Leitsatz (amtlich)
Aufwendungen für die Aussteuer einer nichtehelichen Tochter führen - jedenfalls für die Zeit vor Inkrafttreten des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 (BGBl I 1969, 1243) - unter denselben besonderen Umständen zur Anerkennung einer außergewöhnlichen Belastung wie die Aufwendungen für die Aussteuer einer ehelichen Tochter.
Normenkette
ErbStG § 10 Abs. 1 StKl I Nr. 2 Buchst. D; EStG § 33; LStDV § 25
Tatbestand
Die 1940 geborene nichteheliche Tochter des Klägers hat 1965 geheiratet. Sie ist Friseurmeisterin und hat auf Kosten ihres Vaters nach dem 16. Lebensjahr Abendkurse für die Meisterprüfung besucht. Der Kläger, ein kaufmännischer Angestellter, hat ihr eine Aussteuer gewährt, die er im Lohnsteuer-Jahresausgleich 1966 als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen begehrte.
Das FA lehnte den Antrag ab und wies den Einspruch des Klägers auf Anweisung der zuständigen OFD als unbegründet zurück.
Das FG gab der Klage statt und ließ die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu.
Das FA rügt mit der Revision eine Verletzung des § 33 EStG. Es trägt vor: § 1620 BGB a. F., der einen Rechtsanspruch der Tochter gegen ihre Eltern auf die Aussteuer begründet hätte, sei mit dem Gleichberechtigungsgesetz (GleichberG) vom 18. Juni 1957 (BGBl I 1957, 609) weggefallen. Der BFH habe mit seinen Urteilen VI 7/59 S vom 7. August 1959 (BFH 69, 324, BStBl III 1959, 383) und VI 141/59 S vom 7. August 1959 (BFH 69, 330, BStBl III 1959, 385) entschieden, daß unter bestimmten Voraussetzungen nach Wegfall des gesetzlichen Aussteueranspruchs eine sittliche Verpflichtung der Eltern zur Ausstattung einer heiratenden Tochter weiterhin bestehen könne. Er begründete die sittliche Verpflichtung auch damit, daß die aus den vorangegangenen Jahrhunderten überkommenen Anschauungen und Überzeugungen im sittlichen Bewußtsein noch weiterhin nachwirkten. Der BFH sehe also die sittliche Verpflichtung u. a. als Ausfluß der Ehe und des Familienbandes zwischen Eltern und Kindern. Bei dem Vater einer unehelichen Tochter seien die rechtlichen Beziehungen nicht so eng, daß aus ihnen eine sittliche Verpflichtung erwachsen könne. Es fehle das enge Familienband, wie es regelmäßig zwischen dem Vater und seiner ehelichen Tochter bestehe. Bei entsprechenden Aufwendungen des Vaters könne von einer wohl anerkennenswerten, nicht aber von einer zwangsläufigen Handlungsweise gegenüber der unehelichen Tochter gesprochen werden. Das subjektive Empfinden des Klägers könne entgegen der Ansicht des FG keine Zwangsläufigkeit begründen.
Mit Schreiben vom 26. August 1969 übersandte die Geschäftsstelle des Senats dem Kläger eine Abschrift der Revision und ihrer Begründung mit der Aufforderung, sich dazu bis zum 1. November 1969 zu äußern. Außerdem bat die Geschäftsstelle in diesem Schreiben den Kläger unter Hinweis auf § 90 Abs. 2 FGO, bis zum gleichen Termin mitzuteilen, ob er mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sei. In seiner Antwort vom 21. Oktober 1969 erklärte der Kläger: "Ich selbst kann zu dem Termin am 1. November 1969 in München nicht erscheinen, da ich bereits 6 Tage Urlaub in dieser Angelegenheit genommen habe." Der Senat hat diese Erklärung dahin ausgelegt, daß der Kläger mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden ist. Eine solche Einverständniserklärung hat das FA ausdrücklich abgegeben.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des FA hat keinen Erfolg.
Außergewöhnliche Belastungen nach § 25 LStDV können geltend gemacht werden, wenn einem Arbeitnehmer zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen sind zwangsläufig, wenn sich der Arbeitnehmer ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.
Aus rechtlichen Gründen brauchte der Kläger keine Aussteuer zu leisten. Für das Streitjahr 1966 unterscheidet er sich insoweit nicht von dem Vater einer ehelichen Tochter, dem nach dem GleichberG mit Wirkung ab 1. Juli 1958 keine rechtliche Verpflichtung zur Aussteuer mehr oblag. Aber auch im Hinblick auf eine sittliche Verpflichtung unterscheidet sich der Kläger nicht von dem Vater einer ehelichen Tochter.
1. Der Senat hat in den Grundsatzurteilen VI 7/59 S (a. a. O.) und VI 141/59 S (a. a. O.) für die Jahre 1955 und 1956, für die das GleichberG noch nicht anzuwenden war, in Anbetracht der damals ungeklärten Frage, ob aus § 1620 BGB a. F. noch ein Rechtsanspruch auf eine Aussteuer hergeleitet werden konnte, mit Rücksicht auf die früher lange Zeit bestehende Rechtspflicht angenommen, daß im Volk überwiegend jedenfalls noch eine sittliche Pflicht zur Gewährung einer Aussteuer an eine eheliche Tochter bejaht wurde. In dem Urteil VI 170/65 vom 16. August 1967 (BFH 89, 447, BStBl III 1967, 700) ist der Senat dann davon ausgegangen, daß sich in den zehn Jahren seit Verkündung des GleichberG die früheren Anschauungen weithin geändert hatten. Er kam zu dem Ergebnis, daß die Gewährung einer Ausstattung (§ 1624 BGB), deren Unterfall die Aussteuer ist, nicht mehr ohne weiteres als zwangsläufig im Sinne von § 33 EStG angesehen werden kann und daß nur besondere Umstände des Einzelfalles eine solche Annahme rechtfertigen könnten. Eine außergewöhnliche Belastung sei steuerlich dann nicht anzuerkennen, wenn die Eltern ihren Töchtern zuvor eine Berufsausbildung gewährt haben. Der Senat ist jedoch sowohl in diesem das Jahr 1961 betreffenden Fall als auch in dem das Jahr 1962 betreffenden Fall des Urteils VI R 72/67 vom 18. August 1967 (BFH 90, 67, BStBl III 1967, 760) davon ausgegangen, daß es dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung widersprechen würde, die neue Rechtsprechung bereits auf vor dem Bekanntwerden des Urteils VI 170/65 (a. a. O.) liegende Fälle anzuwenden, und daß es Aufgabe der Finanzverwaltung sei, durch eine auf Grund von § 131 AO zu erlassende Verwaltungsanordnung sicherzustellen, daß alle vor dem Bekanntwerden des Urteils gewährten Aussteuern gleichmäßig behandelt werden. Eine solche Anordnung ist in Abschn. 188 Abs. 4 EStR 1967 ergangen. Danach sind Aufwendungen, die bis zum 31. Dezember 1967 für die Aussteuer einer Tochter geleistet werden, aus Billigkeitsgründen noch nach den Anordnungen des Abschn. 188 Abs. 1-4 EStR 1965 zu behandeln. Das Gleiche soll für in den Kalenderjahren 1968 und 1969 geleistete Aufwendungen gelten, wenn die Ehe spätestens im Kalenderjahr 1968 geschlossen worden ist. Diese Übergangsregelung ist auch von den Gerichten zu beachten.
2. Die vom Kläger aufgewendete Aussteuer kann nicht anders behandelt werden, als wenn seine Tochter ehelich wäre. Eine nichteheliche Tochter hatte zwar keinen gesetzlichen Aussteueranspruch gegen ihren Vater. Wie die Revision zutreffend ausführt, konnte an dessen Stelle somit auch keine sittliche Verpflichtung im Sinne der Rechtsprechung des BFH treten, schon gar nicht unter Stützung darauf, daß "die aus den vorangegangenen Jahrhunderten überkommenen Anschauungen und Überzeugungen im sittlichen Bewußtsein noch weithin nachwirken" und unter Berufung auf die "noch herrschenden Auffassungen vom Wesen der Ehe, den Auswirkungen des Familienbandes zwischen Eltern und Kindern" (Urteil VI 141/59 S, a. a. O.).
Jedoch ist in Art. 6 Abs. 5 GG vorgeschrieben, daß den unehelichen Kindern die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft geschaffen werden sollen wie den ehelichen Kindern. Diese Grundrechtsvorschrift ist eine Schutzvorschrift zugunsten der nichtehelichen Kinder. Den damit getroffenen Wertentscheidungen muß die Auslegung und Anwendung des geltenden Rechts entsprechen. Die Gerichte und Verwaltungsbehörden müssen das ihnen Mögliche tun, um im Rahmen des geltenden Rechts die Lebensbedingungen der nichtehelichen Kinder zu verbessern und eine Angleichung an die Lage der ehelichen Kinder herbeizuführen (Beschluß des BVerfG 1 BvR 26/66 vom 29. Januar 1969, BVerfGE 25, 167 [190]). Sind zwei verschiedene Deutungen einer Norm möglich, so verdient diejenige den Vorzug, die einer Wertentscheidung der Verfassung besser entspricht (BVerfG-Beschluß 1 BvL 45/56 vom 23. Oktober 1958, BVerfGE 8, 210 [217]). Es ist im Gesetz nicht ausdrücklich festgelegt, unter welchen Voraussetzungen eine sittliche Verpflichtung die Zwangsläufigkeit einer Aufwendung im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG begründen kann. Bei der Auslegung des § 33 Abs. 1 EStG ist daher derjenigen Deutung der Vorzug zu geben, die der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 5 GG entspricht. Diese Wertentscheidung aber erfordert eine Gleichbehandlung der an uneheliche Töchter gewährten Aussteuern mit Aussteuern, die ehelichen Töchtern zugewendet werden. Hiernach sind auf den vorliegenden, das Jahr 1966 betreffenden Streitfall auf Grund der Übergangsregelung in Abschn. 188 Abs. 4 EStR 1967 noch diejenigen Grundsätze der Rechtsprechung anzuwenden, die in den Urteilen VI 7/59 S und VI 141/59 S (a. a. O.) dargestellt sind. Es ist dabei ohne Bedeutung, daß das Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 (BGBl I 1969, 1243) auf den Streitfall noch nicht anwendbar ist und daß Art. 6 Abs. 5 GG das einfache Recht nicht förmlich außer Kraft gesetzt hatte (vgl. BVerfG-Beschluß 1 BvR 26/66, a. a. O.).
Die Ausführungen des FG, daß unter Zugrundelegung der angeführten Grundsätze dem Steuerpflichtigen wegen der Gewährung einer Aussteuer an seine uneheliche Tochter eine Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastung zuzubilligen ist, sind auch im übrigen nicht zu beanstanden.
Fundstellen
Haufe-Index 68926 |
BStBl II 1970, 311 |
BFHE 1970, 331 |