Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung des inländischen Einkommens eines beschränkt steuerpflichtigen ausländischen Sachversicherungsunternehmens - Ermittlung des inländischen Betriebsstättengewinns eines ausländischen Stammhauses
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Berechnung des inländischen Einkommens eines beschränkt steuerpflichtigen ausländischen Versicherungsunternehmens, das im Inland eine Zweigniederlassung unterhält, kann ein Teil des im Ausland liegenden Eigenkapitals zumindest dann mitberücksichtigt werden, wenn die inländische Niederlassung nach der Eigenart ihres Geschäfts und den dazu ergangenen aufsichtsrechtlichen Bestimmungen eine Mindestkapitalausstattung benötigt, diese aber nicht zugewiesen erhalten hat.
2. Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Niederlassung unter diesen Umständen ausländisches Vermögen in dem Umfang zugerechnet wird, in welchem der Mindestbetrag des Garantiefonds nach der Kapitalausstattungs-VO die bilanzierten Kapitalanlagen der Niederlassung übersteigt (Bestätigung des BMF-Schreibens vom 31. Mai 1979 IV B 7 -S 2775- 9/79, BStBl I 1979, 306).
3. Hat das ausländische Versicherungsunternehmen jedoch seinen Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (hier: Italien), genügt zum Nachweis der ausreichenden Eigenkapitalausstattung für den Bereich der Nichtlebensversicherungen die Vorlage der sog. Solvabilitätsbescheinigung (§ 53c Abs.1 Satz 1 Nr.2 VAG) der zuständigen Aufsichtsbehörde des Sitzlandes. In diesem Fall ist bei der Berechnung des der Niederlassung hinzuzurechnenden Einkommens nicht von der im Inland aufsichtsrechtlich gebotenen Mindestkapitalausstattung auszugehen. Vielmehr kommt es auf das tatsächlich verfügbare Eigenkapital des Stammhauses an, das in entsprechendem Umfang nach den Grundsätzen des "dealing at arm's length" auf das Stammhaus und auf dessen Betriebsstätten aufzuteilen ist (Abgrenzung von dem BMF-Schreiben in BStBl I 1979, 306).
Orientierungssatz
1. Um die Einkünfte einer inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Stammhauses zu ermitteln, ist es erforderlich, die Gesamteinkünfte einerseits dem Stammhaus, andererseits der Betriebsstätte zuzuordnen. Diese Zuordnung ermittelt sich nach Maßgabe eines wirtschaftlichen Zusammenhangs. Jener Teil des Gesamtergebnisses des Unternehmens ist als Gewinn der Betriebsstätte zu ermitteln, der sowohl durch ihre Tätigkeit als auch durch ihre Existenz erwirtschaftet wurde. Insoweit ist es unerheblich, ob die Erträge oder Aufwendungen im Inland oder Ausland anfallen, von wem sie getragen werden, wo die Erträgnisse erwirtschaftet werden, ob der Betriebsstätte das erforderliche Eigenkapital vom Stammhaus unmittelbar zugewendet wird oder ob die entsprechenden Vermögenswerte im Ausland verbleiben und dort Erträgnisse abwerfen. Diese Gewinnzuordnungsregelungen gelten auch im Anwendungsbereich des DBA-Italien 1925.
Normenkette
EStG § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a; AO 1977 §§ 10-11, 12 Abs. 2 Nr. 2; DBA ITA Art. 3 Abs. 3; VAG § 53c Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 106a; KapAusstV § 2 Nr. 1; KStG 1977 § 8 Abs. 1, § 2 Nr. 1
Tatbestand
I. Bei der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) handelt es sich um eine AG italienischen Rechts mit Sitz und Geschäftsleitung in Italien. Sie betreibt das Versicherungsgeschäft. In der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) unterhält sie einen ständigen Vertreter und eine Niederlassung, von der aus sie mit Genehmigung des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen (BAV) Sachversicherungen tätigt. Die Geschäftstätigkeit erfolgt in den Räumen eines inländischen Versicherungsunternehmens und durch deren Arbeitnehmer.
Die Betriebsstätte aktivierte in ihren Bilanzen die ihr dienenden Vermögensgegenstände mit Werten in Höhe der nach dem Beitrags- und Schadensindex berechneten Solvabilitätsspannen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) vertrat - -unter Hinweis auf das Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 31. Mai 1979 IV B 7 -S 2775- 9/79 (BStBl I 1979, 306)-- die Auffassung, ihr sei darüber hinaus weiteres ausländisches Vermögen der Klägerin in dem Umfang zuzurechnen, in welchem der Mindestbetrag des Garantiefonds nach § 2 Nr.1 der Verordnung über die Kapitalausstattung von Versicherungsunternehmungen (Kapitalausstattungs-VO) vom 3. März 1976 (BGBl I 1976, 409) und vom 13. Dezember 1983 (BGBl I 1983, 1451) --es handelt sich hierbei um die Mindesteigenmittel i.S. von §§ 53c, 106a, 106b des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG); sie betragen ... DM-- die bilanzierten Kapitalanlagen übersteige (Tz.2.3.2.2. des BMF-Schreibens). Bezogen auf diesen Differenzbetrag seien dem Bilanzgewinn des inländischen Betriebes zusätzliche Erträge aus Kapitalanlagen in Höhe der Durchschnittsrendite des Gesamtvermögens des Versicherungsunternehmens zuzurechnen (Tz.2.3.2.5. des BMF-Schreibens). Demgemäß wurden der Betriebsstätte die folgenden fiktiven Werte zugerechnet:
fiktives Vermögen
Rendite
fiktive Erträge
1982
... DM
...v.H.
... DM
1983
... DM
... v.H.
... DM.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage statt. Es ging von der beschränkten Steuerpflicht der Klägerin mit ihren inländischen Einkünften aus Gewerbebetrieb aus. Ihre Einkünfte seien durch Bestandsvergleich nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung und Bilanzierung zu ermitteln. Dabei seien lediglich tatsächlich realisierte, nicht aber fiktive Gewinne zu berücksichtigen.
Das FA begründet seine Revision mit Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Nach § 2 Nr.1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977 sind Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland haben, mit ihren inländischen Einkünften beschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Zu diesen Voraussetzungen hat das FG für den Senat bindend (vgl. § 118 Abs.2 FGO) festgestellt, daß die Klägerin eine AG italienischen Rechts ist, die Sitz und Geschäftsleitung in Italien hat. Die Klägerin unterhielt im Streitjahr in der Bundesrepublik eine Zweigniederlassung. Damit war sie hier beschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Sie hatte im Inland weder ihren Sitz (§ 11 der Abgabenordnung --AO 1977--) noch den Mittelpunkt ihrer geschäftlichen Oberleitung (§ 10 AO 1977). Die in der Bundesrepublik unterhaltene Zweigniederlassung begründete hier eine Betriebsstätte i.S. von § 12 Abs.2 Nr.2 AO 1977.
2. a) Um die inländischen Einkünfte der Betriebsstätte zu ermitteln (§ 49 Abs.1 Nr.2 Buchst.a des Einkommensteuergesetzes - -EStG-- i.V.m. § 8 Abs.1 KStG), ist es erforderlich, die Gesamteinkünfte einerseits dem Stammhaus, andererseits der inländischen Betriebsstätte zuzuordnen. Wie der Senat entschieden hat (Urteile vom 20. Juli 1988 I R 49/84, BFHE 154, 465, BStBl II 1989, 140; vom 16. Februar 1996 I R 43/95, BFHE 180, 286), verwirklicht sich diese Zuordnung nach Maßgabe eines wirtschaftlichen Zusammenhangs. Jener Teil des Gesamtergebnisses des Unternehmens ist als Gewinn der Betriebsstätte zu ermitteln, der sowohl durch ihre Tätigkeit als auch durch ihre Existenz erwirtschaftet wurde. Insoweit ist es unerheblich, ob die Erträge oder Aufwendungen im Inland oder im Ausland anfallen oder von wem sie getragen werden. Gleichermaßen ist es grundsätzlich ohne Bedeutung, wo die Erträgnisse der Betriebsstätte erwirtschaftet werden. Dies kann im Inland geschehen, ebensogut aber im Ausland. Es kommt grundsätzlich auch nicht darauf an, ob der Betriebsstätte das zur Führung ihres Betriebs erforderliche Eigenkapital vom Stammhaus unmittelbar zugewendet wird, oder ob die entsprechenden Vermögenswerte im Ausland verbleiben und dort Erträgnisse abwerfen.
Die hiernach vorzunehmende Gewinnaufteilung und -zuordnung wird durch das Abkommen zwischen dem Deutschen Reiche und Italien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung anderer Fragen auf dem Gebiete der direkten Steuern (DBA-Italien 1925) vom 31. Oktober 1925 (RGBl II 1925, 1145) nicht eingeschränkt. Zwar fehlt darin --abweichend von Art.7 Abs.2 des OECD-Musterabkommens aus 1977-- eine Regelung, die die entsprechende Zuordnung vorsieht (Drittvergleich, sog. Prinzip des "dealing at arm's length"). Sollen jedoch jedem der beiden Vertragsstaaten die Steuern von dem Teil der Einkünfte zustehen, der durch die Tätigkeit der in seinem Gebiet befindlichen Betriebsstätten erzielt wird, wie dies Art.3 Abs.3 DBA-Italien 1925 vorsieht, so bedeutet das, daß das Abkommen eine Zuordnung des Unternehmensgewinns entsprechend dessen wirtschaftlicher Zugehörigkeit und Veranlassung fordert. Dies hat zur Folge, daß die Gewinnzuordnung auch ohne ausdrückliche Aufnahme der Zuordnungsgrundsätze in das Abkommen an diesen Maßstäben auszurichten ist (vgl. Vogel, Doppelbesteuerungsabkommen, 2.Aufl., Art.7 Rz.74).
b) Hiervon ausgehend ist es nicht zu beanstanden, wenn die Finanzverwaltung der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Versicherungsunternehmens jene Eigenkapitalien (und --hieraus folgend-- die daraus erwirtschafteten Erträgnisse) zurechnet, die als aufsichtsrechtlich gebotene Mindesteigenkapitalausstattung (vgl. im einzelnen BMF-Schreiben in BStBl I 1979, 306 i.V.m. § 2 Nr.1 der Kapitalausstattungs-VO) anzusehen sind. Dies entspricht den Maßgaben des VAG (§§ 53c, 106a, 106b) und damit zugleich der direkten Zurechnungsmethode. Die Zweigniederlassung ist als wirtschaftlich selbständige Einheit zu betrachten, die über ein Eigenkapital verfügen muß, wie dies aufsichtsrechtlich vorgeschrieben ist (vgl. bereits Reichsfinanzhof --RFH--, Urteile vom 25. April 1933 I A 123/31, RStBl 1933, 1017; vom 18. Dezember 1934 I A 214/34, RStBl 1935, 774; ferner Bundesfinanzhof --BFH--, Urteil vom 25. Juni 1986 II R 213/83, BFHE 147, 264, BStBl II 1986, 785, im Hinblick auf die bewertungsrechtliche Lage der inländischen Zweigniederlassung einer Bank). Ausschlaggebend ist, daß die inländische Zweigniederlassung nach der Eigenart ihres Geschäfts die entsprechenden Deckungsmittel benötigt, auch wenn ihr diese Mittel vom Stammhaus tatsächlich nicht zugewiesen worden sind. Eine Benachteiligung gegenüber inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen Versicherungsunternehmen liegt darin nicht, weil diese gleichermaßen über eine entsprechende Mindesteigenkapitalausstattung verfügen müssen. Dies allein ist steuerrechtlich entscheidend, da die Zweigniederlassung hiernach wie ein selbständiger Gewerbebetrieb anzusehen ist.
3. Allerdings genügt für den Bereich der Nichtlebensversicherung (und damit auch vorliegend) seit Inkrafttreten der Ersten Richtlinie des Rates vom 24. Juli 1973 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) 73/239/EWG (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr.L 228, 3) zum Nachweis der ausreichenden Eigenkapitalausstattung bei Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem EU-Mitgliedsland in erster Linie die Vorlage der sog. Solvabilitätsbescheinigung (vgl. § 106a Abs.1 Satz 1 Nr.2 VAG). Diese Bescheinigung wird von der zuständigen Behörde des Sitzlandes ausgestellt. Die Behörde bescheinigt in dieser Urkunde, daß das Versicherungsunternehmen über Eigenmittel in Höhe der Solvabilitätsspanne (vgl. § 53c Abs.1 Satz 1 VAG) oder, falls dieser höher ist, des für die betriebene Versicherungssparte erforderlichen Mindestgarantiefonds (vgl. § 53c Abs.2 VAG) verfügt (vgl. im einzelnen z.B. Goldberg/ Müller, Versicherungsaufsichtsgesetz, § 106a Rdnr.15). In diesen aufsichtsrechtlichen Erleichterungen weichen die Zulassungsbedingungen für Niederlassungen von Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem EU-Mitgliedsstaat von Versicherungsunternehmen mit Sitz im Inland ab (vgl. auch Rundschreiben des BAV vom 30. Juni 1976, Veröffentlichungen des BAV 1976, 286).
Dem ist auch steuerrechtlich Rechnung zu tragen. Anderenfalls zöge die Selbständigkeitsfiktion der einzelnen Betriebsstätte u.U. die mehrfache Besteuerung eines und desselben Vermögens und der daraus folgenden Erträgnisse nach sich, zum einen im Stammhaus, zum anderen in der Betriebsstätte, obwohl das Versicherungsaufsichtsrecht einen derartigen mehrfachen Ansatz der Vermögenswerte und Erträgnisse nicht verlangt. Dies liegt aber nicht im Sinn der Selbständigkeitsfiktion. Vielmehr ist hiernach das tatsächlich verfügbare Eigenkapital des Stammhauses in entsprechendem Umfang auf die einzelnen Betriebsstätten aufzuteilen und bei diesen zu erfassen.
4. Die Rechtsauffassung des Senats weicht von jener der Vorinstanz ab. Deren Urteil war deshalb aufzuheben. Die Sache kann nicht durchentschieden werden. Die Betriebsprüfung des FA hat seiner Gewinnzurechnung offensichtlich die gesamten Mindesteigenmittel i.S. von § 53c VAG in Höhe von ... DM zugrunde gelegt und die tatsächliche Kapitalausstattung der Klägerin unberücksichtigt gelassen. Es fehlen hierzu die erforderlichen Feststellungen des FG, ebenso zu den Maßgaben, nach denen das Kapital unter Beachtung der Selbständigkeitsfiktion auf die Betriebsstätte im Inland aufzuteilen ist. Diese Feststellungen sind im zweiten Rechtsgang nachzuholen.
Vorsorglich wird darauf hingewiesen, daß dem hilfsweise vorgebrachten Begehren der Klägerin, die Finanzanlagen mit ihren Stichtagskursen statt mit ihren Buchwerten zu bewerten, nicht entsprochen werden kann. Das FA hat den Hinzurechnungsbetrag als Differenzbetrag zwischen dem Kapitalanlagenmindestbetrag (in Höhe der versicherungstechnischen Rückstellungen und Depotverbindlichkeiten sowie der Mindesteigenmittel i.S. der §§ 53c, 106a, 106b VAG) einerseits und der bilanzierten Kapitalanlagen andererseits errechnet (vgl. Tz.2.3.2.2. und 2.3.2.4. des BMF-Schreibens in BStBl I 1979, 306). Bei beiden Bezugsgrößen handelt es sich um das jeweilige arithmetische Mittel zu Beginn und zu Ende des Wirtschaftsjahres nach Maßgabe der entsprechenden Positionen der Formblätter der in den Streitjahren noch maßgeblichen Internen Verordnung über die Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen vom 17. Oktober 1974 (BGBl I 1974, 2453) i.d.F. vom 22. Juni 1983 (BGBl I 1983, 837). Der Ansatz der bilanzierten Kapitalanlagen mit anderen als den Bilanzwerten würde die Vergleichbarkeit der Berechnungspositionen verändern und deshalb zu unrichtigen Ergebnissen führen.
Fundstellen
Haufe-Index 66002 |
BFH/NV 1997, 140 |
BFHE 181, 419 |
BFHE 1997, 419 |
BB 1997, 460 (L) |
DStRE 1997, 202-204 (LT) |
DStZ 1997, 494-495 (LT) |
HFR 1997, 316-317 (L) |
StE 1997, 129 (K) |