Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermäßigter USt-Satz für das Einstellen und Betreuen von Pferden durch einen gemeinnützigen Verein
Leitsatz (amtlich)
1. Das Einstellen und Betreuen von Pferden durch einen gemeinnützigen Verein ist nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG 1991/1993 ermäßigt zu besteuern, wenn die Umsätze im Rahmen eines Zweckbetriebs nach § 65 Abs. 1 AO 1977 erbracht werden und nicht umsatzsteuerfrei sind.
2. Der Steuerpflichtige kann sich vor dem FG unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 77/388/EWG berufen.
Normenkette
UStG 1991 § 12 Abs. 2 Nrn. 3, 8 Buchst. a; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein eingetragener, gemeinnütziger Verein in Liquidation, der neben seinen sportfachlichen und berufsständischen Aufgaben im Bereich des Pferdesports in den Streitjahren 1992 bis 1997 eine Pensionspferdehaltung betrieb.
Der Kläger erbrachte folgende Leistungen:
- Gestellung eines Stellplatzes einschließlich Reinigung
- Fütterung
- Pflegeleistungen, d.h.
- - ständige Kontrolle der Pferde auf Verletzungen oder Krankheiten,
- - Behandlung von kleineren Verletzungen oder Satteldruck durch Personal des Klägers,
- - im Bedarfsfall Benachrichtigung des Tierarztes einschließlich Notversorgung bis zu dessen Eintreffen,
- - Übernahme der vom Tierarzt angeordneten Heilbehandlung wie z.B. Verabreichung von Medikamenten, Salben, Bewegung des Pferdes bei Koliken,
- - Bewegung der Pferde im Bedarfsfall (z.B. bei Verhinderung des Eigentümers) durch Reiten, Longieren, Führen oder durch Weidegang.
Den Beritt und die tägliche Körperpflege der Tiere übernahm der Kläger nur bei einigen Pensionspferden.
Zusätzlich standen den Eigentümern der Pferde neben zwei Reithallen ein Dressurplatz, ein Springplatz mit diversen Hindernissen, eine Waschbox, zwei Waschplätze, eine Longierhalle nach Absprache und drei Sattelkammern oder abschließbare Schränke zur Verfügung.
Der Kläger bot die Leistungen einschließlich der zur Verfügung stehenden Reitanlagen ohne Beritt bei Belegung einer Innenbox für 480 bis 500 DM, bei Belegung einer Außenbox für 530 bis 550 DM/Monat an. Enthalten waren die Einstellung, Fütterung und Pflege der Tiere. Mit Beritt erhöhte sich der Preis auf 680 bis 880 DM für Innenboxen und 730 bis 930 DM für Außenboxen/Monat.
Der Kläger unterwarf sämtliche Umsätze aus der Pensionspferdehaltung dem ermäßigten Steuersatz (§ 12 Abs. 2 Nr. 3 des Umsatzsteuergesetzes 1991/1993 ―UStG―).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) änderte nach einer Außenprüfung für die Jahre 1993 bis 1995 die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1992 bis 1995 und unterwarf die Umsätze aus der Pferdepension insoweit dem allgemeinen Steuersatz, als der Kläger lediglich Leistungen für Unterbringung, Fütterung und medizinische Kontrolle erbrachte. Nur soweit der Kläger auch den Beritt und die tägliche Pflege der Pferde übernommen hatte, wurde § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG angewandt. Für die Jahre 1996 und 1997 setzte das FA die Umsatzsteuer entsprechend fest.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab, weil die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG nicht erfüllt seien. Es führte u.a. aus, eine begünstigte Pensionsviehhaltung in Form der Unterbringung und Betreuung von Reitpferden sei gegeben, wenn eine einheitliche Leistung, bestehend aus der Vermietung von Stellplätzen bei gleichzeitiger Übernahme der Fütterung und Pflege erbracht werde. Im Streitfall fehle es jedoch an ausreichenden Pflegeleistungen.
Eine ständige Verpflichtung des Klägers aus den Einstellungsverträgen, sämtliche zur artgerechten Haltung der Tiere erforderlichen Pflegeleistungen ―bei Reitpferden auch Reinigen und Bewegen― zu erbringen, habe in den streitigen Fällen nicht bestanden.
Darüber hinaus könne der Kläger eine Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auch deshalb nicht begehren, weil Gegenstand des Leistungsangebots auch die Nutzung seiner Reitsportanlagen gewesen sei. Es liege eine einheitliche, den Rahmen des § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG überschreitende Leistung vor, die dem Regelsteuersatz zu unterwerfen sei.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen und formellen Rechts. Er vertritt die Auffassung, die von ihm erbrachten Pflegeleistungen genügten den Anforderungen an den Begriff der Viehhaltung i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG. Ferner macht er Verletzung der Sachaufklärungspflicht geltend, weil das FG seinen Vortrag zum Umfang der Pflegeleistungen teilweise nicht berücksichtigt habe. Im Übrigen komme die Gewährung der Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG in Betracht. Schließlich verstoße die angefochtene Entscheidung gegen Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, im Folgenden: Richtlinie 77/388/EWG (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. L 145/1).
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuer für die Streitjahre erklärungsgemäß festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die vom Kläger erbrachten Leistungen nicht dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG unterliegen.
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG ermäßigt sich die Steuer u.a. für die Aufzucht und das Halten von Vieh.
Wie der Senat mit Urteil vom 22. Januar 2004 V R 41/02 ausgesprochen hat, fällt das Einstellen und das Betreuen von Reitpferden, die von ihren Eigentümern zur Ausübung von Freizeitsport genutzt werden, nicht unter den Begriff "Halten von Vieh" i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG und ist deshalb grundsätzlich nicht mit dem ermäßigten, sondern mit dem allgemeinen Steuersatz zu versteuern. Wegen der Begründung wird auf dieses Urteil (V R 41/02) verwiesen.
2. Ob die streitigen Leistungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, lässt sich aufgrund der vorhandenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen.
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG ermäßigt sich die Umsatzsteuer für die Leistungen der Körperschaften, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen (§§ 51 bis 68 der Abgabenordnung ―AO 1977―). Das gilt nicht für Leistungen, die im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs ausgeführt werden.
Danach kommt es im Streitfall entscheidend darauf an, ob der Kläger die Umsätze im Rahmen eines Zweckbetriebs ausgeführt hat. Denn wenn das Gesetz ―wie hier § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG― eine Steuervergünstigung insoweit ausschließt, als ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb (§ 14 AO 1977) unterhalten wird, verliert die Körperschaft gemäß § 64 Abs. 1 AO 1977 die Steuervergünstigung für die dem Geschäftsbetrieb zuzuordnenden Umsätze, soweit der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb kein Zweckbetrieb (§§ 65 bis 68 AO 1977) ist.
Nach § 65 AO 1977 ist ein Zweckbetrieb gegeben, wenn
- Nr. 1. der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb in seiner Gesamtrichtung dazu dient, die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke der Körperschaft zu verwirklichen,
- Nr. 2. die Zwecke nur durch einen solchen Geschäftsbetrieb erreicht werden können und
- Nr. 3. der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb zu nicht begünstigten Betrieben derselben oder ähnlicher Art nicht in größerem Umfang in Wettbewerb tritt, als es bei Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist.
a) Im Streitfall ist bereits zweifelhaft, ob die zweite Voraussetzung erfüllt ist. Nach der Rechtsprechung sind die steuerbegünstigten Zwecke ohne die wirtschaftliche Betätigung nur dann nicht zu erreichen, wenn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb sich von der Verfolgung des steuerbegünstigten Zwecks nicht trennen lässt, vielmehr als das unentbehrliche und einzige Mittel zur Erreichung des steuerbegünstigten Zwecks anzusehen ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 1. August 2002 V R 21/01, BFHE 200, 101, BStBl II 2003, 438).
Nach den Angaben im Tatbestand der Vorentscheidung nimmt der Kläger sportfachliche und berufsständische Aufgaben im Bereich des Pferdesports wahr. Es fehlen Feststellungen dazu, ob er seine satzungsgemäßen Aufgaben nur durch Unterhaltung eines Pensionsbetriebs erfüllen könnte (vgl. auch BFH-Urteil vom 2. Oktober 1968 I R 40/68, BFHE 93, 522, BStBl II 1969, 43). Dabei wird der Satzung des Klägers eine entscheidende Bedeutung beizumessen sein (vgl. BFH-Urteil vom 30. März 2000 V R 30/99, BFHE 191, 434, BStBl II 2000, 705, a.E.). Das FG wird insoweit die notwendigen Feststellungen nachzuholen haben.
b) Gegebenenfalls sind dann noch Feststellungen dazu zu treffen, ob der Kläger mit seinem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zu nicht begünstigten Betrieben derselben oder ähnlicher Art nicht in größerem Umfang in Wettbewerb tritt, als es bei Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist (§ 65 Nr. 3 AO 1977).
Das FG hat keine Feststellungen getroffen, die die Beurteilung erlauben, ob im Streitfall der Wettbewerb beeinträchtigt ist und gegebenenfalls ob dies i.S. des § 65 Nr. 3 AO 1977 vermeidbar ist (vgl. hierzu BFH-Urteil in BFHE 191, 434, BStBl II 2000, 705). Zum einen fehlen Feststellungen zur Wettbewerbssituation ―Angebot und Nachfrage― vor Ort. Es kommt insoweit auf den Einzugsbereich des Klägers an. Zudem sind der Kreis der Leistungsempfänger, die Ausgestaltung der jeweiligen vertraglichen Bedingungen und die Höhe der Entgelte von Bedeutung. Nur auf dieser Grundlage lässt sich beurteilen, ob ein anderer ―nicht steuerbegünstigter― Betreiber die gegebene Nachfrage überhaupt in ähnlicher Weise wie der Kläger befriedigen könnte.
Zum anderen ist zu prüfen, ob ein gegebenenfalls anzunehmender Eingriff in den Wettbewerb mit Rücksicht auf den vom Kläger verfolgten steuerbegünstigten Zweck unvermeidbar i.S. des § 65 Nr. 3 AO 1977 ist.
3. Im Übrigen kommt auch eine Herabsetzung der Umsatzsteuer aufgrund einer unmittelbaren Anwendung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 77/388/EWG in Betracht.
Art. 13 Teil A Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG bestimmt:
"Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
…
m) bestimmte, in engem Zusammenhang mit Sport und Körperertüchtigung stehende Dienstleistungen, die Einrichtungen ohne Gewinnstreben an Personen erbringen, die Sport oder Körperertüchtigung ausüben;
…"
a) Der Steuerpflichtige kann sich vor dem FG unmittelbar auf eine Richtlinienbestimmung berufen, wenn diese ihm eine gegenüber dem nationalen Recht günstigere Rechtsposition einräumt (vgl. Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften ―EuGH― vom 4. Dezember 1974 Rs. 41/74 ―van Duyn―, Slg. 1974, 1337, (1348); Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 8. April 1987 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223, 244; BFH-Urteil vom 29. August 1991 V B 113/91, BStBl II 1992, 267). Voraussetzung hierfür ist u.a., dass die Richtlinienbestimmung hinreichend genau und nicht an Bedingungen geknüpft ist (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Juli 1995 Rs. C-62/93 ―Soupergaz―, Slg. 1995, I-1883 Rdnr. 34).
Nach diesen Grundsätzen kann sich ein Steuerpflichtiger auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 77/388/EWG berufen. Soweit Absatz 2 der Bestimmung die Mitgliedstaaten ermächtigt, die Gewährung der unter Absatz 1 (u.a. Buchst. m) vorgesehenen Befreiungen "von Fall zu Fall von der Erfüllung einer oder mehrerer der folgenden Bedingungen abhängig zu machen" (Aufzählung der Bedingungen), hindert dies die Berufbarkeit der Befreiungsregelung ―entgegen dem Einwand des BMF― nicht. So hat der EuGH bereits ausgesprochen, dass sich ein Steuerpflichtiger auf die Befreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und g der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann, für die die entsprechende Ausnahmeermächtigung nach Absatz 2 der Bestimmung gilt (vgl. EuGH-Urteile vom 10. September 2002 Rs. C-141/00 ―Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH―, Slg. 2002, I-6833, und vom 6. November 2003 Rs. C-45/01 ―Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie―, Umsatzsteuer-Rundschau 2003, 584).
b) Ob Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 77/388/EWG im Streitfall anwendbar ist, kann anhand der vorhandenen Feststellungen in der Vorentscheidung jedoch ebenfalls nicht abschließend entschieden werden. Es fehlt an Feststellungen zu den Voraussetzungen, nach denen der Ausschlusstatbestand des Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG eingreifen kann.
Danach ist eine Steuerbefreiung für die streitigen Leistungen ausgeschlossen, wenn sie zur Ausübung der Tätigkeiten, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind oder wenn sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden.
Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht beurteilt werden. Das FG wird auch insoweit die notwendigen Feststellungen nachzuholen haben (vgl. oben unter II. 2.).
Sollten die Voraussetzungen des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 77/388/EWG nach dem Ergebnis der im zweiten Rechtsgang nachzuholenden Feststellungen vorliegen, ist zu prüfen, inwieweit sich der Vorsteuerabzug entsprechend mindert.
4. Die vom Kläger erhobenen Rügen mangelnder Sachaufklärung haben schon deshalb keinen Erfolg, weil es auf den Umfang der Pflegeleistungen nicht ankommt.
Fundstellen
Haufe-Index 1159097 |
BFH/NV 2004, 1049 |
BStBl II 2004, 672 |
BFHE 2004, 329 |
BFHE 205, 329 |
BB 2004, 1322 |
DStRE 2004, 780 |
DStZ 2004, 428 |
HFR 2004, 787 |
UR 2004, 358 |