Leitsatz (amtlich)
Besucht ein Arbeitnehmer auf Weisung seines Arbeitgebers unter Freistellung von seiner sonstigen Tätigkeit, aber unter Fortzahlung von seinem bisherigen Gehalt entsprechenden Bezügen eine mehrere Monate dauernde Fortbildungsveranstaltung, so sind seine arbeitstäglichen Fahrten im eigenen Kraftfahrzeug von seiner Wohnung zur Fortbildungsstätte (hier: Sparkassenschule) und zurück keine Dienst-(Berufs-)reisen, sondern solche zwischen Wohnung und (neuer) Arbeitsstätte.
Normenkette
EStG 1974 § 9 Abs. 1 Nr. 4
Tatbestand
Der ledige Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Bankkaufmann und wohnte im Streitjahr 1974 in S. Er besuchte zur Vorbereitung der Prüfung für den gehobenen Sparkassendienst in der Zeit vom 4. November 1974 bis zum 29. August 1975 ganztägig einen Fachlehrgang an der Sparkassenschule in N. Die Fahrten zur Schule legte er täglich mit seinem PKW zurück. Durchschnittlich war er acht Stunden, an manchen Tagen bis zu zehn Stunden von seiner Wohnung abwesend. Für die Zeit des Lehrgangs gewährte die Arbeitgeberin dem Kläger Sonderurlaub. Während dieser Zeit erhielt er von seiner Arbeitgeberin zinslose Unterhaltsdarlehen in Höhe des zuletzt bezogenen Monatsgehalts. An Tariferhöhungen während der Dauer des Lehrgangs sollte der Kläger teilnehmen. Für den Fall einer unverschuldeten Krankheit waren die Bestimmungen über die Krankenbezüge entsprechend anwendbar. Das Unterhaltsdarlehen war an die Arbeitgeberin zurückzuzahlen, wenn der Kläger den Lehrgang aus einem von ihm zu vertretenden Grunde abbrechen sollte oder mußte, oder innerhalb von fünf Jahren - gerechnet vom Ende des Lehrgangs - aus den Diensten der Landesgirokasse ausscheiden sollte. Für diesen Fall verminderte sich der Rückzahlungsanspruch mit jedem vollen Monat, in dem der Kläger nach Abschluß des Lehrgangs in den Diensten der Arbeitgeberin verblieb, um ein Sechzigstel. Sein Anspruch auf Erholungsurlaub verringerte sich für jeden vollen Monat des gewährten Sonderurlaubs um ein Zwölftel.
Der Kläger erhielt während des Sonderurlaubs Beihilfen nach Maßgabe der für Angestellte der Landesgirokasse geltenden Bestimmungen. Die Aufwendungen für Schulgeld, Prüfungsgebühren und Lernmittel trug er selbst.
Mit seinem Antrag auf Lohnsteuerjahresausgleich 1974 (Streitjahr) begehrte er u. a. , folgende Aufwendungen anläßlich des Besuchs der Sparkassenschule als Werbungskosten zu berücksichtigen:
Die Kosten für die Fahrten zur Sparkassenschule
mit dem eigenen Pkw: 64 km x 0,32 DM x 38 Tage 778,- DM
Mehraufwendungen für Verpflegung gemäß
Abschn. 21 Abs. 5 der Lohnsteuer-Richtlinien
(LStR) 1972: 38 Tage x 14 DM 532,- DM
insgesamt 1 310,- DM
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte es im Bescheid über den Lohnsteuerjahresausgleich 1974 ab, die Mehraufwendungen wegen Verpflegung als Werbungskosten anzuerkennen. Die Fahrtkosten berücksichtigte das FA mit 0,36 DM je Entfernungskilometer.
Der Einspruch hatte in beiden Streitpunkten ebensowenig Erfolg wie die Klage. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, daß der Kläger seine Aufwendungen für die Fahrten zur Sparkassenschule und die Mehraufwendungen für Verpflegung nicht nach den für Dienstreisen geltenden Grundsätzen als Werbungskosten abziehen dürfe. Bei dem Besuch der Sparkassenschule habe es sich um keine Dienstreisen gehandelt. Da die Arbeitgeberin des Klägers zu den Trägern der besuchten Sparkassenschule gehört habe, sei der Kläger - jedenfalls de facto - infolge des fortbestehenden persönlichen Abhängigkeitsverhältnisses zu seiner Arbeitgeberin in deren Betrieb eingegliedert geblieben. Demzufolge habe der Kläger während der fraglichen Zeit lediglich seinen Arbeitsplatz innerhalb des Unternehmens gewechselt und dürfe daher lediglich nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1974 die Kosten für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit dem eigenen Kraftfahrzeug als Werbungskosten berücksichtigen. Infolge der Qualifizierung der Sparkassenschule als Arbeitsstätte scheide im Streitfall auch die steuerliche Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwand aus, da für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte Dienstreisegrundsätze nicht zur Anwendung kämen und der Kläger auch nicht länger als 12 Stunden von seiner Wohnung abwesend gewesen sei. Abgesehen davon hätte die steuerliche Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwand im Streitfall eine unzutreffende Besteuerung zur Folge gehabt.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er sieht sich in seinen Rechten dadurch verletzt, daß das FG die Werbungskosten nicht - wie von ihm beantragt - nach Dienstreisegrundsätzen berücksichtigt habe.
Das FG habe aus der Beteiligung seiner Arbeitgeberin an der Sparkassenschule und aus der Satzung des einschlägigen Sparkassen- und Giroverbands (Verband) die unrichtige Schlußfolgerung gezogen, daß er durch den Schulbesuch lediglich den Arbeitsplatz gewechselt habe. Die Schule werde zwar mittelbar von jeder Sparkasse dieses Gebiets und damit auch von seiner Arbeitgeberin mitgetragen. Bei rechtlicher wie organisatorischer Zwischenschaltung des Verbands und Beteiligung von weiteren Sparkassen am Verband könne die Schule jedoch nicht als eine Arbeitsstätte einer dieser Sparkassen angesehen werden. Es bestehe nur eine geringfügige und zudem mittelbare Mitträgerschaft. Auf die Gestaltung der Fortbildungsmaßnahmen, den Lehrstoff, die Unterrichtsgliederung, die Stundenplanung, die Kontrolle und Prüfung der Lehrgangsteilnehmer usw. habe die Arbeitgeberin, was unstreitig und durch Gutachten des Verbands belegt sei, keinen Einfluß. Die Qualifikation der Schule als seine Arbeitsstätte sei daher verfehlt. Die Mitbeteiligung berufsständischer Organisationen des Arbeitgebers an Fortbildungseinrichtungen sei ein normaler Fall, der an der Beurteilung als selbständige Einrichtung nichts ändere. Dementsprechend habe auch der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem amtlich nicht veröffentlichten Urteil vom 9. November 1971 VI R 133/70 in einem gleichliegenden Fall bei Teilnahme an dem Sparkassen-Fachlehrgang die Fahrtkosten nicht in einem durch § 9 Nr. 4 EStG in der damals geltenden Fassung begrenzten, sondern in vollem Umfange als Werbungskosten anerkannt. Entsprechendes müsse auch für den Verpflegungsmehraufwand gelten. Da das FG die Sparkassenschule als Arbeitsstätte qualifiziert habe, habe es Mehraufwendungen für Verpflegung nicht anerkennen können. Bei richtiger Beurteilung des Fortbildungsverhältnisses ergebe sich jedoch der Anspruch auf Berücksichtigung dieser Aufwendungen zumindest dem Grunde nach aus Abschnitt 21 Abs. 5 Nr. 3 a und b LStR 1972. Entgegen der Auffassung des FG führe die Anwendung der dort vorgesehenen Pauschbeträge auch zu keiner unzutreffenden Besteuerung. Die "Möglichkeit", ein verbilligtes Mittagessen einzunehmen, schließe das Entstehen von Verpflegungsmehraufwendungen nicht aus. Denn er - der Kläger - habe an keinem Tage von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, sondern in Gaststätten gegessen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene FG-Urteil aufzuheben und die ihm zugrunde liegenden Verwaltungsakte des FA dahin abzuändern, daß weitere Aufwendungen für den Besuch der Sparkassenschule in Höhe von 872 DM als Werbungskosten anerkannt werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Beide Beteiligten gehen im Streitfalle zu Recht davon aus, daß es sich bei den Aufwendungen des Klägers für den Lehrgang an der Sparkassenschule dem Grunde nach um Werbungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG 1974 handelt. Diesem Umstand hat das FA dadurch Rechnung getragen, daß es die Kosten des Klägers für Fahrten im eigenen Kraftfahrzeug zwischen seiner - unverändert gebliebenen - Wohnung sowie der Sparkassenschule und zurück, wenn auch unter den Einschränkungen des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1974, als Werbungskosten anerkannt hat.
Mit seinem Begehren auf uneingeschränkte Brücksichtigung seiner Fahrtkosten und darüber hinaus auf Abzug eines Verpflegungsmehraufwands nach Dienst- (Berufs-) reisegrundsätzen kann der Kläger dagegen - wie das FG mit Recht ausgeführt hat - nicht durchdringen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann eine Dienst- oder Berufsreise nur dann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer aus beruflichen Gründen zeitweilig vom Ort seiner regelmäßigen (festen) Arbeitsstätte abwesend ist (so zuletzt BFH-Urteil vom 24. November 1978 VI R 171-172/76, BFHE 126, 454, BStBl II 1979, 148). Im Sinne dieser Rechtsprechung hat das FG für das Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bindend festgestellt, daß infolge des gewährten Sonderurlaubs während des Lehrgangs an der Sparkassenschuie diese - und nicht mehr die Girokasse, an der der Kläger bis dahin beschäftigt gewesen war - zu seiner regelmäßigen Arbeitsstätte geworden ist. Der Kläger hat sich also nicht - wie das für die Annahme einer Berufsreise notwendig gewesen wäre - von seiner regelmäßigen Arbeitsstätte entfernt, sondern sich von seiner Wohnung aus gerade dorthin begeben. In einem solchen Falle liegen Fahrten zwischen Wohnung und (neuer) Arbeitsstätte und keine Berufsreisen vor. Daran vermag der Hinweis des Klägers nichts zu ändern, daß die genannte Fortbildungseinrichtung nicht von seiner Arbeitgeberin allein, sondern lediglich im Zusammenhang mit dem von weiteren Sparkassen gebildeten Sparkassen- und Giroverband getragen wird. Denn für den Begriff der Arbeitsstätte eines Arbeitnehmers kommt es nicht darauf an, ob und inwieweit dem Arbeitgeber diese gehört oder er zumindest die Verfügungsmacht darüber innehat. Auch wer z. B. ständig damit betraut ist, im Auftrage seines Arbeitgebers in einem diesem fremden Betrieb bestimmte Arbeiten durchzuführen, kann dort seinen festen Arbeitsplatz haben und kann daher schon begrifflich keine Berufsreisen dorthin unternehmen. Im Streitfalle ist entscheidend, daß der Kläger auch während der Dauer des Lehrgangs an der Sparkassenschule dem Weisungsrecht seines Arbeitgebers unterlag. Denn der Kläger hatte den erforderlichen Sonderurlaub nicht zur freien Verfügung, sondern nach den Feststellungen des FG ausdrücklich deshalb erhalten, damit er an dieser Lehrveranstaltung teilnahm. Das ungeachtet des Sonderurlaubs weiterbestehende Weisungsrecht der Sparkasse als Arbeitgeberin kommt letztlich auch darin zum Ausdruck, daß sie zum Ausgleich dafür dem Kläger - wenn auch unter der Bezeichnung "Darlehen" - nicht nur ungeschmälert seinen Lohn (vgl. § 2 Abs. 1 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung 1971) und die ihm zustehenden Sozialleistungen weitergewährt hat, sondern daß ihr darüber hinaus für den Fall eines vertragswidrigen Verhaltens und der Nichtbefolgung ihrer Weisungen, z. B. des Abbruchs des Lehrgangs, bestimmte Rechte - z. B. ein Rückforderungsrecht hinsichtlich des "Darlehens" - gegenüber dem Kläger zugestanden haben. Wer aber - wie hier der Kläger - auf Weisung seines Arbeitgebers, und sei es auch nur zeitweilig, eine andere (feste) Arbeitsstätte erhält, zu der er arbeitstäglich von seiner Wohnung fährt, unternimmt keine Dienst- (Berufs-)reisen, sondern Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Aufwendungen für solche Fahrten können jedoch nur in dem durch § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1974 begrenzten Umfange als Werbungskosten berücksichtigt werden (so für einen insoweit gleichliegenden Fall entsprechend der Regelung des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG 1969: Urteil des BFH vom 10. November 1978 VI R 13-14/76, BFHE 126, 420, BStBl II 1979, 157).
Das vom Kläger zur Stützung seiner gegenteiligen Auffassung herangezogene Urteil des Senats vom 9. November 1971 VI R 109/69 (BFHE 103, 516, BStBl II 1972, 147) ist nicht einschlägig. Denn dort handelte es sich um den Angestellten eines Wirtschaftsprüfers, der unabhängig von seinem Arbeitgeber und ohne dessen Weisung Fortbildungsveranstaltungen für die Vorbereitung auf die Steuerbevollmächtigtenprüfung besucht hatte. Soweit der Senat in seinem Urteil VI R 133/70 eine andere Auffassung vertreten hat, wird daran nicht mehr festgehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 73159 |
BStBl II 1979, 521 |
BFHE 1979, 526 |