65, Anm. 28 zu § 118 FGO). Der Vertreter des Steuerpflichtigen hat die Tatsache des Verbleibs der Bücher und Unterlagen erstmals vor dem Bundesfinanzhof (BFH) dargelegt. In der mündlichen Verhandlung beim FG hat er diese Tatsache laut Sitzungsprotokoll nicht erwähnt und auch in seinen Schriftsätzen nicht vorgetragen.
Die Rüge des Steuerpflichtigen, das FG habe die bereits beschlossene Zeugenvernehmung unterlassen, ist unbeachtlich. Diese Rüge hätte der Steuerpflichtige bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem FG vorbringen können. Der Vorsitzende der erkennenden Kammer des FG hatte den Vertreter des Steuerpflichtigen in den Schreiben vom 1. September 1962 und vom 27. Mai 1963 ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Zeugenvernehmung erst durchgeführt werden könne, wenn die Bücher und Unterlagen dem Gericht vorliegen. Da der Vertreter des Steuerpflichtigen wußte, daß die Bücher auch zur Zeit der mündlichen Verhandlung dem Gericht nicht vorlagen, mußte ihm auf Grund der beiden Schreiben klar sein, daß über die Klage ohne die beschlossene Zeugenvernehmung entschieden werden würde. Sieht er hierin einen Verfahrensmangel, so mußte er diesen vor dem FG rügen, § 155 FGO in Verbindung mit § 295 Abs. 1 ZPO (vgl. BFH-Entscheidung V B 29/67 vom 5. Oktober 1967, BFH 90, 452, BStBl II 1968, 179). Auf diesen neuen rechtlichen Gesichtspunkt konnte der Senat den Vertreter des Steuerpflichtigen nicht hinweisen, weil dieser den Sitzungssaal vor Schluß der mündlichen Verhandlung verlassen hat.
Die Rüge genügt auch nicht den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO. Hiernach muß die Revisionsbegründung, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, außer der verletzten Rechtsnorm die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Für den Fall der Rüge mangelnder Sachaufklärung durch Unterlassung beantragter Zeugenvernehmungen hat das BVerwG die notwendigen Anforderungen an die Revisionsbegründung im einzelnen aufgeführt. Unter Hinweis auf die Bestimmung des § 57 Abs. 2 Satz 2 BVerwGG sieht es das BVerwG für erforderlich an, daß die Zeugen namentlich und die in ihr Wissen gestellten Tatsachen bezeichnet werden müssen (BVerwG-Entscheidung II C 175/54 vom 9. November 1956, BVerwGE 5, 12). Es könne nicht Aufgabe des Revisionsgerichts sein, das gesamte tatsächliche Vorbringen des Revisionsklägers zu prüfen und die von ihm in verschiedenen Schriftsätzen niedergelegten Beweisanerbieten festzustellen. Zur Entlastung des Revisionsgerichts habe der Gesetzgeber gerade die Verfahrensrügen durch § 57 Abs. 2 Satz 2 BVerwGG einen erweiterten Begründungszwang eingeführt. Die vom Gesetzgeber erstrebte Entlastung des Revisionsgerichts könne aber durch eine unbestimmte Form der Verfahrensrüge nicht erreicht werden. Andererseits genügt es, wenn der Tatbestand des angefochtenen Urteils die Namen der Zeugen und die in ihr Wissen gestellte Beweisfrage wiedergibt und die Entscheidungsgründe eine Stellungnahme hierzu enthalten, so daß sich ein Zurückgehen auf frühere Schriftsätze des Revisionsführers erübrigt (BVerwG-Entscheidung IV C 267/57 vom 18. Dezember 1957, BVerwGE 6, 69). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung bei Auslegung des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO an.
Im vorliegenden Falle hat der Steuerpflichtige zwar das Beweisthema ausreichend bezeichnet; es fehlen jedoch die Angaben der Namen der Zeugen. Im Tatbestand des angegriffenen Urteils werden die vom Steuerpflichtigen des Diebstahls bezichtigten Personen aufgeführt. Auch wird darauf hingewiesen, daß der Steuerpflichtige zum Nachweis der Diebstahlsverluste und ihrer Höhe 19 Zeugen benannt habe. Namentlich sind die Zeugen jedoch nicht aufgeführt. Erst aus den Schriftsätzen des Steuerpflichtigen im Verfahren vor dem FG wird ersichtlich, daß der Steuerpflichtige im wesentlichen die des Diebstahls bezichtigten Personen als Zeugen für die Diebstahlsverluste benannt hat. Aus der Revisionsbegründung ergibt sich demnach auch nicht im Zusammenhang mit dem angegriffenen Urteil, wer die Zeugen sind, die nach Meinung des Steuerpflichtigen hätten vernommen werden müssen.
Die weitere Rüge des Steuerpflichtigen, die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 217 AO sei unberechtigt, ist ebenfalls unbegründet. (Wird ausgeführt)
Fundstellen
BStBl II 1972, 572 |
BFHE 1972, 325 |