Leitsatz (amtlich)
Ein Arbeitgeber ohne Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt, Sitz oder Geschäftsleitung im Inland, der seine im Inland beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer im Ausland entlohnt, ist zur Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer im Inland Jedenfalls dann verpflichtet, wenn er im Inland eine Betriebstätte im Sinne des § 16 StAnpG unterhält.
Normenkette
EStG §§ 38, 41; LStDV § 41 Abs. 1, § 43; StAnpG § 16
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt ein Bauunternehmen in Italien. Seit Mai 1971 unterhält er eine Baustelle mit Baubüro und Schlafbaracken in A (BRD). Er beschäftigt dort italienische Arbeitnehmer, die er in Italien angeworben und eingestellt hat und die er dort auch entlohnt. Arbeitslohn und Lohnsteuer werden am Sitz des Klägers in Italien berechnet. Mit Schreiben vom 18. Juni 1971 bat der Bevollmächtigte des Klägers das Finanzamt in A eine angeblich fernmündlich erteilte Auskunft schriftlich zu bestätigen, wonach die auf der Baustelle in A beschäftigten Arbeitnehmer lohnsteuerlich in der Bundesrepublik Deutschland nicht zu erlassen seien. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) teilte dem Kläger durch Schreiben vom 18. November 1971 mit, daß auf die an die italienischen Arbeitnehmer gezahlten Arbeitslöhne Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen sei. Gleichzeitig forderte das FA den Kläger auf, für die Zeit ab Begründung der Baustelle in A Lohnsteueranmeldungen nachzureichen. Der Kläger lehnte dies ab. Er hielt eine Verpflichtung zum Lohnsteuerabzug für nicht gegeben, da er in den Streitjahren in A eine Betriebstätte im Sinne des § 43 LStDV nicht unterhalten habe. Außerdem berief er sich auf die angebliche fernmündliche Auskunft des FA in A. Das FA schätzte die Lohn- und Kirchenlohnsteuer, die auf die Löhne der auf der Baustelle in A beschäftigten italienischen Arbeitnehmer entfiel. Es nahm den Kläger als Arbeitgeber durch Lohnsteuerhaftungsbescheide vom 15. Dezember 1971, 17. April und 20. Juni 1972 in Anspruch. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hob den Lohnsteuerhaftungsbescheid vom 15. Dezember 1971 (Lohn- und Kirchenlohnsteuer für die Zeit von Mai bis November 1971) auf und wies die Klage hinsichtlich der hier allein noch streitigen Haftungsbescheide vom 17. April und 20. Juni 1972 (Lohn- und Kirchenlohnsteuer Dezember 1971 bis März 1972) ab. Es führte aus: Der Kläger sei gemäß § 41 EStG §§ 30, 41 LStDV verpflichtet gewesen, von den Arbeitslöhnen seiner im Inland beschäftigten italienischen Arbeitnehmer Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen. Die Vorschriften über die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber seien für alle Arbeitgeber ohne Rücksicht auf deren Staatsangehörigkeit, deren Wohnsitz und den Sitz des Betriebes maßgebend. Eine Abzugspflicht für ausländische Unternehmer komme allerdings dann nicht in Betracht, wenn sie im Inland nicht als Arbeitgeber in Erscheinung träten. Der Kläger habe sich aber unstreitig im Inland als Arbeitgeber betätigt und durch seine Bauausführungen in A eine inländische Betriebstätte im Sinne des § 16 Abs. 2 Nr. 3 StAnpG unterhalten. Das FA habe im Streitfall die Höhe der nicht einbehaltenen und nicht abgeführten Lohn- und Kirchenlohnsteuer gemäß § 45 Satz 2 LStDV zu Recht geschätzt. Die Höhe des Haltungsbetrages sei nicht zu beanstanden. Das FG schließe sich den Schätzungen des FA, die im Rahmen des Möglichen und Wahrscheinlichen lägen, an.
Der Kläger rügt mit der Revision Verletzung von § 41 EStG, §§ 30, 31, 43, LStDV, § 16 Abs. 2 Nr. 3 StAnpG.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung und die Haftungsbescheide vom 17. April 1972 und vom 20. Juni 1972 in Form der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger nach den §§ 38, 41 EStG (§§ 30, 40, 41 LStDV) verpflichtet war, auf den Arbeitslohn seiner im Inland beschäftigten Arbeitnehmer Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen.
a) Die Vorinstanz hat nicht festgestellt, ob die im Inland beschäftigten Arbeitnehmer des Klägers unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig waren. Diese Frage ist jedoch auf die Entscheidung, ob der Kläger zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer verpflichtet war, ohne Bedeutung. Denn bei – den unstreitig hier vorliegenden – Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ist die Einkommensteuer grundsätzlich unabhängig davon, ob die Arbeitnehmer unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig sind, nach den allgemeinen Vorschriften durch Abzug vom Arbeitslohn zu erheben. Die §§ 49 bis 50 a EStG regeln zwar die Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger zum Teil abweichend von der Besteuerung unbeschränkt Steuerpflichtiger. Hinsichtlich der Erhebung der Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn bestehen jedoch bei Einkünften beschränkt Steuerpflichtiger aus nichtselbständiger Arbeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG) – mit Ausnahme des im Streitfall nicht anwendbaren § 50 a EStG – keine Sonderregelungen.
b) Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG (§ 30 Abs. 1 Satz 1 LStDV) wird die Einkommensteuer bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit schlechthin durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben. Nach dieser Regelung ist für die Frage, ob die Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn zu erheben ist, allein die Art der Einkünfte – aus nichtselbständiger Arbeit – entscheidend. Entgegen der Auffassung des Klägers setzt § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG für die Erhebung der Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn nicht voraus, daß der Arbeitslohn von einem Arbeitgeber mit Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthalt, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland gezahlt wird. Eine solche Einschränkung der Abzugspflicht läßt sich auch nicht aus den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes und der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung herleiten, die im einzelnen die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Vornahme des Lohnsteuerabzugs regeln. Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 EStG hat zwar der Arbeitgeber die Lohnsteuer bei jeder Lohnzahlung für den Arbeitnehmer einzubehalten und an das FA abzuführen, in dessen Bezirk der Betrieb oder der Teilbetrieb liegt, in dem der Arbeitslohn und die Lohnsteuer berechnet sowie die Lohnsteuerkarten der Arbeitnehmer aufbewahrt werden. Diese Vorschrift wird ergänzt durch § 41 Abs. 1 LStDV, wonach der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer an die Kasse des FA der Betriebstätte (§ 43 LStDV) abzuführen hat. Diesen Regelungen, die lediglich hinsichtlich der Abführung der einbehaltenen Lohnsteuer und sonstiger hiermit zusammenhängender Fragen an die Begriffe Betrieb, Teilbetrieb und Betriebstätte anknüpfen, ist nicht zu entnehmen, daß eine Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer nur für solche Arbeitgeber besteht, die im Inland einen Betrieb, Teilbetrieb oder eine Betriebstätte haben, in denen die Lohnsteuer berechnet und die Lohnsteuerkarten aufbewahrt werden. Nach Auffassung des Senats regeln diese Bestimmungen (§ 41 Abs. 1 Satz 1 EStG, § 41 Abs. 1 LStDV) nur Zuständigkeitsfragen und bestimmen das örtlich zuständige FA, an das die Lohnsteuer abzuführen und das für die Überwachung des ordnungsgemäßen Lohnsteuerabzugs (§§ 44, 50 LStDV) zuständig ist. Eine Einschränkung des Kreises der zur Vornahme des Lohnsteuerabzugs verpflichteten Arbeitgeber auf Arbeitgeber mit Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthalt, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland läßt sich diesen Vorschriften nicht entnehmen. Gegen eine solche Einschränkung spricht auch die Erwägung, daß jeder, der sich im Inland als Arbeitgeber betätigt, sich der inländischen Rechtsordnung mit der Folge unterstellt, daß er die öffentlich-rechtliche Pflicht zur Mitwirkung beim Lohnsteuerabzug – wie andere bürgerlichrechtliche und öffentlich-rechtliche Pflichten, die seine Betätigung im Inland mit sich bringt – erfüllen muß. Im übrigen würde eine solche Einschränkung der Lohnsteuerabzugspflicht ausländischen Arbeitgebern, die im Inland Arbeitnehmer beschäftigen, einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren inländischen Mitbewerbern gewähren.
Der Reichsfinanzhof (RFH) hat allerdings bei Arbeitgebern ohne Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt, Sitz oder Geschäftsleitung im Inland (ausländischen Arbeitgebern) eine Pflicht zur Durchführung des Steuerabzugs vom Arbeitslohn der im Inland beschäftigten Arbeitnehmer nicht angenommen, wenn der ausländische Arbeitgeber im Inland keine Betriebstätte unterhält (Urteile vom 26. März 1930 VI A 77/30, RStBl 1930, 349, und vom 1. März 1934 VI A 2066/32, RStBl 1934, 660). Der RFH hat diese Einschränkung der Abzugspflicht bei ausländischen Arbeitgebern mit den Grenzen deutscher Steuerhoheit begründet (ähnlich Oeftering-Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, § 1 LStDV Anm. 35). Der I. Senat des BFH hat darüber hinausgehend im Urteil I R 50/71 die Abzugspflicht eines ausländischen Arbeitgebers auch für den Fall bejaht, daß der ausländische Arbeitgeber im Inland – sei es auch nur vorübergehend – eine Einrichtung unterhält, die ihm die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer auf den Arbeitslohn seiner im Inland beschäftigten Arbeitnehmer ermöglicht.
Es ist zweifelhaft, ob diese von der Rechtsprechung angenommene Einschränkung der Lohnsteuerabzugspflicht bei ausländischen Arbeitgebern nach geltendem Recht gerechtfertigt ist. Anders als die ab 1. Januar 1975 geltende Regelung des § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG 1975 setzt § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG in den Fassungen vor dem Einkommensteuergesetz 1975 für die Erhebung der Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn – jedenfalls ausdrücklich – nicht voraus, daß der Arbeitslohn von einem Arbeitgeber mit Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthalt, Geschäftsleitung, Sitz, Betriebstätte oder ständigem Vertreter im Inland (inländischem Arbeitgeber) gezahlt wird. Im Streitfall braucht der Senat zu dieser Rechtsfrage jedoch nicht abschließend Stellung zu nehmen, da der Kläger bereits im Streitjahr im Inland eine Betriebstätte im Sinne des § 16 StAnpG unterhalten hat. Denn nach den nicht angegriffenen und für den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz hat der Kläger in N für eine Dauer von mehr als sechs Monaten ein Bauvorhaben durchgeführt und damit im Inland eine Betriebstätte im Sinne des § 16 StAnpG unterhalten. Ohne Bedeutung ist, ob im Streitfall auch die Voraussetzungen einer Betriebstätte im Sinne des Art. 3 Abs. 2 DBA-Italien vorgelegen haben. Da das DBA-Italien keine Vereinbarungen über die Lohnsteuerabzugspflicht ausländischer Arbeitgeber enthält, ist der Betriebstättenbegriff des DBA-Italien hier unbeachtlich. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch der lohnsteuerliche Betriebstättenbegriff des § 43 LStDV. Bereits dem Wortlaut des § 43 LStDV „Betriebstätte im Sinne dieser Verordnung” läßt sich entnehmen, daß sich die Bedeutung des § 43 LStDV auf diejenigen Vorschriften beschränkt, in denen die Lohnsteuer-Durchführungsverordnung den Begriff der Betriebstätte verwendet. Dabei handelt es sich um Vorschriften, die die örtliche Zuständigkeit des (inländischen) FA in lohnsteuerlichen Angelegenheiten (§§ 41, 44, 50, 56 LStDV) bei Arbeitgebern regeln, die im Inland mehrere Betriebe oder Betriebsteile haben. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein ausländischer Arbeitgeber zum Lohnsteuerabzug im Inland verpflichtet ist, ist dagegen in der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung nicht geregelt.
2. Da der Kläger seiner Abzugspflicht nicht nachgekommen ist, war das FA grundsätzlich berechtigt, ihn durch Haftungsbescheid in Anspruch zu nehmen (§ 38 Abs. 3 EStG, § 46 Abs. 1 LStDV). Die Inanspruchnahme des Klägers für die Monate Dezember 1971 bis März 1972 war auch nicht ermessenswidrig (§ 2 Abs. 2 StAnpG). Zu Unrecht beruft sich der Kläger auf einen entschuldbaren Rechtsirrtum. Dem Kläger war seine Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer auf die Löhne seiner im Inland beschäftigten Arbeitnehmer bekannt, nachdem er hierüber durch das Schreiben des FA vom 18. November 1971 belehrt worden war. Die Inanspruchnahme des Klägers ist auch nicht deshalb unbillig, weil er – wie er behauptet – Lohnsteuer auf die Arbeitslöhne seiner in der Bundesrepublik beschäftigten Arbeitnehmer bereits in Italien entrichtet hat. Es ist Sache des Klägers, bei den italienischen Finanzbehörden auf die Beseitigung einer etwaigen Doppelbesteuerung hinzuwirken.
3. Gegen die Höhe der vom FA zu Recht gemäß § 217 der Reichsabgabenordnung geschätzten Haftungssumme hat der Kläger Einwendungen nicht erhoben. An das Ergebnis der Schätzung ist der BFH als Revisionsinstanz gebunden, da das FG die Schätzung gebilligt hat und ein Rechtsirrtum, ein Verfahrensmangel oder ein Verstoß gegen die Denkgesetze nicht erkennbar sind. Irgendwelche Gründe für eine Steuerbefreiung in der Person der vom Kläger beschäftigten Arbeitnehmer sind – wie das FG zutreffend ausgeführt hat – nicht ersichtlich. Soweit es sich bei den Arbeitnehmern des Klägers um italienische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Italien handelt, ist das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland durch die Vorschriften des DBA-Italien nicht eingeschränkt. Nach Art. 7 in Verbindung mit Art. 11 Nr. 1 d DBA-Italien steht das Besteuerungsrecht für Arbeitseinkünfte nur dem Staat zu, in dessen Gebiet die persönliche Tätigkeit ausgeübt Wird. Das gilt nach der Rechtsprechung des BFH auch für Arbeitseinkünfte aus einer nur vorübergehenden Tätigkeit in dem anderen Staat (BFH-Urteil vom 26. Mai 1971 I R 27/70, BFHE 103, 324, BStBl II 1971, 804).
Fundstellen
Haufe-Index 514851 |
BFHE 1975, 350 |