Leitsatz (amtlich)

Die nach Güterbeförderungsrecht zulässige sog. fiktive Selbstadressierung ist auch beförderungsteuerrechtlich anzuerkennen.

 

Normenkette

BefStG vom 29. Juni 1926 (RGBl I S. 357) § 5 Abs. 1 Hs. 1; BefStG 1955 § 4 Abs. 1 S. 1 Hs. 1; Gesetz über den Güterfernverkehr mit Kraftfahrzeugen vom 26. Juni 1935 (RGBl I S. 788) § 13; GüKG vom 17. Oktober 1952 § 21; GüKG vom 17. Oktober 1952 § 25; GüKG vom 17. Oktober 1952 § 106 Abs. 2; KVO (RVerkBl 1936 B S. 151) § 20 Abs. 2, § 27

 

Tatbestand

Der Bf. betreibt die Güterbeförderung im Fernverkehr. Bei einer beförderungsteuerlichen Prüfung wurde u. a. festgestellt, daß mehrfach Güter eines Auftraggebers, die letzten Endes für mehrere Abnehmer in verschiedenen Orten bestimmt waren, unter Ausstellung eines Frachtbriefes zunächst zu einer Sendung bis zu einem Bestimmungsort zusammengefaß wurden. Bestimmungsort war der Entladeort der für einen der mehreren Abnehmer bestimmten Güter. Als Empfänger war im Frachtbrief entweder der Auftraggeber (frachtbriefmäßiger Absender) selbst (Fälle 1) oder der Abnehmer der ersten Teilpartie (Fälle 2) angegeben. In denjenigen Fällen, in denen der frachtbriefmäßige Absender als Empfänger der zusammengefaßten Sendung angegeben war, obwohl er am Bestimmungsort weder einen Sitz noch einen dort ansässigen Erfüllungsgehilfen hatte -- also eine sogenannte fiktive Selbstadressierung vornahm -- (Fälle der Gruppe 1), wurde die erste Teilpartie am Bestimmungsort bei deren Abnehmer abgeladen. Sodann wurden die für die anderen Abnehmer bestimmten Güter unter Verwendung von Anschlußfrachtbriefen als Einzelsendungen weiterbefördert. Die Anschlußfrachtbriefe, in denen als frachtbriefmäßiger Absender ebenfalls der Auftraggeber angegeben war, waren dem Bf. (Unternehmer) bereits bei Erteilung des Auftrags zusammen mit dem Frachtbrief für die zusammengefaßte Sendung ausgehändigt worden. In denjenigen Fällen, in denen die zusammengefaßte Sendung an den Abnehmer der ersten Teilpartie als Empfänger gerichtet war (Fälle der Gruppe 2), gingen nach Entladung des für ihn bestimmten Teils der zusammengefaßten Sendung und -- laut Feststellung des Finanzgerichts -- nach Bescheinigung des Empfangs der zusammengefaßten Sendung durch den Adressaten die weiteren Güter in Einzelsendungen ebenfalls unter Verwendung von Anschlußfrachtbriefen wie oben an die in Betracht kommenden anderen Abnehmer. Die Fracht wurde jeweils nach dem Gesamtgewicht der zu einer Sendung zusammengefaßten Güter und unter Zugrundelegung der Eisenbahntarifentfernung zwischen dem Absendeort der zusammengefaßten Sendung und deren Bestimmungsort errechnet. Außerdem wurde in den Fällen der Weiterbeförderung der Einzelsendungen unter Verwendung von Anschlußfrachtbriefen die Fracht für jede einzelne Sendung unter Zugrundelegung der Eisenbahntarifentfernung vom ersten Bestimmungsort bis zum weiteren Bestimmungsort berechnet.

Das Finanzamt sah die Zusammenfassung der Güter zu einer Sendung und damit die sich daraus ergebende niedrigere Frachtberechnung als nicht zulässig an. Es forderte deswegen und wegen anderer Feststellungen im Prüfungsbericht Beförderungsteuer für die Zeit vom zweiten Halbjahr 1951 bis Ende 1955 den Betrag von X DM nach. Von diesem festgesetzten Betrag entfiel nach Angabe des Bf. der Teilbetrag von Y DM auf die jeweils zu einer Sendung zusammengefaßten Beförderungen.

Hiergegen legte der Bf. Einspruch ein. Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht bestätigte auf die Berufung des Bf. die Auffassung des Finanzamts, soweit sich die Steuerfestsetzung auf die Fälle 1 und 2 bezog. Dem Bf. seien von einem Absender Güter für mehrere Empfänger als eine Sendung mit einem Frachtbrief übergeben worden. Zwar sei die ganze Sendung im Frachtbrief an einen Empfänger adressiert gewesen, der auch den Empfang bestätigt habe; es habe jedoch bereits bei Beginn der Beförderung festgestanden, daß die zu einer Sendung zusammengefaßten Güter für mehrere Empfänger bestimmt seien. Dies ergebe sich daraus, daß im Fall der Selbstadressierung (Fälle 1) die Güter nicht zum Adressaten hätten befördert werden können, da dieser am Bestimmungsort gar nicht existiert habe und die Güter am Bestimmungsort von mehreren Empfängern übernommen worden seien. Schließlich habe im Fall der sog. Anschlußfrachten der Absender dem Bf. vor Beginn der Beförderung Anschlußfrachtbriefe für denjenigen Teil der Sendung übergeben, der nicht für den frachtbriefmäßigen Adressaten der ganzen Sendung, sondern für andere Empfänger bestimmt gewesen sei. Der frachtbriefmäßige Adressat der ganzen Sendung habe also nur einen Teil der Sendung übernommen. Es hätten demnach so viele Sendungen vorgelegen, als Empfänger vorhanden gewesen seien. An eine etwa abweichende Stellungnahme der Bundesanstalt für den Güterfernverkehr seien die Steuerbehörden nicht gebunden.

Gegen diese Entscheidung hat der Steuerpflichtige Rb. eingelegt und beantragt, die nachgeforderte Beförderungsteuer um Y DM zu ermäßigen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. hat Erfolg.

1. Die Fälle der Gruppe 1, in denen Güter eines Auftraggebers, die letzten Endes für mehrere Abnehmer in verschiedenen Orten bestimmt waren, unter Ausstellung eines Frachtbriefes (für die zusammengefaßte Sendung) zunächst zu einer Sendung bis zu einem Bestimmungsort (Entladeort der für einen der Abnehmer bestimmten Güter) zusammengefaßt wurden, wobei als Empfänger im Frachtbrief der zusammengefaßten Sendung der Auftraggeber (frachtbriefmäßiger Absender) selbst angegeben war.

Zutreffend ist das Finanzgericht davon ausgegangen, daß gemäß § 5 Abs. 1 Halbsatz 1 des Beförderungsteuergesetzes vom 29. Juni 1926 -- BefStG 1926 -- (RGBl I S. 357, mit Änderung), § 4 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BefStG in der Fassung vom 13. Juni 1955 -- BefStG 1955 -- (BGBl I S. 366) die Steuer von dem Preise berechnet wird, der für die Beförderung an den Unternehmer zu entrichten ist. Die im Güterfernverkehr zu entrichtenden Preise (Frachten) werden nach dem Reichskraftwagentarif berechnet (§ 13 des Gesetzes über den Güterfernverkehr mit Kraftfahrzeugen vom 26. Juni 1935 -- RGBl I S. 788 --, §§ 21, 25, 106 Abs. 2 des Güterkraftverkehrsgesetzes -- GüKG -- vom 17. Oktober 1952). Bestimmungen über die Frachtberechnung enthält § 20 der Kraftverkehrsordnung für den Güterfernverkehr mit Kraftfahrzeugen -- KVO -- (Beförderungsbedingungen) -- Reichsverkehrsblatt 1936 Ausgabe B S. 151, mit Änderungen --. Nach dem Urteil des erkennenden Senats II 101/57 U vom 4. März 1959 (BStBl 1959 III S. 214/215, Slg. Bd. 68 S. 557) ist die KVO zwar keine Rechtsverordnung und damit nicht allgemein verbindlich; sie erlangt aber ihre Wirksamkeit (mindestens) als allgemein festgelegte Vertragsgrundlage im Einzelfall infolge beiderseitiger Unterwerfung der Beteiligten unter ihre Bestimmungen. Aus dem Vorbringen des Bf. und den vorgelegten Frachtbriefen ergibt sich, daß sich die Beteiligten den Bestimmungen der KVO unterworfen haben.

Das Finanzamt meint -- indem es sich auf Hein, Kraftverkehrsordnung für den Güterfernverkehr mit Kraftfahrzeugen, § 20 Anm. 3, bezieht --, durch die sog. fiktive Selbstadressierung werde § 20 Abs. 2 (Unterabs. 1) KVO verletzt, weil bei mehreren Empfängern von Gütern einer Ladung mehrere Einzelsendungen vorlägen, für die die Frachten besonders zu berechnen seien. Zunächst kann das Finanzamt die zitierten Ausführungen im Kommentar von Hein zur KVO nicht zu Recht für sich in Anspruch nehmen. Hein umschreibt a. a. O. lediglich das, was das Gesetz sagt. Das ist aber nicht das, was das Finanzamt meint. Wenn § 20 Abs. 2 a. a. O. von Gütern spricht, die dem Unternehmer von einem Absender "und zur Auslieferung an einen Empfänger" übergeben werden, so wird damit nicht gefordert: zur Auslieferung an einen End empfänger, d. h. an einen, für den die beförderten Güter letztlich bestimmt sind. Die dem Unternehmer mit einem Frachtbrief von einem Absender übergebene Sendung kann zu einer Sendung zusammengefaßt werden, wenn die Sendung zur Auslieferung an einen Empfänger übergeben wird. Der eine Empfänger der zusammengefaßten Sendung kann nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit auch der frachtbriefmäßige Absender sein. Nirgendwo ist vom Gesetz vorgeschrieben, daß dieser am (ersten) Bestimmungsort einen Sitz oder einen dort ansässigen Erfüllungsgehilfen haben müsse. Es genügt, daß am Bestimmungsort der frachtbriefmäßige Adressat oder ein Beauftragter anwesend ist, um die Güter empfangen zu können. Letzteres ist im Streitfall gegeben, wobei Beauftragter der Unternehmer (Bf.) ist, der wiederum durch den Fahrer oder dessen Begleitperson vertreten sein kann. Es trifft nicht zu, daß dann, wenn der frachtbriefmäßige Absender am (ersten) Bestimmungsort weder Sitz noch einen dort ansässigen Erfüllungsgehilfen hat, an einen "nicht existierenden Empfänger" adressiert sei. Der im Frachtbrief bezeichnete Empfänger existiert vielmehr und ist am Bestimmungsort durch einen Beauftragten vertreten. Er oder sein Beauftragter hat nur seinen Sitz nicht am ersten Bestimmungsort (am Bestimmungsort der zusammengefaßten Sendung); das ist jedoch zur Empfangnahme des Beförderungsgutes nicht erforderlich. Daß die zu einer Sendung zusammengefaßten Güter dem Empfänger dieser zusammengefaßten Sendung (frachtbriefmäßigen Absender) selbst am Bestimmungsort dieser Sendung körperlich übergeben würden, ist nach dem Gesetz nicht erforderlich (vgl. sinngemäß Baumbach - Duden, HGB, 15. Aufl. 1962, Bem. 2 B zu § 429; Entscheidung des Reichsgerichts vom 22. September 1926 I 430/25, Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen -- RGZ -- Bd. 114 S. 308, 313; Entscheidung vom 13. April 1921 I 385/20, RGZ Bd. 102 S. 92, 93). Der frachtbriefmäßige Absender bedient sich, wie ausgeführt, zur Beförderung der zusammengefaßten Sendung des von ihm beauftragten Unternehmers. Auch die Vorschrift des § 20 Abs. 2 Unterabs. 2 KVO steht der sog. fiktiven Selbstadressierung nicht entgegen; denn die Güter der zusammengefaßten Sendung werden nicht an "mehreren Stellen entladen". Für die Weiterbeförderung der (bisher zusammengefaßten Sendung, nunmehr aufgelöst in) Einzelsendungen sind weitere Frachtbriefe (Anschlußfrachtbriefe) ausgestellt. Es liegen -- entgegen den Ausführungen des Finanzamts -- Frachtbriefe mit dem "richtigen Bestimmungsort" vor (vgl. sinngemäß auch § 11 Abs. 2 Buchst. h KVO); nämlich ein Frachtbrief für die (zunächst) zusammengefaßte Sendung bis zu deren Bestimmungsort (erster Bestimmungsort), an dem der erste Vertrag (über die Beförderung der zusammengefaßten Sendung) seine Erfüllung findet, und sodann Anschlußfrachtbriefe für die Weiterbeförderung der einzelnen Sendungen bis zu deren -- weiteren -- Bestimmungsorten. Dadurch, daß auf Grund der weiteren Anschlußfrachtverträge weitere (zweite) Bestimmungsorte für die Weiterbeförderung der einzelnen Sendungen begründet werden, wird das Bestehen des ersten Bestimmungsortes auf Grund des Vertrages über die Beförderung der zusammengefaßten Sendung nicht aus der Welt geschafft. Die Erfüllung des ersten Beförderungsvertrages und des gleichzeitig geschlossenen weiteren Anschlußbeförderungsvertrages ist auch nicht etwa rechtlich unmöglich; beide Verträge können erfüllt werden. Der Hinweis auf § 27 Abs. 1 KVO geht fehl, weil es sich nicht um eine nachträgliche Verfügung des frachtbriefmäßigen Absenders handelt, d. h. nicht um eine nachträgliche, nach Abschluß des Frachtvertrages über die zusammengefaßte Sendung vorgenommene, Änderung dieses Frachtvertrages. Auch eine Anwendung des § 27 Abs. 4 KVO scheidet aus, da dieser sich nur auf Anweisungen bezieht, die der im Frachtbrief bezeichnete Empfänger nach Ankunft des Gutes am Bestimmungsort und nach Erfüllung der sich aus dem Frachtbrief ergebenden Verpflichtungen erteilt hat; im Streitfall sind aber die Anweisungen betreffend Weiterbeförderung der Einzelsendungen, wie dargestellt, bereits gleichzeitig mit dem (ersten) Beförderungsvertrag betreffend die (zunächst) zusammengefaßte Sendung erteilt worden. Auch die Vorschrift des § 27 Abs. 5 Unterabs. 2 KVO steht nicht entgegen. Es findet nicht eine Weiterleitung der zu einer Sendung zusammengefaßten Güter mit neuer Frachtberechnung auf Grund von vornherein im Frachtbrief betreffend die zusammengefaßte Sendung erteilter Anweisung statt, sondern es waren von vornherein zwei Beförderungsverträge über verschiedene Beförderungsobjekte geschlossen, einer über die zusammengefaßte Sendung (Beförderung bis zu deren Bestimmungsort) und einer betreffend die Einzelsendungen (über die anschließende Weiterbeförderung bis zu ihren Bestimmungsorten). Bei dieser Sach- und Rechtslage kann weder von einem Scheingeschäft noch von einem Umgehungsgeschäft (§ 5 GüKG) die Rede sein. Es sollte nicht ein Tatbestand vorgetäuscht werden; es waren vielmehr die beiden verschiedenen, von vornherein gleichzeitig geschlossenen Beförderungsverträge über die (zunächst) zusammengefaßte Sendung und über die anschließende Weiterbeförderung der Einzelsendungen ernstlich gewollt. Der Bf. hatte auch ein vernünftiges, rechtlich nicht zu mißbilligendes Interesse an der vorgenommenen und von den zuständigen (verkehrsrechtlichen) Behörden grundsätzlich gebilligten frachtrechtlichen Gestaltung, die zu einer Frachtverbilligung führte, wie das ähnlich auch bei dem sog. Verteilungsverfahren der Bundesbahn der Fall ist. Diese Rechtsauffassung entspricht auch dem zumindest für die hier in Betracht kommende Zeit geltenden Grundsatz der frachtrechtlichen und beförderungsteuerrechtlichen Gleichbehandlung von Beförderungen auf Schiene und Straße. Die Grenzen der Zulässigkeit für die sog. fiktive Selbstadressierung sind im Streitfall nicht verletzt.

2. Die Fälle der Gruppe 2. Sie unterscheiden sich sachlich von den Fällen zu 1 nur dadurch, daß der frachtbriefmäßige Absender die zusammengefaßte Sendung nicht an sich selbst, sondern an einen der Abnehmer adressiert, nämlich an den Abnehmer derersten Teilpartie.

Ist die Beförderung zulässig in denjenigen Fällen, in denen sog. fiktive Selbstadressierung vorliegt (Fälle der Gruppe 1), so muß sie erst recht in Fällen zulässig sein, in denen ein anderer (der erste Abnehmer) als Empfänger im Frachtbrief der zusammengefaßten Sendung bezeichnet ist, mag dieser Empfänger auf dem Frachtbrief den Empfang der ganzen Sendung bescheinigen oder nur den Empfang der bei ihm abgelieferten Teilpartie. Zu einer anderen Beurteilung kann auch nicht der Umstand führen, daß in den Anschlußfrachtbriefen nicht der Empfänger der Teilpartie, sondern der frachtbriefmäßige Absender der zusammengefaßt gewesenen Sendung als frachtbriefmäßiger Absender bezeichnet ist. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob bei der Weiterbeförderung der Güter als Einzelsendungen unter Verwendung von Anschlußfrachtbriefen als Vertreter des frachtbriefmäßigen Absenders der frachtbriefmäßige Empfänger der ersten Teilpartie oder der Unternehmer zu gelten hat.

Hiernach waren die Vorentscheidungen aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die vom Finanzamt für die Zeit vom 1. Juli 1951 bis zum 31. Dezember 1955 in Höhe von X DM nachgeforderte Beförderungsteuer war zu ermäßigen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410713

BStBl III 1963, 82

BFHE 1963, 228

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