Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeugenvernehmung des Gemeinschuldners in einem vom Konkursverwalter angestrengten Rechtsstreit - Begründung einer Revision wegen Ablehnung eines Beweisantrags in den Urteilsgründen des FG - Begriff des "Zeugen" - Eintritt des Konkursverwalters in ein vom Gemeinschuldner begonnenes Rechtsbehelfsverfahren im Wege der subjektiven Klageänderung
Leitsatz (amtlich)
1. Geht das FG in den Urteilsgründen von einem vom Kläger gestellten Antrag auf Beweiserhebung aus und lehnt es diesen Antrag ab, so bedarf es zwecks Begründung eines Verfahrensfehlers nicht der Darlegung des Klägers in der Revisionsbegründung, daß ein entsprechender Antrag in der letzten mündlichen Verhandlung noch einmal gestellt wurde.
2. Zeuge ist jede natürliche Person, die nicht selbst Beteiligter des Verfahrens oder gesetzlicher Vertreter eines am Verfahren Beteiligten ist und die Beweise durch Aussage über Tatsachen oder tatsächliches Vorbringen erbringen soll.
3. Ergeht gegenüber dem Gemeinschuldner eine Einspruchsentscheidung und erhebt dieser Klage, obwohl nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, jedoch vor Klageerhebung, das Konkursverfahren eröffnet wurde, kann der Konkursverwalter die Klageerhebung durch den Gemeinschuldner genehmigen und im Wege der subjektiven Klageänderung in den Rechtsstreit eintreten.
4. Nach dem Eintritt des Konkursverwalters in den Rechtsstreit ist der Gemeinschuldner kein Beteiligter mehr; er kann als Zeuge vernommen werden.
Normenkette
FGO § 118 Abs. 3, § 120 Abs. 2 S. 2, § 126 Abs. 4, §§ 57, 67 Abs. 1, § 81 Abs. 1 S. 2; KO § 144 Abs. 2, § 146 Abs. 3, 5, § 164 Abs. 1, § 6 Abs. 1
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist der Konkursverwalter über das Vermögen des T. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erließ gegenüber T am 6. Februar 1990 einen Haftungsbescheid u.a. wegen Körperschaftsteuern 1983 und 1984, Vermögensteuern 1987 bis 1989 und Säumniszuschlägen zur Vermögensteuer 1985 und 1987/88 der F-GmbH. Mit diesen Haftungsschulden hat es folgende Bewandtnis:
Die F-GmbH war im Jahre 1983 von einer schweizerischen Domizilgesellschaft (E-Holding) und einem B gegründet worden. Ihre Liquidation wurde im Jahr 1987 beschlossen. Über ihr Vermögen wurde am 20. September 1989 das Konkursverfahren eröffnet. Die F-GmbH war in Geschäfte mit der X-Gesellschaft eingeschaltet. Nach einer Betriebsprüfung ging das FA davon aus, daß sowohl die E-Holding als auch B die F-GmbH für T gegründet hatten. T sei der faktische Geschäftsführer der F-GmbH gewesen. Das FA nahm für die Jahre 1983 und 1984 verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) der F-GmbH an T in Höhe von insgesamt rd. 9,1 Mio DM an. Es erhöhte die Einkommen 1983 und 1984 der F-GmbH entsprechend und stellte die Ausschüttungsbelastung her.
T wurde mit rechtskräftigem Urteil des LG D. vom 10. Oktober 1990 wegen eines anderen Sachverhalts zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Nach dem Inhalt des Urteils wurde das Verfahren wegen Hinterziehung von Steuern der F-GmbH auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs.2 der Strafprozeßordnung vorläufig eingestellt.
T legte gegen den Haftungsbescheid Einspruch und --nach Erlaß der Einspruchsentscheidung vom 8. August 1990-- am 10. September 1990 Klage ein, obwohl schon am 15. August 1990 über sein Vermögen das Konkursverfahren eröffnet und der Kläger zum Konkursverwalter bestellt worden war. Am 15. Dezember 1992 nahm der Kläger das Klageverfahren auf, nachdem das FA die Haftungsschuld zwischenzeitlich zur Konkurstabelle angemeldet und der Kläger sie bestritten hatte. Mit Schriftsatz vom 3. Januar 1994 bezog sich der Kläger auf den gesamten Vortrag des T, wie er bisher in den Finanzgerichtsprozeß eingeführt worden sei. Dessen Richtigkeit stellte er unter Beweis durch den Antrag auf Vernehmung des T als Zeugen. Es sei unzutreffend, daß T maßgeblich als Gesellschafter hinter der E-Holding gestanden habe. Es sei ferner unrichtig, daß T hinter den Geschäftsbeziehungen der F-GmbH mit der schweizerischen N-AG gestanden habe und daß die Zahlungen der F-GmbH an die N-AG letztendlich ihm zugeflossen seien.
Am 31. Mai 1994 fand eine mündliche Verhandlung statt. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage überwiegend statt. Es bejahte eine Haftung des T nur wegen Körperschaftsteuer 1983 und 1984. Es reduzierte jedoch die Körperschaftsteuerschulden, weil es vGA nur in Höhe von etwa 3 Mio DM annahm.
Mit seiner vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt der Kläger einen Verfahrensfehler, den er in der Ablehnung der Vernehmung des T als Zeugen durch das FG sieht.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG Düsseldorf vom 31. Mai 1994 6 K 468/90 insoweit aufzuheben, als die Klage abgewiesen wurde, und nach den Schlußanträgen des Klägers in der Vorinstanz zu entscheiden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit die Klage abgewiesen wurde, und zur Zurückverweisung der Sache an das FG in diesem Umfang (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Die Revision ist zulässigerweise auf einen Verfahrensfehler gestützt worden. Die Revisionsbegründung enthält insoweit eine dem § 120 Abs.2 Satz 2 FGO genügende Darlegung, daß das FG, obwohl es selbst den Sachverhalt für aufklärungsbedürftig hielt und die Vernehmung des T als ein an sich geeignetes Beweismittel ansah, von dessen Erhebung aufgrund eines Rechtsirrtums abgesehen hat. Zwar weist das FA zutreffend darauf hin, daß die Revisionsbegründung keine Darlegungen über einen in der mündlichen Verhandlung erneut gestellten Antrag auf Beweiserhebung durch Vernehmung des T als Zeugen enthält. Darauf kommt es jedoch nicht an. Ausschlaggebend ist die vom FG auf Seite 21 seines Urteils (Absatz 3) getroffene Entscheidung. Danach hat das FG keine Veranlassung gesehen, dem Antrag des Klägers nachzukommen, den Gemeinschuldner als Zeugen zu hören. Aus dieser Entscheidung ergibt sich, daß der Kläger einen entsprechenden Antrag gestellt und daß das FG von der Beweiserhebung nur deshalb abgesehen hat, weil T aus Rechtsgründen nicht als Zeuge vernommen werden könne. Damit ist das FG von der Existenz eines entsprechenden klägerischen Antrags ausgegangen. Zusätzlich hat es den Sachverhalt nicht nur für aufklärungsbedürftig gehalten, sondern auch die Vernehmung des T als ein an sich geeignetes Beweismittel angesehen. Es hat --wie noch auszuführen sein wird-- von der Beweiserhebung lediglich aufgrund eines Rechtsirrtums abgesehen. Darin liegt der vom Kläger zulässigerweise gerügte Verfahrensfehler.
2. Das FG hat zu Unrecht die Zeugenfähigkeit des T verneint.
a) Nach § 81 Abs.1 Satz 2 FGO kann das FG Zeugen, Sachverständige und Beteiligte vernehmen. Zeuge ist jede natürliche Person, die nicht selbst Beteiligter des Verfahrens oder gesetzlicher Vertreter eines am Verfahren Beteiligten ist und die Beweis durch Aussage über Tatsachen oder tatsächliche Vorgänge erbringen soll (vgl. Zöller, Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., § 373 Rz.1). Nach § 57 FGO sind der Kläger, der Beklagte, ein Beigeladener und die dem Verfahren beigetretene Behörde Beteiligte. Zwar wurde die Klage ursprünglich von T erhoben. T hatte jedoch schon mit der Eröffnung des Konkurses über sein Vermögen die Befugnis verloren, sein zur Konkursmasse gehörendes Vermögen zu verwalten und über dasselbe zu verfügen (§ 6 Abs.1 der Konkursordnung --KO--). Das Verwaltungs- und Verfügungsrecht stand nur dem Kläger als dem Konkursverwalter zu (§ 6 Abs.2 KO). Für die verfahrensmäßige Geltendmachung von Steuerforderungen bedeutete dies, daß der Kläger nach § 146 Abs.5 i.V.m. Abs.3 KO verfahren mußte. Zwar war zur Zeit der Eröffnung des Konkursverfahrens kein Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides anhängig. Gemäß § 146 Abs.5 KO folgt daraus jedoch nur, daß der Kläger gegen die ergangene, aber noch nicht bestandskräftige Einspruchsentscheidung Klage erheben mußte. Er konnte statt dessen auch die an sich unzulässige Klageerhebung durch den Gemeinschuldner genehmigen und im Wege der subjektiven Klageänderung in das anhängige Klageverfahren eintreten. Dies war --weil sachdienlich-- gemäß § 67 Abs.1 FGO zulässig (vgl. BFH-Urteil vom 3. Mai 1978 II R 148/75, BFHE 125, 202, BStBl II 1978, 472; Jaeger/Henckel, Konkursordnung, § 10 Rdnr.3). In diesem Sinne sind die vom Kläger abgegebenen Prozeßerklärungen zu verstehen.
b) T hatte demgegenüber als Gemeinschuldner keine Möglichkeit zur Fortführung des Rechtsstreits. Die Genehmigung des Klägers zur Klageerhebung durch T und die erklärte Klageänderung führten zu dem Ausscheiden des Gemeinschuldners aus dem Klageverfahren. Der Kläger (Konkursverwalter) trat an seine Stelle. Mit seinem Ausscheiden war der Gemeinschuldner kein Beteiligter i.S. des § 57 FGO mehr. Er konnte als Zeuge vernommen werden (vgl. Urteil des Reichsgerichts vom 30. März 1892 V 255/91, RGZ 29, 29). Dies schloß zwar sein subjektives Interesse an dem Ausgang des Rechtsstreits nicht aus. Ein solches steht jedoch der Zeugeneigenschaft einer Person grundsätzlich nicht entgegen. Es kann allenfalls bei der Würdigung der Zeugenaussage berücksichtigt werden.
c) Bei dieser Sachlage bedeutet es einen Rechtsfehler, wenn das FG in der Vorentscheidung ausführt, T könne nicht Zeuge für den dem Steuerrechtsverhältnis zugrundeliegenden Sachverhalt sein. Das Gegenteil ist der Fall. Die Vorentscheidung ist insoweit rechtsfehlerhaft. Der Senat kann nicht nach § 126 Abs.4 FGO verfahren. Ihm ist die Feststellung unmöglich, daß die Vorentscheidung sich aus anderen Gründen als richtig darstellt. Darüber kann erst nach einer Vernehmung des T entschieden werden. Deshalb kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Sie war aufzuheben. Die Sache war an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 66327 |
BFH/NV 1997, 317 |
BStBl II 1997, 464 |
BFHE 182, 269 |
BFHE 1997, 269 |
BB 1997, 1298 (Leitsatz) |
DB 1997, 1754 (Leitsatz) |
DStRE 1997, 618-620 (Leitsatz und Gründe) |
DStZ 1998, 142 (Leitsatz) |
HFR 1997, 589-590 (Leitsatz) |
StE 1997, 384 (Leitsatz) |