Leitsatz (amtlich)
Der Senat tritt der Entscheidung des BFH IV R 173 bis 174/70 vom 15. April 1971 (BFHE 104, 309, BStBl II 1972, 348) darin bei, daß die in § 65 Abs. 2 FGO vorgesehene Frist zur Klageergänzung keine Ausschlußfrist darstellt.
Normenkette
FGO § 65 Abs. 2
Tatbestand
Die Klage der Steuerpflichtigen, die nur den Antrag enthielt, den angefochtenen gesonderten Gewinnfeststellungsbescheid aufzuheben wurde zunächst, trotz mehrfacher Erinnerung durch das FG, nicht begründet. Der Vorsitzende des zur Entscheidung zuständigen Senats des FG wies den Prozeßbevollmächtigten der Steuerpflichtigen mit Verfügung vom 22. August 1968 darauf hin, daß der Streitgegenstand im Sinne des § 65 FGO nicht bezeichnet sei; es fehle die Darstellung des Sachverhalts, aus dem sich die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheids ergeben solle. Zur Ergänzung der Klage setzte er der Steuerpflichtigen gemäß § 65 Abs. 2 FGO eine Frist von drei Wochen. Innerhalb dieser Frist, die am 16. September 1968 ablief, ergänzte die Steuerpflichtige die Klage nicht. Erst in der mündlichen Verhandlung wurde dem Gericht ein Schriftsatz vom 21. November 1968 überreicht, der sachliche Beanstandungen des angegriffenen Bescheids enthielt.
Das FG verwarf die Klage als unzulässig. Es führte aus, weder in der Klageschrift noch innerhalb der vom Senatsvorsitzenden gemäß § 65 Abs. 2 FGO gesetzten Frist sei der Streitgegenstand, d. h. der Sachverhalt, aus dem sich die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheids ergeben solle, bezeichnet worden. Die Ergänzung durch Schriftsatz vom 21. November 1968 heile diesen Mangel nicht mehr, da die Klage bereits mit Ablauf des 16. September 1968 unheilbar unzulässig geworden sei. Der nach Fristablauf eingegangene Fristverlängerungsantrag habe angesichts der bereits eingetretenen Unzulässigkeit der Klage nicht mehr berücksichtigt werden können.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Die Klage ist entgegen der in der Vorentscheidung vertretenen Ansicht zulässig, da sie der Vorschrift des § 65 FGO auch hinsichtlich der Angabe des Streitgegenstandes genügt. Denn die Steuerpflichtige hat in der mündlichen Verhandlung vor dem FG den Streitgegenstand durch den Antrag, den Gewinn aus Gewerbebetrieb entsprechend der gleichzeitig vorgelegten Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung festzusetzen, hinreichend bezeichnet. Daß zu diesem Zeitpunkt die vom Senatsvorsitzenden des FG gemäß § 65 Abs. 2 FGO gesetzte Frist zur Klageergänzung bereits verstrichen war, ändert an der Wirksamkeit der Klageerhebung nichts. Nach der Entscheidung des IV. Senats des BFH IV R 173-174/70 vom 15. April 1971 (BFHE 104, 309, BStBl II 1972, 348), der sich der I. Senat inzwischen angeschlossen hat (BFH-Entscheidung I R 206/70 vom 12. Juli 1972, BFHE 106, 483 [485], BStBl II 1972, 957), ist die gemäß § 65 Abs. 2 FGO zu bestimmende Frist keine Ausschlußfrist. Auch der erkennende Senat tritt dieser Rechtsprechung bei. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck des § 65 Abs. 2 FGO und ebensowenig aus der Stellung der Vorschrift im Rahmen der FGO läßt sich entnehmen, daß dieser richterlichen Frist - abweichend von der herrschenden Auslegung des § 82 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - die Eigenschaft einer Ausschlußfrist beizumessen wäre. Insbesondere kann in der Fristbestimmung nach § 65 Abs. 2 FGO keine Konkretisierung der gesetzlichen Klagefrist (§ 47 FGO) auf einen längeren Zeitraum gesehen werden. Das zeigt schon die unterschiedliche gesetzliche Gestaltung der im Klageverfahren und im Revisionsverfahren - vgl. z. B. § 120 Abs. 1 FGO - zu wahrenden Fristen. Demgegenüber reichen die vom FA hervorgehobenen Gesichtspunkte der Praktikabilität und Verfahrensbeschleunigung nicht aus, um eine Auslegung zuungunsten des Rechtsschutzbegehrenden zu tragen. Bewährt sich die Bestimmung des § 65 Abs. 2 FGO aufgrund dieser Auslegung in der Praxis der FG nicht, so ist es Sache des Gesetzgebers, die Vorschrift neu zu fassen.
Fundstellen
Haufe-Index 70297 |
BStBl II 1973, 188 |
BFHE 1973, 6 |