Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
1.ß 34 a EStG 1958 verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
2.Daß eine Steuer begrifflich der Einnahmeerzielung dient (vgl. ß 1 AO), schließt nicht aus, daß der Gesetzgeber mit ihr auch wirtschafts- und sozialpolitische Zwecke verfolgen kann.
3.Die nach § 6 Abs. 6 des Manteltarifvertrags für das graphische Gewerbe gezahlte Antrittsgebühr fällt unter § 34 a EStG 1958.
GG Art. 3 Abs. 1; EStG 1958 § 34 a.
Normenkette
EStG § 34a; GG Art. 3 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob eine nach § 6 Abs. 6 des Manteltarifvertrags für das graphische Gewerbe gezahlte Antrittsgebühr nach § 34 a EStG als Zuschlag für Sonntagsarbeit lohnsteuerfrei ist. Das Finanzamt verneinte die Steuerfreiheit und nahm durch Haftungsbescheid die Bgin. für die nicht erhobene Lohnsteuer in Anspruch. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht hielt dagegen auf Grund von ß 34 a EStG die Antrittsgebühr für steuerfrei.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts hat keinen Erfolg.
Es ist zweifelhaft, ob die Antrittsgebühr ein gewöhnlicher Erschwerniszuschlag ist und demgemäß zu dem normal zu versteuernden Arbeitslohn gehört (ß 2 Abs. 3 Ziff. 5 LStDV) oder ob sie nach § 34 a EStG 1958 (ß 32 a LStDV 1957) steuerfrei bleiben kann. Nach dieser Vorschrift rechnen tarifliche Zuschläge für Sonntags- und Feiertagsarbeit nicht zum steuerpflichtigen Arbeitslohn, wenn dieser 15.000 DM im Jahr nicht übersteigt.
Der Senat hat zunächst geprüft, ob § 34 a EStG mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zu vereinbaren ist. Bedenken können sich daraus ergeben, daß durch § 34 a EStG nur bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern begünstigt werden. Der Senat bejaht auch nach erneuter Prüfung die Rechtsgültigkeit, wie er es bisher schon getan hatte (Urteile IV 317/54 U vom 6. Oktober 1955, BStBl 1955 III S. 370, Slg. Bd. 61 S.441, VI 20/58 U vom 28. Februar 1958, BStBl 1958 III S. 196, Slg. Bd. 66 S. 512). Der Steuerfreiheit der Zuschläge für Sonntagsarbeit in dem festgelegten Rahmen liegen arbeits- und sozialpolitische Erwägungen des Gesetzgebers zugrunde. Der Gesetzgeber ist durch das GG nicht gehindert, arbeits- und sozialpolitische Maßnahmen durch Steuergesetze zu fördern, wenngleich damit der eigentliche fiskalische Besteuerungszweck überschritten wird (vgl. § 1 AO) und dadurch mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht zu vereinbarende Belastungsverschiebungen auftreten können. Davon geht auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2 BvF 1/57 vom 24. Juni 1958 (BStBl 1958 I S. 403) aus, wenn es zwar den § 10 b EStG in der Fassung vom 21. Dezember 1954 und vom 13. November 1957, soweit durch ihn der Abzug von unmittelbaren oder mittelbaren Zuwendungen an politische Parteien als Sonderausgaben zugelassen wird, für nichtig erklärt, aber doch nicht grundsätzlich in Frage stellt, daß durch die Steuergesetzgebung auch staatspolitische Zwecke gefördert werden können.
Es kann zwar zweifelhaft sein, ob es allgemein und besonders unter den derzeitigen Verhältnissen am Arbeitsmarkt gerechtfertigt ist, die Sonntagsarbeit steuerlich zu begünstigen, und ob es sinnvoll ist, diese Begünstigung auf Arbeitnehmer bis zu der im Gesetz bestimmten Gehaltshöhe zu beschränken. Hier handelt es sich aber um eine Frage des gesetzgeberischen Ermessens, das die Steuergerichte grundsätzlich nicht nachprüfen können, solange nicht offensichtlich Willkür des Gesetzgebers im Spiel ist (Urteile des Senats VI 20/58 U a. a. O.;VI 289-290/58 U vom 21. August 1959, BStBl 1959 III S. 409, Slg. Bd. 69 S. 398). Der Gesetzgeber hat hier die Begünstigung offenbar gewährt, weil er die Sonntagsarbeit, die überhaupt nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, für volkswirtschaftlich notwendig und eine steuerliche Erleichterung für geboten hält, weil die Art von Arbeit die betroffenen Arbeitnehmer besonders belastet. Die Beschränkung der Begünstigung auf die Arbeitnehmer mit einem Arbeitslohn von nicht mehr als 15.000 DM jährlich ist auch nicht als willkürlich anzusprechen. Dafür läßt sich anführen, daß die Sonntagsarbeit anders als gewöhnlich bei höher bezahlten Arbeitnehmern außerhalb der normalen Arbeitsleistung liegt. Ebensowenig ist es willkürlich, daß nur tarifliche oder gesetzliche Zuschläge begünstigt werden, wie der Senat im Urteil VI 20/58 U a. a. O. bereits ausgeführt hat. Nach allem ist § 34 a EStG verfassungsrechtlich einwandfrei und daher bei der Rechtsfindung für den Senat bindend.
Das Finanzgericht dessen Urteil in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1961 S. 175 veröffentlicht ist, hält die Antrittsgebühren für Sonntagszuschläge im Sinne des § 34 a EStG. Der Senat tritt dieser Auffassung bei und lehnt die Auffassung des Bundesministers der Finanzen, der dem Verfahren gemäß § 287 Ziff. 2 AO beigetreten war und die Antrittsgebühren für Zeitzuschläge hält, ab.
ß 6 des Manteltarifvertrags ist mit "Arbeit an Sonntagen und Feiertagen" überschrieben. Die Bestimmung regelt neben den Zuschlägen für Sonntags- oder Feiertagsarbeit, die als solche ausdrücklich bezeichnet sind (ß 6 Ziff. 3) und ohne Zweifel unter ß 34 a EStG fallen, auch die Antrittsgebühren, über die in § 6 Ziff. 6 a bestimmt ist:
"Bei regelmäßig erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften, die am Sonntag oder in der Nacht vom Sonntag zum Montag hergestellt werden, ist an alle mit der Herstellung beschäftigten Arbeitnehmer eine Antrittsgebühr zu zahlen in Höhe von 15 % des tariflichen Wochenlohnes (10); beträgt die Arbeitszeit jedoch nur 3 Stunden und weniger, vermindert sich die Antrittsgebühr auf 7 1/2 % des tariflichen Wochenlohnes.
Diejenigen Arbeitnehmer in Maternbetrieben und Chemigraphiebetrieben, welche für solche Zeitungen und Zeitschriften Matern und Klischees herstellen, erhalten die gleiche Antrittsgebühr (15 bzw. 7 1/2 %). Voraussetzung hierfür ist, daß diese Betriebe regelmäßig für solche Zeitungen und Zeitschriften am Sonntag oder in der Nacht vom Sonntag zum Montag arbeiten.
Für jede einzelne Arbeitsstunde ist der Aufschlag für regelmäßige Sonntagsarbeit und gegebenenfalls der Nachtaufschlag gemäß § 3 Ziffer 2 a zu zahlen. Zu entlohnen sind mindestens 3 Stunden, auch wenn die Beschäftigung kürzere Zeit dauert (11)."
Zutreffend führt der Bundesminister der Finanzen aus, daß die durch § 34 a EStG begünstigten Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit reine Zeitzuschläge sind, die für eine ungünstig liegende Arbeitszeit gezahlt werden und Erschwernisse psychischer Art abgelten sollen, die dadurch entstehen, daß die Arbeit sonntags, feiertags oder nachts geleistet werden muß. Zulagen, die aus anderen Gründen gewährt werden, wie zum Beispiel Erschwerniszuschläge und die seit der Änderung des § 34 a EStG durch das Steuerneuordnungsgesetz vom 16. Dezember 1954 nicht mehr begünstigten Mehrarbeitszuschläge, sind nicht nach § 34 a EStG steuerfrei, auch wenn sie im Zusammenhang mit einer sonntags, feiertags oder nachts zu leistenden Arbeit gewährt werden und an diese anknüpfen.
Der Bundesminister der Finanzen meint, die Antrittsgebühren seien keine Zeitzuschläge, sondern Erschwerniszuschläge, weil sie "wegen der Erschwerung der Arbeit durch die geringere Zahl der am Sonntag tätigen Arbeitnehmer" gezahlt werden. Das mag bei der Zubilligung der Antrittsgebühren im Tarifvertrag eine Rolle gespielt haben. Für diese Annahme könnten auch der Wortlaut des § 6 Ziff. 6 des Manteltarifvertrags und die Tatsache sprechen, daß die Antrittsgebühr selbständig neben den in § 6 Ziff. 3 des Manteltarifvertrages geregelten Zuschlägen für nicht regelmäßige und regelmäßige Sonntags- und Feiertagsarbeit steht. Doch ergibt sich daraus nicht zwingend der von dem Bundesminister der Finanzen gezogene Schluß, daß die Antrittsgebühr kein Zeitzuschlag, sondern ein Erschwerniszuschlag sei. Die Antrittsgebühr wird zweifellos für ungünstig liegende Arbeitszeit gezahlt und soll die Erschwernisse besonders psychische Art abgelten, die dadurch entstehen, daß sonntags, feiertags oder nachts gearbeitet wird. Sie genügt also den Anforderungen, die wie ausgeführt, der Bundesminister der Finanzen selbst an die in § 34 a EStG genannten Zuschläge stellt.
Wie sich aus der Überschrift des § 6 des Manteltarifvertrags ergibt, haben die Tarifparteien die Antrittsgebühr als einen Zuschlag für Sonntags- und Feiertagsarbeit angesehen. Das Finanzgericht hat festgestellt, "die Antrittsgebühr werde dafür entrichtet, daß die mit der Herstellung der Zeitungen und Zeitschriften bzw. der Matern und Klischees befaßten Arbeitnehmer an jedem Sonntag bzw. jedem Feiertag die erforderlichen Arbeiten erledigen müssen, mithin immer in den Betrieben 'antreten', d. h. arbeiten müssen, während die Arbeitnehmer der anderen graphischen Betriebe nur selten - mindestens nicht jeden Sonntag bzw. jeden Feiertag - Arbeit leisten müssen". Daß es daneben den ausdrücklich als Zuschlag für Sonntags- und Feiertagsarbeit bezeichneten Zuschlag gibt, schließt nicht aus, auch die Antrittsgebühr als einen solchen Zuschlag anzusehen. Die Antrittsgebühr ist für den betroffenen Arbeitnehmerkreis eine Erhöhung des Zuschlags für regelmäßige Sonntags- und Feiertagsarbeit. Dieser Zuschlag wird allerdings nach der Zahl der geleisteten Stunden und nach dem auf diese entfallenden Lohn bemessen, während die Antrittsgebühr sich nach dem Wochenlohn und danach bemißt, ob mehr oder weniger als drei Stunden gearbeitet worden ist. Aber diese verschiedene Berechnungsart besagt nichts für die Art der verschiedenen Zuschläge. Dem Bundesminister der Finanzen ist zuzugeben, daß das Nebeneinander der beiden Zuschläge, nämlich des "allgemeinen" Zuschlags für regelmäßige Sonntags- und Feiertagsarbeit und des "zusätzlichen" Zuschlag in Gestalt der Antrittsgebühr für die betroffenen Arbeitnehmer, eine erhebliche Bevorzugung bedeutet. Diese Bevorzugung hat aber, wie die Bgin. dargelegt hat, sachliche und historische Gründe. Für die Anwendung des § 34 a EStG spielt diese Frage jedenfalls keine Rolle.
Nach dem Wortlaut des § 34 a EStG ist die Vergünstigung zu gewähren, wenn Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit im Gesetz oder in einem Tarifvertrag vorgesehen sind. Das Gesetz gibt also den Tarifpartnern das Recht, Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit festzusetzen und legt deren Regelung der Anwendung des § 34 a EStG zugrunde, es sei denn daß offenbar Umgehungen geplant sind. Davon kann im Streitfall nicht die Rede sein.
Die vom Bundesminister der Finanzen aufgeworfene Frage, ob Zuschläge nicht unter § 34 a EStG fallen, die in einem offenbaren Mißverhältnis zum Grundlohn (normalen Stundenlohn) stehen, braucht nicht entschieden zu werden, weil hier ein solches Mißverhältnis nicht vorliegt.
Das Finanzgericht hat auch einwandfrei festgestellt, daß die Antrittsgebühr nicht nur für das Bereitsein oder den Antritt zur Arbeit, sondern, wie es § 34 a EStG erfordert, für geleistete Arbeit gewährt wird. Nach § 6 Ziff. 6 des Manteltarifvertrags wird zwar die Antrittsgebühr, wie erwähnt, nicht nach den geleisteten Arbeitsstunden, sondern danach bemessen, ob mehr oder weniger als drei Stunden gearbeitet worden ist. Die Antrittsgebühr setzt trotz dieser Berechnung aber immer eine Arbeitsleistung voraus. Ohne Bedeutung ist, daß die Antrittsgebühr auch gezahlt werden muß, wenn der Arbeitnehmer am Sonntag bzw. Feiertag zwar zur Arbeit erscheint, aber aus einem von ihm nicht zu vertretenden Umstand nicht arbeiten kann. Auch der Stundenlohn und ein etwaiger allgemeiner Zuschlag für Nachtarbeit oder für Sonntags- bzw. Feiertagsarbeit muß in solchen Fällen gezahlt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 410501 |
BStBl III 1962, 376 |
BFHE 1963, 302 |
BFHE 75, 302 |