Leitsatz (amtlich)
1. Der sich beim Übergang von der Gewinnermittlungsart nach § 4 Abs. 3 EStG zum Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG ergebende Gewinn ist keine Tatsache im Sinne von § 222 Abs. 1 AO, wohl aber der Wechsel der Gewinnermittlungsart.
2. Unterläßt es der Steuerpflichtige, das FA auf einen nicht ohne weiteres erkennbaren Wechsel der Gewinnermittlungsart hinzuweisen, obwohl er selbst diesen Vorgang für steuerlich bedeutsam gehalten hat, dann kann er sich einer späteren Berichtigungsveranlagung gegenüber nicht auf eine mangelnde Aufklärung des FA berufen.
Normenkette
AO § 222 Abs. 1; EStG § 4 Abs. 1, 3, § 5
Tatbestand
Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige) hatte bis zum 31. Dezember 1959 zusammen mit seinem Vater in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ein Klempnerei- und Installationsgeschäft betrieben. Ab 1. Januar 1960 übernahm er das Unternehmen der Gesellschaft mit allen Aktiven und Passiven und führte es allein fort. Die Gesellschaft hatte ihren gewerblichen Gewinn durch Einnahmen-Ausgaben-Überschußrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt; der Steuerpflichtige tat dies durch Betriebsvermögensvergleich nach § 5 EStG.
Seine zum 1. Januar 1960 erstellte Eröffnungsbilanz leitete der Steuerpflichtige am 2. März 1961 dem Revisionskläger (FA) zu und teilte diesem am 23. Juni 1961 den Übergang des Unternehmens mit. Am 16. Februar 1962 gab er dem FA seine Steuererklärung für 1960 zusammen mit der Bilanz, der Gewinn- und Verlustrechnung sowie der Hauptabschlußübersicht zum 31. Dezember 1960 ab. Beigefügt war eine "Bilanzberichtigung" mit dem Antrag, den erklärten Gewinn zu berichtigen. Dem entsprach das FA und erhöhte gleichzeitig den Gewinn um 1 200 DM, die der Steuerpflichtige seinem Vater als Versorgungsrente gezahlt und als Betriebsausgabe behandelt hatte. Übersehen wurde dabei, daß in der Hauptabschlußübersicht die Forderungen zum 1. Januar 1960 um 1 000 DM höher ausgewiesen waren als in der Eröffnungsbilanz. Dementsprechend erging ein erstmaliger Steuerbescheid für 1960, der rechtskräftig wurde. Später wurden - ebenfalls rechtskräftig gewordene - Steuerbescheide für 1961 und 1962 nach den Erklärungen des Steuerpflichtigen erlassen.
Im Anschluß an eine Betriebsprüfung für 1960 bis 1962, bei der für 1960 u. a. Mehrentnahmen von 580 DM sowie Einlagen von 454 DM festgestellt wurden, kam das FA zu der Auffassung, daß dem laufenden Gewinn in 1960 ein Übergangsgewinn im Sinne des Abschn. 19 EStR in Höhe von 26 727 DM hinzuzurechnen sei. Unter Einbeziehung dieses Gewinns und der Differenz der Forderungen von 1 000 DM ergingen ein auf § 222 Abs. 1 AO gestützter Berichtigungsbescheid für 1960 und wegen anderer Feststellungen weitere Bescheide für 1961 und 1962. Der Einspruch hiergegen hatte nur insoweit Erfolg, als das FA antragsgemäß den Übergangsgewinn zu gleichen Teilen auf die Jahre 1960 bis 1962 verteilte.
Auf die Klage hin hob das FG die Einspruchsentscheidung und den berichtigten Steuerbescheid für 1960 auf und führte dazu im wesentlichen aus, wegen des Fehlens einer neuen Tatsache hätte das FA diesen Berichtigungsbescheid nicht erlassen dürfen. Ebenso wie der "Gewinn" im Sinne der einschlägigen Bestimmungen des EStG sei auch der "Übergangsgewinn" keine neue Tatsache im Sinne von § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO, sondern eine Rechtsfolge. "Tatsachen" im Sinne dieser Bestimmung seien nur die Gegebenheiten, aus denen sich ein Übergangsgewinn ergeben könne, insbesondere der Wechsel der Gewinnermittlungsart. Dieser Wechsel müsse jedoch als dem FA bereits vor Erlaß des erstmaligen Steuerbescheids bekannt gewesen gelten. Das FA habe es zu vertreten, daß es nach der Auflösung der Gesellschaft deren Steuerakten so "geschlossen" habe, daß der Veranlagungsbeamte den Unterschied in der Gewinnermittlungsart nicht erkannte. Es handele sich um einen innerbetrieblichen Organisationsfehler des FA. Zudem löse die unbestrittene Tatsache der Kenntnis von der Übernahme des Unternehmens durch den Steuerpflichtigen für den Veranlagungsbeamten des FA die Pflicht aus, nachzuforschen, welche Gewinnermittlungsart die Gesellschaft hatte. Andererseits sei der Steuerpflichtige nicht zu einem Hinweis auf den Wechsel in der Gewinnermittlungsart verpflichtet gewesen. In den Steuererklärungsvordrucken werde danach nicht gefragt und weder aus Gesetzen noch aus Ausführungsbestimmungen ergebe sich, wie ein Übergangsgewinn zu ermitteln sei.
Mit der Revision wird geltend gemacht, das FG habe § 222 Abs. 1 AO nicht richtig angewandt. Das FA habe seine Ermittlungs- und Aufklärungspflicht nicht verletzt, da sich ihm die Frage nach einem Wechsel der Gewinnermittlungsart weder nach dem Inhalt der Steuererklärung noch nach dem Inhalt der Steuerakten habe aufdrängen müssen. Die Beiziehung der Akten der aufgelösten Gesellschaft könne nicht verlangt werden. Demgegenüber sei dem Steuerpflichtigen eine Verletzung seiner Erklärungspflichten vorzuhalten, wenn er in seiner Steuererklärung einen Hinweis auf einen möglichen Übergangsgewinn unterlassen habe. Dies gelte um so mehr, als der Berater des Steuerpflichtigen eine Berechnung für diesen Gewinn in seinen Handakten vorgenommen habe. Bei der danach gerechtfertigten Berichtigungsveranlagung für 1960 sei auch der Übergangsgewinn bei dem Steuerpflichtigen allein zu erfassen gewesen, denn dieser habe den Anteil seines Vaters an der Gesellschaft unentgeltlich erworben und sei damit in die Rechtsstellung des Vaters eingetreten. Schließlich müsse auch die Rentenzahlung des Steuerpflichtigen an seinen Vater als Sonderausgabe behandelt werden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG.
Werden durch eine Betriebsprüfung neue Tatsachen von einigem Gewicht festgestellt, so ist nach ständiger Rechtsprechung das FA bei der Berichtigung der Veranlagung gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO grundsätzlich verpflichtet, den gesamten Steuerfall wieder aufzurollen und die neue Steuerfestsetzung so zu treffen, als sei sie die erste. Eine Berichtigung oder Wiederaufrollung kann jedoch durch den Grundsatz von Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn das FA eine Tatsache, die es zum Anlaß der Berichtigung nehmen will, wegen mangelnder Sachaufklärung bei der ursprünglichen Veranlagung als bekannt gegen sich gelten lassen muß.
Von diesen Grundsätzen ist das FG ausgegangen und hat dabei zunächst richtig erkannt, daß als Tatsache, die für eine Berichtigungsveranlagung erheblich sein kann, zwar nicht der Übergangsgewinn, wohl aber der Wechsel in der Gewinnermittlungsart anzusehen ist. Der sich beim Übergang von der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG zum Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG infolge von Zu- und Abrechnungen ergebende Gewinn (vgl. hierzu Entscheidung des BFH IV R 202/67 vom 28. Mai 1968, BFH 92, 555, BStBl II 1968, 650) ist auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung ein aus der Gesetzessystematik des EStG abzuleitender steuerlicher Tatbestand, der durch eine Mehrheit von Tatsachen und einen daran anknüpfenden Rechenvorgang ausgefüllt werden muß. Der Wechsel von der einen Gewinnermittlungsart zur anderen ist hingegen ein Lebensvorgang und damit eine Tatsache im Sinne von § 222 Abs. 1 AO.
Wenn das FG diese Tatsache dahin gewürdigt hat, daß das FA sie als bekannt gegen sich gelten lassen müsse und sie deshalb nicht zum Anlaß einer Berichtigungsveranlagung nehmen dürfe, so kann dem nicht gefolgt werden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH hat eine nicht bekannt gewesene Tatsache dann als bekannt zu gelten, wenn die Veranlagungsstelle des FA sie bei sorgfältiger Erfüllung ihrer Ermittlungspflicht (§ 204 AO) festgestellt hätte. Ebenso hat danach zu gelten, daß es für die Frage, ob eine Tatsache bekannt gewesen ist, wesentlich auf die Angaben des Steuerpflichtigen, denen nach Möglichkeit Vertrauen entgegenzubringen ist, ankommt. Bei Abgabe einer Steuererklärung ist maßgebend, ob darin die steuerlich relevanten Sachverhalte richtig, vollständig und deutlich dem FA zur Prüfung unterbreitet wurden; denn nur wer selbst seine Steuererklärung klar und einwandfrei abgegeben hat, kann sich auf eine Pflichtverletzung des FA berufen. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das FA es versäumt, den Sachverhalt in zumutbarer Weise aufzuklären, dann trifft in der Regel die Verantwortlichkeit den Steuerpflichtigen mit der Folge, daß der Steuerbescheid berichtigt werden kann (vgl. hierzu Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, II. Band, 9. Aufl., § 222 AO, Anm. 3d Abs. 8 und 9 mit Rechtsprechungsnachweis).
Geht man hiervon aus, dann braucht im Streitfall das FA die Tatsache des Wechsels der Gewinnermittlungsart nicht als bekannt gewesen gegen sich gelten lassen. Weder aus den für den Steuerpflichtigen geführten Akten noch aus der vom Steuerpflichtigen für 1960 abgegebenen Steuererklärung mit ihren Anlagen konnte das FA erkennen, daß der Steuerpflichtige seinen Gewinn auf eine andere Art ermittelte als die Gesellschaft. Zwar hätte es sich dieses Wissen durch Zuziehung der Akten der Gesellschaft verschaffen können. Ob aber eine solche Maßnahme nach der Lage des Falles, insbesondere angesichts der unbestrittenen Kenntnis des FA von der Übernahme des Unternehmens einer beendeten Gesellschaft durch den Steuerpflichtigen und nach Einreichung einer Eröffnungsbilanz geboten war, braucht nicht entschieden zu werden. Denn auch bei Annahme einer mangelnden Aufklärung durch das FA könnte der Steuerpflichtige sich wegen seines eigenen Verhaltens nicht mit Erfolg auf eine Pflichtverletzung des FA berufen. Dabei ist es - entgegen der Meinung des FG - unerheblich, ob in dem amtlichen Vordruck für die Steuererklärung nach einem Übergangsgewinn gefragt wurde oder ob der Steuerpflichtige ernstliche Zweifel an der Notwendigkeit der Ermittlung eines Übergangsgewinns haben konnte. Der Steuerpflichtige selbst hat eingeräumt, daß sein Berater, dessen Verhalten er sich insoweit zurechnen lassen muß, Berechnungen zu einem Übergangsgewinn angestellt hat. Wenn aber im Bereich des Steuerpflichtigen durch einen sachkundigen Berater Überlegungen hinsichtlich der steuerlichen Auswirkungen des Wechsels in der Gewinnermittlungsart angestellt wurden, dann ist es auch als dem Steuerpflichtigen zumutbar anzusehen, die hierfür möglicherweise bedeutsamen Tatsachen dem FA zur Kenntnis zu bringen. Tut der Steuerpflichtige das nicht und läßt er es darauf ankommen, ob der von ihm selbst für steuerlich relevant gehaltene Sachverhalt vom FA aufgedeckt wird, dann gibt er zu erkennen, daß er es mit seiner Mitwirkungspflicht nicht allzu genau nimmt. Damit begibt er sich der Möglichkeit, dem FA eine Pflichtverletzung vorzuhalten.
Die Vorentscheidung war danach aufzuheben. Die Sache geht zurück an das FG, das bei seiner erneuten Entscheidung noch die weiteren Einwendungen des Steuerpflichtigen, auf die es von seinem bisherigen Standpunkt aus nicht einzugehen brauchte, prüfen muß.
Fundstellen
Haufe-Index 413010 |
BStBl II 1972, 106 |
BFHE 1972, 404 |